Wohl bewacht? … Zu gut bewacht! Der Gedanke ernüchterte sie, nahm ihr die Freude. Diese traumhaften Gärten stießen an eine Festung. Unter ihren grünen Palmen, unter ihrem dichten Laubwerk und ihren Rosen waren Soldaten, waren Waffen. Und die Frau, die sie haßte, ohne sie zu kennen, mußte alle Möglichkeiten besitzen, sich zu verteidigen und ihre Beute zu hüten. Wie konnte man die Pforten des Palastes erreichen, wie konnte man eindringen? Wie konnte man Arnaud in diesem Gewirr von Gäßchen, in dieser verschwiegenen Welt finden? Es hätte einer Armee bedurft, um mit dieser Stadt fertig zu werden, und Cathérine wußte wohl, daß die Heere des grausamen Konnetabels von Kastilien sich schon seit Jahren die Zähne an ihr ausbissen. Niemand hatte je die Grenzen Granadas verletzt, der lange genug danach am Leben geblieben war, um sich dessen zu rühmen.

Weil es sie verlangte, gegen die der Freude des Triumphes so schnell folgende Entmutigung anzukämpfen, kniete Cathérine in den Staub nieder, faltete die Hände und schloß die Augen. Minutenlang betete sie so inbrünstig wie zu Füßen der fremden kleinen schwarzen Jungfrau von Puy, flehte den Himmel an, er möge sich endlich ihrer erbarmen und ihr den Gatten wiedergeben, der mit ihrem Kind ihr einziges Gut auf dieser Erde darstellte. »Du wirst nicht zulassen, Herr, daß ich endlich dieses ferne Gestade erreicht habe, nur, um mich in die Gefahren des Meeres zurückzustoßen. Du kannst nicht wollen, daß meine Schmerzen vergebens waren, daß ich nur hierhergekommen bin, um mein Herz und meine Liebe auf immer zu verlieren, denn du bist die Gerechtigkeit! Und selbst wenn ich oft deinen Zorn verdient habe, wirst du es nicht geschehen lassen, weil du auch die Barmherzigkeit bist und ich dich anflehe!«

Eine Hand rührte sanft an ihre Schulter, und die junge Frau hob die Augen. Sie sah Josse, der sich über sie beugte und sie behutsam aufzuheben versuchte.

»In aller Offenheit zu beten, Dame Cathérine, wie unvorsichtig von Euch! Vergeßt Ihr denn, daß wir uns im Land der Ungläubigen befinden? Es gibt hier, wie Ihr seht, kein einziges Gotteshaus, nichts als die Moscheen, wo diese Ungläubigen zu ihrem Gott beten. Steht schnell auf! Wenn Euch jemand sähe …«

Mit mehr Nachdruck als Sanftmut stellte er sie wieder auf die Füße. Sie lächelte ihn aus ihrer schwarzen Vermummung an. »Verzeiht! Ich hatte es tatsächlich vergessen. Alles ist hier so schön! Ist dieses Land nicht das Paradies selbst? Und das, Freund Josse, erschreckt mich. Wenn man inmitten solcher Pracht lebt, ist alles andere ausgelöscht. Man will nicht mehr weit von diesen Bergen atmen, von diesen frischen Wassern, diesen Gärten. Und wie könnte ich meinem Gatten, der nur die Schrecken einer Krankenstation kannte, bevor er unser Land verließ, ernstlich böse sein, wenn er sich weigerte, von hier fortzugehen?«

»Messire Arnaud ist nicht der Mann, der ein verweichlichtes Leben und Blumengärten liebt«, unterbrach sie Gauthier kurz angebunden. »Ich kann ihn mir schlecht als Lautenspieler oder in Samt und Seide gekleidet, den Duft der Rosen einatmend, vorstellen. Den Degen, das Panzerhemd, solche Dinge liebt er und noch mehr das rauhe Leben im Lager und auf den Landstraßen. Und was dieses sogenannte Paradies betrifft …«

»Ein drolliges Paradies!« meinte Josse spöttisch. »Dieser Palast, diese Palaststadt vielmehr, die man Alhambra … ›die Rote‹ … nennt, ähnelt tatsächlich einer Rose. Doch es sind grausame Dornen unter ihren duftenden Blütenblättern. Seht nur!«

Die magere Hand des Parisers hatte zuerst auf die Linie der Bergkämme gedeutet, die von kleinen Forts durchsetzt war, deren Mauern nichts Liebliches an sich hatten. Hier Blumen, da Bäume, deren grüne Wedel von dem nach Orangen duftenden Wind sanft bewegt wurden, dort rauschende Palmen, aber auf den Zinnen der dunkle Blitz des Stahls, die schimmernde Spitze weißbeturbanter maurischer Helme. Dann zeigte die Hand Josses wieder auf den doppelten Festungswall von Granada hinunter, deutete auf die Raben, die auf merkwürdigen runden Gebilden saßen. »Abgeschnittene Köpfe!« sagte er nur. »Wie reizend!« Und Cathérine schauderte, doch ihr Mut verließ sie nicht. Die Falle war verlockend mit Blumen geschmückt und zweifellos gefährlich, aber sie würde ihr ihr Geheimnis mit bloßen Händen und nur mit ihrer Liebe bewaffnet entreißen. »Gehen wir!« sagte sie nur.

Die Lumpen, die sie und ihre beiden Gefährten bedeckten, hatte Josse von den Leichen gestohlen, auf die sie auf ihrem Weg durchs Gebirge gestoßen waren. Ihr Schmutz hatte der jungen Frau Übelkeit verursacht, aber unter dem schwarzen Kattun fühlte sie sich sicher. Dieses Land, das der Frau nur die Augen zu zeigen gestattete, hatte praktische Bräuche für den, der sie verbergen wollte.

Die Augen fest auf das viele Grün gerichtet, von dem sich die warmgetönten Mauern der Alhambra so gut abhoben, ließ Cathérine sich mit aus Furcht und Hoffnung gleichermaßen klopfendem Herzen mitziehen. Die Kreuzfahrer von einst mußten ähnlich empfunden haben, als sie Jerusalem zu Gesicht bekamen … Inmitten einer gestikulierenden, schreienden Menge, in Blumendüften und Gerüchen nach ranzigem Öl durchschritt sie die erste, ziemlich verlotterte Umwallung. Die zweite schien sehr weit zu sein, jenseits eines Geländes ohne Bäume oder Gebäude, das aber fast ebenso dicht bevölkert war wie ein Marktplatz am Markttag. Dort waren die Getreidehändler, die Kürschner und Kräuterhändler. Maulesel, Hammel, gemächliche Kamele gingen zwischen den im Staub liegenden Ballen umher, auf denen die Muselmänner in ihren erdfarbenen Dschellabas saßen und die Kunden mit lauten Rufen anlockten. Weiter hinten verkaufte man Brennholz, Kohlen, Stroh, Grünfutter. Die zweite, viel höhere Umwallung, die sich durch das hufeisenförmige Tor der Alkazaba zur Stadt hin öffnete, gab dieser Menge, die in sich alle Farben der Erde vereinigte, von Schwarz bis zum brennenden Rot über alle Schattierungen von Braun, Grau, Gelb und Ocker, einen roten Hintergrund. Und dann, wenn man das zweite Tor durchschritten hatte, wurde alles grün. Riesige Mengen Myrrhe, Basilienkraut, Estragon, Lorbeer erfüllten mit ihrem Duft die blaue Luft im Verein mit Körben voller Oliven, Zitronen, Pistazien, Kapern und Ziegenhautschläuchen voller ausgelassener Butter und Honig … Diese rote Stadt, im Kern aus Häusern mit flachen Dächern und nackten, mit Kalk geweißten Mauern bestehend, war wie ein ungeheures Füllhorn, aus dem der Wohlstand floß. Sie erhob sich an der Spitze Europas, Klaue des riesigen, geheimnisvollen und fruchtbaren Afrikas, das sich hinter ihr bis zum Ende des Himmels öffnete. Von den spanischen Eroberungen der schrecklichen Sultane, der Almoraviden oder Almohaden, schwarzverhüllte Männer aus dem Großen Atlas und dem fabulösen Marrakesch, blieb nur noch wenig übrig: dieses Königreich Granada von geringer Ausdehnung, verzuckert und rot wie die Frucht, deren Name es trug, das in sich allein den ganzen Orient und ganz Afrika zusammenfaßte.

»Was für ein märchenhaftes Land!« murmelte Cathérine voll Erstaunen. »Welcher Reichtum!«

»Ihr solltet lieber nicht französisch sprechen«, flüsterte Josse. »Es ist eine wenig bekannte Sprache bei den Mauren! Wir sind jetzt an Ort und Stelle. Habt Ihr eine Ahnung, wo Euer Freund, der Arzt, wohnt?«

»Er hat mir gesagt, sein Haus stehe an einem Fluß …«

Sie stockte, öffnete die Augen weit. In dem schmalen Gäßchen, das sich zwischen den weißen Häusern mit den kahlen Mauern hindurchwand, näherte sich ein Zug. Mit Stöcken bewaffnete Läufer trieben die Hausierer zurück, die die Luft mit ihren Rufen und dem Gebimmel ihrer Glöckchen erfüllten, dann kamen Reiter in weißen Burnussen. Schließlich erschien auf den Schultern von sechs ebenholzschwarzen Sklaven, die bis zum Gürtel nackt waren, eine vergoldete, über den beturbanten Köpfen wie eine Karavelle auf den Wogen segelnde Sänfte. Cathérine und ihre Gefährten hatten gerade noch Zeit, sich an ein Haus zu drücken, um den Stöcken der Läufer zu entgehen, die aus Leibeskräften brüllten. Als die Sänfte an Cathérine vorüberkam, wurden die blauen Musselinvorhänge durch einen Windstoß auseinandergetrieben, und die junge Frau konnte eine auf goldbestickten Kissen liegende und ganz in blaue Schleier gekleidete schlanke, biegsame Gestalt sehen, deren langes schwarzes Haar mit goldenen Zechinen durchflochten war und die hastig einen ihrer Schleier vor das Gesicht zog. Aber die junge Frau hatte Zeit gehabt, die Schönheit dieser Frau, ihr gebieterisches Profil und ihre riesigen schwarzen Augen, ebenso die Juwelen, die ihren Hals zierten, zu bemerken.

»Wer ist diese Frau?« fragte sie in plötzlicher Bangigkeit mit erstickter Stimme. »Sie ist mindestens eine Prinzessin …«

Ohne zu antworten, fragte Josse mit der weinerlichen Stimme, die er sich angewöhnt hatte, einen Wasserträger neben ihnen, wer die Dame in der Sänfte sei. Die Antwort war niederschmetternd. Josse brauchte sie ihr nicht zu übersetzen, denn seit sie über die Pyrenäen gekommen waren, hatte er die Ruhestunden auf ihrem Weg dazu benutzt, der jungen Frau so viel Arabisch beizubringen, wie er verstand. Sie kannte genug davon, um einer leichten Unterhaltung folgen zu können, und hatte genau verstanden, was der Wasserträger gesagt hatte.

»Das ist die kostbare Perle der Alhambra, die Prinzessin Zobeida, Schwester des Kalifen!«

Die Schwester des Kalifen! Die Frau, die ihr Arnaud weggenommen hatte! Weshalb mußte sie gleich bei ihren ersten Schritten in der maurischen Stadt ihrer Rivalin begegnen? Und was für einer Rivalin! … Mit einem Schlag schwand das tiefe Vertrauen, das Cathérine sich auf der langen, endlosen Reise von Puy bis in diese fremde Stadt bewahrt hatte. Die flüchtig erblickte Schönheit ihrer Feindin verlieh ihrer Eifersucht noch eine zusätzliche schreckliche Bitterkeit, einen beißenden Geschmack, der sogar die warme Luft dieses Morgens vergiftete. Cathérine ließ sich gegen die von der Sonne heißgebrannte Wand sinken. Unendliche Müdigkeit, geboren aus der Erschöpfung der vergangenen Tage und dem Schock, den sie soeben empfangen hatte, drückte sie nieder. Große Tränen stiegen ihr in die Augen … Arnaud war für sie verloren. Wie konnte sie nach der blendenden Erscheinung in Gold und Blau, die soeben ihren Blicken entschwunden war, noch daran zweifeln? Der Kampf war von vornherein verloren …

»Sterben!« hauchte sie. »Sofort sterben!«

Obgleich es nur ein kaum merkliches Murmeln gewesen war, hatte Gauthier es gehört. Während Josse, ratlos vor diesem plötzlichen Schmerz, sich daranmachte, einen Hausierer auszufragen, der ›volle, dicke Mandeln und saftige Granatäpfel‹ feilbot, stellte er sich vor die gebrochene junge Frau und riß sie mit harter Faust empor.

»Na und? Was hat sich denn geändert? Warum wollt Ihr sterben? … Weil Ihr diese Frau gesehen habt? Denn die ist es doch, nicht wahr, die Ihr besiegen wollt?«

»Besiegen!« rief sie mit schmerzhaftem Lachen. »Womit besiegen? Dieser Kampf ist unmöglich geworden! Ich war verrückt, als ich glaubte, ich könne ihn wiedergewinnen! Hast du die Prinzessin Ungläubig gesehen? Fortunat hatte recht. Sie ist schöner als der Tag, ich habe keine Chance gegen sie.«

»Keine Chance? Und warum nicht?«

»Erinnere dich doch dieser blendenden Erscheinung! Und schau mich an …«

Er hielt sie im letzten Augenblick zurück, als sie den schwarzen, schmutzigen Kattun herunterreißen wollte, unter dem sie fast erstickte, um ihr Gesicht, ihr blondes Haar zu enthüllen.

»Ihr seid am Ende, aber Ihr müßt Euch zusammennehmen! Man wird schon auf uns aufmerksam! … Dieser Schwächeanfall bringt uns alle in Gefahr! Unsere ungewöhnliche Sprache …«

Er brauchte nicht weiterzusprechen. Durch eine ungeheure Willensanstrengung überwand Cathérine ihre Mutlosigkeit. Gauthier hatte genau das Richtige gesagt, was ihr helfen konnte – hatte ihr klargemacht, daß ihre Haltung sie alle in Gefahr brachte. Übrigens kam Josse jetzt wieder zurück. Der falsche Blinde griff tastend nach der Wand und murmelte:

»Ich weiß, wo der Arzt wohnt. Es ist nicht weit. Zwischen dem Hügel der Alkazaba und den Mauern der Alhambra, am Flußufer. Der Mandelhändler hat mir gesagt: ›zwischen der Brücke des Kadi und dem Hamman, einem großen Haus, wo Palmen stehen …‹«

Ohne ein weiteres Wort brachen sie, sich wieder an den Händen haltend, auf. Die Berührung der rauhen Handflächen dieser Männer belebte Cathérine ein wenig, desgleichen der Gedanke, Abu al-Khayr wiederzusehen. Der kleine maurische Arzt kannte das Geheimnis, wie man mit Zuspruch Trost und neuen Mut einflößt. Viele Male hatten seine fremden philosophischen Lebensregeln sie aus tiefem Kummer, ja sogar aus Verzweiflung, an der sie beinahe gestorben wäre, gerissen!

Plötzlich hatte sie Eile, bei ihm zu sein, sah nichts mehr von der Stadt, die sie noch vor wenigen Augenblicken entzückt hatte. Indessen zogen ihre Gefährten sie in eine recht seltsame, mit Schilfrohrgeflecht überdachte Straße, durch das sich blitzende Sonnenstrahlen stahlen; auf beiden Seiten war sie von kleinen, türlosen Buden eingesäumt, in denen Kupferschmiede arbeiteten. Hammerschläge erfüllten die Gasse mit lustigem Lärm, und im Schatten der Verkaufsstände glänzten sanft die Becken, die Wasserkannen, die Messing- oder Kupferkessel und machten aus jeder kleinen Werkstatt eine Art Schatzhöhle. »Der Markt der Kupferschmiede!« erklärte Josse, aber Cathérine sah und hörte nichts. Unaufhörlich mußte sie an das herrische elfenbeinerne Profil, an die langen dunklen, zwischen dichten Wimpern leuchtenden Augen, an den auf den goldverbrämten Kissen ausgestreckten graziösen Körper denken.