Im Hintergrund des großen Gemachs schlugen die Dienerinnen die gestickten Vorhänge eines erhöhten Bettes aus Ebenholz mit Elfenbeinintarsien zurück, aber sie machte ihnen ein Zeichen, daß sie sich noch nicht zur Ruhe begeben wolle. Mit den vielen unbeantworteten Fragen, die in ihrem Kopfe kreisten, konnte sie nicht schlafen. Festen Schrittes, die seidenrauschende Schleppe ihres Gewandes hinter sich, ging Cathérine auf die Tür zu und öffnete sie. Auf der Schwelle vor ihr stand Josse.
Verblüfft über ihre prunkvolle Kleidung, machte er einen Augenblick große, runde Augen, doch bald trat sein bedächtiges Lächeln wieder auf seine Züge.
»Es ist erledigt«, sagte er. »Die Sklaven des Mauren haben unseren Verwundeten in ein Bett getragen. Wollt Ihr ihn sehen, bevor Ihr schlafen geht?«
Sie machte ein bejahendes Zeichen, schloß die Tür hinter sich, nahm Josses Arm und trat mit ihm in die lange Galerie, in der vorhin das Phantom verschwunden war. Fackeln erhellten sie in Abständen. Cathérine ging schnellen Schrittes und aufrechten Hauptes, die Augen geradeaus gerichtet, doch Josse beobachtete sie von der Seite. Schließlich sagte er:
»Ihr habt Kummer, Dame Cathérine.«
Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Ich sorge mich um Gauthier, das ist ganz natürlich.«
»Nein. Als Ihr das Turmzimmer verließt, hattet Ihr nicht dieses gespannte Gesicht, und Euer Blick war nicht so gehetzt. Es ist Euch etwas zugestoßen. Was?«
»Ich müßte eigentlich wissen, daß Ihr Augen habt, die selbst in der dunkelsten Nacht sehen können«, entgegnete sie mit dem Schatten eines Lächelns. Außerdem war ihr Entschluß gefaßt. Josse war gescheit, gewandt, tüchtig und voll Verschlagenheit. Wenn er Sara auch nicht ganz ersetzen konnte, so wußte Cathérine wenigstens, daß sie ihm Vertrauen schenken konnte.
»Es ist wahr«, gestand sie. »Ich hatte vorhin ein Zusammentreffen, das mich beeindruckt hat. In dieser Galerie habe ich einen Mönch bemerkt. Er war groß, hager, hatte graues Haar, ein Gesicht wie aus Stein gemeißelt und trug außerdem eine schwarze Binde über dem einen Auge. Ich möchte gern wissen, wer dieser Mönch ist. Er … er ähnelt auf erschreckende Weise jemand, den ich gut gekannt habe und den ich für tot hielt.« Wieder lächelte Josse.
»Gemacht. Ich führte Euch zu Gauthiers Zimmer und werde mich dann erkundigen.«
Er verließ sie vor der Tür eines im Schloßturm, doch weit unter dem des Mauren gelegenen Gemachs und verschwand dann schnell und behende wie ein Luftzug auf der Wendeltreppe.
Der Raum, von viel kleineren Ausmaßen als der ihre, enthielt nichts als ein Bett, das schlecht geeignet schien, den riesigen Körper des Normannen aufzunehmen, und zwei Fußbänke.
Auf Zehenspitzen trat Cathérine näher. Auf dem Rücken liegend, den rasierten Kopf in einen umfangreichen Verband gehüllt, schlief Gauthier, nur beleuchtet vom unsicheren Licht einer auf einer der Fußbänke stehenden Kerze. Sein Gesicht war ruhig, entspannt, aber Cathérine kam es ungewöhnlich rot vor. Sie dachte, er habe vielleicht Fieber, und beugte sich hinunter, um seine auf der Decke liegende Hand zu ergreifen, aber eine andere Hand hielt sie zurück. Aus dem Schatten der Vorhänge sah sie Hamza, den Finger auf den Lippen, hervortreten.
»Ich habe ihm ein starkes Mittel gegeben, damit er schläft«, flüsterte er. »Sonst könnten die Schmerzen die Heilung gefährden. Laß ihn, das Fieber steigt.«
»Wird er gesunden?«
»Ich hoffe es. Das Hirn ist nicht verletzt worden, und die Konstitution dieses Mannes ist außergewöhnlich, aber man kann nie wissen, ob nicht Spuren zurückbleiben.«
Sie gingen beide hinaus. Hamza riet Cathérine, sich jetzt zur Ruhe zu begeben, und versicherte ihr, Don Alonso schlafe für seine Begriffe schon lange. Mit einem kurzen Gruß stieg er sodann wieder zu seinem Laboratorium hinauf und ließ die junge Frau allein die Treppe hinuntergehen. Langsam überquerte sie den Hof der zweiten Umwallung und sog dabei die Düfte des schlafenden Landes ein. Alle wilden Pflanzen, die die Sonne während des Tages erwärmt hatte, strömten ihre kräftigen Wohlgerüche aus. Die Luft roch herrlich nach Thymian und Majoran. Die wilde Erregung, die sie heimgesucht hatte, weckte in Cathérine den tiefen Wunsch nach Frieden und Stille. Um sie herum war das rote Massiv des Schlosses in die Nacht getaucht. Kein Geräusch war zu hören, ausgenommen von Zeit zu Zeit der langsame Schritt eines Wachtpostens oder der Schrei eines Nachtvogels. Sie hielt sich einen Augenblick unter den Arkaden auf, wo die Azulejos wie Seide im Mondlicht schimmerten, und versuchte, sich die unregelmäßigen, schweren Schläge ihres Herzens zu erklären. Dann wandte sie sich in der Annahme, daß Josse vielleicht schon in ihrem Gemach auf sie warte, zur Treppe, um zu ihrem Zimmer hinaufzusteigen, als der Page Tomas von Torquemada plötzlich hinter einer Säule hervortrat. Die junge Frau zuckte zusammen, unangenehm berührt von seiner Gewohnheit, da und dort aufzutauchen, ohne daß man sein Nahen hätte hören können, als wäre er der böse Geist dieses Herrensitzes. Diesmal jedoch war die Überraschung gegenseitig. Angesichts der in ihre prachtvolle Robe gehüllten jungen Frau mit dem Heiligenschein ihres Goldhaars, das nur über der Stirn hochgenommen war und hinten herabfiel, blieb der unheimliche Junge sprachlos.
So standen sie sich einen Augenblick gegenüber. Cathérine sah, wie ein ungläubiger Ausdruck in den eisigfahlen, starren Blick trat, zugleich aber auch eine Art abergläubischer Furcht. Die zusammengepreßten Lippen öffneten sich halb, aber kein Ton entrang sich ihnen. Tomas fuhr nur mit der Zungenspitze darüber, während seine plötzlich funkelnden Augen am Hals der jungen Frau hinunterglitten, dem Schnitt des tiefen Dekolletés folgten, im süßen Tal ihres Busens verweilten, wo die weiche Seide des Gewandes, durch ein Goldband unter der Brust gerafft, die vollkommenen Formen hervortreten ließ. Offensichtlich hatte der Junge noch nie etwas Ähnliches erblickt, aber wie er vor ihr stand, ohne anscheinend zur Seite treten zu wollen, warf die junge Frau ihm ein kaltes Lächeln zu, während ihre Hand instinktiv ihren Busen verhüllte.
»Würdet Ihr mich bitte vorbeigehen lassen?« fragte sie.
Beim Ton dieser Stimme schreckte Tomas wie aus einem Traum auf. Etwas wie Entsetzen malte sich auf seinem Gesicht, das nach flüchtigem Erröten seine tragische Blässe wiederfand. Bestürzt bekreuzigte er sich mehrere Male, streckte die Arme vor sich, wie um die höchst verführerische Erscheinung zurückzustoßen, und rief dann mit heiserer Stimme: »Vade retro Satanas!« … Dann drehte er sich auf den Fersen um und rannte Hals über Kopf davon. Die schwarzen Schatten des Hofs verschlangen ihn alsbald. Cathérine zuckte mit den Schultern und ging ihres Weges. Auf der Galerie fand sie in der Nähe ihrer Tür Josse vor, der, mit verschränkten Armen an einem Fenstersims lehnend, auf sie wartete.
»Nun?« fragte sie begierig. »Habt Ihr erfahren, wer dieser Mönch ist?«
»Er heißt Fray Ignacio, aber es ist nicht leicht, die Leute des Erzbischofs über diesen Mann zum Sprechen zu bewegen. Sie scheinen alle eine Heidenangst zu haben. Ich glaube, sie fürchten ihn noch mehr als den Mauren oder den schwarzen Pagen mit dem bösen Engelsgesicht.«
»Aber woher kommt er? Was tut er hier? Seit wann wohnt er in diesem Schloß?«
»Dame Cathérine«, bemerkte Josse ruhig, »ich glaube, Don Alonso, der Eure Gesellschaft sehr zu schätzen scheint, kann Euch über ihn besser aufklären als ich, denn es gibt hier niemand außer ihm, der mit Fray Ignacio zu tun hat. Dieser beschäftigt sich mit Alchimie, mit der Verwandlung von Metallen. Er sucht wie viele andere den Stein der Weisen. Aber vor allem ist er beauftragt, den Schatz des Erzbischofs, die außerordentliche Sammlung von Edelsteinen, die er besitzt, zu bewachen. Ein Vertrauter Don Alonsos hat mir gesagt, Fray Ignacio sei Fachmann auf diesem Gebiet, und … aber, Dame Cathérine, ist Euch plötzlich nicht wohl?«
Tatsächlich hatte sich die junge Frau erblassend an die Wand stützen müssen. Das Blut wich aus ihrem Gesicht, und der Boden versank unter ihren Füßen. Josse konnte nicht verstehen, was sie an der Tatsache, daß der geheimnisvolle Mönch viel über Edelsteine wissen sollte, so aufregte. Garin hatte ebenfalls früher kostbare Steine mit Leidenschaft gesammelt.
»Es ist nichts«, sagte sie mit matter Stimme. »Ich bin nur todmüde. Ich … ich kann mich nicht mehr aufrecht halten.«
»Dann aber schnell zu Bett!« sagte Josse mit gutmütigem Lächeln. »Sonst habe ich übrigens nichts mehr erfahren. Ich darf nur hinzufügen, daß man Fray Ignacio selten begegnet. Er verläßt die Privatgemächer Don Alonsos nie, wo er sein Alchimistenkabinett hat und wo sich die Schatzkammer befindet.«
Während er sprach, stieß er vor Cathérine die bemalte Tür auf, den Blick in das von hohen roten Kerzen sanft beleuchtete Zimmer freigebend. Sie trat ein, mit hängenden Schultern, rundem Rücken und einem Gefühl tiefer Niedergeschlagenheit. Josse sah ihr wortlos nach. Er begriff nicht, warum dieser Fray Ignacio die junge Frau derart verstörte, aber etwas wie Mitleid für das junge Geschöpf regte sich in ihm, für dieses vollkommen schöne Geschöpf, dessen Leben statt aus Lieblichkeit und Anmut nur aus einer ununterbrochenen Kette gnadenloser Kämpfe und Schwierigkeiten bestand, wie sie einem starken, energischen Mann angemessen gewesen wären. Er fühlte vage, daß er ohne Zweifel die größte Tat seines ganzen Lebens vollbracht hatte, als er sich an ihr Schicksal kettete. Ohne zu wissen, warum, und von einer ihm unerklärlichen Macht getrieben, murmelte der ehemalige Landstreicher mit einem Blick auf die in der Mitte des Gemachs erstarrt stehende, niedergedrückte Gestalt:
»Mut, Dame Cathérine! Eines Tages, das weiß ich, werdet Ihr glücklich sein … so glücklich, daß Ihr alle schlechten Tage vergeßt.«
Langsam wandte sich Cathérine zu Josse um. Er hatte soeben ausgesprochen, was sie so dringend brauchte; seine Worte entsprachen genau ihrem flehentlichen Wunsch nach Nachsicht und Mitgefühl, so daß sie sie ohne Überraschung vernahm, ohne wissen zu wollen, warum er sie plötzlich ausgesprochen hatte … Ihre Blicke kreuzten sich. Sie las in den seinen eine wahre, ehrliche, von leidenschaftlicher Begierde ungetrübte Freundschaft. Eine Freundschaft, wie sie ein Mann einem anderen entgegenbringt, und im Grunde war dies genau das, was das Schicksal aus ihnen gemacht hatte: Kampfgefährten! Es war eine so gute und warme Sicherheit, so tröstlich, daß es Cathérine gelang zu lächeln.
»Danke, Josse«, sagte sie einfach.
8
In den langen, graziösen Fingerspitzen Don Alonsos blitzte der Smaragd im Fackelschein im reinsten Licht und warf Reflexe, die der Erzbischof in einem wahren Freudenrausch betrachtete. Er wurde nicht müde, den Stein hin und her zu wenden, und dann und wann entlockten ihm die blaugrünen Funken, die er sprühte, begeisterte Ausrufe. Er sprach mit diesem Stein wie mit einer Frau. Er sagte ihm Liebesworte, die Cathérine mit Erstaunen hörte.
»Glanz der Meerestiefe, Wunder ferner Länder, wo die Augen der Götter dein geheimnisvolles Funkeln haben! Welcher Stein ist schöner als du, lockender, geheimnisvoller und gefährlicher, unvergleichlicher Smaragd! Denn man nennt dich boshaft und unheilvoll …«
Jäh unterbrach der Erzbischof seine amouröse Litanei, wandte sich zu Cathérine um und drückte ihr heftig den Ring wieder in die Hand.
»Bewahrt ihn, versteckt ihn! Ich darf mich von einem Edelstein dieser Schönheit nicht in Versuchung führen lassen, denn sie macht mich schwach.«
»Ich hoffte eigentlich«, sagte die junge Frau leise, »Eure Hoheit würden ihn als Dank für die meinem Diener so sorgsam erwiesene Betreuung und die mir gewahrte großzügige Gastfreundschaft annehmen.«
»Ich wäre gemein und meines Namens nicht würdig, meine Teure, wenn ich das eine wie das andere einer Frau meines Ranges nicht reichlich zuteil werden ließe. Ich möchte nicht dafür bezahlt werden, da meine Ehre dies nicht zuließe. Und es wäre eine königliche Bezahlung, denn dieser Stein trägt obendrein noch das Wappen einer Königin …«
Langsam streifte Cathérine unter dem leidenschaftlichen Blick Don Alonsos den Ring über ihren Finger, unterdrückte aber ein enttäuschtes Lächeln. Sie hatte beschlossen, ihrem Gastgeber den kostbaren Ring anzubieten, in der Hoffnung, schließlich zur Besichtigung der Sammlung eingeladen zu werden, als deren Kustos Fray Ignacio waltete. In den fast zehn Tagen, die sie jetzt in Coca war, hatte sie das beunruhigende Gesicht nie wiedergesehen, dem zu begegnen sie sehnlichst wünschte, obwohl sie sich gleichzeitig davor fürchtete. Fray Ignacio war verschwunden, als hätten die Mauern des roten Schlosses ihn verschluckt. Und Cathérine fühlte von Augenblick zu Augenblick die grausame Neugier in ihr wachsen, die sie verzehrte. Sie mußte Gewißheit haben. Und zwar zu welchem Preis auch immer! Aber wie konnte sie ohne einen triftigen Grund mit Don Alonso darüber sprechen?
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