Marie, die ihren Sorbett ausgetrunken hatte, machte sich eben daran, große, zuckrig glänzende Datteln zu knabbern, fest entschlossen, Catherines Überlegungen nicht zu unterbrechen, als diese sich ihr jäh zuwandte und ihr offen in die Augen blickte. »Da es nun so ist«, erklärte sie ruhig, »habe ich keinen Augenblick zu verlieren. Ich muß noch heute handeln.«

»Was wirst du tun?« Cathérine antwortete nicht sofort.

Ehe sie die entscheidenden Worte sprach, gewährte sie sich noch eine letzte Bedenkzeit, weil es schließlich ihr Leben war, das sie aufs Spiel setzen würde, und weil dieses Mädchen ihr noch vor drei Stunden fast unbekannt gewesen war. Aber die kleine Marie sah sie mit so offenen, treuherzigen Augen an, daß die leichte Voreingenommenheit, die Cathérine noch beherrschte, rasch verflog. Wenn sie dieser Kleinen kein Vertrauen schenken konnte, dann konnte sie an keinen Menschen mehr glauben. Außerdem drängte die Zeit. Sie entschloß sich. »Ich muß hier heraus, muß meinen Gatten sprechen …«

»Das ist klar. Aber wie? Es sei denn …«

»Es sei denn?«

»Wir tauschen unsere Kleider, und du gehst an meiner Statt. Dieses Gewand hat sein Gutes: Um zu wissen, wer wirklich in dem Schleierbündel steckt, muß man schon sehr ausgekocht sein. Außerdem haben wir dieselbe Hautschattierung, und wenn du die Lider senkst, sieht man die Augenfarbe nicht.« Catherines Herz schlug stärker, aber auch regelmäßiger. Marie hatte es geahnt und schlug ganz natürlich vor, was sie von ihr zu erbitten noch gezögert hatte. Sie nahm die Hand der Kleinen. »Bist du dir darüber klar, Marie, daß du in dieser Sache dein Leben riskierst? Wenn jemand kommt, während ich fort bin …«

»Dann werde ich sagen, du hättest mich überwältigt und gefesselt. Es ist nicht schwer, hier jemand zu fesseln. An feinen und festen Geweben fehlt es nicht. Wenn jemand kommt, werde ich gedeckt sein … oder beinahe. Wenn niemand kommt, wirst du mich losbinden, wenn du zurückkehrst, und alles ist in Ordnung!«

»Wie willst du meine Abwesenheit erklären, wenn Morayma hereinkommt?«

»Ich werde sagen, du ersticktest hier und wolltest unbedingt frische Luft schöpfen.«

»Und dazu habe ich dich gefesselt und dir die Kleider abgenommen?«

»Warum nicht? Wenn du die unwahrscheinlich verrückten Ideen kennen würdest, welche die Langeweile den Frauen in diesem Harem eingibt, wüßtest du, daß Morayma nichts mehr erstaunen kann! Trotzdem, nimm dich in acht. Was du vorhast, ist außerordentlich gefährlich. Mit dem fränkischen Ritter sprechen zu wollen bedeutet, den Tod zu suchen. Wenn Zobeida dich überrascht, kann dich nichts, nicht einmal der Gedanke an den Zorn ihres Bruders, vor ihrer Wut retten. In solchen Augenblicken ist sie taub und blind allem anderen gegenüber.«

»Um so schlimmer! Wer nichts riskiert, bekommt nichts. Was mir aber Sorge macht, ist, wie ich an den Wachtposten vorbeikommen soll. Der Privatgarten Zobeidas liegt auf der anderen Seite ihrer Gemächer, nicht wahr? Und ich habe sagen hören, daß mein Gemahl dort einen abgesonderten Pavillon bewohnt.«

»In der Tat. Man nennt ihn das Prinzenpalais, weil er für einen Bruder des Sultans Mohammed V. erbaut worden ist. Er steht am Rande eines Bassins mit blauem Wasser. Der fränkische Herr verläßt ihn nur, um auf die Jagd zu gehen … und das nur unter guter Bewachung. Zobeida hat zu große Angst, daß das Heimweh nach seinem Geburtsland schwerer wiegen könnte als ihre Reize, und hat den Großwesir zu seinem bevorzugten Aufseher gemacht.«

»Ich dachte, er sei in sie verliebt?«

»Grausamkeit nach Art Zobeidas. Banu Saradj verabscheut seinen Nebenbuhler und hofft ohne Zweifel, sich seiner entledigen zu können, wenn er erst einmal Sultan ist, aber im Augenblick ist ihm nichts wichtiger, als seiner Prinzessin zu Gefallen zu sein. Sie könnte sich keinen besseren Wächter aussuchen und weiß es sehr gut. Aber zurück zu unserem Plan. Es ist nicht so schwierig, in Zobeidas Garten zu gelangen. Nahe meinem Gemach gibt es eine kleine Pforte, die immer verschlossen ist, die man aber mit einem Eisenplättchen und etwas Geschicklichkeit aufbrechen kann. Sie führt in die Gärten. Eine Mauer trennt den Garten Zobeidas ab, aber sie ist ziemlich niedrig, und jeder Behende kann sie leicht übersteigen, indem er sich an den Ästen der an ihr stehenden Zypressen festhält. Du müßtest es schaffen, nach all deinen Abenteuern.«

»Schaff ich auch. Aber warum flieht mein Gemahl nicht, wenn die Mauer so leicht zu überwinden ist?«

»Weil das Prinzenpalais von den treuesten Eunuchen Zobeidas streng bewacht wird. Sie sind zahlreich, blind ergeben, und ihre Krummschwerter sind scharf.«

Das klang offensichtlich nicht beruhigend. Cathérine ließ indessen die besorgniserregenden Einzelheiten beiseite und machte sich daran, sich genau über den zu verfolgenden Weg klarzuwerden, um zuerst das Zimmer Maries zu erreichen, ohne Neugier zu erwecken, dann von da aus die berühmte kleine Pforte, die die junge Odaliske ihr eingehend beschrieb. »Man würde sagen, daß du sie gut kennst!« bemerkte Cathérine.

»In den Gärten des Kalifen wachsen besonders saftige, riesige Pflaumen, die nur seinem Tisch vorbehalten sind … und ich bin doch so schrecklich gefräßig!«

Cathérine mußte lachen. Die beiden Freundinnen plapperten weiter, drauf wartend, daß der Tag sich neigte.

Denn der Plan, den sie ausgeheckt hatten, ließ sich nicht im vollen Sonnenlicht ausführen, und Cathérine, die es um so eiliger hatte, zu ihrem Gatten zu gelangen, als jede Nacht ihr Qualen bereitete, kamen die Stunden unendlich lang vor.

Sie wußte nur zu genau, wie Zobeida ihre Nächte verbrachte. Mit wahrer Erleichterung sah sie die Dämmerung hereinbrechen. Als die Sklavinnen mit den Abendgerichten erschienen, befahl sie ihnen, alles hinzustellen und zu verschwinden.

»Wir kommen wieder, um dich zu Bett zu bringen, Herrin«, sagte die Obersklavin.

»Nein. Ich gehe allein schlafen. Meine Freundin wird noch einen Augenblick bei mir bleiben. Wir wollen, daß man uns in Ruhe laßt. Teile Morayma vorsorglich mit, daß ich sie von ihrem Abendbesuch entbinde. Ich brauche nichts als Ruhe. Du kannst einen Teil der Lampen löschen. Das viele Licht schmerzt mich.«

»Wie du willst, Herrin! Ich wünsche dir eine angenehme Nacht!«

Sobald die Sklavinnen gegangen waren und die beiden Frauen in sanftem Halbschatten zurückgelassen hatten, aßen sie ein paar Hammelklöße und Honigkuchen und machten sich dann an die Ausführung ihres Plans. Marie schlüpfte aus ihren Kleidern und reichte sie Cathérine, die ihr ihre Gewänder gab. Sie hatten ungefähr die gleiche Figur, doch Cathérine war ein wenig kleiner. Sie mußte den Gürtel der Hose aus nachtblauem Musselin, die Marie getragen hatte, um die Taille enger schnüren. Dann zerrissen die beiden Frauen die langen Schleier und machten daraus Fesseln, mit denen Cathérine ihre Freundin festband, nachdem diese sich in ihr Bett gelegt hatte.

»Vergiß nicht, mich zu knebeln«, betonte Marie. »Sonst sieht es nicht überzeugend aus!«

Mit einem Seidenschal war das schnell zu bewerkstelligen, doch ehe ihre Gefährtin ihr den Mund schloß, empfahl Marie:

»Bleibe auf jeden Fall verschleiert, selbst wenn der Schleier dir beim Übersteigen der Mauer hinderlich ist. Wenn du dein Gesicht nicht zeigst, wird die Sache weniger ernst werden, falls man dich erwischt. Nicht viel weniger natürlich, aber du mußt alle Chancen zu deinen Gunsten nutzen. Und nun, Gott befohlen!«

»Das wünsche ich dir auch, Marie. Sei beruhigt, ich werde das Versprechen, das ich dir gegeben habe, halten, es sei denn, ich stürbe!«

»Das versteht sich von selbst. Steck mir jetzt den Knebel in den Mund!«

Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß die Gefangene trotz allem nicht zu schlecht versorgt war, denn ihre Gefangenschaft konnte mehrere Stunden dauern, beugte Cathérine sich zu ihr hinunter, küßte sie auf die Stirn und sah Maries Augen im Schatten blitzen. Dann zog sie sorgsam die rosafarbene Bettdecke über sie und trat ein paar Schritte zurück, um die Wirkung zu prüfen. Die leichte feine Seidendecke reichte Marie bis zur Nase, und im Halbdunkel des Zimmers war die Täuschung vollkommen.

Cathérine hüllte sich in den blauen Schleier ihrer Freundin. Darunter trug sie nichts als die Hose und ein Jäckchen mit kurzen Ärmeln, das ihre Brüste gerade bedeckte und unter ihnen abschloß. Trotz des Schleiers konnte sie sich frei genug bewegen, und nachdem sie Marie noch ein Lebewohl zugeflüstert hatte, ging sie festen Schrittes zur Tür.

Instinktmäßig kreuzten die Wachen die Lanzen, aber sie murmelte, so gut sie konnte, die Stimme des jungen Mädchens nachahmend:

»Ich kehre zurück. Laßt mich passieren, ich bin Aicha!«

Einer der Eunuchen wandte ihr sein großes schwarzes Gesicht mit der plattgedrückten Nase zu und grinste.

»Ziemlich spät, Aicha! Was macht die Favoritin?«

»Sie schläft«, antwortete Cathérine, beunruhigt über diese unerwartete Frage. »Laßt mich durch.«

»Ich muß mich vergewissern, daß du nichts bei dir trägst«, sagte er, seine Lanze an die Mauer lehnend. »Die Favoritin hat wunderbare Schätze bekommen …«

Die schwarzen Hände machten sich daran, sie mit einer Beharrlichkeit und Taktlosigkeit zu betasten, die die empörte junge Frau zweifeln ließen, ob dieser Schwarze seine ganze Männlichkeit verloren hatte. Sie wußte bereits, daß es bei diesen widerwärtigen Wesen unvollkommene Entmannungen gab, die noch merkwürdige Lüste übrigließen. Der da mußte zu dieser Kategorie gehören. Doch als er ihren Gürtel aufschnallen wollte, um seine Untersuchungen weiter unten fortzuführen, brauste sie auf.

»Laßt mich zufrieden! Sonst rufe ich.«

»Wen? Mein Kamerad ist taubstumm und verabscheut die Frauen.«

»Die Favoritin!« sagte Cathérine keck. »Sie ist meine Freundin. Wenn ich sie rufe, wird sie kommen, und dann geht's dir schlecht! Sie wird bestimmt deinen Kopf vom Kalifen fordern, der ihr eine so bescheidene Bitte nicht abschlagen wird.«

Mit Befriedigung sah sie das schwarze Gesicht vor Furcht grau werden. Der Eunuch ließ von ihr ab, nahm seine Lanze und zuckte die Schultern.

»Wenn man nicht mal ein bißchen scherzen darf … Geh deines Wegs und schnell! Es wird sich finden …«

Sie ließ es sich nicht zweimal sagen und schlug, den Schleier wieder um sich drapierend, den Weg in den Schatten des Innenhofes ein. Ohne zu zögern, durchquerte sie den Garten, ging unter einem Wachtturm hindurch und befand sich im Herzen des Harems, im Saal der Zwei Schwestern, so genannt nach den beiden Zwillingsfliesen, die die mittlere Verzierung bildeten. Hier begann die Gefahr, denn mehrere Frauen waren in diesem rot-blau-gold spiegelnden Saal versammelt, der wie eine unterseeische Grotte unter luftigen Kuppeln schimmerte. Auf Kissen, Teppichen oder Diwanen ausgestreckt, plauderten sie, knabberten Süßigkeiten oder schlummerten. Einige schliefen dort, weil sie kein eigenes Zimmer hatten. Das Ganze bot ein prächtiges, warmes und farbiges Bild.

Zur großen Erleichterung Catherines beachtete sie niemand. Wenn die eine oder andere von ihnen nicht zum Kalifen gerufen wurde, interessierten sich die Frauen des Harems nicht dafür, was ihre Gefährtinnen machten. Ihr Leben verlief völlig gleichartig, enthielt nichts als Gleichgültigkeit und Langeweile. Cathérine ging durch den Saal und wiederholte unaufhörlich im Geist Maries Hinweise, die verhüten sollten, daß sie sich verliefe und den Anschein erwecke, als sei sie mit der Örtlichkeit nicht gewohnheitsmäßig vertraut. Es genügte, die Säulenkolonnaden entlangzugehen. Dahinter öffnete sich das Juwel der Al Harra im allgemeinen und des Harems im besonderen, ein Traum aus weißem, gemeißeltem Marmor um einen von zwölf Löwen bewachten Brunnen, aus deren Mäulern blitzende Wasserstrahlen in die durch den roten, grün-golden emaillierten Boden gezogenen Abflußgräben sprühten. Riesige Orangenbäume umstanden den Innenhof, dessen Stille nur durch das Plätschern der Springbrunnen und das sanfte Geräusch des unaufhörlich über den Rand des Marmorbeckens fließenden Wassers unterbrochen wurde. Das Ganze war von einer solchen Schönheit, daß Cathérine, in größtes Erstaunen versetzt, sich trotz ihrer Eile einen kurzen Aufschub gönnte, um es zu bewundern. Einen Augenblick stellte sie sich vor, mit Arnaud allein an einem so wundervollen Ort sein zu können … Wie schön es sein müßte, hier zu lieben, dem Murmeln der Springbrunnen zu lauschen und schließlich unter diesem samtenen Himmel einzuschlafen, der das sanfte Licht seiner großen Sterne auf die glänzenden, vielfarbigen Ziegel der Galerien warf.

Aber Cathérine war nicht da, um zu träumen. Sie schüttelte ihre Verzauberung ab und schritt langsam, ohne das geringste Geräusch zu machen, durch die luftigen Arkaden. Keine Seele atmete in dem Hof, in dem die Löwen auf ihren steifen Pranken schweigend und wassersprühend Wache standen. Das Zimmer Maries lag auf dieser Seite. Sie fand es mühelos, hütete sich aber wohl einzutreten. Statt dessen tauchte sie in den tiefen, farblosen Schatten, machte sich, so gut es ihr möglich war, unsichtbar und fand schließlich die kleine Gartenpforte.