»Schweig«, unterbrach Arnaud, der, während Zobeida sprach, zunehmend erblaßt war. Soeben noch, als die Maurin die Wahl des Kalifen zum erstenmal erwähnt hatte, und unter dem Schock der Überraschung und der Freude hatte Arnaud dem Sinn des Gesagten nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt aber hatte er voll begriffen, was es bedeutete, und Cathérine sah angstvoll, wie Zorn statt Freude in sein Gesicht trat. Er wandte sich ihr jetzt zu.

»Ist das wahr?« fragte er mit solcher Schroffheit, daß die junge Frau erbebte. Sie kannte die unversöhnliche Eifersucht Arnauds zu gut, um nicht zu zittern, als sie sah, wie seine Kinnbacken sich verkrampften und seine dunklen Augen blitzten. Aber das spöttische Halblächeln Zobeidas gab ihr ihre ganze Selbstsicherheit zurück. Daß er es wagte, sie im Ton eines Herrn vor diesem Weib, das seit Monaten seine Geliebte war, zur Rede zu stellen, war doch etwas zu stark! Sie richtete sich auf, hob ihr kleines Kinn und blickte ihren Gatten fest an:

»Sehr wahr!« sagte sie ruhig. »Ich mußte dich erreichen. In einem solchen Fall sind alle Mittel recht …«

»Meinst du? Du scheinst zu vergessen …«

»Du vergißt, scheint mir! Darf ich dich fragen, was du hier tust?«

»Ich bin gefangengenommen worden. Das dürftest du wissen, wenn du Fortunat getroffen hast …«

»Ein Gefangener versucht, seine Freiheit wiederzuerlangen … Was hast du getan, um die deine zu erlangen?«

»Dies ist nicht der Ort und auch nicht der Augenblick, darüber zu sprechen!«

»Das scheint mir eine zu leichte Ausrede zu sein, und ich …«

»Ruhe!« unterbrach Zobeida ungeduldig. »Eure Familienangelegenheiten interessieren mich nicht! Wo, glaubt ihr, seid ihr eigentlich?«

Die Unterbrechung kam im unrechten Augenblick. Arnaud richtete seine Wut jetzt gegen sie.

»Und wer bist du, daß du dich zwischen uns mischst? Nach deinen wie nach unseren Sitten hat der Mann die volle Gewalt über die Frau seiner Familie. Diese hier gehört zu mir … da sie desselben Blutes ist, und ich habe das Recht, Rechenschaft über ihr Benehmen zu verlangen. Ihre Ehre ist die meine, und wenn sie sie herabgewürdigt hat …«

Die diese Worte begleitende Geste war so drohend, daß Cathérine erschrak. Das verzerrte Gesicht Arnauds war furchterregend, seine Nasenflügel zogen sich zusammen und wurden weiß, während Mordlust in seine Augen trat. Gleichzeitig packte Überdruß die junge Frau vor diesem selbstsüchtigen Zorn des getäuschten Manntiers. Konnte er denn nicht verstehen, was sie alles ausgestanden hatte, ihre Leiden, ihre Ängste und Mühen, um hierherzukommen? Aber nein! Entscheidend war für ihn nur das eine: Sie hatte ihren Körper dem Dichterfürsten geschenkt …

Die in der Haltung Arnauds lauernde Drohung fiel sogar Zobeida auf. Solche Wut war nicht geheuchelt, und wenn sie vorher noch einige Zweifel an dieser schönen, sozusagen vom Himmel gefallenen Schwester gehabt hatte, begann die Maurin, den Zorn ihres Geliebten in Rechnung zu stellen, um sich von ihr zu befreien. Wenn er sie in einem mörderischen Wutanfall tötete, wäre alles gut! Der Kalif könnte sich vor der beleidigten Ehre eines Bruders nur beugen. Ein leises Lächeln huschte über ihren schönen roten Mund, als sie sich zu Arnaud wandte:

»Du hast recht, o mein Gebieter. Die Ehre deiner Familie geht nur dich an. Ich überlasse es dir, nach Gutdünken mit ihr zu verfahren, und wenn du sie züchtigst, brauchst du den Zorn des Kalifen nicht zu fürchten. Er kann diese Art Rache verstehen … und ich würde für dich eintreten!«

Mit einer Bewegung entließ sie die beiden Sudanesen und schickte sich an, selbst zu gehen, als Morayma ganz außer Atem auftauchte. Die alte Jüdin warf sich mit dem Gesicht nach unten zu Boden, sobald sie die Prinzessin bemerkte, nicht ohne vorher Cathérine einen bösen Blick zugeworfen zu haben. Dann wartete sie, daß man sie verhörte. Zobeida ließ sie nicht lange warten:

»Was willst du, Morayma? Was soll diese Aufregung? Erhebe dich!«

Kaum aufgestanden, zeigte die Herrin des Harems mit anklagendem Finger auf Cathérine: »Diese Frau ist aus ihren Gemächern entwichen, nachdem sie eine ihrer Gefährtinnen überwältigt und gefesselt und ihr ihre Kleider gestohlen hat. Ich sehe nun, daß sie es gewagt hat, sich bei dir einzuschleichen, o Herrlichkeit! Überlasse sie mir, auf daß ich ihr die Züchtigung verabreiche, die sie verdient: die Peitsche!«

Ein boshaftes Lächeln kräuselte die Lippen der Prinzessin. »Die Peitsche? Bist du verrückt, Morayma? Damit der Kalif bei seiner baldigen Rückkehr auf dem Körper, dessen Wonnen von neuem zu genießen er voll Ungeduld ist, ihre Spuren entdeckt? Nein, überlaß sie mir … In Zukunft wird sie diese Pavillons nur verlassen, um sich zu meinem Bruder zu begeben. Sie ist eine Edeldame aus dem Frankenland, verstehst du, die Schwester meines vielgeliebten Herrn. Sie ist mir von nun an lieb und wert. Meine eigenen Dienerinnen werden sich in Zukunft um sie kümmern, werden sie baden und parfümieren, wenn ihr Herr es verlangt, damit ihr Körper das vollkommene Gedicht sei, an dem er sich unter den Rosen des Djenan-el-Arif berauschen kann …«

Einwandfrei beherrschte Zobeida die wunderbare Kunst, Öl ins Feuer zu gießen. Jedes ihrer Worte war darauf angelegt, Arnauds Wut anzustacheln … diese Wut, von der sie hoffte, daß sie tödlich werden würde. Tatsächlich bebte Catherines Gatte, seine Fäuste waren geballt und gespannt wie eine Bogensehne … Zobeida lächelte sphinxhaft.

»Ich lasse dich jetzt mit ihr allein. Tu, was du glaubst tun zu müssen, aber laß mich nicht zu lange auf dich warten! Jede Minute ohne dich bedeutet eine Ewigkeit Langeweile …« Dann, den Ton wechselnd: »Und was dich betrifft, Morayma, verlasse sie auch, aber entferne dich nicht. Du wirst dafür sorgen, daß diese Frau, sobald mein Herr mit ihr fertig ist, gemäß ihren Wünschen und ihrem Rang untergebracht wird!«

Cathérine zerbiß sich die Lippen vor Wut. Was eigentlich erhoffte sich diese blutgierige Katze? Daß Arnaud sie töten werde? Zweifellos war die Unterbringung, die Morayma für sie finden sollte, ein tiefes, geheimes, vor den Aasgeiern geschütztes Grab. Cathérine machte sich keine Illusionen über die plötzliche Fürsorge ihrer Feindin. Da sie sie für Arnauds Schwester hielt, haßte Zobeida sie vielleicht noch mehr als vorher, zweifellos wegen der gemeinsamen Erinnerungen, an denen sie keinen Anteil hatte. Diese Frau mußte sogar auf die Vergangenheit eifersüchtig sein! Und als die Maurin lässigen Schritts an ihr vorbei ihrem Gemach zuging, konnte Cathérine sich nicht enthalten, ihr entgegenzuschleudern:

»Freue dich nicht zu früh, Zobeida … Noch bin ich nicht tot. Es ist bei uns nicht üblich, daß der Bruder seine Schwester oder der Gatte die Gattin tötet.«

»Die Fäden des Schicksals liegen in Allahs Hand! Ob du lebst oder stirbst, was spielt das für eine Rolle? Aber wenn ich du wäre, würde ich den Tod wählen, denn lebend hast du keine Chance, deinem Los zu entgehen: dem einer Sklavin unter anderen Sklavinnen, geschmückt und verhätschelt, solange du gefällst, verlassen und elend, wenn deine Zeit vorbei ist!«

»Schluß jetzt mit dem Gerede, Zobeida!« unterbrach Arnaud brutal. »Ich allein habe hier zu bestimmen, was ich zu tun habe. Geh!«

Mit höhnischem, hinter der vorgehaltenen Hand kaum ersticktem Lachen geschmeidig über den Marmor gleitend, verschwand die Prinzessin. Arnaud und Cathérine standen sich allein gegenüber …

Einen Augenblick verharrten sie so wortlos, einige Schritte voneinander entfernt, die Geräusche des feindlichen Palastes hörend, und Cathérine dachte erbittert, daß sie sich ihr Wiedersehen anders vorgestellt hatte. Vorhin, ja, als er ihr den Schleier weggerissen und eine Bewegung angedeutet hatte, sie in die Arme zu schließen! Jetzt aber hatten die vergifteten Pfeile Zobeidas Arnaud getroffen und waren ihm ins Herz gedrungen. Jetzt würden sie sich mit der Verbissenheit unversöhnlicher Feinde zerreißen … Hatten sie sich dazu gesucht, sich trotz Menschen, Kriegen, Fürsten und so vieler widerlicher Umstände, die selbst die Stärksten niederschlagen konnten, geliebt? Was für ein Jammer! …

Cathérine wagte kaum, zu ihrem Gemahl aufzublicken, der sie mit verschränkten Armen betrachtete, weil sie fürchtete, ihm ihre tränenfeuchten Augen zu zeigen. Sie gewährte sich vor dem Kampf, den sie kommen fühlte, eine Atempause, darauf wartend, daß er vielleicht zuerst spräche. Aber er tat nichts dergleichen, rechnete möglicherweise damit, daß diese drückende Stille an den Nerven der jungen Frau zerrte. Und tatsächlich griff sie zuerst an.

Jäh, mit einer herausfordernden Kopfbewegung, deutete sie auf den Dolch in Arnauds Gürtel.

»Worauf wartest du noch? Warum gehorchst du nicht? Hat man dir nicht ausreichend zu verstehen gegeben, was du tun mußt? Ziehe diesen Dolch, Arnaud, und töte mich! Ich bekenne mich schuldig: Es stimmt, ich habe mich Mohammed hingegeben, weil dies das einzige Mittel war, hierherzukommen … und weil ich sonst nichts anderes tun konnte!«

»Und Brézé? Konntest du auch da nichts anderes tun?« Cathérine holte tief Atem. Wenn er so weit in seinen Anklagen zurückging, dann würde der Kampf schwer werden! Aber sie zwang sich zur Ruhe und erwiderte beherrscht:

»Brézé ist nie mein Geliebter gewesen, was immer du darüber denken magst. Er wollte mich heiraten. Einen Augenblick war ich versucht, seinen Antrag anzunehmen. Das war nach dem Sturz La Trémoilles, und ich konnte einfach nicht mehr! Ich hatte nur das verzweifelte Bedürfnis nach Ruhe, nach Frieden und Schutz. Du kannst nicht wissen, wie dieser Frühling des vergangenen Jahres war, auch nicht, was mich unser Sieg gekostet hat! Ohne Brézé wäre von mir nichts als ein Stück blutendes Fleisch unter den Händen der Henker der Dame La Trémoille übriggeblieben …« Sie hielt einen Augenblick inne, um die Erregung abklingen zu lassen, die sich ihrer bei der Erinnerung an diese entsetzliche Stunde bemächtigt hatte, dann fuhr sie mit einem Seufzer und tonloser Stimme fort: »Brézé hat mich gerettet, beschützt, ist mir bei der Ausführung meiner Rache behilflich gewesen, er hat für dich gekämpft, und da er dich für tot hielt, hielt er es nicht für unrecht, mir die Ehe anzubieten, denn er ist gut und treu …«

»Wie du ihn verteidigst!« fuhr Arnaud bitter dazwischen. »Ich frage mich, weshalb du dieser holden Neigung nicht gefolgt bist …«

»Erstens, weil man mich daran hinderte!« entgegnete Cathérine wieder zornig. Sie fügte hinzu, ihre Schuld ehrlich eingestehend: »Ohne den jungen Bernard hätte ich seinen Heiratsantrag vielleicht angenommen, doch ich schwöre bei Gott, der mich hört, daß Pierre de Brézé, als er nach Montsalvy ging, um die Verurteilungsurkunde zu suchen und dem König davon zu berichten, keinen Grund hatte zu glauben, daß ich ihn heiraten würde. Und wegen dieses unverantwortlichen Schritts habe ich endgültig mit ihm gebrochen!«

»Eine schöne, rührende Geschichte!« bemerkte der Ritter trocken. »Was hast du nach diesem Bruch getan?«

Cathérine mußte ihre ganze Geduld zusammennehmen, um nicht zu bersten. Der aggressive, inquisitorische Ton Arnauds erbitterte sie maßlos. Er spielte seine Rolle als in seiner Ehre gekränkter Bruder ein wenig zu gut, verlangte Rechenschaft und Erklärungen ohne das geringste Mitgefühl, als wären sie nicht Jahre hindurch in Liebe verbunden gewesen. Selbst der Brief, den er ihr hinterlassen hatte, als er Montsalvy verließ, offenbarte nicht soviel Bitterkeit und Gehässigkeit … Im Gegenteil, er war voll Sanftmut und Liebe gewesen. Vielleicht, weil er ernstlich glaubte, daß diese abscheuliche, erniedrigende Lepra sein Leben bald beenden würde, hatten ihm seine Tapferkeit und der Adel seines Charakters den Mut verliehen, verständnisvolle, verzeihende Worte zu schreiben. Als er sein Leben und seine Gesundheit wiedergewonnen hatte, war gleichzeitig sein Starrsinn wieder zurückgekehrt, unter dem Cathérine schon immer zu leiden gehabt hatte …

Sie überwand sich, und es gelang ihr zu lächeln, ein unendlich müdes und trauriges, doch sanftmütiges Lächeln. Sie streckte ihm die Hand entgegen.

»Komm mit mir! Bleiben wir nicht unter dem Säulengang, wo uns alle hören können. Gehen wir … da, zum Ende dieses Teichs, zu dem Steinlöwen, der die ganze Weisheit der Welt zu verkörpern scheint …«

Die Nacht verbarg den Anflug eines Lächelns, das einen kurzen Augenblick die strengen Züge Arnauds entspannte.

»Hast du denn die Weisheit so nötig?« fragte er, und am Klang seiner Stimme merkte sie, daß sein Zorn ein wenig nachließ. Daraus schöpfte sie neue Hoffnung. Auch ließ er sich widerstandslos mitziehen. Einen Augenblick gingen sie schweigend an der marmornen Einfassung entlang, auf die sich Cathérine, den Rücken an den Marmorlöwen gelehnt, setzte. Arnaud blieb stehen. Ihnen gegenüber leuchteten der Säulengang und der Turm, Rosen in der tiefblauen Nacht, unwirklich wie eine Luftspiegelung und leicht wie ein Traum. Die Geräusche des Palastes hatten sich beinahe gelegt, nur die Nachtvögel des Gartens und die Springbrunnen schienen noch zu leben. Eine schwache Brise ließ auf der Wasseroberfläche den zarten Widerschein des Palais zittern, und wie vorhin, im Löwenhof, war Cathérine von der zauberhaften Schönheit der Alhambra überwältigt.