Der Satz blieb unbeendet. Morayma hatte sich plötzlich zu Boden geworfen und blieb so liegen, die Hände ausgebreitet, das Gesicht flach auf dem Teppich. Auf der Schwelle des Gemachs, im graziösen Rahmen eines maurischen Bogens, stand Prinzessin Zobeida.
Ihr gelöstes Haar hing bis zu den Lenden herab, und sie trug lediglich eine Art ärmelloses Negligé aus blaugrünem Brokat, das von einem dicken Goldreif in der Taille zusammengehalten wurde, aber trotz dieses Hauskleids bot ihre zierliche Gestalt ein perfektes Bild reinen Stolzes. Catherines Herz klopfte, als Morayma ihr schnell zuzischelte:
»Steh auf und knie nieder! Es ist die Prinzessin …«
Keine Macht der Welt hätte die junge Frau zwingen können zu tun, was ihr geheißen. Sich niederwerfen vor dieser Wilden, die es wagte, ihr den Gatten zu rauben? Nicht einmal der primitivste Trieb der Selbsterhaltung konnte sie dazu nötigen! Der Haß, den diese Frau in ihr erregte, verbrannte sie. Unbeweglich, nun gerade ihren schönen Kopf stolz hebend, sah sie der anderen zornbebend mit schmalen Augen entgegen.
»Aus Mitleid … für dich und für mich, knie nieder!« zischte Morayma bestürzt, während Cathérine nur verächtlich mit den Schultern zuckte.
Inzwischen war Zobeida ans Bett getreten. Ihre großen dunklen Augen prüften die Liegende mit einer Neugier, die sich zum Zorn steigerte.
»Kannst du nicht hören, was man dir sagt? Du hast dich vor mir niederzuwerfen!«
»Warum? Ich kenne dich nicht!«
»Ich bin die Schwester deines Herrn, Frau, und als solche deine Gebieterin! Du hast dich in meiner Gegenwart nicht über den Staub zu erheben, der du bist! Steh auf und wirf dich nieder!«
»Nein!« sagte Cathérine trocken. »Ich fühle mich wohl hier und habe keine Lust aufzustehen. Aber ich hindere dich nicht, dich zu setzen.«
Sie sah, wie Wut das schöne dunkle Gesicht der anderen verdüsterte, und zitterte einen Augenblick um ihr Leben. Doch nein … Zobeida beherrschte sich. Nur ein verächtliches Lächeln kräuselte ihre roten Lippen.
»Dein Glück steigt dir zu Kopf, Frau, und ich will dir für diesmal vergeben. Aber wisse, daß ich in Abwesenheit meines Bruders hier regiere. Außerdem bist du, liegend oder auf den Knien, immer mir Untertan. Nimm dich in acht, und erweise mir in Zukunft den Respekt, den du mir schuldest, denn das nächstemal könnte ich weniger nachsichtig sein. Heute bin ich gut gestimmt.«
Jetzt war es an Cathérine, ihren aufsteigenden Zorn zu unterdrücken. Gut gestimmt? Wahrhaftig, den Grund dieser Sanftmut konnte sie nur zu gut verstehen. Sie brauchte nur das Negligé Zobeidas zu betrachten, ihr gelöstes Haar, den Schlafrock, den sie sich, aus dem Bett steigend, übergestreift hatte, die blauen Ringe unter den Augen der Prinzessin … wie lange war es her, daß sie sich aus den Armen Arnauds gelöst hatte?
Jäh wurde die drückende Stille vom schallenden Gelächter der Prinzessin unterbrochen.
»Wenn du dich sehen könntest! Du siehst aus wie eine Katze, die im Begriff ist zu kratzen! Tatsächlich, wenn du mir nicht unbekannt wärest, würde ich sagen, du haßt mich. Woher kommst du, Frau mit den gelben Haaren?«
»Ich wurde von berberischen Seeräubern erbeutet und als Sklavin in Almeria verkauft«, leierte Cathérine herunter.
»Das sagt noch nichts über dein Herkunftsland. Kommst du aus dem Frankenland?«
»Jawohl! Ich bin in Paris geboren.«
»Paris! … Die Reisenden, die mein Bruder gern empfängt, berichten, daß es seit neuestem eine durch ihre Wissenschaften und ihren Reichtum unvergleichliche Stadt sei, daß aber der Krieg und Elend sie täglich zerrütteten und verkommen ließen. Ist das der Grund, weshalb ihre Bewohner sich in die Sklaverei begeben?«
»Ich fürchte«, entgegnete Cathérine trocken, »daß du nicht viel von den Angelegenheiten meines Landes verstehst. Ich könnte sie dir übrigens kaum erklären.«
»Spielt keine Rolle! Es interessiert mich nicht! Im Grunde seid ihr, mit einigen Ausnahmen, nur gut dazu, Sklavinnen abzugeben, und ich werde niemals den Geschmack der Männer für eure weiße Haut, eure gelben Haare verstehen. Ihr seid alle reizlos!«
Mit lässiger Grazie richtete sich Zobeida auf und wandte sich, Cathérine den Rücken kehrend, zur Tür. Ehe sie über die Schwelle trat, drehte sie sich noch einmal um.
»Ah! Beinahe hätte ich es vergessen! Hör zu, was ich dir jetzt sage, Frau, und vergiß es ja nicht, wenn du leben willst! Die Laune meines Bruders, die nicht andauert, dessen kannst du sicher sein, hat dich auf den Platz einer Sultanin erhoben und in meiner Nachbarschaft untergebracht. Wenn dir jedoch daran liegt, die Sinne des Kalifen noch einige Nächte zu fesseln, dann nähere dich ja nicht meinen Gemächern. Nur die Frauen in meinen Diensten oder die, welche ich einlade, haben dieses Recht, aber ich dulde nicht, daß eine Fremde, eine Barbarin, sich bei mir einschleicht. Wenn man dich um meine Gemächer herumstreichen sieht, stirbst du!«
Cathérine antwortete nicht. Sie begriff, daß diese Strenge sich besonders gegen die Frau richtete, die aus dem Land Arnauds stammte. Einen Augenblick war sie versucht, was sie dachte, ihrer Rivalin ins Gesicht zu schleudern, hielt sich aber zurück. Was würde es nützen, den gefährlichen Zorn dieser Frau zu erregen? Durch einen Wortstreit mit Zobeida würde sie Arnaud nicht zurückgewinnen. Trotzdem konnte sie sich nicht enthalten zu murmeln:
»Verbirgst du einen Schatz in deinen Gemächern?«
»Du bist zu geschwätzig und zu neugierig, Frau mit dem gelben Haar! Und ich habe jetzt keine Geduld mehr mit dir. Danke Allah, daß ich meinen Bruder nicht betrüben will, indem ich ihm ein Spielzeug zerschlage, dessen er noch nicht überdrüssig ist! Aber zähme deine Zunge und verhülle deine Augen, wenn du beides behalten willst! Blind und stumm wärest du zu nichts mehr nütze! Merke dir: Komme meinen Gemächern nicht zu nahe! Im übrigen … wirst du nicht lange meine Nachbarin bleiben.«
»Warum nicht?«
»Weil du mich enttäuscht hast! Man erzählte sich Wunder im Palais über dich, und ich wollte eine so außergewöhnliche Schönheit sehen, aber …«
Während sie sprach, war Zobeida zu Cathérine zurückgekehrt. Ihre lässige, katzenhafte Haltung erinnerte an ein schwarzes Pantherweibchen. Sie beugte sich jetzt hinunter, und der Herzschlag der jungen Frau setzte aus, als die Prinzessin aus dem Obstkorb einen großen, rosig-flaumigen Pfirsich nahm und mit ihren kleinen, scharfen Zähnen gierig hineinbiß. Da Cathérine nicht wußte, was der Korb genau enthielt, zitterte sie, die andere könne es vor ihr entdecken. War es zwischen den Früchten? … Oder in einer Frucht? Bei Abu al-Khayr konnte man nie wissen. Mit großen Augen sah sie zu, wie Zobeida die Frucht aß, deren Saft ihr an den Fingern herunterrann. Als sie fertig war, warf die Prinzessin den Stein auf Cathérine, als wäre sie ein Abfalleimer, und geruhte, ihren Satz zu beenden.
»Aber du bist gar nicht so schön, wie ich glaubte! Nein, tatsächlich kenne ich Schönere als dich!«
Wieder beugte sie sich nieder, wählte diesmal eine schwarze, violett schillernde Feige und ging endlich lässigen Schrittes hinaus. Es war aber auch Zeit! Außer sich vor Zorn, hatte Cathérine bereits eine große, süße Melone ergriffen und wollte sie als Wurfgeschoß benutzen. Aber der meerfarbene Brokat Zobeidas war schon durch die Tür verschwunden, und die Frucht fiel Cathérine aus den Händen, während Morayma endlich stöhnend aufstand. Während des ganzen Gesprächs war sie auf der Erde liegengeblieben. Zobeida hatte vergessen, ihr zu befehlen aufzustehen. Von der Kühnheit Catherines entsetzt, hatte sie vorgezogen, in Vergessenheit zu geraten, und es war ihr ganz gut gelungen, mit dem dicken Seidenteppich zu verschmelzen. Aber ihre Gelenke schmerzten vom langen Liegen. »Allah!« brummte sie. »Meine Knochen knacken wie Holz im Feuer! Was ist eigentlich in dich gefahren, Licht des Morgens, der furchtbaren Zobeida die Stirn zu bieten? Wirklich, ich wundere mich, daß du noch lebst. Die Prinzessin muß eine schöne Nacht verbracht haben, daß sie sich so großmütig zeigt!«
Diese vielsagenden Worte waren mehr, als Cathérine ertragen konnte.
»Hinaus!« zischte sie zwischen zusammengepreßten Zähnen. »Geh! Geh mir aus den Augen, wenn du nicht willst, daß ich mich beim Kalifen bei seiner Rückkehr über dich beschwere!«
»Was ist denn los?« fragte die alte Jüdin erstaunt. »Ich habe doch nichts Beleidigendes gesagt.«
»Ich will meine Ruhe haben, verstehst du? Ruhe! Verschwinde und laß dich nicht blicken, bis ich dich rufe. Ich habe dir bereits gesagt, daß ich schlafen will. Schlafen, ist das klar?«
»Gut, gut, ich gehe schon …«
Beeindruckt durch den wütenden Ton der neuen Favoritin, hielt Morayma es für das klügste, sich davonzumachen. Allein geblieben mit ihrem Zorn, verschwendete Cathérine indessen keine Zeit, ihm freien Lauf zu lassen. Sie zog den Fruchtkorb zu sich heran und machte sich daran, ihn zu leeren, indem sie die Früchte auf ihr Bett häufte. Es war eine ganz schöne Menge, und sie mußte bis zum Boden hinunterfassen, um zu finden, was sie suchte, ohne zu wissen, was es sein könnte. Abu al-Khayr war ein vorsichtiger Mann.
Neben der vergoldeten Korbwand fand Cathérine drei Dinge, deren eines ihr einen Freudenschrei entlockte: ihren teuren Dolch, den treuen Gefährten ihrer schwierigsten Tage. Die anderen Gegenstände waren ein Arzneifläschchen in einem Silberetui und ein Brief, den sie durchflog.
»Wenn der Reisende in einen tiefen Wald eindringt, wo wilde Tiere drohend knurren, braucht er eine Waffe, um sein Leben zu verteidigen. Du hast eine große Dummheit begangen, indem du dich ohne meinen Rat entferntest, denn ich hatte dir ein weniger glanzvolles … aber auch weniger exponiertes Schicksal gewünscht. Doch wer sich gegen den Willen Allahs aufbäumen will, ist ein Wahnsinniger, und du bist nur deinem Schicksal gefolgt. Deine Diener wachen aus der Ferne über dich. Josse hat in die Wache des Wesirs eintreten können. Er ist jetzt in der Alkazaba einquartiert, neben dem Palast. Doch Gauthier hat große Mühe, den stummen Diener zu spielen, der er an meiner Seite zu sein hat. Er folgt mir überallhin, und ich gedenke dem Herrn der Gläubigen zahlreiche Besuche abzustatten, wenn er zurück sein wird. Bis dahin überstürze nichts. Auch die Geduld ist eine Waffe.
Das Fläschchen enthält ein schnell wirkendes Gift. Der Weise ist stets auf einen Fehlschlag vorbereitet … und die mongolischen Henkersknechte der Prinzessin verstehen es zu gut, Symphonien des Leidens auf den armen menschlichen Harfen zu spielen …«
Darunter stand natürlich keine Unterschrift. Schnell verbrannte Cathérine den Brief auf den Kohlen der großen bronzenen Räucherpfanne in der Mitte des Zimmers. Zwar war der Brief in französischer Sprache geschrieben, aber dieser Palast barg zu viele Überraschungen, als daß man ihn nicht vernichten mußte … Cathérine sah zu, wie das Baumwollpapier sich bog, schwarz wurde und sich dann in feine Asche verwandelte. Jetzt fühlte sie sich unendlich besser, der Geist war freier und leichter. Nachdem sie nun bewaffnet war, schienen ihr die Chancen besser verteilt, da sie die Macht hatte, die arrogante Zobeida niederzustoßen und so endgültig den Armen Arnauds zu entreißen, selbst wenn sie ihm darauf in den Tod folgen müßte. Den kalten Stahl der Waffe an ihr Herz drückend, legte Cathérine sich wieder in ihre Kissen zurück. Sie mußte überlegen, wie sie weiter vorgehen sollte.
12
Auf einem riesigen gestickten Lederkissen sitzend, schlürfte Marie, die junge französische Odaliske, mit katzenhafter Anmut einen Rosensorbett. Schweigend betrachtete sie Cathérine, die, auf dem Bauch liegend, das Kinn in die Hand gestützt, düster ihrem Schicksal nachsann. Zu dieser Stunde der Siesta hatten sich Schweigen und Ruhe über das ganze Palais gesenkt. Nur die Sklavinnen, deren Aufgabe es war, riesige Federfächer über den schönen Schlafenden hin und her zu bewegen, rührten sich ein wenig. In der heißen Luft draußen schienen selbst die Pflanzen versteinert.
Zobeidas Besuch vor drei Tagen hatte alle Pläne Catherines zunichte gemacht. Nicht zufrieden damit, daß sie ihr jede Annäherung an ihre Gemächer verbot, hatte die Prinzessin noch besondere Vorkehrungen bezüglich ihrer Nachbarin getroffen. Als nämlich die junge Frau ihr Gemach hatte verlassen wollen, um sich mit ihren Dienerinnen in den Garten zu begeben, hatten sich plötzlich zwei Lanzen vor ihr gekreuzt, und eine gutturale Stimme hatte ihr den Befehl erteilt, in ihr Zimmer zurückzukehren. Und als sie gegen dieses erzwungene Klosterleben aufbegehrte, hatte der mit ihrer Überwachung besonders betraute Eunuch ihr bedeutet, daß die kostbare Favoritin während des Kalifen Abwesenheit Tag und Nacht bewacht werden müsse, aus Furcht, es könne ihr etwas zustoßen.
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