»Schweig!« flehte sie. »Schweig, um der Barmherzigkeit willen!«

»Also«, sagte er in milderem Ton, »hört auf, mich an der Nase herumführen zu wollen. Hört auf, Euch selbst an der Nase herumzuführen! Warum versucht Ihr, uns beide zu belügen? Wegen dieser Nacht?«

Sie öffnete jäh die tränenglitzernden Augen.

»Vielleicht wegen dieser Nacht, jawohl! Vielleicht habe ich keine Lust mehr, nach Granada zu gehen!«

»Zweifellos gibt es Tage«, sagte Gauthier überdrüssig, »an denen Ihr mit Euch selbst kämpft, bald von der Eifersucht auf die Stadt getrieben, in der Euer Gatte lebt, bald von der Versuchung gepackt, aufzugeben, zu Eurem Kind, in die Ruhe und Sicherheit eines normalen Lebens zurückzukehren. Was sich aber letzte Nacht zugetragen hat, hat dem nichts hinzugefügt.«

»Warum sagst du das?«

»Weil ich es weiß. Letzte Nacht habt Ihr mir ein wunderbares Geschenk gemacht … unverhofft, aber Ihr habt es aus zwei Gründen getan: einmal aus Mitleid …«

»Gauthier!« protestierte Cathérine.

»Jawohl! Einmal aus Mitleid, weil Ihr mich unter allen Umständen heilen wolltet, aber auch aus Trotz. Ihr übtet damit eine Art Rache aus, und außerdem wolltet Ihr damit die Traumbilder weniger grausam machen, die Eure schlaflosen Nächte heimsuchen.«

»Nein!« sagte Cathérine mit tränenerstickter Stimme. »Das ist es nicht … jedenfalls nicht allein«, verbesserte sie sich. »In dieser Nacht bin ich glücklich gewesen, ich auch, ich schwöre es dir!«

Ein reizendes Lächeln entspannte das verzerrte Gesicht des Normannen.

»Vielen Dank! Ich glaube wahrhaftig, Ihr liebt mich, Dame Cathérine, aber –«, und sein Finger wies auf die Brust der jungen Frau, auf das große Goldkreuz mit Perlen, das der Erzbischof ihr persönlich vor einigen Tagen umgehängt hatte und das auf dem Samt ihres Gewandes funkelte, »– wagt bei dem Gott, den Ihr anbetet, zu schwören, daß Ihr ihn nicht liebt, ihn, Euren Gatten, Euren Herrn! Ihr wißt sehr wohl, daß Ihr ihn lieben werdet, solange Euch ein Atemzug zum Leben bleibt!«

Diesmal antwortete die junge Frau nicht. Sie senkte den Kopf und ließ ihren Tränen freien Lauf.

»Seht Ihr«, sagte Gauthier sanft. »Und von dieser verrückten, wunderbaren Nacht, deren Erinnerung ich bewahren werde, die zu vergessen ich Euch aber bitte, wollen wir nie wieder sprechen …«

»Du liebst mich also nicht mehr?« fragte Cathérine kleinlaut. Es folgte eine drückende Stille, dann sagte der Normanne mit harter, heiserer Stimme leise:

»Die Götter meiner Ahnen wissen, daß ich Euch nie mehr geliebt habe! Aber eben wegen dieser Liebe flehe ich Euch an zu vergessen. Wenn Ihr es nicht tut, wird mein Leben eine Hölle sein … und ich werde Euch verlassen müssen. Wir werden jetzt weiterziehen, werden uns auf den Weg machen, der uns ins Königreich Granada führen wird. Ich werde Euch helfen, Messire Arnaud wiederzufinden …«

»Es gibt einiges, was du noch nicht weißt. Vielleicht habe ich nicht mehr das Recht, Arnaud de Montsalvy als meinen Gatten anzusehen.«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Daß ich vielleicht nicht das Recht hatte, ihn zu heiraten … weil ich fürchte, daß mein erster Gatte noch lebt …«

Mit überrascht gehobener Augenbraue sah Gauthier die junge Frau schweigend an. Dann, sehr schnell, wie man sich von einer unerträglichen Last befreit, erzählte sie von ihrer Verblüffung über die ungeheuerliche Erscheinung des einäugigen Mönches, ihrem Entsetzen angesichts der vielen, seltsam übereinstimmenden Tatsachen, von ihrem Besuch in der Schatzkammer am Abend zuvor und der unerträglichen Ungewißheit im Zusammenhang damit. Sie wollte fortfahren, wollte ihre Sorgen und Ängste, ihre Bedenken darlegen, aber Gauthier packte sie plötzlich an den Schultern und schüttelte sie, als wollte er sie aus einem bösen Traum wecken. Er war sehr blaß geworden. »Schweigt, Dame Cathérine … und hört mir zu! Wir werden abreisen, versteht Ihr mich, sofort dieses Schloß verlassen, und Ihr werdet nicht wiederkehren! Sonst glaube ich bei Odin, daß Ihr den Verstand verlieren werdet! Das ist zu viel für Euch. Hört endlich auf, mit offenen Augen zu träumen, verlaßt das Land der Träume und der Hexereien! Nehmt Euren Weg wieder auf und denkt nur an eins: Ihr seid vor Gott und den Menschen die Frau Arnaud de Montsalvys, Ihr tragt seinen Namen, Ihr habt einen Sohn von ihm! Es gibt nichts hinzuzufügen! Vergeßt das übrige.«

»Wenn dieser Mönch aber doch Garin de Brazey war?«

»Das braucht Ihr nicht zu wissen. Für die Welt wie für Euch ist er gehängt worden. Wenn es ihm gelungen ist zu entwischen, hat er sich eine neue Existenz nach seinem Geschmack geschaffen. Wenn er es sich anders überlegt hätte, wärt Ihr nicht so lange im ungewissen darüber geblieben. Seine Haltung schreibt Euch die Eure vor. Garin de Brazey ist tot, versteht Ihr? Tot. Es lebt nur Fray Ignacio, der nichts mit ihm gemein hat! Und jetzt trefft Eure Vorbereitungen. Verlassen wir so schnell wie möglich dieses verhexte Schloß!«

In diesem Augenblick durchbrach ein Trompetenstoß die besonnte Stille des weiten Landes und erinnerte Cathérine wieder an die Wirklichkeit. Sie schritt zur Tür, lächelte ihrem Freund liebenswürdig zu.

»Ich glaube, du wirst immer recht behalten, Gauthier, aber man ruft zu Tisch. Don Alonso erwartet mich zum Mahl, und ich möchte ihn nicht warten lassen.«

»Kündigt ihm Eure Abreise an.«

»Schon geschehen. Aber da ich ihm gesagt habe, ich würde morgen abreisen, glaube ich, daß du dich noch so lange gedulden mußt. Noch eine Nacht, Gauthier, nur eine Nacht. Das ist eine Kleinigkeit! …«

»Kleinigkeit? Ich bin anderer Ansicht. Ein ganzes Leben kann von einer einzigen Nacht abhängen! Viele Dinge haben Zeit, sich zu verwickeln oder zu lösen … in einer Nacht! Aber Ihr habt recht: Wir schulden dem Seigneur Erzbischof zu viel, um ihn vor den Kopf zu stoßen. Also morgen bei Sonnenaufgang!«

Flink stieg Cathérine die Treppe hinunter. Als sie die untere Pforte des Hauptturms durchschritt, glaubte sie, eine Gestalt gesehen zu haben, die schnell wieder in den dichten Schatten der Wendeltreppe zurücktrat, eine Gestalt, die sehr der Tomas' von Torquemada ähnelte. Zurückblickend, schauderte sie vor Angst, doch schon war sie im sonnendurchfluteten Hof, wo Soldaten, Laienbrüder und einige Diener herumstanden, sich von ihrer Arbeit ausruhend oder eine schattige Ecke suchend, um sich dort auszustrecken, denn es kamen die drückenden Stunden, in denen die Hitze brütend auf dem Land liegt und jede Tätigkeit erstarren läßt. Cathérine ging zwischen ihnen hindurch. Die goldenen Strahlen waren gut, beruhigend. Sie vertrieben die Phantome und die bösen Schatten. Leichtfüßig wandte sie sich dem Festsaal zu.

Ein unerträgliches Gefühl der Hitze und die unbewußte Wahrnehmung eines stechenden Lichts weckten Cathérine mitten in der Nacht. Der Brand erfüllte ihr Gemach mit hellen Flammen, und die junge Frau glaubte, einen schlechten Traum zu durchleben. Aber sie wurde schnell mit der Wirklichkeit konfrontiert. Die Tür ihres Gemachs loderte, und vor dem Kamin brannten Bündel von Stroh und Reisig, die absichtlich dort verstreut worden waren, und entwickelten einen immer dichter werdenden Rauch. Eine Woge des Entsetzens durchfuhr die junge Frau, riß sie vom Bett und trieb sie, nackt, wie sie war, ans Fenster. Dort riß sie die Läden auf, um gierig zwei-, dreimal einzuatmen … Doch der durch das Öffnen des Fensters geschaffene Luftzug fachte das Feuer zu noch heftigerem Wüten an. Es knisterte in der Galerie, leckte am Holz der Truhen und Sessel in der Nähe des Kamins. Einer der Tapetenbehänge neben dem Bett fing Feuer und bedrohte die Bettvorhänge.

»Hilfe!« rief Cathérine bestürzt. »Feuer! … Hierher!«

Geräusche waren hinter dem Flammenvorhang zu vernehmen, der schwer zu durchdringen sein mußte, und es schien der jungen Frau, als vermischten sich diese Geräusche zuweilen mit Gelächter.

»Hierher!« schrie sie mit aller Kraft. »Zu Hilfe!« Sie fuhr zum Fenster herum. Sie wußte, daß es unter der schmalen Öffnung nur fünfzig Fuß hinunterging, aber die Nacht machte daraus einen fürchterlichen Abgrund. Dennoch … wenn man ihr nicht zu Hilfe kam, würde sie den Sprung wagen müssen! Das Feuer griff mit rasender Schnelligkeit um sich. In dem erstickenden Rauch nahm Cathérine einen unbekannten Geruch wahr, scharf und ungewöhnlich, zweifellos den Geruch dessen, womit ein solches Feuer so schnell zum Auflodern gebracht worden war. An das Fenster gedrückt, suchte sie vergebens nach frischer Luft. Der schwarze, dichte Rauch trieb auf sie zu, von der Fensteröffnung angezogen. Die Kehle war trocken, sie brachte keinen Ton mehr heraus, die Augen brannten, und die junge Frau spürte, wie ihre Kräfte sie verließen. Das Gefühl zu ersticken nahm zu, in wenigen Augenblicken wäre sie nicht einmal mehr stark genug, um durchs Fenster zu steigen und zu springen. Schon jetzt war sie nicht mehr dazu fähig. Die Beine gaben unter ihr nach. Sie würde in die neue Rauchwolke stürzen, die sich ihr wie eine fette Schlange entgegenwand. Sie mußte husten und hatte das furchtbare Gefühl, Feuer einzuatmen. Kurz bevor Cathérine das Bewußtsein verlor, sah sie in einem verrückten Aufzug alle Gesichter, die in ihrem Leben etwas bedeutet hatten, Freunde und Feinde, an sich vorüberziehen. Sie sah die zärtlichen Augen Saras, das sarkastische Gesicht Philippes des Guten, die rätselhafte Gestalt Garins, den düsteren Blick Gauthiers und das spöttische Lächeln Arnauds. Und als ihr klar wurde, daß sie im Begriff war zu sterben, versuchte sie, sich an ein paar Zeilen eines Gebets zu erinnern …

Als sie wieder zu sich kam, war es ihr, als sei sie in einen Fluß getaucht worden. Sie troff vor Schweiß, fror bis ins Mark und klapperte mit den Zähnen. Ihre tränennassen Augen konnten nichts unterscheiden als einen roten Nebel, aber sie spürte, daß Hände sie kräftig abrieben. Dann rollte man sie in etwas Rauhes, aber Warmes. Dieselbe kräftige Hand trocknete ihr Gesicht, und schließlich erkannte sie, über sie gebeugt, die Züge Josses. Als er sah, daß sie die Augen aufschlug, lächelte er sein eigentümliches Lächeln bei geschlossenen Lippen.

»Höchste Zeit«, brummte er. »Ich hatte schon gefürchtet, ich käme nicht durch den Feuervorhang. Glücklicherweise hat ein einstürzendes Wandstück mir den Weg frei gemacht. Ich habe Euch entdeckt und konnte Euch hinausziehen …«

Cathérine richtete sich auf und sah, daß sie auf den Fliesen der Galerie lag. Das Feuer knisterte am anderen Ende, da, wo sich früher die Tür ihres Gemachs befunden hatte, aber in der Galerie war keine Menschenseele. »Niemand da«, sagte sie. »Wie kommt es, daß das Feuer niemand im Schloß alarmiert hat?«

»Weil es auch beim Erzbischof brennt. Alle Diener sind dabei, den Brand zu löschen, um Don Alonso zu retten. Übrigens sind die Zugänge zu dieser Galerie von außen verbarrikadiert worden.«

»Wie kommst du dann hierher?«

»Ich bin heute abend hierhergegangen, um unter einer der Steinbänke zu schlafen. Nach dem Schrecken von heute morgen konnte ich keine Ruhe finden. Niemand konnte mich sehen, und ich hoffte, so Euer Gemach bewachen zu können. Aber ich glaube, ich habe zu fest geschlafen! Da liegt bei mir der Hase im Pfeffer: Wenn ich müde bin, schlafe ich wie ein Murmeltier. Der Brandstifter hat mich nicht gesehen, hat aber seinerseits so wenig Geräusch gemacht, daß ich nichts gehört habe, als er seine Reisigbündel anbrachte.«

»Der Brandstifter?«

»Ich glaubt doch nicht etwa, daß das Feuer sich von selbst entzündet hat? Ebensowenig wie das, welches bei Monseigneur so schön brennt. Ich habe übrigens so eine Ahnung, wer den Streich verübt hat …«

Wie um ihm recht zu geben, öffnete sich die niedrige Tür am anderen, noch unversehrten Ende der Galerie, und hindurch trat eine lange weiße Gestalt, die eine Fackel trug. Entsetzt erkannte Cathérine Tomas. In eine Mönchskutte gekleidet, mit weit aufgerissenen Augen, schritt er wie schlafwandlerisch auf das Feuer zu, unempfindlich gegenüber dem immer dichter werdenden Rauch, der in die große Galerie drang.

»Schaut«, flüsterte Josse. »Er sieht uns nicht einmal!«

Tatsächlich kam der Junge wie ein Nachtwandler näher. Die Fackel in der Hand, gleich einem gefallenen Engel der Rache und des Hasses, schien er sich in Trance zu befinden. Seine Lippen bewegten sich krampfhaft. Cathérine verstand im Vorbeigehen nur das Wort ›fuego‹ … Tomas kam ganz nahe an ihr vorüber, ohne sie zu sehen. Sie hustete.

Er hörte nichts, schritt inmitten der schwarzen Rauchwolken weiter auf das Feuer zu.

»Was sagt er?« fragte die junge Frau leise.

»Das Feuer sei schön, das Feuer sei heilig! Es reinige! Der Herr des Feuers steige zu Gott empor! … Dieses Schloß des bösen Geistes müsse brennen, auf daß die Seelen seiner Bewohner befreit zu Gott zurückkehrten … Er ist vollkommen wahnsinnig, ein Besessener«, sagte Josse und fügte schnell noch hinzu: »Er hat die Tür der Galerie hinter sich nicht wieder geschlossen. Machen wir uns das zunutze, fliehen wir, und schlagen wir Lärm!«