Er hatte ihr dabei zuflüstern können, er habe das richtige Mittel noch nicht entdeckt, sie im Palast einzuführen, habe aber verschiedene Pläne in Aussicht, doch dies hatte Catherines Ungeduld natürlich nicht besänftigt. Sie fühlte sich jedenfalls völlig bereit. Die großen polierten Silberspiegel des Massageraums vermittelten ihr jetzt ein vorzügliches Bild, dessen neue Macht sie schleunigst ausprobieren wollte. Doch Fatima war offenbar noch nicht zufrieden.
»Geduld!« sagte sie, ihr Gesicht mit peinlichster Sorgfalt schminkend. »Du hast noch nicht die von mir gewünschte Vollkommenheit erreicht.«
Sie verbarg ihre schöne Klientin in der Tiefe des Hauses, und nur ihre Dienerinnen oder ihre Eunuchen durften sich ihr nähern, wenn sie Besuch empfing. Als Cathérine jedoch eines Morgens triefend aus dem Becken stieg, hatte sie Fatima in angeregter Unterhaltung mit einer alten, in prächtigen grünen Brokat gekleideten Frau gesehen, deren schlaue Augen ihren Körper unverhohlen gemustert hatten. Die beiden Frauen schienen heftig zu diskutieren, und Cathérine hätte schwören können, daß sie selbst der Gegenstand dieser Diskussion sei; aber nach einem zustimmenden Kopfnicken war die Alte pantoffelklappernd hinausgegangen, und als Cathérine Fatima nach ihrem Begehr gefragt hatte, hatte die Äthiopierin nur mit den Schultern gezuckt.
»Eine alte Freundin von mir! Aber wenn sie wiederkommt, mußt du dich von deiner besten und liebenswürdigsten Seite zeigen … denn sie kann viel für dich tun, wenn du einen … schneidigeren Herrn als den kleinen Arzt wünschst!«
Mehr hatte Fatima nicht sagen wollen, und das ›Licht des Morgens‹ hatte sich mit ihren geheimnisvollen Werten begnügen müssen, deren Sinn sie, um die Wahrheit zu sagen, zur Hälfte schon erriet. Hatte Abu ihr nicht gesagt, Fatima sei die Königin der Kupplerinnen? Sie hatte sich also damit begnügt, sanft zu bemerken: »Einen schneidigeren Herrn, gewiß … aber ich wäre sehr glücklich, wenn ich durch diesen Herrn die Wunder der Alhambra entdecken könnte.«
»Das ist nicht möglich«, hatte Fatima unwirsch erwidert, und Cathérine hatte für diesmal das Thema fallenlassen.
Am Tage nach dem Besuch der Alten im grünen Brokat hatte die junge Frau von Fatima die Erlaubnis erhalten, auf den Markt zu gehen. Sie liebte es, in der warmen, staubigen und herrlichen Atmosphäre dieser endlosen, schilfrohrüberdachten Straßen herumzuschlendern, wo die Wunder aus all den kleinen Läden quollen. Schon zuvor hatte Fatima ihr zwei- oder dreimal erlaubt auszugehen, selbstverständlich tief verschleiert, in Begleitung zweier Dienerinnen, die ihr nicht von der Seite wichen, und hinter sich einen großen Eunuchen, der unter dem Arm eine Karbatsche aus geflochtener Rhinozeroshaut trug. So war es an diesem Morgen auch gewesen. Mit ihrer üblichen Begleitung ging die junge Frau unter einem leichten, weiten honigfarbenen Seidenschleier, der nur ihre geschminkten Augen sehen ließ, ruhigen Schritts dem großen Seidenmarkt zu, der sich fast zu Füßen der Auffahrt zur Alhambra öffnete. Der Tag versprach brennend heiß zu werden. Ein dichter bläulicher Dunst hüllte die Stadt ein, und überall besprengten die Bürger die Gassen mit Wasser, um sich etwas Kühle zu verschaffen und den Staub zu binden. Es war noch sehr früh. Der Tag war erst seit zwei Stunden angebrochen, aber es war der einzige Augenblick, da es zu noch relativ dämmeriger Stunde angenehm war, die frische Kühle der Häuser zu verlassen. Was in keiner Weise das übliche Getriebe an den Markttagen Granadas verhinderte.
Cathérine trat aus dem Schatten einer Moschee, ging auf den Brückenbogen zu, der zum Markt führte, und von dort auf den freien, sonnendurchfluteten Platz vor dem Bab el-Ajuar, dem großen, von herkulischen Nubiern bewachten roten Tor, das die erste Porta der Alhambra bildete, als gellende kriegerische Musik an ihre Ohren schlug. Ein Reitertrupp mit Ghaitas – einer Art Dudelsack – und kleinen Trommeln kam durch das Tor geritten, als Vorausabteilung eines mächtigen Bewaffnetentrupps. Soldaten mit dunklen Gesichtern, wilden Augen, die Lanzen auf den Schenkeln, umgaben auf kleinen, flinken andalusischen Pferden eine Gruppe prächtig gekleideter Reiter, die alle auf dick mit Leder behandschuhten Fäusten Falken oder Geierfalken trugen. Die den Raubvögeln übergezogenen Hauben waren aus purpurroter, mit Edelsteinen besetzter Seide, die Gewänder der Reiter aus kostbarem Brokat, und ihre Waffen strotzten von Gemmen. Ohne Zweifel große Herren. Alle hatten feingeschnittene, edle Gesichter, kurze schwarze Bärte und kohlschwarze Augen. Nur einer hatte ein bartloses Gesicht und trug keinen Turban. Er ritt den anderen etwas voraus, schweigend, hochmütig, lässig seinen feurigen Renner zügelnd, ein schneeweißes Tier, das den Blick Catherines auf sich zog. Sofort glitten die Augen der jungen Frau vom Pferd zum Reiter empor.
Sie unterdrückte einen Schrei: Das Pferd war Morgane, der Reiter Arnaud …
Sehr aufrecht im bestickten Sattel sitzend, überragte er seine Begleiter um einen Kopf, war orientalisch gekleidet, doch in goldbestickter schwarzer Seide, die sich stark von den leuchtenden Farben der anderen abhob, und lässig über die Schultern zurückgeworfen trug er seinen weiten Burnus aus feiner weißer Wolle … Sein schönes Gesicht mit den kantigen Zügen, sein herrisches Profil war hohl, dünn und genauso sonnengebräunt wie das der Mauren. Seine schwarzen Augen brannten von einem dunklen Feuer, aber um die Schläfen zeigten sich zarte Silberfäden in seinem dichten schwarzen Haar.
Wie am Boden festgenagelt und bis ins Innerste erschüttert, verschlang Cathérine ihn mit den Augen, während er im nervösen Tänzelschritt seiner Stute näher kam, gleichgültig, fern, lediglich seinem großen Falken auf der Faust Aufmerksamkeit schenkend, den er sich manchmal ans Gesicht hielt, als wollte er mit ihm sprechen. Sprachlos vor innerer Bewegung stand Cathérine so regungslos da, als wäre sie vom Blitz getroffen. Sie hatte sehr wohl gewußt, daß er ganz in ihrer Nähe lebte; ihm jetzt aber so plötzlich gegenüberzustehen, ihn wiederzusehen, so nahe und gleichzeitig doch so unerreichbar! … Nein, darauf war sie nicht vorbereitet, das hatte sie nicht erwartet. Teilnahmslos gegenüber dem Drama, das sich einige Schritte von ihnen entfernt abspielte, ritten die Kavaliere ihres Weges. Sie würden sich entfernen, würden um die Ecke eines roten Backsteinpalastes verschwinden, dessen wenige schmale Fenster dicht verhängt waren … Ein jäher Impuls drängte Cathérine der hohen schwarzweißen Erscheinung nach, die in die enge Gasse einbog. Doch zwei feste Hände legten sich auf ihre Arme und hielten sie zurück, während der Eunuch, bestürzt die großen Augen rollend, sich vor sie stellte und ihr den Weg versperrte.
»Laßt mich los!« brauste die junge Frau auf. »Was soll das? Ich bin doch keine Gefangene!«
»Wir haben ausdrückliche Befehle von Fatima«, erwiderte eine der beiden Frauen entschuldigend. »Wir müssen dich unter allen Umständen hindern, etwas zu tun, was dich in Gefahr bringen könnte. Du wolltest dich doch auf die Spur der Prinzen setzen …«
»Ist es verboten, sie sich aus der Nähe anzusehen?«
»Aber ja! Die Krummschwerter ihrer Krieger schlagen schnell zu, um so mehr, als sie auch den fränkischen Gefangenen der Prinzessin eskortieren. Du könntest den Kopf verlieren, ehe du dich's versähest … und Fatimas Stock würde ganz schön auf unsere Schultern heruntersausen!«
Offenbar war es eher das, als sie sterben zu sehen, was die Dienerinnen der Äthiopierin besonders fürchteten … aber im Grunde hatten sie recht. Wenn sie sie hätten gewähren lassen, zu welcher Unvorsichtigkeit wäre sie fähig gewesen? Hätte sie sich zurückhalten können, den Mann, den sie liebte, anzurufen? Hätte sie ihre Hände hindern können, den Schleier von ihrem Gesicht zu reißen, damit er sie erkennen könnte? Wenn dieser öffentliche Skandal Zobeida gemeldet würde, wäre das ihr Tod … und vielleicht auch sein Tod … Nein! … So war's gut! Aber wie grausam war dieser Augenblick gewesen!
Noch vor heftiger Bewegung zitternd, drehte Cathérine sich langsam auf den Fersen um.
»Gehen wir zurück!« sagte sie seufzend. »Ich habe keine Lust mehr, auf dem Markt zu promenieren. Es ist schon zu heiß!« Indes blieb sie an der Mauer der kleinen Moschee mit der grünen Kuppel stehen … Zwei Bettler, der eine sehr groß und mager, die Arme unter seinen Lumpen verschränkt, der andere ein kleiner Bursche, der auf seinem einzigen Bein hockte, sahen dem glänzenden Jagdzug nach, wie er in der Ferne verschwand. Einige ihrer Worte drangen ans Ohr der jungen Frau.
»Der fränkische Gefangene der Prinzessin langweilt sich in den Wundern der Alhambra. Hast du bemerkt, wie düster er aussieht?«
»Welcher Mann, der das kostbare Gut der Freiheit verloren hat, würde nicht so aussehen? Dieser Christ ist ein Krieger. Das erkennt man schon an seiner Haltung … und an seinen Narben. Und der Krieg ist das berauschendste aller Getränke. Ihm bleibt nur noch die Liebe. Das ist wenig …«
Um besser hören zu können, gab Cathérine sich den Anschein, als sei ihr ein kleiner Stachel in den Fuß gedrungen, und während eine der beiden Frauen, im Staub kniend, aufmerksam ihren Fuß untersuchte, horchte sie gespannt. Das kleinste, Arnaud betreffende Wort war für sie eine Kostbarkeit. Das Folgende war noch wichtiger, denn der große, lässige Bettler fuhr fort:
»Außerdem heißt es, Zobeida trage sich mit dem Gedanken, ihn übers blaue Meer zu schicken. Die riesigen Ländereien des alten Maghreb werden den Hufen seines Streitrosses besser bekommen, und es gibt viele rebellische Stämme da unten. Ohne Zweifel wird der Sultan einen Kriegsmann und einen so meisterhaften Reiter akzeptieren, selbst wenn er ungläubig ist … Er wäre nicht der erste, der zum wahren Glauben überträte!«
»Würde unser Kalif seine Schwester mitziehen lassen?«
»Wer hat sich je dem Willen Zobeidas widersetzen können? Hast du gesehen, wer sich zum Wächter ihrer kostbaren Geisel gemacht hat? Der Wesir Haben-Ahmed Banu Saradj in Person … Sie wird aufbrechen, wann sie will, und der Sultan jenseits des Meeres wird ihr einen großartigen Empfang bereiten.« Eine Gruppe prächtig gekleideter Frauen näherte sich, und die beiden Bettler brachen ihr Gespräch ab, um eine bittende, winselnde Haltung einzunehmen, die ihnen Almosen einbringen sollte. Cathérine hatte genug gehört. Hurtig den ausgezogenen Pantoffel wieder überstreifend, befestigte sie mit beiden Händen ihren weiten Schleier, und bevor ihre noch knienden Wächterinnen diesmal Zeit gehabt hätten, sie zurückzuhalten, eilte sie flinken Fußes zum Haus Fatimas zurück.
Der Tratsch der beiden Bettler hatte sie in größten Schrecken versetzt. Daß diese Männer der Straße mit solchem Interesse von Arnaud sprachen, daß die Stadt an jeder Ecke von seinem Namen widerhallte, ließ sich nur durch die große Neugier und das Interesse erklären, die der fränkische Gefangene erregte. Zobeida mußte aus ihm eine außergewöhnliche Persönlichkeit gemacht haben, fast etwas Legendäres … und diese Persönlichkeit mußte scharf bewacht werden. Wenn die verfluchte Prinzessin Arnaud nach Afrika entführte, mußte man ihm folgen, sich wieder auf den Weg machen, neue, diesmal fast unüberwindliche Risiken eingehen, da es in den geheimnisvollen Städten des Landes, das sich Maghreb nannte, kein Haus Abu al-Khayrs, keine Hilfe des kleinen Arztes mehr gäbe. Unter allen Umständen mußte das verhindert werden, mußte sie Arnaud vorher wiedergewinnen und schließlich mit ihm fliehen …
Einen Augenblick fühlte sie sich versucht, sofort zu Abu zu eilen, aber zu dieser Stunde war er, wie sie wußte, bei seinen Kranken. Und die Wärterinnen der Badeanstalt hätten alles getan, um sie vor dem Haus ihres Freundes einzuholen. Sie stürzte daher zu Fatimas Haus und eilte in den mit Zitronen-, Granatapfelbäumen und Wein bepflanzten Innenhof. Doch auf der Schwelle der schmalen Kolonnade, die den eingefriedeten Garten umschloß, blieb sie ärgerlich stehen: Fatima war zwar da, aber sie war nicht allein. In ein unwahrscheinliches, in sämtlichen Regenbogenfarben schillerndes Gewand gekleidet, einen Schal wie einen Männerturban um den Krauskopf geschlungen, promenierte die dicke Äthiopierin auf den Wegen rings um das rosenfarbene Springbrunnenbecken in der Mitte des Gartens.
Neben ihr erkannte Cathérine die Alte von neulich, obgleich der Brokat, in den sie diesmal verpackt war, gedämpft malvenfarben und mit großen grünen Blumen bestickt war.
Als Fatima Cathérine bemerkte, die, noch keuchend vom schnellen Lauf, am Gartenrand stehengeblieben war, begriff sie, daß etwas vorgefallen sein müsse, entschuldigte sich bei ihrer Besucherin und ging eiligst zu der jungen Frau hinüber.
»Was ist? Was ist passiert? Wo sind deine Wärterinnen?«
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