Die Prinzessin zuckte mit den Schultern und erwiderte einschmeichelnd: »Sie ist deine Schwester, und du bist mein Gebieter, das sagt alles.«

Bei einem normalen Mann kommt es selten vor, daß eine Schmeichelei nicht wirkt, und Cathérine, unruhig geworden, bedauerte in diesem Augenblick, daß Arnaud so normal war und eine solche Portion Naivität besaß. Er schien zufrieden, daß Zobeida sich mit soviel Bescheidenheit ausdrückte.

Aber Cathérine ließ sich nicht zum Narren halten. Wenn die Maurin sich lammfromm stellte, mußte man seine Wachsamkeit verdoppeln, und ihre plötzliche Sanftmut bedeutete ihr nichts. Das Lächeln, die bezaubernde Stimme widerlegten die berechnende Härte ihres Blickes nicht. Die zahlreichen Prüfungen, die Cathérine hatte durchmachen müssen, hatten sie zumindest gelehrt, in einem Blick zu lesen, die Reaktion des Gegners zu belauern. Arnaud hatte sich trotz seines grausamen Aufenthalts in der Leprastation, trotz der entsetzlichen Erfahrung physischen und moralischen Zerfalls nie gegen eine feindliche Menge, die stärker war als er, zu verteidigen gehabt, wie seine Frau es getan hatte. Rechtschaffen und ritterlich, wiederstrebte es ihm, einem zärtlichen Lächeln, einem Kosewort, besonders, wenn es von einer Frau kam, zu mißtrauen …

Cathérine ließ sich indessen mit einer gewissen Folgsamkeit von Morayma fortführen. Für diese Nacht war alles gesagt! Trotzdem drehte sie sich noch einmal um, bevor sie sich endgültig entfernte, und war erleichtert, als sie feststellte, daß er ihr nachgeblickt hatte.

»Ein Mann muß sein Schicksal wählen können, Arnaud … und wenn es seiner würdig ist, darf er niemandem, verstehst du, niemandem gestatten, sich zwischen ihn und sein Gewissen zu stellen …«

Das Gemach ging tatsächlich direkt auf den Garten hinaus. Von der schmalen, aber bequemen Liegestatt, auf die Morayma sie gebettet hatte, konnte Cathérine zwischen zwei schlanken Säulen das Wasserbecken unter dem Mond glänzen sehen. Als Morayma sie hineinführte, hatte sie sie auf den ausgesuchten Luxus des Zimmers aufmerksam gemacht, das ganz mit malven- und mandelgrünem Kristall verkleidet und mit goldmattiertem Zedernholz eingefaßt war.

»Es ist vielleicht weniger prunkvoll als dein anderes Gemach«, sagte sie zu ihr, »aber raffinierter! Zobeida liebt große Gemächer nicht. Hier wird es dir an nichts fehlen, und du wirst fast den Eindruck haben, im Garten zu wohnen.«

Offensichtlich gab die Jüdin sich große Mühe, Cathérine ihre neue Unterkunft schmackhaft zu machen. Hatte sie das Bedürfnis, sie zu beruhigen, indem sie sich selbst beruhigte? Vielleicht … Von beiden hatte sie es zweifellos am nötigsten, denn unter ihren safrangelben, blau eingefaßten Schleiern zitterte Morayma wie Espenlaub … Cathérine wollte sie zwingen, es einzugestehen:

»Warum hast du solche Angst, Morayma? Wovor fürchtest du dich?«

»Ich?« entgegnete die andere unaufrichtig, »ich habe keine Angst. Mir … mir ist kalt!«

»Bei dieser Temperatur? Die Brise von vorhin hat sich gelegt. Nicht einmal die Blätter im Garten rühren sich mehr.«

»Und doch ist mir kalt … mir ist immer kalt!«

Während sie sprach, stellte sie ans Kopfende von Catherines Bett eine Schale Milch, die die junge Frau überrascht betrachtete.

»Warum diese Milch?«

»Für den Fall, daß du Durst bekommst. Und außerdem mußt du viel Milch trinken, das bewahrt den Glanz und die Zartheit deiner Haut.«

Cathérine seufzte. Dies war gerade der richtige Augenblick, sich mit ihrer Haut zu beschäftigen! Man schien sich in diesem Palast einzig und allein mit den Geheimnissen der Schönheit zu befassen, und sie begann, ihrer Rolle als verhätscheltes, gemästetes und geschmücktes Luxustier für den Gebrauch des Herrn nachgerade müde zu werden. Als ob sie keine anderen Sorgen hätte als den Schimmer ihres Teints! …

Während Morayma so schnell verschwand, wie ihre kurzen Beine sie trugen, versuchte Cathérine, ihre Situation zu durchdenken. Die unmittelbare Nähe Zobeidas flößte ihr keine Furcht ein.

Zweifellos würde die Prinzessin es sich zweimal überlegen, ehe sie etwas gegen sie unternahm, die sie für die Schwester ihres Geliebten hielt.

Sie also beunruhigte die junge Frau nicht so sehr. Aber Arnaud! … Wie seltsam und unberechenbar er war! Noch vor einer Stunde, als er sie erkannt hatte, hatte sie keine Sekunde an seiner Wiedersehensfreude und an seiner Liebe zu ihr gezweifelt. Es gab untrügliche Anzeichen dafür. Doch Zobeida erstickte diese Freude, wie man eine Kerze ausbläst, mit ihren giftigen Unterstellungen, und Arnaud hatte den plötzlichen Windstoß des Glücks vergessen, um nur auf seine Eifersucht zu hören, auf den Zorn des betrogenen Gatten. Zudem, dachte Cathérine traurig, wußte er nicht einmal von gewissen Episoden, wie der im Lager der Zigeuner mit dem unglücklichen Fero oder jener im Burgturm von Coca … und er durfte es auch nie erfahren, sonst gäbe es weder Rast noch Ruhe, noch Glück mehr für Cathérine. Er würde sich für immer von ihr abwenden … Indes, nach den Erregungen dieses Tages von Müdigkeit überwältigt, schloß Cathérine schließlich doch die Augen, aber sie sank nicht in den tiefen Schlaf, der in wenigen Stunden selbst die geschwächtesten Kräfte wiederherstellt. Sie schlief schlecht, nervös, fuhr jäh auf, und ihr Unterbewußtsein war reger als je. Im Untergrund ihres Schlafs witterte sie eine Gefahr, deren Natur sie nicht bestimmen konnte, die sich aber unerbittlich näherte.

Das plötzliche Gefühl zu ersticken weckte sie. Sie richtete sich schweißgebadet und mit klopfendem Herzen auf. Das Mondlicht beschien jetzt voll die Fliesen des Gemachs. Ein Entsetzensschrei entrang sich der Kehle der jungen Frau: Da … als langer fahler Schmutzstreifen bewegte sich etwas Schmales, Schwarzes, Glänzendes … eine Schlange kroch auf das Bett zu!

Das war kein Zufall, und Cathérine begriff blitzschnell. Die Schale Milch, die Morayma ans Kopfende ihres Bettes gestellt hatte! … Milch, Wonneschmaus der Schlangen! Die merkwürdige Eile zu verschwinden, die Morayma an den Tag gelegt hatte, ihre zitternde Angst bekamen jetzt einen einleuchtenderen Sinn … Dieses ekelhafte Tier, das auf sie zu kroch, das war die Hand Zobeidas, der Tod in seiner häßlichsten Erscheinung!

Mit vor Entsetzen geweiteten Augen drückte sie die Seidendecken zitternd an die nackte Brust, und während kalter Schweiß ihr den Rücken hinunterrann, sah Cathérine, wie die Schlange sich näherte. Noch nie hatte sie derartige Angst ausgestanden, die einer Lähmung ihres ganzen Seins gleichkam. Sie war wie hypnotisiert von dem langen schwarzen Leib, dessen Ringe sich langsam über die Fliesen wanden, näher, immer näher. Und es war wie ein Alpdrücken, aus dem es kein Erwachen gab, denn sie wagte nicht zu schreien. Die Schlange war nicht sehr groß, hatte aber einen breiten, flachen, dreieckigen und häßlichen Kopf; ein Schrei würde den Biß vielleicht beschleunigen. Und wen sollte sie rufen? Cathérine konnte sich keiner Illusion über die grausame Absicht dieses widerlichen Todesboten hingeben. Niemand würde auf ihren Hilferuf kommen … Und sie war hier, allein, gefährdet wie auf einem Schafott, nur geschützt von einigen Seidendecken … unfähig, die Augen zu schließen, um das scheußliche Tier nicht mehr zu sehen.

Sie versuchte, sich zu fassen, und dachte an ihren Gatten. Sie würde hier sterben, nur wenige Schritte von ihm entfernt, und morgen, wenn man ihren kalten Leichnam entdeckte, würde Zobeida zweifellos eine Unmenge Entschuldigungen und verlogenes Bedauern vorbringen. Alle Zimmer öffneten sich auf den Garten. Wie konnte sie ahnen, daß eine Schlange, die vielleicht von der Frische der Wasserbecken angezogen worden war, ausgerechnet in dieses eindringen würde? … Und Arnaud würde ihr vielleicht glauben … Daher und weil die Schlange jetzt den unteren Teil des Bettes erreichte, weil sie zu sehr Angst hatte und seiner verzweifelt bedurfte, stöhnte Cathérine:

»Arnaud! … Arnaud, mein Liebster!«

Und das Wunder geschah. Cathérine glaubte, die Angst habe sie wahnsinnig gemacht, als sie seine hohe Gestalt im Mondschein aus den Schatten des Gartens auftauchen sah wie den guten Geist in den orientalischen Märchen. Mit einem Blick umfaßte er die entsetzte, in die fernste Ecke ihres Bettes geduckte Gestalt Catherines und das Reptil, das schon seinen flachen Kopf hob. Mit einer Hand riß er den Dolch aus dem Gürtel, packte mit der anderen eine von einer Fußbank herunterhängende Robe, knüllte sie zusammen und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf die Kobra fallen.

Die Schlange war sofort tot. Mit Kraft und Genauigkeit geführt, traf der Dolch sie am Kopfansatz und trennte den Kopf fast ganz vom Körper, der leblos wurde. Arnaud hob sich auf ein Knie und sah seine Frau an. Der Mondstrahl hatte sie erreicht, verriet ihre tragische Blässe. Ihre verkrampften Hände preßten immer noch die Decke an sich, aber sie hatte zu zittern begonnen wie ein Blatt im Sturm.

Um sie zu beruhigen, murmelte er sanft:

»Hab keine Angst! Es ist vorbei … ich habe sie getötet!«

Aber sie konnte ihn kaum hören. Völlig von der entsetzlichen Furcht durchdrungen, die sie hatte ausstehen müssen, blieb sie mit aufgerissenen Augen und klappernden Zähnen sitzen, unfähig zu antworten. Besorgt glitt er neben sie aufs Bett.

»Cathérine! Ich bitte dich, antworte mir … Fehlt dir etwas?« Sie öffnete den Mund, aber kein Wort kam über ihre unaufhörlich zitternden Lippen. Sie wollte weinen, aber sie konnte nicht und hob zu Arnaud ihren noch schreckerfüllten und so rührenden Blick, daß Arnaud eine instinktive Bewegung machte: Er nahm sie in seine Arme.

Tiefes Mitleid überkam ihn, als er sah, daß sie sich ganz eng an seine Brust drückte, als suche sie nach Art erschreckter Kinder, sich so klein wie möglich zu machen. Er drückte sie noch fester an sich, versuchte, seine Wärme auf sie zu übertragen, damit ihr Zittern aufhöre. Sanft strich er über den blonden, an seine Schulter gelehnten Kopf.

»Ärmste! Du hast solche Angst gehabt … solche Angst! Diese elende Frau! Sie ist zu allem fähig … und da ich das wußte, blieb ich wach … aber zu so einer Gemeinheit! … Beruhige dich, ich bin da! … Ich werde dich verteidigen! … Wir werden zusammen fliehen, werden heimkehren. Ich liebe dich …«

Das Wort war ihm ganz von selbst über die Lippen gekommen, aber Arnaud wunderte sich nicht darüber. Sein Groll, seine Eifersucht waren mit einemmal verflogen. Eben, als er durch den Garten gegangen war, weil eine tiefe Unruhe ihn unwiderstehlich zu diesem Teil des Palastes trieb, hatte er das schwache Stöhnen Catherines und seinen in Todesangst ausgestoßenen Namen gehört; er hatte den langen schwarzen Leib über den Marmor auf das Bett seiner Frau zu kriechen sehen, und die entsetzliche Furcht, die ihn befallen hatte, hatte ihm das genaue Ausmaß seiner Liebe zu ihr klargemacht. Und jetzt, da sie in seinen Armen ruhte, zitternd wie ein kranker Vogel, begriff er, daß nichts und niemand je zwischen ihn und sie treten konnte, daß eine Liebe wie die ihre vieles aushalten konnte, Kummer, Schmerz und Leid, nur nicht endgültige Trennung. Sie waren ein Herz in zwei verschiedenen Körpern, und Arnaud wußte wohl, daß er nie den Mut fände, Cathérine zu verstoßen. Die Laune, aus Langeweile und der großen Freude geboren, die er empfunden hatte, als er erfuhr, daß er nicht leprakrank war, diese Laune, die ihn Zobeida in die Arme getrieben hatte, war zu einer für sein körperliches Gleichgewicht notwendigen Gewohnheit geworden, aber es war eine armselige Empfindung im Vergleich zu dem einzigen Glück, Cathérine in den Armen zu halten.

Sie klammerte sich jetzt mit beiden Händen an ihn, stammelte unaufhörlich Worte, und einen Augenblick fürchtete er, daß das Entsetzen sie wahnsinnig gemacht habe.

»Hör mich an!« bat er. »Antworte mir! Sieh mich an, du erkennst mich, nicht wahr?« Sie machte ein bejahendes Zeichen, und er fühlte, daß seine Sorge schwand, und strich wieder besänftigend über ihr Haar. »Ma mie!« murmelte er. »Beruhige dich, hab keine Angst mehr … Was kann ich tun, um dich zu beruhigen?«

Er kam sich schrecklich unbeholfen vor, entwaffnet von diesem Wesen in höchster Not, das sich an ihn klammerte … Und dann brach Cathérine jäh in Schluchzen aus. Er verstand, daß sie gerettet war, daß das Schreckbild des Wahnsinns sich verflüchtigte, und zärtlich wiegte er sie in den Armen wie ein ganz kleines Kind:

»Weine!« sagte er sanft. »Weine, soviel du willst, das wird dir guttun …«

Die dunklen Wolken der Angst lösten sich in wahren Tränenströmen auf. Noch nie hatte Cathérine so geweint. Die Monate des Leidens, des Kummers, der Verzweiflung gingen in diesem Augenblick unter, in ihren Tränen ertränkt. Sie weinte vor Glück, vor Erleichterung, aus Freude, aus Hoffnung, aus Liebe und selbst aus Dankbarkeit für den endlich wieder errungenen, teuren Hort. Da war nur noch die süßte Wärme des angebeteten Mannes, der sie in den Armen hielt, diese wunderbare Sicherheit, die er ihr geben konnte. Das Schluchzen wich allmählich einem köstlichen Wohlbefinden. Langsam beruhigte sich Cathérine.