Dort blieb Cathérine keine Zeit mehr, Fragen zu stellen. Der Wunsch des Kalifen verursachte ein gründliches Klarmachen zum Gefecht, das irgendwelchen Überlegungen keinen Raum ließ. Einer wahren Armee von Masseusen, Duftspezialistinnen, Pediküren, Friseusen und Ankleiderinnen ausgeliefert, hielt es die junge Frau für das beste, alles über sich ergehen zu lassen. Auf jeden Fall konnte es ihr nur nützen, dem Kalifen nahezukommen … so nahe. Wer konnte sagen, ob es ihr nicht gelänge, einen gewissen Einfluß auf ihn zu gewinnen? Was die möglichen Weiterungen ihrer Intimität mit dem König von Granada betraf, ließ Cathérine sich dadurch nicht schrecken. Ohnedies hatte sie keine andere Wahl. Jeder Widerstand mußte ihre Pläne in Frage stellen und das Leben Arnauds, ihr eigenes und das ihrer Freunde gefährden. Und wenn man schon Krieg führte, dann richtig, ohne in der Wahl der Mittel allzu zimperlich zu sein.


Der eine mit gekreuzten Beinen auf einem mit Seidenteppichen bedeckten Diwan sitzend, die andere in der zarten Wolke ihrer rosafarbenen Schleier einige Schritte entfernt vor ihm stehend, sahen Mohammed VIII. und Cathérine einander an. Der eine mit unverhohlener Bewunderung, die andere mit Mißtrauen, in das sich Überraschung mischte. Gott weiß, warum die junge Frau (vielleicht des beunruhigenden Bildes wegen, das man ihr von Zobeida gezeichnet hatte) darauf gefaßt war, im älteren Bruder der Prinzessin einen arroganten, brutalen, zynischen Mann, eine Art Gilles de Rais plus La Trémoille, anzutreffen …

Doch der Fürst vor ihr ähnelte in nichts ihren Erwartungen. Er mochte zwischen fünfunddreißig und vierzig sein, und sein turbanloser Kopf war, außergewöhnlich bei einem Mauren, mit dichtem dunkelblondem Haar bedeckt, das sein Pendant in dem kurzen, das sonnengebräunte Gesicht umrahmenden Bart fand. Klare graue oder blaue Augen hoben sich von seiner dunklen Haut ab, und wenn er lächelte, zeigte er kräftige weiße Zähne. Flink schob er die Papierrolle zurück, die er beim Eintritt der jungen Frau und Moraymas mit einem Kalamin beschrieb.

Wortlos hatte er sie den langen Weg der Brunnen und Zypressen herankommen sehen, der zu der Säulenhalle führte, in der er sich aufhielt. Der Weg bis dahin war lang gewesen, an den Mauern vorbei, durch einen gedeckten Gang, bevor er sich emporschwang und durch die Gärten bis zu dem mit Rosen dicht umstandenen kleinen Palais verlief, das den Nachbarhügel der Alhambra krönte. Es war der Djenan-el-Arif, der Garten der Architekten, in den der Kalif sich im Sommer zurückzuziehen liebte. Mehr noch als der Serail war dies der Ort der Rosen und des Jasmins. Dunkelrot wie Purpursamt oder weiß mit rosigen Herzen wie Schnee unter aufgehender Sonne überwucherten sie den Hügel, neigten sich dem Wasserspiegel entgegen, kletterten an den weißen Schäften der Säulen empor und würzten mit ihrem Duft die blaue, sternenfunkelnde Nacht. Beim Anblick dieses Palastes, der für die Liebe geschaffen war und dessen Atmosphäre etwas Berauschendes hatte, wurden Catherines Augenlider schwer, und ihre Schläfen hämmerten.

Mohammed hatte nichts erwidert, als Morayma, demütig niedergeworfen, ihm die Freude ausgedrückt hatte, die die neue Odaliske empfinde, gleich in der ersten Nacht auserwählt worden zu sein; auch nicht, als sie die Schönheit, den Liebreiz Morgenlichts, der Perle Frankenlandes, die Pracht ihrer amethystenen Augen, die Geschmeidigkeit ihres Körpers gerühmt hatte … Als aber die alte Jüdin sich wieder erhoben hatte und die Musselinschleier abnehmen wollte, die aus der jungen Frau ein rosiges, wolkiges Gebilde machten, hatte er sie mit einer herrischen Bewegung gehindert und dann befohlen:

»Zieh dich zurück, Morayma. Ich lasse dich später rufen …« Und sie waren allein geblieben. Dann hatte der Kalif sich erhoben. Er war nicht so groß, wie Cathérine geglaubt hatte. Seine Beine schienen zu kurz für den kräftigen Körper, den die grünseidene, über der Brust bis zur Taille offene und von einem schweren, silbergeschmiedeten, mit großen, viereckigen Smaragden besetzten Gürtel zusammengehaltene Gandoura verriet. Als er auf die junge Frau zugetreten war, hatte er gelächelt. »Zittere nicht. Ich tue dir nichts Böses!«

Er hatte französisch gesprochen, und Cathérine verbarg nicht ihr Erstaunen.

»Ich zittere nicht. Warum auch? Aber wie kommt es, daß Ihr unsere Sprache kennt?«

Das Lächeln vertiefte sich. Mohammed stand der jungen Frau jetzt ganz nahe, die das leichte Parfüm von Juchten und Eisenkraut riechen konnte, das seinem Gewand entströmte.

»Ich habe mich immer gern unterrichtet, und die Reisenden aus deinem Land sind hier zu allen Zeiten gut aufgenommen worden. Ein Herrscher muß die Gesandten, die bei ihm akkreditiert sind, wann immer möglich, verstehen können. Die Dolmetscher sind zu oft unzuverlässig … oder bestochen! Ein Gefangener, ein frommer Mann aus deinem Land, hat mich diese Sprache gelehrt, als ich noch ein Kind war … und du bist nicht die erste Frau von jenseits der großen Berge, die dieses Palais betritt.«

Sich Maries erinnernd, dachte Cathérine, daß diese Erklärung mehr als wertvoll sei, und sagte nichts darauf, im übrigen waren die langen, schlanken Finger Mohammeds damit beschäftigt, den Schleier abzunehmen, der ihren Kopf und den unteren Teil ihres Gesichts bedeckte. Er tat es langsam, sacht, mit der Zartheit des Kunstliebhabers, der ein lang ersehntes, kostbares Werk enthüllt. Das süße, rotgold umrahmte Gesicht erschien unter dem mit feinen Perlen bestickten runden Käppchen, dann der lange, schlanke, graziöse Hals. Wieder fiel ein Schleier, dann ein weiterer und noch einer. Als kunstreiche und erfahrene Frau, für die das Verlangen des Mannes kaum Geheimnisse barg, hatte Morayma sie vervielfacht, das Vergnügen sehr wohl ahnend, das ihr Herr empfinden würde, wenn er sie Stück um Stück löste. Unter ihren zahlreichen leichten Hüllen trug Cathérine nichts als eine weite, gefältelte Hose aus demselben Schleiermaterial, an den Knöcheln zusammengenommen und über den Hüften mit Perlenflechten gehalten. Aber die junge Frau rührte sich nicht. Sie ließ die geschmeidigen Finger gewähren, die immer zärtlicher wurden, je mehr verhüllende Schleier fielen. Sie wollte diesem Mann gefallen, der übrigens verführerisch war und schon von ihrem Charme überwältigt schien. Er behandelte sie zart und verlangte schließlich nichts von ihr als eine Stunde der Wonne … der Wonne, die Gilles de Rais sich mit Gewalt und der Zigeuner Fero mittels eines Liebestrankes verschafft hatten, die sie Pierre de Brézé beinah geschenkt und Gauthier so spontan geboten hatte. So viele Männer waren schon durch ihr Leben gegangen! Und der hier war gewiß nicht der schlechteste.

Bald bedeckten die Musselinschleier die Fliesen aus Lapislazuli wie riesige, zu Boden gefallene Rosenblätter. Die Hände des Kalifen liebkosten jetzt die nackte Haut, verhielten lange auf ihr, streichelten sie, aber weiter ging er nicht. Er musterte sie … trat sogar einige Schritte zurück, um sie im sanften Schein der an den Arkaden aufgehängten goldenen Lampen besser betrachten zu können. So verharrten sie lange Minuten, sie stehend und ohne Scham die Schönheit ihres Körpers darbietend, er einige Schritte entfernt halb kniend. Im schwarzen Grund der hohen Zypressen des Gartens schmetterte eine Nachtigall eine Kaskade heller Töne, und Cathérine mußte an die denken, die gesungen hatte, als sie durch die hohe rote Pforte der Alhambra geritten war. Vielleicht war es dieselbe kleine Sängerin …

Doch schon, im Kontrapunkt, hob sich die Stimme Mohammeds leise in die Nacht:

»Ich pflückte im Garten die Rose der Morgenröte. Die Stimme der Nachtigall hat mich ergriffen. Sie leidet wie ich an der Liebe für eine Rose und erfüllt den Morgen mit ihrem Schluchzen. Ich eilte ohn' Ende durch die klagenden Alleen, Gefangener dieser Rose und dieser Nachtigall …«

Der Vers war schön, und die warme Stimme des Kalifen verlieh ihm einen noch größeren Zauber, aber das Gedicht ging nicht weiter. Während er es sprach, hatte Mohammed sich Cathérine genähert und hauchte das letzte Wort auf ihre Lippen. Dann hob er die junge Frau hoch und trug sie in den Garten. »Eine Rose gehört in die Mitte ihrer Schwestern«, murmelte er gegen die Lippen seiner Gefangenen. »Im Garten will ich dich pflücken.«

Auf dem Marmorrand des Wasserbeckens, in dem sich die Sterne spiegelten, waren Samtmatratzen und Kissen unter einem Laubenbogen von Jasmin ausgebreitet. Mohammed legte Cathérine dort nieder, riß ungeduldig die Gandoura herunter und warf sie achtlos beiseite. Der schwere, sternförmig mit Smaragden geschmückte Gürtel fiel ins Wasser, verschwand, ohne daß er auch nur die leisesten Anstalten machte, ihn zurückzuholen. Schon ließ er sich auf die Kissen sinken und nahm die junge fröstelnde Frau in seine Arme. Sie war unfähig, sich gegen den fremden Zauber dieses Mannes, gegen die magische, duftgeladene Nacht zu wehren, die das Murmeln des Springbrunnens und der Gesang der Nachtigall mit zärtlichster Musik erfüllten. Mohammed wußte zu lieben, und Cathérine gab sich gehorsam dem köstlichen Spiel hin, unter dem Ansturm der Lust ein Schuldgefühl verdrängend, mit vagen Rachevorstellungen vermischt, was nicht ganz ohne Reiz war.

Und das große Becken, über das sich der schlanke silberne Halbmond hob, spiegelte zärtlich das Bild der beiden vereinten Körper wider.

»Reiche dem Wind ein Bukett, gepflückt auf deinem blühenden Antlitz … Und ich werde den Duft der Pfade atmen, die du betrittst …«, deklamierte der Kalif in Catherines Ohr. »Du scheinst aus allen Blumen dieses Gartens geschaffen, Licht des Morgens, und dein Blick hat die Reinheit dieses klaren Wassers. Wer hat dich die Liebe gelehrt, duftendste der Rosen?«

Cathérine segnete den Schatten der Jasminbüsche, der sie einhüllte und ihre plötzlich aufsteigende Röte verbarg. Es stimmte, sie liebte die Liebe, und wenn sie ihr Herz auch nur einem einzigen Mann auf ewig hatte schenken können, so wußte ihr Körper die verfeinerten Liebkosungen eines Meisters der Wollust doch zu schätzen. Ihre Antwort war nicht ohne Heuchelei.

»Welche Schülerin würde sich bei einem solchen Lehrer nicht als gut erweisen? Ich bin Eure Sklavin, o Herr, und habe nur gehorcht.«

»Wirklich? Ich erhoffte Besseres … aber ich kann für eine Frau wie dich jede Geduld aufbringen. Ich werde dich lehren, mich zu lieben, mit deinem Herzen wie mit deinem Fleisch. Hier wirst du nichts anderes mehr zu tun haben, als mir jede Nacht ein größeres Glück als in der vorhergegangenen zu schenken.«

»Jede Nacht? Und deine anderen Frauen, Herr?«

»Wer könnte sich, wenn er das göttliche Haschisch gekostet hat, mit einem faden Ragout zufriedengeben?«

Cathérine konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, aber es schwand schnell. Sie erinnerte sich der wilden grünen, gefährlichen Augen der Ägypterin Zorah. Augen, die sie an die der schrecklichen, unheilvollen Marie de Comborn gemahnten, die sie hatte töten wollen und die Arnaud wie ein bösartiges Tier, das sie war, erdolcht hatte. Es war die Position der Maîtresse en titre, die Mohammed ihr anbot, und Cathérine nahm an, daß die Drohungen Moraymas die Ägypterin nicht von ihrer Mordlust abhalten würden, wenn der Kalif zugunsten Catherines alle anderen Frauen im allgemeinen und Zorah im besonderen vernachlässigte.

»Du erweist mir eine große Ehre, Herr …«, begann sie, doch unter dem Säulengang war ein Trupp Fackelträger erschienen, deren Licht die Nacht durchdrang. Mohammed hatte sich auf einen Ellbogen gestützt und sah sie mit gerunzelter Stirn mißvergnügt näher kommen.

»Wer wagt es, mich zu dieser Nachtstunde zu stören?«

Die Fackelträger geleiteten einen jungen, großen und hageren Mann mit einem kurzen schwarzen Bart und einem Turban aus Purpurbrokat. Seinem arroganten Gesichtsausdruck und seiner prächtigen Kleidung war zu entnehmen, daß es sich um eine Persönlichkeit von hohem Rang handelte, und Cathérine erkannte plötzlich in ihm einen der Jäger, die am Morgen Arnaud begleitet hatten. »Wer ist es?« fragte sie instinktiv.

»Haben-Ahmed Banu Saradj … unser Großwesir«, erwiderte Mohammed. »Es muß etwas Ernstliches vorgefallen sein, daß er es wagt hierherzukommen.«

Mit einem Schlag verwandelte sich der Mann, der sich Cathérine gegenüber so menschlich gezeigt hatte, in den allmächtigen Kalifen, Herrn der Gläubigen, vor dem jeder, ohne Ansehen der Person, sich beugen mußte. Während die junge Frau sich unter die Kissen flüchtete und ihren weißen Körper, den die Augen dieser Männer nicht sehen durften, im tiefschwarzen Schatten verbarg, kleidete sich Mohammed wieder in seine Gandoura und trat aus der Laube. Bei seinem Anblick knieten die Fackelträger nieder, während die stolze Gestalt des Großwesirs in ihrem Brokat sich in den Sand des Baumganges warf. Das Fackellicht ließ ihn wie einen riesigen Rubin funkeln, doch der Widerschein in seinen Augen gefiel Cathérine gar nicht. Der Mann war falsch, grausam, gefährlich.