»Was willst du, Haben-Ahmed? Was suchst du hier zu dieser Nachtstunde?«

»Nur eine Gefahr konnte mich zu dir führen, Herr der Gläubigen, und mich veranlassen, deine so seltenen Ruhestunden zu stören. Dein Vater, der tapfere Yusuf, hat den Djebel-al-Tarik[4] an der Spitze seiner Berberreiter verlassen und ist auf dem Weg nach Granada. Es schien mir nötig, dir dies unverzüglich mitzuteilen …«

»Gut gemacht! Weiß man, warum mein Vater seinen Ruhesitz verlassen hat?«

»Nein, Allmächtiger Herr, man weiß es nicht. Doch wenn du geruhst, deinem Diener einen Rat zu gestatten, so gebietet es vielleicht die Klugheit, daß du Yusuf jemand entgegenschickst, um seine Absichten zu erforschen.«

»Niemand außer mir kann sich erlauben, die Absichten des großen Yusuf zu erforschen. Er ist mein Vater, und mein Thron war der seine. Wenn jemand ihm entgegenreitet, werde ich es sein, so wollen es die Blutsbande … auch, wenn Yusuf mit kriegerischen Absichten hierherkommen sollte.«

»Wäre es in diesem Fall nicht besser, dich zu schützen?«

»Hältst du mich für ein Weib? Geh und gib die Befehle. Man sattle die Pferde, die Mauren sollen sich bereit halten. Nur fünfzig Mann werden mich begleiten.«

»Nicht mehr? Herr, das grenzt an Wahnsinn!«

»Nicht einer mehr! Geh, sage ich. In wenigen Augenblicken bin ich in der Alhambra.«

In gebückter Haltung zog sich Haben-Ahmed, rückwärts gehend, zurück, offensichtlich von tiefstem Respekt erfüllt, aber Cathérine hatte die bösartige Freude in seinen dunklen Augen aufblitzen sehen, als Mohammed seinen sofortigen Aufbruch angekündigt hatte. Mohammed war zu seiner neuen Favoritin zurückgekehrt. Er kniete neben ihr nieder und liebkoste die zerzausten Haare der jungen Frau.

»Ich muß dich verlassen, meine wunderbare Rose, und ich gehe mit schmerzendem Herzen. Aber ich werde mich beeilen, damit nur wenige Nächte vergehen, bis ich dich wiedersehe.«

»Begibst du dich nicht in Gefahr, Herr?«

»Was heißt schon Gefahr? Regieren bedeutet jeden Tag eine neue Gefahr. Sie ist überall; in den Blumen des Gartens, in der Schale Honig, die dir ein Kind treuherzig darbietet, im Duft eines Parfüms … Vielleicht bist du selbst die berauschendste … und die tödlichste aller Gefahren?«

»Glaubst du wirklich, was du sagst?«

»Was dich betrifft, nein! Du hast zu sanfte, zu reine Augen! Es ist grausam, dich verlassen zu müssen.«

Er umarmte und küßte sie lange und leidenschaftlich, dann richtete er sich auf und klatschte in die Hände. Wie herbeigezaubert tauchte die unförmige Gestalt Moraymas aus dem schwarzen Vorhang der Zypressen auf. Der Kalif wies auf die noch in den Kissen kauernde junge Frau.

»Bring sie in den Harem zurück … und gib gut auf sie acht! Du wirst dafür sorgen, daß es ihr während meiner kurzen Abwesenheit an nichts fehlt. Wo hast du sie untergebracht?«

»Im kleinen Badehof. Ich wußte noch nicht …«

»Bring sie im alten Appartement Aminas unter. Und teile ihr alle Dienerinnen zu, die du für richtig hältst, aber wache ganz besonders über sie. Dein Kopf bürgt mir für ihre Gemütsruhe.« Cathérine sah die verstörte Miene Moraymas. Ganz offensichtlich übertraf das Ergebnis ihre Hoffnungen; die Jüdin war auf eine so jähe, offenkundige Gunst nicht gefaßt gewesen. Die Art, wie sie sich nun an die junge Frau wandte, während Mohammed sich zur Säulenhalle hin entfernte, ließ es deutlich erkennen. Cathérine entdeckte einen neuen Respekt, der sie belustigte.

»Du mußt mir meine Schleier holen«, sagte sie zu ihr. »Ich kann mir nicht diese Kissen um den Leib binden …«

»Ich hole sie dir, Licht des Morgens, bemühe dich nicht! Die kostbare Perle des Kalifen darf sich nicht mehr anstrengen. Ich werde mich um alles kümmern. Dann lasse ich Träger und eine Sänfte kommen, um dich in dein neues Appartement zu führen …«

Sie wollte sich schon davonmachen, doch Cathérine hielt sie zurück.

»Auf keinen Fall! Ich will zurückkehren, wie ich hergekommen bin, zu Fuß. Ich liebe diese Gärten, und die Nacht ist so schön! Aber … sag mir, liegt dieses Appartement, das man mir zuweist, sehr weit von dem der Prinzessin Zobeida entfernt?« Morayma machte eine erschrockene Bewegung und zitterte sichtlich.

»O nein! Sie liegen ganz nahe beieinander. Das ist es ja, was mich beunruhigt. Die Sultanin Amina hat es gemieden und sich in den Alkazar Genil geflüchtet, um von ihrer Feindin weiter entfernt zu sein. Aber unser Herr will nicht glauben, daß seine Lieblingsschwester ihm nicht gleicht. Du wirst dich sehr in acht nehmen müssen, sie nicht zu reizen, Licht des Morgens, sonst hängt dein Leben nur an einem seidenen Faden … und mein Kopf wird unverzüglich unter dem Krummschwert des Henkers rollen. Meide besonders die Privatgärten Zobeidas. Und wenn du zufällig den fränkischen Herrn treffen solltest, den sie liebt, wende dich ab, ziehe deinen Schleier dicht vor dein Gesicht und fliehe, fliehe, wenn dir dein Leben lieb ist …«

Und sie rannte Hals über Kopf davon, als wären ihr die Mongolen Zobeidas bereits auf den Fersen. Cathérine mußte lachen, als sie Morayma so aufgeregt mit fliegenden Schleiern auf ihren kurzen, in großen Pantoffeln steckenden Beinen wie eine aufgescheuchte Ente davonwatscheln sah. Die neue Lieblingsfrau hatte keine Angst. Mit einem einzigen Schlag hatte sie sich einen Platz nach ihrer Wahl erobert, und in wenigen Augenblicken würde sie sich in unmittelbarer Nachbarschaft ihrer Feindin einrichten … Arnaud ganz nahe! Sie würde ihn sehen können, dessen war sie sicher, und bei diesem Gedanken rann das Blut schneller durch die Adern. Sie vergaß darüber sogar die bezaubernden Stunden, die sie in diesem traumhaften Garten verbracht hatte. Die Liebesnacht mit Mohammed war der Preis, den sie hatte zahlen müssen, um endlich mit den Fingerspitzen das so lange Ziel berühren zu können. Und dafür war es, alles in allem, ein geringer Preis …

Einige Augenblicke später verließ Cathérine, wieder in ihre zarten Gewänder gehüllt, hinter Morayma, die munter vor ihr hertrottete, den Djenan-el-Arif.

Die Wächter hatten schon vor einiger Zeit Mitternacht ausgerufen, als Cathérine und Morayma die von bewaffneten Eunuchen bewachten Grenzen des Harems überschritten. Ein Labyrinth von blumenüberwachsenen Gewölben, von Galerien und Durchgängen führte sie auf einen weiten Innenhof, dessen Pflanzen- und Blumengewirr schmale Alleen durchschnitten. Ein Teil der Gebäude dieses Gartens wurde durch unzählige Öllämpchen erleuchtet, aber im fast dunklen Hintergrund brannte nur eine Lampe über einem graziösen Torbogen, auf den Morayma jetzt zusteuerte. Die beiden Frauen waren noch nicht weit gekommen, als im Innern des Harems ein ungeheurer Lärm von Schreien, Gezeter und Beschimpfungen losbrach! Eine wahre Revolution! Morayma hob den Kopf wie ein altes Schlachtroß, das die Trompete hört, runzelte die Stirn und brummte:

»Es fängt wieder an! Zorah muß Unfug getrieben haben!«

»Was fängt wieder an?«

»Die Verrücktheiten der Ägypterin! Wenn der Herr sich eine andere Frau für seine Nacht erwählt, wird sie rasend! Sie muß ihre Wut an etwas oder jemandem auslassen. Gewöhnlich an einer anderen Frau, und das aus keinem anderen Grund, als um kratzen, beißen und beleidigen zu können. Die Wutanfälle Zorahs klingen erst ab, wenn Blut fließt.«

»Und das läßt du zu?« rief Cathérine empört.

»Zulassen? Du kennst mich nicht! Nun geh hinein: Dort ist die Tür. Dienerinnen erwarten dich. Ich werde gleich wiederkommen, um zu sehen, wie du untergebracht bist! Ihr anderen folgt mir!«

Damit meinte sie die beiden ebenholzschwarzen Eunuchen in brandroten Gewändern, die am Eingang zum Innenhof schweigend Wache standen. Wortlos setzten sie sich in Bewegung, zogen gleichzeitig nach Art von Dienern, die an solches Einschreiten gewöhnt waren, die Nilpferdpeitschen aus ihren Gürteln. Cathérine sah dem Trio nach, das sich durch die duftenden Alleen mit der Eile entfernte, die das Schicksal bestimmt, wenn es zuschlagen will. Bald war die junge Frau unter dem dichten, von Orangen schimmernden Blattwerk allein. Einen Augenblick war sie froh, allein zu sein, und beeilte sich nicht hineinzugehen. Die Nacht war zu schön mit ihren Düften und dem gedämpften Echo einer melancholischen Musik, das aus den erleuchteten Gebäuden zu ihr drang.

Dieser Teil zog Cathérine an wie ein Geliebter. Unbeweglich im Schatten der Sträucher verharrend, konnte sie ihre Augen nicht abwenden. Dort lagen, da gab es gar keinen Zweifel, die Gemachter Zobeidas! Um sich davon zu überzeugen, genügte es, die zehn schwarzen Eunuchen zu sehen, die unter dem Säulengang lässig, aber aufmerksam Wache hielten. Sie trugen im Gürtel keine geflochtenen Lederpeitschen, sondern große, blitzende Krummschwerter, die jedem, der sich zu nähern wagte, nichts Gutes versprachen.

Indessen brannte Cathérine darauf zu sehen, was in diesen Gemächern vorging, deren sanfter Lichtschein durch das von Jasminblüten gesternte Blattwerk drang und den roten Sand des Gartens liebkoste. Ein fast tierischer Instinkt sagte ihr, daß Arnaud sich hinter diesem Bollwerk aus Marmor und Blumen befinden mußte, so nahe, daß sie, wenn er gesprochen hätte, zweifellos seine Stimme hätte hören müssen. Sie spürte es vielleicht am Zusammenkrampfen ihres Herzens, am bitteren Geschmack der Eifersucht in ihrem Mund. Die Liebkosungen des Sultans waren ihrem Gedächtnis schon so ziemlich entschwunden, durch eine plötzliche, jähe und zerstörerische Wut auf die gewöhnliche Stufe einfacher Förmlichkeit zurückgeführt. Es war schließlich nur armselige Rache, schmutzige Berechnung, die sich mit dem Verrat ihrer unbefriedigten Sinne verbündet hatte. Und Cathérine empfand entsetzt, unvermindert und quälend den wilden Stich der Eifersucht wieder, die so alt und so primitiv wie die Liebe selbst war.

Über das zarte Spiel der Instrumente hob sich eine Frauenstimme in die Nacht, warm, ernst, voll Leidenschaft, derart erregend, daß Cathérine sich vor Ergriffenheit nicht rührte, nur gespannt horchte. Sie verstand die von dem herrlichen, samtdunklen Organ schmachtend gesungenen Worte nicht, aber ihr Instinkt, ihre Fraulichkeit sagten ihr, daß dies die glühendste Liebeserklärung war …

Sie horchte einen Augenblick, durch die geheimnisvolle Stimme derart bezaubert, daß sie gar nicht merkte, daß die Lichter in Zobeidas Pavillon fast alle erloschen. Der Garten wurde dunkler, rosiger, und heller schienen ihr die wenigen noch erleuchteten Fenster. Die Sängerin hatte den Ton gedämpft, trillerte beinahe nur noch … Und Cathérine, unfähig, der Neugier zu widerstehen, die sie verschlang, näherte sich unmerklich dem Pavillon der Prinzessin.

Sie überlegte nicht mehr. Die Vorstellung von der tödlichen Gefahr, der sie sich aussetzte, war ihr völlig entschwunden. Nur ihr Selbsterhaltungstrieb gab ihr ein, ihre Pantoffeln abzustreifen, mit nackten Füßen über den weichen Sand zu gehen, sich unter die Büsche zu ducken, um von den Wachen nicht bemerkt zu werden. Langsam schlich sie auf ein Fenster zu, das von einer exotischen Pflanze umrankt wurde, und duckte sich tief ins Gebüsch. Dornen stachen sie grausam, aber sie gab keinen Schmerzenslaut von sich, beachtete die Verletzungen nicht. Schließlich hatte sie das Fenster erreicht …

Vorsichtig, ganz vorsichtig richtete sie sich auf. Ihre Augen sahen jetzt über die Einfassung aus grüner Jade, und sie mußte sich in die Hand beißen, um nicht aufzuschreien. Direkt vor sich sah Cathérine Arnaud.

Er saß mit gekreuzten Beinen zwischen den Kissen eines riesigen Diwans aus rosenfarbenem Brokat, der mindestens die Hälfte eines kleinen, intimen und reizenden Zimmers einnahm, dessen mit grünem Kristall verkleidete Wände einen an das Innere eines riesigen Edelsteines denken ließen. Seine gebräunte Haut, sein schwarzes Haar und die weite schwarze, goldbestickte Hose, seine einzige Bekleidung, hoben sich seltsam von diesem Hintergrund weiblicher Verspieltheit ab. Mit seinen breiten Schultern und seinen kräftigen Muskeln paßte er nicht in dieses verweichlichte Milieu. Neben ihm stand eine tiefverschleierte Sklavin, die ihm den großen goldenen Becher sofort wieder füllte, den er ohne Unterlaß leerte. Er war schöner als je, doch stellte Cathérine verblüfft fest, daß sein Blick leicht flackerte. Sie begriff, daß er ziemlich betrunken war, und es versetzte ihr einen Schock. Noch nie hatte sie ihren Gatten in der Gewalt des Weins gesehen. Mit seinen geröteten Wangen und blitzenden Augen erinnerte er sie bestürzend an den barbarischen Gilles de Rais. Es war ein Unbekannter, den Cathérine hier sah.

Aber sie erkannte alsbald die Frau, die nicht weit von ihm halb ausgestreckt zwischen silberbestickten Kissen lag. Sie war die Sängerin, sie strich mit langen, schlanken Fingern zärtlich-lässig über die Saiten einer kleinen, runden Gitarre. Es war Zobeida in Person … und sie war atemberaubend schön.