Cathérine folgte Josse, drehte sich jedoch auf der Schwelle noch einmal um. Die Rauchwolken hatten die schlanke weiße Gestalt fast verschluckt.
»Aber …«, sagte die junge Frau, »er wird verbrennen.«
»Das wäre das Beste, was ihm passieren könnte … ihm und den anderen«, brummte Josse, Cathérine mit entschlossener Hand hinausziehend. Sie bemühte sich, Schritt mit ihm zu halten, aber ihre bloßen Füße verfingen sich in den flatternden Falten der Bettdecke, die sie als einziges einhüllte. So eilte sie dahin, von der nervösen Hand Josses gezogen, prallte jedoch plötzlich gegen ein Möbelstück und stieß einen Schmerzensschrei aus. Josse fluchte zwischen den Zähnen, als er aber sah, daß Tränen in ihren Augen standen, stützte er sie während der letzten paar Meter, bis sie die frische Luft erreichten.
Bislang waren sie keiner Menschenseele begegnet, doch im Hof war die Aufregung auf dem Höhepunkt angelangt. Ein Schwarm von Dienern, Bewaffneten, Mönchen und Hausmädchen rannte völlig kopflos wie ein Volk aufgescheuchter Hühner hin und her und stieß schrille Schreie aus. Zwischen dem großen Brunnen des Hofes und dem Eingang zu den Gemächern des Erzbischofs reichte eine Kette von Sklaven unaufhörlich gefüllte Wassereimer weiter, in dem Versuch, die Flammen zu löschen, welche schon an den Türen und Fenstern des Stockwerkes leckten. Schreie, Wehklagen und Gebete gleichermaßen wurden wortreich herausgestoßen.
Die Aufregung im Hof war hervorgerufen worden, weil man soeben erst die zweite Feuerstätte des Brandes entdeckt hatte, wodurch die Bewohner des Schlosses den Kopf verloren, weil sie glaubten, das Feuer sei an allen vier Ecken des Gebäudes gelegt worden.
Dieser Hof mit den roten, schimmernden Wänden, auf denen die Flammen sich spiegelten, dazu die sich wie wahnsinnig gebärdenden Menschen gaben Cathérine eine ausgezeichnete Vorstellung von der Hölle. Sie zitterte mehr aus Erregung als vor Kälte, denn die Nacht war milde, und der Brand erhöhte die Temperatur; sie wickelte sich noch fester in die Bettdecke, die ihre Blöße bedeckte, und suchte Zuflucht unter den Arkaden, wandte den besorgten Blick zum Hauptturm, der schweigend und düster abseits zu stehen schien.
»Gauthier!« murmelte sie. »Wo ist Gauthier? Er muß von diesem ohrenbetäubenden Lärm etwas gehört haben …«
»Die Mauern des Turmes sind außergewöhnlich dick«, bemerkte Josse, »und dann hat er vielleicht einen festen Schlaf …«
Doch wie um ihn Lügen zu strafen, schien die Sklavenkette, die sich angeschickt hatte, zu dem von Cathérine vorher bewohnten Flügel zum Löschen zu eilen, auseinanderzustieben. Die Mauern stürzten in einem Getöse von umgestoßenen Eimern, wie von einem Sturm getrieben, auf den Mittelpunkt des Hofes zu, und Gauthier tauchte auf der Schwelle auf. Mit dem Kopfverband, den er noch trug, und in der langen Dschellaba, mit der man ihn ausstaffiert hatte, sah er den Ungläubigen, die er zurücktrieb, sehr ähnlich, die aber im Vergleich zu ihm, dem Riesen, zwergenhaft wirkten. Vor ihm, fest in seiner Riesenfaust gepackt, taumelte eine magere, weiße Gestalt und streckte sich schließlich, fast zu Füßen Catherines, auf dem Boden aus. Es war – Tomas …
Er hob die Augen zu der jungen Frau empor, sein Blick war nach wie vor der eines Traumwandlers, doch lag darin jetzt so etwas wie Bewußtsein. Ein Zornesfunke blitzte in seinen Augen auf, als er seine Feindin erkannte. Die schmalen Lippen verzogen sich zu einem boshaften Grinsen. »Du lebst noch!« zischte er. »Satan selbst schützt dich, Hure! Das Feuer hat keine Macht über dich! Aber du wirst der Züchtigung nicht entgehen!«
Mit zornigem Knurren riß Josse den Dolch aus seinem Gürtel und sprang auf den Jungen zu, packte ihn an der Gurgel.
»Du wirst ihr auf keinen Fall mehr entgehen!« Er wollte zustoßen, ohne daß Cathérine, versteinert vor Entsetzen angesichts dieses unnachgiebigen Hasses, auch nur einen Finger rühren konnte, doch da legte sich die Pranke Gauthiers auf den Arm des Parisers und hielt ihn zurück.
»Nein … laß ihn! Ich hatte soeben auch die größte Lust, ihn zu erwürgen, als ich ihn vor der brennenden Tür der Dame Cathérine, mit seiner Fackel herumfuchtelnd, entdeckte, aber ich habe begriffen, daß er ein Verrückter ist, ein kleiner Junge, ein Kranker … Solche Menschen tötet man nicht, man überläßt sie dem Himmel … wer immer darin wohnt. Und jetzt reisen wir ab!«
Mit einer Bewegung deutete Cathérine auf ihre Bettdecke und hob die Schultern.
»Wie denn? Barfuß und nur in eine Decke gehüllt? Bist du nicht vielleicht auch ein bißchen verrückt?«
Ohne zu antworten, reichte Gauthier ihr das Paket, das er unter dem Arm trug, lächelte und erklärte dann:
»Hier sind Eure Kleider und Euer Almosenbeutel. Ich habe sie in Eurem Gemach gefunden … statt einer Leiche, die glücklicherweise noch lebt! Zieht Euch schnell an!«
Cathérine ließ sich das nicht zweimal sagen. In einen dunklen Winkel des Hofes gleitend, beeilte sie sich, ihre Reisekleidung anzulegen, schnallte sich den Almosenbeutel an den Gürtel, nicht ohne sich vorher zu vergewissern, daß ihr Dolch und der Smaragd der Königin noch vorhanden waren. Als sie zu ihren Gefährten zurückging, stellte sie fest, daß Tomas verschwunden und Josse auch nicht mehr da war. Gauthier beobachtete mit verschränkten Armen gelassen die Löscharbeiten der Leute im Hof. Die Feuersbrunst, zweifellos rechtzeitig bekämpft, war schon beinahe unter Kontrolle. Cathérine fragte ihn:
»Wo ist Josse?«
»Im Stall. Er macht die Pferde fertig. Don Alonso hat gestern abend noch entsprechende Anweisungen erteilt.«
Tatsächlich kam der frühere Landstreicher schon zurück, drei vollkommen aufgeschirrte Pferde und ein Maultier, das mit Lebensmittel- und Kleidersäcken beladen war, hinter sich herziehend. Der Erzbischof hatte an alles gedacht …
Aber Cathérine sträubte sich, als Gauthier ihr in den Sattel helfen wollte.
»Was denkst du dir eigentlich? Daß ich mich wie eine Diebin fortschleiche, ohne mich zu vergewissern, ob unser Gastgeber unverletzt ist?«
»Das wird er gar nicht von Euch erwarten. Und Ihr seid hier entschieden nicht in Sicherheit. Ich habe von dem Attentatsversuch erfahren, dem Ihr zum Opfer hättet fallen sollen«, fuhr Gauthier fort, aber Cathérine schnitt ihm scharf das Wort ab. Ihre blauen Augen sprühten vor Zorn, als sie von einem zum anderen der beiden Männer blickte.
»Offenbar habt ihr euch bereits geeinigt, mir mein Verhalten vorzuschreiben, ihr zwei! Hat wahrhaftig nicht lange gedauert, bis ihr euch miteinander bekannt gemacht habt!«
»Naturen wie die unseren erkennen sich sehr schnell«, sagte Josse einschmeichelnd. »Wir sind geschaffen, uns zu verstehen.«
»Auf jeden Fall werden wir uns, wenn es sich um Eure Sicherheit handelt, immer verstehen«, fügte Gauthier hinzu. »Ihr seid nicht sehr vorsichtig, Dame Cathérine …«
Es lag ein feiner Vorwurf in Gauthiers Worten und noch mehr in seinem Blick. Widerwillig wandte Cathérine den Kopf ab, von schmerzhafterer Reue ergriffen, als sie es für möglich gehalten hatte. Ja, er warf ihr vor, Erinnerungen zwischen ihnen wachgerufen zu haben, die das Reich der Träume nie hätten verlassen dürfen. Die Dinge hatten sich geändert, wie stark auch immer ihr Wille war, sie auf den früheren Stand der Tatsachen zurückzuführen. Küsse und Umarmungen lassen mitunter ebenso grausame, unauslöschliche Narben in der Seele zurück wie ein glühendes Eisen auf der Haut eines Mannes.
»Steht es dir zu, mir das vorzuwerfen?« sagte sie leise und bitter. Dann, abrupt den Ton ändernd: »Wie immer, ich breche nicht auf, ohne mich von Don Alonso verabschiedet zu haben!«
Ohne sich um die beiden Männer zu kümmern, ging sie mit schnellen Schritten auf die Rundbogenpforte zu, die zu den Räumen des Erzbischofs führte. Die Sklaven hatten sie freigelegt, der Brand war gelöscht. Nur einige schwarze Wölkchen stiegen noch an Türen und Fenstern empor, und ein unangenehmer Brandgeruch lag in der Morgenluft.
Der Tag brach an, sehr schnell wie in allen südlichen Ländern. Die Nacht verschwand mit einem Schlag, wie eine von einer geheimnisvollen himmlischen Hausfrau plötzlich von der Erde zurückgeschlagene dunkle Decke, der Himmel prangte in allen Farben, im ganzen Gold der Morgenstunde, und das Schloß schimmerte wie ein riesiger Rubin in dieser rosaperligen Morgendämmerung. In den Unterkünften hörte man Rufe, Kommen und Gehen, und Cathérine zögerte einen Augenblick auf der von den Wachtposten verlassenen Schwelle. Wie konnte sie sich diesen Leuten verständlich machen, deren Zunge sie nicht sprach? Schon wollte sie sich umwenden, um Josse zu rufen und ihn zu bitten, mit ihr zu Don Alonso zu gehen, als eine große schwarze Gestalt plötzlich vor ihr stand. Trotz der Gewalt, die sie über sich hatte, wich die junge Frau zurück, von der abergläubischen Bestürzung ergriffen, die sie immer überkam, wenn sie Fray Ignacio gegenüberstand.
Der einäugige Mönch sah sie ohne Erstaunen an und verneigte sich kurz.
»Ich schätze mich glücklich, Euch zu begegnen, edle Dame! Ich war auf dem Weg zu Euch. Seine Hoheit schickt mich …«
Jäh überfiel Cathérine die Angst und schnürte ihre Kehle zusammen. Sie hob die Augen, in denen Verzweiflung und Furcht zugleich lagen, zu dem Mönch empor.
»Ihr … Ihr sprecht also unsere Sprache?«
»Wenn es sein muß, wenn es nötig ist, spreche ich tatsächlich Eure Sprache … ebenso, wie ich englisch, deutsch und italienisch spreche!«
Cathérine fühlte ihre Zweifel und Befürchtungen mit einem Schlag wiederkehren. Garin hatte auch mehrere fremde Sprachen gesprochen … Und da war die unerträgliche Unsicherheit wieder. Sie äußerte sich bei der jungen Frau in eiskaltem Zorn.
»Warum habt Ihr dann neulich in der Schatzkammer so getan, als verstündet Ihr kein Wort, das ich sagte?«
»Weil es nicht nötig war. Und weil ich nicht verstand, was Ihr sagen wolltet …«
»Seid Ihr dessen so sicher?«
Oh! Wenn sie das Rätsel dieses verschlossenen Gesichts lösen könnte, dieses einen Auges, dessen Blick dem ihren auswich und sich über ihren Kopf hinweg in den Tiefen des Hofs verlor! Wenn sie diesem Phantom die reine Wahrheit entreißen könnte! … Als sie ihn französisch hatte sprechen hören, hatte Cathérine versucht, aus der Betonung Garins Stimme herauszuhören … und sie hätte unmöglich sagen können, ob es dieselbe Stimme oder eine andere war! … Jetzt hörte sie, wie er ihr mitteilte, daß Don Alonso durch den Einsturz einer kleinen Zedernsäule verletzt worden sei, daß sein maurischer Arzt ihm ein kräftiges Mittel gegeben habe, damit er in Ruhe schlafen könne, daß er aber noch vor dem Einschlafen Fray Ignacio befohlen habe, sich zu vergewissern, daß Dame Cathérine unverletzt sei, und sich persönlich darum zu kümmern, daß die vorgesehene Abreise der jungen Frau durch den nächtlichen Brand keine Verzögerung erfahre und vonstatten gehe, als ob Don Alonso persönlich die Vorbereitungen hätte leiten können.
»Don Alonso bittet Euch lediglich, die Erinnerung an ihn in Eurem Herzen zu bewahren, edle Dame … und für ihn zu beten, wie er für Euch beten wird!«
In einer plötzlichen Anwandlung von Stolz richtete Cathérine sich auf. Wenn dieser Mann wirklich Garin war, wenn er Theater spielte, dann spielte er hervorragend. Sie wollte ihm nicht nachstehen.
»Bestellt Seiner Hoheit, daß ich es daran nicht fehlen lassen werde und daß die Erinnerung an seine Güte mir immer gegenwärtig sein wird. Sagt ihm weiter, wie sehr ich ihm für die mir gewährte Hilfe verbunden bin und daß ich ihm für seine Gebete danke, denn dort, wo ich mich jetzt hinbegebe, werde ich in dauernder Gefahr sein …«
Sie hielt einen Augenblick inne, blickte den schwarzen Mönch scharf an. Nichts! Kein Zucken! Er schien aus Stein gemeißelt, unempfindlich für jedes Gefühl, für das einfachste Mitleid. Er beschränkte sich darauf, sich noch einmal schweigend zu verneigen.
»Was Euch betrifft …«, hob Cathérine mit zornbebender Stimme wieder an – aber sie kam nicht weiter. Wie Gauthier sich vorhin zwischen Tomas und Josses Messer gestellt hatte, trat er jetzt dazwischen und legte der jungen Frau die Hand auf die Schulter.
»Redet nicht weiter, Dame Cathérine. Erinnert Euch, was ich Euch gesagt habe! Kommt! Es ist Zeit zum Aufbruch!«
Diesmal unterwarf sie sich seiner Autorität. Gehorsam drehte sie sich um, trat zu der von Josse und den Tieren gebildeten Gruppe, ließ sich wortlos in den Sattel helfen und wandte sich dem Torbogen zu. Erst als sie durch das hochgezogene Fallgatter ritten, drehte sie sich noch einmal um, fand aber die Sicht durch die breiten Schultern des unmittelbar hinter ihr reitenden Normannen versperrt.
»Seht Euch nicht um!« befahl er. »Ihr müßt Euren Weg gehen, geradeaus … und ohne Euch je wieder umzusehen. Merkt Euch, was ich Euch gesagt habe: Vor Eurem Gott und vor den Menschen seid Ihr die Frau Arnauds de Montsalvy! Alles andere vergeßt!«
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