»Zustoßen? In diesem Garten?«
»Die Sonne brennt heiß, das Wasser ist gefährlich, die Insekten stechen, und die Viper bringt den Tod!« hatte der Schwarze gleichmütig erwidert. »Die Befehle sind klar. Du mußt in deinen Gemächern bleiben.«
»Bis wann?«
»Bis der Herr zurückkehrt.«
Cathérine hatte nicht weiter darauf bestanden. Zudem hatte die seltsame Fürsorge Zobeidas etwas Beunruhigendes, denn sie machte sich keine Illusionen über die Gefühle, die die Prinzessin ihr gegenüber hatte: Ohne sie zu kennen, haßte Zobeida sie, zweifellos instinktiv, so unbändig, wie nur sie es konnte. Warum also diese aufmerksame Bewachung, diese strengen Anweisungen? Zobeida konnte die Bande nicht ahnen, die sie an Arnaud fesselten. Sie war für die stolze Prinzessin nur eine Sklavin mehr, eine Frau wie die anderen, selbst wenn die Laune des Fürsten sie einen Augenblick über ihresgleichen erhob. Fürchtete sie etwa, daß ihr Gefangener, wenn er von der Neuen nur erführe, sich zu sehr für sie interessierte? Genügte die Tatsache allein, daß Cathérine demselben Volk wie Arnaud angehörte, um ihr Vorgehen zu begründen? Die einfache Furcht vor den Henkern müßte normalerweise doch ausreichen, die Favoritin den Gemächern der Prinzessin fernzuhalten …
Seit drei Tagen hatte Cathérine gegrübelt, um auf alle diese Fragen eine Antwort zu finden, aber vergebens. Als sie Morayma ausfragte, war sie merkwürdig zurückhaltend geworden. Sie duckte sich, schien sich so klein wie möglich machen zu wollen, und wenn sie die Augen zu Cathérine hob, dann mit einem aus Hoffnung und unüberwindlicher Furcht gemischten Blick. Ihre Besuche waren bemerkenswert kurz. Sie kam, um sich nach den Wünschen der jungen Frau zu erkundigen, und verschwand wieder mit sichtlicher Eile. Cathérine begriff nicht mehr, was um sie herum vor sich ging, aber die Furcht vor der Nachricht, daß Zobeida und infolgedessen auch Arnaud nach den fernen Ländern des Maghreb aufgebrochen seien, zerrte allmählich an ihrer Widerstandskraft und an ihren Nerven. Besonders die Nächte, in denen ihre wirre Phantasie sich ihrer Eifersucht bemächtigte, waren unerträglich, und Cathérine war bereits an dem Punkt angelangt, sich Hals über Kopf in die größte Dummheit zu stürzen, die ihr in den Sinn käme, als am Morgen des vierten Tages Marie-Aicha traditionsgemäß tief verschleiert, aber lächelnd gekommen war.
»Ich habe mir gedacht, daß du dich langweilst«, hatte sie zu der jungen Frau gesagt, den Schleier zurückschlagend, »und Morayma hat mir nur geringe Schwierigkeiten gemacht, dich hier aufzusuchen.«
»Haben die Eunuchen dich passieren lassen?«
»Warum denn nicht? Sie haben Befehl, dich am Ausgehen zu hindern, aber Besuche kannst du empfangen.«
Die Anwesenheit Maries tat Cathérine gut. Es war eine freundschaftliche Atmosphäre, und außerdem kam das junge Mädchen aus demselben Land wie sie: aus Burgund. Verblüfft hatte Cathérine, als sie sich ihre Geschichte anhörte, entdeckt, daß diese der ihren sehr ähnelte. Das hübsche junge Mädchen aus den Weinbergen von Beaune hatte das Pech gehabt, die Aufmerksamkeit eines Sergeanten Herzog Philippes zu erregen. Dieser Mann, der sich der Gunst seines Herrn erfreute, hatte verlangt, daß Marie Vermeil ihm angetraut werde, und in das Häuschen von Beaune war der Befehl geflattert, die Hochzeit vorzubereiten. Marie hätte die Sache vielleicht mit philosophischem Gleichmut hingenommen, denn der Sergeant Colas Laigneau war ein ganz hübscher Junge, wenn sie nicht seit langem schon in ihren Vetter Jehan Goriot verliebt gewesen wäre, dem sie Treue und Liebe geschworen hatte.
Jehan war ein ziemlich übles Subjekt, immer knapp an Geld, aber nie knapp an Mädchen und von fabelhaften Abenteuern träumend. Er war nicht auf den Mund gefallen, hatte eine blühende Phantasie, und Marie wurde durch seine Nähe angeregt. Trotz seiner zahlreichen Treulosigkeiten betete sie ihn an, so wie er war, und als ihr der Befehl des Herzogs überbracht worden war, Colas zu heiraten, hatte Marie den Kopf verloren und Jehan angefleht, sie zu entführen und mit ihr in jene südlichen Länder voll Sonne und Blumen zu fliehen, von denen er ihr dauernd erzählte, seit ein durchreisender Minnesänger ihm von ihnen geschwärmt hatte.
Auf seine Art liebte Jehan Marie. Sie war schön und klug. Er begehrte sie heftig, und der Gedanke, sie zu entführen, besonders, wenn er sie dadurch einem anderen wegschnappte, behagte ihm durchaus. Aber dazu brauchte man Geld. Und so begingen sie ihre schlechte Tat: Marie hatte sich die Hälfte der Ersparnisse ihres Vaters ausgeborgt, ohne es ihm natürlich zu sagen, während Jehan das Haus des Pächters plünderte, der auf seinen Landbesitz in Meursault gereist war. In derselben Nacht, einer sehr dunklen Nacht, waren die beiden Liebenden in Richtung der Saône geflohen, um nicht mehr wiederzukehren. Doch Marie, die geglaubt hatte, dem Glück entgegenzureisen, wurde bald eines Besseren belehrt.
Gewiß, Jehan hatte sie die Liebe gelehrt, und sie hatte Geschmack daran gefunden, aber indem sie sich ihm gab, hatte Marie allmählich jeden Wert in den Augen ihres Geliebten verloren. Und da sie ihn zu sehr liebte, wurde sie ihm schließlich lästig. Überdies lockten den Jungen die schwarzäugigen Schönen des Südens, so daß er bald nur noch einen Gedanken im Kopf hatte: sich Maries zu entledigen, die nicht aufhörte, von Heirat zu sprechen. Und dazu hatte er sich das niederträchtigste, gemeinste Mittel ausgesucht, das sich denken ließ: Mit der frischen Schönheit seiner Verlobten rechnend, hatte er sie an einen griechischen Händler aus Marseille verkauft, der das junge Mädchen nachts entführt, auf sein Handelsschiff gebracht und es auf dem Sklavenmarkt von Alexandrien dem Lieferanten Sarrazin des Kalifen von Granada weiterverkauft hatte.
»Und so bin ich hierhergekommen«, schloß Marie schlicht. »Meine Entscheidung habe ich sehr bald bereut … und das Haus meiner Eltern vermißt. Dieser Colas war vielleicht gar nicht so übel. Ich hätte glücklich mit ihm werden können!«
»Und Jehan?« hatte Cathérine leidenschaftlich gefragt.
Die klaren Augen der Kleinen hatten mörderisch gefunkelt. »Wenn ich ihn eines Tages treffe, töte ich ihn!« versicherte sie so ruhig, daß Cathérine keinen Augenblick an dieser Erklärung zweifelte. Worauf sie, durch das Vertrauen ermutigt, das Marie ihr bezeigt hatte, ihrerseits ihrer neuen Freundin ihre Geschichte erzählte.
Es hatte lange Zeit in Anspruch genommen, aber Marie hatte sie von Anfang bis Ende angehört, ohne sie zu unterbrechen. Erst als die junge Frau ihren Bericht beendet hatte, seufzte Marie:
»Was für eine fabelhafte Geschichte! Also ist der geheimnisvolle Franke Euer Gatte? Und ich hielt dich … hielt Euch für ein armes Mädchen wie mich. Jetzt weiß ich, wo ich Euch gesehen habe: in Dijon, wohin mein Vater mich zur Messe mitnahm. Ich war noch sehr jung, aber ich habe die betörende Erinnerung an eine wunderbar schöne und wie die Sonne prächtige Dame nicht vergessen.«
»Du wirst finden, daß ich mich verändert habe!« bemerkte Cathérine etwas bitter. »Und es gibt gar keinen Grund, ›Ihr‹ zu mir zu sagen. Heute gibt es keine Schranke mehr zwischen uns.«
»Verändert?« meinte die Kleine ernst. »Gewiß, ihr habt Euch verändert, aber damals war Euer Schmuck fast im Wege, um Eure Schönheit wirklich schätzen zu können. Jetzt ist sie viel augenscheinlicher. Ihr seid anders, das ist alles!«
»Ich flehe dich an«, bat Cathérine artig, »behandle mich nicht wie eine große Dame! Einfach als Freundin, ich habe wirklich eine nötig.«
Worauf Marie freudig zugestimmt hatte, das zeremonielle Ihr beiseite zu lassen, und das Eis zwischen den beiden jungen Frauen war endgültig gebrochen, denn sie hatten sich als Komplicen gefunden, fast so eng wie durch Blutsbande miteinander verbunden. Marie, Cathérine mit Leib und Seele ergeben, wurde ihre Verbündete in Freud und Leid.
»Versprich mir, mich mitzunehmen, wenn du fliehst, und ich werde alles tun, um dir zu helfen! Du mußt unter Zobeida ja sehr leiden.«
»Wenn ich diesen Palast und diese Stadt verlasse, kommst du mit, ich schwöre es dir.«
Dann hatte das junge Mädchen ihrer neuen Freundin einige höchst interessante Dinge mitgeteilt.
»Du bist in Gefahr«, sagte sie zu ihr. »Wenn der Kalif nicht zurückkehrt, wirst du keine Stunde mehr leben.«
»Warum sollte er nicht zurückkehren?«
»Weil Haben-Ahmed Banu Saradj, der Großwesir, ihn fast ebenso haßt, wie er Zobeida begehrt, deren Liebhaber er vor der Ankunft des fränkischen Ritters war. Er will sich außerdem des Throns bemächtigen, um ihn mit der Prinzessin zu besteigen … und dieser sogenannte Aufmarsch Yusufs, des alten Kalifen und Vater Mohammeds, gegen seinen Sohn besagt gar nichts. Die beiden Männer lieben sich nicht, aber Yusuf ist der Macht überdrüssig. Es bedarf schon der Naivität seines Sohnes, um zu glauben, daß er einen Thron wieder einzunehmen wünscht, den er aus freien Stücken aufgegeben hat. Der Naivität und der Einflüsterungen Banu Saradjs … Ich fürchte sehr, daß der Herr in einen wohlvorbereiteten Hinterhalt geraten ist.«
»Dann«, sagte Cathérine erblassend, »bin ich also verloren?«
»Noch nicht! Mohammed ist zwar naiv, aber tapfer. Er ist ein Krieger, er kann sich durchschlagen. Deshalb begnügt sich Zobeida damit, dich bewachen zu lassen. Wenn ihr Bruder zurückkehrt, hat sie, wenn auch vielleicht etwas zu fürsorglich, über die Favoritin ihres vielgeliebten Bruders gewacht. Und wenn die Nachricht vom Tod des Kalifen hier eintrifft, lebst du keine Stunde länger!«
»Warum? Was habe ich getan?«
»Du nichts. Aber Zorah, die Ägypterin, hat dich aufs Korn genommen. Sie ist bei der Prinzessin wohlgelitten, der gegenüber sie immer eine widerliche Unterwürfigkeit an den Tag gelegt hat. Und da Zorah deinen Tod um jeden Preis will, hat sie Phantasie bewiesen … ich möchte sagen, fast Genialität, denn sie hat, ohne es zu wissen, die Wahrheit entdeckt!«
»Was willst du damit sagen?«
»Daß eine einzige Person es wagt, sich dem Kalifen zu widersetzen: Zobeida. Du mußtest sie dir zur erbarmungslosen Feindin machen. Dazu gab es ein Mittel: ihre Eifersucht auf alles, was mit dem fränkischen Kriegshelden zusammenhängt. Zorah machte sich die Tatsache zunutze, daß du aus demselben Land stammst, und hat der Prinzessin eingeflüstert, du seist in ihren Gefangenen verliebt und wolltest dich ihm nähern!«
Cathérine stieß einen Entsetzensschrei aus, erstickte ihn aber sofort mit zitternder Hand.
»Das hat sie gesagt? Mein Gott, dann bin ich verloren! Wie kommt es, daß ich nicht schon …«
»… den mongolischen Henkern ausgeliefert worden bin? Das genau hat Zorah gehofft, da sie Zobeidas Temperament kennt. Aber die Prinzessin ist nicht verrückt: Dich während seiner Abwesenheit zu töten, dich, in die sich der Kalif auf den ersten Blick so leidenschaftlich verliebt hat, hieße ihre Mitwirkung am Komplott Banu Saradjs eingestehen, hieße offen verkünden, daß sie hoffe, ihn nicht mehr lebend wiederzusehen. Wenn er wiederkehrt, wird er dich unversehrt antreffen, doch sei gewiß, daß du dich seiner Zärtlichkeiten nicht mehr lange erfreuen wirst. Die Henker wirst du nicht zu fürchten brauchen, aber es wird dir ein Unfall zustoßen, der so gut getarnt ist, daß Zobeida nicht in Verdacht gerät. Sie kennt ihren Bruder und weiß, daß er unter dem äußeren Anschein eines sanftmütigen Dichters einen Hang zur Wildheit verbirgt, der ihrem eigenen ebenbürtig ist. Seine Zornesausbrüche sind selten, aber gefährlich. Und sein Verlangen nach dir muß heftig sein … wenn man dem hier glauben darf!«
Marie deutete auf einen mit Saphiren besetzten Samtüberzug, in dem sich eine Papierrolle mit Gedichten befand, die Mohammed seiner Vielgeliebten geschickt hatte. In den letzten Tagen hatte Cathérine auf diese Weise einen mit einer Schnalle aus großen rosafarbenen Perlen zusammengehaltenen weißen Federbusch, einen goldenen Käfig mit blauen Papageien und ein außerordentliches Kunstwerk erhalten: einen massiv-goldenen Pfau, dessen ganz mit Edelsteinen besetzter Schweif sich fächerartig ausbreitete.
»Das ist übrigens sehr beruhigend«, schloß Marie. »Es beweist zumindest, daß der Herr der Gläubigen noch am Leben ist … gebe Allah, daß er es behält!«
Die Sklavinnen trugen das Mahl herein, und die beiden Frauen hatten ihr vertrauliches Gespräch unterbrochen. Während Marie jedoch den zahlreichen Gerichten, die man ihr vorsetzte, freudig zusprach, verfiel Cathérine in tiefes Sinnen, das zu stören sich Marie wohl hütete. Die Lage war noch schlimmer, als sie es sich vorgestellt hatte. Jeden Augenblick konnte die Nachricht vom Tode Mohammeds eintreffen … und dann! … Gott allein wußte, wie viele Minuten ihr noch zu leben blieben. Sie hätte nicht einmal mehr die Möglichkeit, Arnaud zu benachrichtigen, und sie würde ganz in seiner Nähe sterben, ohne daß er es ahnte. Und was ihre Freunde betraf, wie konnte sie sie zu Hilfe rufen? Josse, der in die Truppe des Kalifen eingetreten war, befand sich in Gefahr, aber wie sollte sie ihm Nachricht geben? Konnte sie Fatima rufen lassen und ihr einen Brief an Abu al-Khayr anvertrauen? Würde der Brief ankommen? Und immer kehrte dieselbe quälende Frage wieder: Würde sie noch Zeit dazu haben?
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