»Ihres Geliebten?«
Fatima drehte Cathérine wie einen Eierkuchen herum, um ihr den Rücken zu massieren. Dann lachte sie höhnisch.
»Ich müßte eigentlich ›ihrer Geliebten‹ sagen, denn in den Basaren flüstert man, daß nächtens mehr als ein schöner Krieger durch eine geheime Pforte in die Gemächer der Prinzessin eingelassen wird, um ihren Liebeshunger zu stillen. Manchmal sogar, heißt es, habe Zobeida sich an besonders muskulösen Sklaven gütlich getan … deren Leichen man dann in den Abzugsgräben der Alhambra finde …«
Cathérine schwankte zwischen Unruhe und Erleichterung. Einerseits, wenn Zobeida eine Art Messalina war, konnte man ihr die Beute vielleicht leichter entreißen … Andererseits jedoch, wer konnte wissen, ob nicht Arnaud ein ähnliches Schicksal erwartete? Warum mußte Fatima hinzufügen:
»Aber seit einigen Monaten regen sich die spitzen Zungen der Klatschweiber an den Brunnen und in den Karawansereien nicht mehr so auf. Zobeida hat nur noch einen Geliebten, einen gefangenen Franken, nach dem sie verrückt ist, und niemand tritt mehr durch die geheime Pforte, die zu ihren Gärten führt.«
»Hast du diesen Mann gesehen?« fragte Cathérine.
»Einmal. Er ist schön, kraftvoll, hochmütig und schweigsam. In gewisser Hinsicht ähnelt er Zobeida; er ist wie sie ein Raubtier, ein wildes Tier … Ah! Ihrer Liebe mangelt es sicherlich nicht an Heftigkeit und Leidenschaft, und ihre Liebkosungen …«
Das war mehr, als Cathérine ertragen konnte.
»Schweig!« rief sie. »Ich befehle dir zu schweigen!«
Über die plötzliche Heftigkeit dieser folgsamen Klientin verblüfft, hielt Fatima inne und betrachtete sie einen Augenblick, während sie mechanisch die öligen Hände an dem Schurz abwischte, den sie um die Hüften trug. Die junge Frau hatte den Kopf in die Arme gebettet, um die aufsteigenden Tränen zu verbergen. Plötzlich verklärte ein langsames Lächeln das Mondgesicht der Negerin. Es schien ihr, daß sie den Grund der jähen Verzweiflung ihrer Klientin verstand …
Sie beugte sich zu dem ausgestreckten Körper hinunter, nachdem sie sich vergewissert hatte, daß niemand sie hören konnte. »Ich kann mir denken, was dich betrübt, Licht des Morgens. Es ist dir peinlich, den schönen Geliebten Zobeidas erwähnt zu hören, nachdem es dir nur bestimmt ist, die Zärtlichkeiten eines entkräfteten und schon gealterten Mannes zu empfangen. Und meiner Meinung nach hast du recht, denn deine Schönheit verdient Besseres als das Bett eines Arztes … Aber tröste dich, meine Schöne, es kann sein, daß sich etwas Besseres findet …« Cathérine hob ihr gerötetes, verweintes Gesicht.
»Was willst du damit sagen?«
»Nichts. Ich halte die Ohren offen. Es ist noch zu früh, darüber zu sprechen! Schau, was du mit deinem Gesicht angestellt hast, kleine Dumme! Laß mich machen …«
Bei Anbruch der Nacht verwandelten sich die Terrassen der Häuser von Granada in seltsame Gärten. Alle Frauen in ihren weichen, dunklen Schleiern, von Goldflitter funkelnd oder mit Gemmen geschmückt, es sei denn, daß sie nichts anderes als ihre jugendliche Frische vorzuzeigen hatten, kamen auf ihren jeweiligen Dächern zusammen, um die sanfte Abendluft zu genießen, Süßigkeiten zu knabbern oder Klatsch von einer Terrasse zur anderen auszutauschen. Selbst die bescheidenste Dienerin, die keine Ausgeherlaubnis hatte, ging aufs Dach, um frische Luft zu schnappen. Die Männer zogen es vor, auf die Plätze zu gehen, um sich zu unterhalten, den Märchenerzählern zu lauschen oder die Kunststücke der Komödianten zu bewundern, sofern die muselmanische Sekte, der sie angehörten, ihnen nicht gestattete, eins der Freiluftkabaretts zu besuchen, die oft in den Gärten eingerichtet waren, wo sie sich vergnügen, Wein trinken und die Darbietungen der Tänzerinnen betrachten konnten.
Cathérine hatte an diesem Abend, während Fatima es ihr in einem Berg von Seidenkissen bequem machte, unter dem nächtlichen Himmel das eigenartige Gefühl, sich gehäutet zu haben. Einmal, weil sie ein außergewöhnliches Wohlgefühl empfand und sich zugleich unbeschwert und entspannt fühlte, und dann, weil das neue Gesicht, das Fatima ihr gegeben hatte, ihr fremd und anziehend zugleich vorkam. Sie hatte mindestens eine Stunde in einem großen, mit lauwarmem Wasser gefüllten Bassin gelegen, während eine am Rand kauernde Sklavin ihr Früchte reichte, die sie für sie geschält hatte. Darauf hatte man sie, bevor man sie in diese sonderbaren Gewänder gekleidet hatte, geschminkt. Ihre Zähne waren mit einer besonderen Paste eingerieben, ihre Lippen mit einem schönen Rot gefärbt worden, und ihre mit Kohle schattierten Augen schienen so riesig, als ob sie ihr bis zum Haaransatz reichten. Ihre lackierten Nägel glänzten wie rötliche Gemmen, und sie fühlte sich wunderbar bequem in ihren neuen Kleidern: weite rosafarbene Musselinhosen, die mit einem breiten Gürtel aus Silberschmiedearbeit an der Hüfte abschlossen und Taille und Bauch nackt ließen, worüber sie ein rosaseidenes Jäckchen mit kurzen Ärmeln trug. Auf dem Kopf hielt ein rundes Käppchen den riesigen rosa Schleier zusammen, in den sie sich hatte hüllen lassen müssen, um auf dem Dach zu erscheinen.
Eine ganze Weile verharrten Fatima und ihre einzige Klientin in Schweigen (Cathérine hatte erfahren, daß, solange sie in Behandlung war, die Badeanstalt für alle anderen geschlossen blieb, eine verrückte Freigebigkeit Abus, der die dicke Bademeisterin damit tief beeindruckt hatte). Die Nacht war außergewöhnlich mild, von Jasmin- und Orangenduft durchdrungen. Von der Terrasse aus war der Anblick der Stadt, deren Gassen und noch offene Basare durch eine Vielzahl von Öllampen erleuchtet waren, zauberhaft und für eine Frau unerwartet, die an die dunklen Städte des Abendlandes und an ihre durch den Zapfenstreich in Räuberhöhlen verwandelten Straßen gewöhnt war. Das Bild fesselte Cathérine ungemein. Eine seltsam durchdringende zarte Musik, die aus einem der Kabarette kommen mußte, drang zu der jungen Frau empor und kämpfte gegen das sanfte Tosen des benachbarten Sturzbaches an.
Doch bald schweifte Catherines Blick von der Stadt ab und richtete sich auf den riesigen Komplex des Palastes, der Fatimas Haus überragte. Dieses stand am Ufer des Darro, am Ausgang der Talschlucht, die er zwischen dem Vorgebirge der Alhambra und den Hügeln des Albaicin und der Alkazaba Kadima aushöhlte. Hundertfünfzig Meter über ihm hoben sich die tiefen Zinnen des Palastes vom samtenen Nachthimmel ab. Kein Licht, kein Lebenszeichen, außer den klirrenden Schritten der unsichtbaren Wachtposten, war zu bemerken.
Cathérine glaubte eine Drohung aus diesen stummen Mauern herauszulesen. Sie schienen ihrem Vorhaben, ihnen ihren Gefangenen zu entreißen, Trotz zu bieten.
Die Augen der jungen Frau verharrten so lange auf dem unheimlichen, schroffen Abhang, daß Fatima nach einem Augenblick bemerkte:
»Man könnte meinen, der Palast ziehe dich an, Licht des Morgens. Wovon träumst du, wenn du ihn betrachtest?«
Dreist antwortete Cathérine:
»Von dem Geliebten der Prinzessin! Von dem schönen fränkischen Gefangenen … Ich stamme aus demselben Land wie er, mußt du wissen. Es ist daher natürlich, daß ich mich für ihn interessiere.«
Fatima schlug sich mit ihrer großen Pranke heftig auf den Mund, und im Halbdunkel konnte Cathérine die weißen Augen der Äthiopierin vor Entsetzen rollen sehen.
»Bist du lebensmüde?« zischte sie. »Wenn ja, dann schicke ich dich lieber gleich deinem Herrn zurück, denn die Nachbarterrassen liegen sehr nahe, und ich sehe da drüben den safranfarbenen Schleier Aichas, der Frau des reichen Gewürzhändlers, das größte Klatschmaul der Stadt. Ich bin zwar schon alt und häßlich, trotzdem möchte ich noch ein Weilchen den Duft der Rosen atmen und schwarzen Nougat essen.«
»Warum ist es gefährlich, so zu reden?«
»Weil der Mann, auf den du angespielt hast, der einzige ist, an den keine Frau in ganz Granada auch nur denken darf, nicht einmal im Traum, wenn sie laut träumt. Die Henker Zobeidas sind mongolische Gefangene, die der ottomanische Sultan Murad ihr aus Ehrerbietung geschickt hat. Sie verstehen sich darauf, den Todeskampf tagelang auszudehnen, ohne den Tod herbeizuführen, und es ist besser, sich den Zorn des Kalifen persönlich zuzuziehen als die Eifersucht Zobeidas. Selbst die Lieblingssultanin, die blendende Amina, würde das nicht riskieren. Zobeida haßt sie schon genug. Das ist übrigens der Grund, weshalb sie selten in der Alhambra residiert.«
»Wo wohnt sie dann?«
Der dicke Finger Fatimas wies auf die eleganten Pavillons und grünen Dächer eines größeren Gebäudekomplexes im Süden der Stadt außerhalb der Mauern, der sich aus einem riesigen Garten zu erheben schien, dessen Grün sich in einem glitzernden Bach spiegelte.
»Das ist der Alkazar Genil, das Privatpalais der Sultaninnen. Es ist leicht zu bewachen, und Amina fühlt sich dort sicherer. Die Sultaninnen haben es selten bewohnt, aber Amina kennt den Haß ihrer Schwägerin. Gewiß, Mohammed liebt sie, aber er ist ein Dichter und Krieger und hat für Zobeida schon immer eine Schwäche gehabt, der die Sultanin mißtraut.«
»Wenn die Prinzessin ihren Kopf durchsetzte«, bemerkte Cathérine, »habe ich nicht das Gefühl, daß sie in diesem Palast lange sicher wäre.«
»Mehr, als du glaubst. Denn da ist noch …«
Ihr Finger zeigte nicht weit von der Medersa auf eine Art mit Zinnen gespickter und von einer großen Zahl von Feuertöpfen erleuchteter Festung, die das Südtor der Stadt zu bewachen schien und einen überwältigenden Eindruck machte.
»… der Sitz von Mansour ben Zegris. Er ist Aminas Vetter, war schon immer in sie verliebt und ist ohne Zweifel der reichste Mann der Stadt. Die Zegris und die Banu Saradj sind die mächtigsten Familien Granadas und, wohlverstanden, Nebenbuhler. Amina ist eine Zegris, ein Grund mehr für Zobeida, sie zu hassen, denn sie protegiert die Banu Saradj. Du kannst dir den Unfrieden nicht vorstellen, den die Streitereien dieser beiden Familien uns einbringen, und wenn der Kalif Mohammed schon zweimal seinen Thron verloren hat, dann kann man ohne Scheu sagen, daß er es den Zegris verdankte!«
»Hat er sich nicht an ihnen gerächt, als er zum drittenmal an die Macht kam?«
Fatima zuckte mit den Schultern.
»Wie könnte er? Der Sultan, der in Fes über die weiten Ländereien des mächtigen Maghreb herrscht, ist ihr Freund. Wenn er Zegris hinrichtete, würde das seinen fürchterlichen Zorn entfesseln, und die wilden Wüstenreiter stünden bald unter unseren Mauern. Nein, Mohammed hat es vorgezogen, sich mit seinem Feind abzufinden. Die Sanftmut und Güte Aminas, die ihrer Familie zwar sehr verbunden, aber leidenschaftlich in ihren Gatten verliebt ist, haben viel zu dem Vertrag beigetragen, der abgeschlossen worden ist. Das ist der Grund, weshalb Mohammed es erträgt, daß Mansour ben Zegris dort wohnt, vor seiner Tür wie eine große Dogge kauernd, die jederzeit bereit ist zuzubeißen.«
Fatimas Stimme erstarb. Schweigen herrschte einen Augenblick zwischen den beiden Frauen. Cathérine dachte über alles nach, was sie soeben gehört hatte. Diese an sich unbedeutenden Auskünfte könnten sich für jemand, der darauf brannte, sich in ein gefährliches Abenteuer zu stürzen, als höchst interessant erweisen. Sorgfältig merkte sie sich die fremden Namen, die sie soeben gehört hatte: Amina, die Sultanin, der Abu al-Khayr das Leben gerettet hatte; Mansour ben Zegris, der verliebte Vetter Aminas; und die Nebenbuhlerfamilie, die Zobeida protegierte, die Banu Saradj. Sie wiederholte die Namen im Geiste mehrmals hintereinander, um sicherzugehen, daß sie sie nicht vergaß.
Sie öffnete den Mund, um Fatima eine neue Frage zu stellen, aber ein mächtiges Schnarchen schnitt ihr das Wort ab. Ermüdet durch ihre schwere Tagesarbeit, hatte die dicke Äthiopierin sich sacht auf die auf dem Boden ausgebreiteten Kissen zurückgelegt und überließ sich, den großen Mund weit geöffnet, die Hände auf dem stattlichen Bauch gefaltet, dem Schlaf. Cathérine lächelte still, machte es sich auf ihren Kissen bequem und hing weiter ihren Träumen nach.
Acht Tage später war Cathérine verwandelt. Das ruhige, träge und bequeme Leben, das sie bei Fatima geführt hatte, die reichliche Nahrung, die langen, faulen Stunden in den Bassins mit lauwarmem, heißem oder kaltem Wasser und besonders die vielfältigen komplizierten Prozeduren, welche die Äthiopierin mit ihr vorgenommen hatte, hatten Wunder gewirkt. Ihr Körper hatte seine Magerkeit verloren, ihr Fleisch blühte wieder herrlich, ihre Haut war so fein und zart geworden wie ein Blütenblatt, und schließlich hatte sie sich an die fremde Landeskleidung gewöhnt und empfand Vergnügen daran, sie zu tragen.
Während ihres Aufenthalts bei Fatima hatte Abu al-Khayr sie mehrere Male besucht, um sich von dem erzielten Fortschritt zu überzeugen, doch hatten weder Gauthier noch Josse ihn begleiten dürfen. Seine Besuche waren schnell erfolgt und immer steif verlaufen, denn er achtete streng darauf, seine Haltung als Kunstliebhaber zu bewahren, der kommt, um zu sehen, wieweit die Instandsetzung des seltenen Gegenstandes gediehen sei, den er aufgestöbert hatte.
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