13

Das Schluchzen stockte, ließ nach, und Cathérine fiel endlich in Schweigen. Ihr Atem fand wieder seinen normalen Rhythmus. Die Tränen auf ihren Wangen trockneten, und einen langen Augenblick rührte sie sich nicht, genoß das köstliche Glück, an ihren Gatten gekuschelt zu sein, seinen Herzschlag zu hören und den Garten unter dem Mond zu betrachten. Sie war sich nur der Hand bewußt, die sanft ihren Kopf streichelte, wie sie es einst so oft getan hatte. Es war so gut, Arnaud neben sich zu fühlen, seinen gesunden männlichen Geruch zu atmen, nachdem sie so lange geglaubt hatte, ihn für immer verloren zu haben.

Ein leichter Rausch glitt langsam durch die Adern der jungen Frau. Sie war so glücklich, daß sie fast verging, und den Kopf hebend, preßte sie ihre noch feuchten Lippen auf Arnauds Hals. Er fuhr unter diesem Kuß zusammen, unruhig, sein Verlangen plötzlich erwachen zu fühlen. Cathérine war sich dessen instinktiv bewußt, verlängerte ihre Liebkosung, glitt unmerklich zu seinem Gesicht und seinen Lippen empor. Und mit hungriger Gier verschloß sein Mund den ihren, klammerte sich an ihn in einem unendlichen Kuß, der beider Blut sofort in Wallung brachte. Gleichzeitig glitten Arnauds Hände über Schultern und Rücken Catherines und fühlten, daß sie nackt war. Sacht zog er die Seidendecken zwischen ihnen weg. Sie widersetzte sich nicht, half ihm, begierig, sich ihm ganz zu geben. Von ihren ungeduldigen Füßen weggestoßen, fiel die letzte Hülle, den Kadaver der Schlange bedeckend, die sie hatte töten wollen, aber Cathérine hatte sie schon vergessen: Das Leben schäumte wieder in ihr, die Glut der Liebe drang bis ins innerste. Sich von Arnaud lösend, ließ sie sich im kalten Licht des Mondes auf den Rücken sinken, damit er sie besser sehen könne.

»Sag mir, ob ich noch schön bin?« murmelte sie, der Antwort schon im voraus gewiß. »Sag mir, ob du mich noch liebst?«

»Du bist schöner als je, Teufelchen … und das weißt du genau! Und lieben.«

»Sag's mir! Du liebst mich, ich weiß es, ich sehe es … Soll ich mich schämen zuzugeben, daß ich dich anbete? Ich liebe dich, mein schöner Gebieter … Ich liebe dich mehr als alles auf Erden!«

»Cathérine!«

Von neuem warf sie sich an seine Brust, um den letzten Widerstand, den sie spürte, zu besiegen, schlang ihre zarten Arme um ihn, betörte ihn durch Berührung ihres Fleischs. Sie war eine zu wunderbare Hexe, und er war schließlich nur ein Mann. Ohne sich zu erklären, durch welches Wunder dieses bedauernswerte Geschöpf von vorhin sich mit einem Schlag in eine betörende Sirene verwandelt hatte, gab er sich geschlagen, riß sie wieder an sich.

»Meine Liebe …«, murmelte er gegen ihren Mund, »meine süße Cathérine! … Meine Frau!«

Das folgende war unvermeidlich. Es war zu lange her, daß sie, der eine wie die andere, auf die Liebe, auf die eheliche Umarmung gewartet hatten! Das Palais der Rosen hätte über ihnen einstürzen können, doch nichts hätte Cathérine gehindert, sich ihrem Gatten hinzugeben. Sie liebten sich mit einer wilden Gier, vergaßen die Gefahr, die in diesen schimmernden Mauern lauerte, gaben sich nur der unvergleichlichen Wollust hin, die sie zusammen genossen.

Sie hätten sich vielleicht noch stundenlang geliebt, wenn nicht grelles Licht ins Gemach gedrungen wäre und eine zornigscharfe Stimme die Stille durchbrochen hätte:

»Ist Blutschande ein fränkischer Brauch? Das scheint mir ein seltsames Verhalten für Bruder und Schwester zu sein.«

Das Paar fuhr auseinander. Arnaud sprang auf die Füße, während Cathérine in jähem Entsetzen in das verzerrte Gesicht Zobeidas blickte, die inmitten des Gemaches stand, hinter sich zwei Fackelträger. Die Prinzessin war nicht wiederzuerkennen. Der Haß hatte ihre Züge verkrampft, und ihre goldfarbene Haut hatte eine aschgraue Farbe angenommen. Ihre großen Augen waren rot unterlaufen, ihre kleinen Hände waren geballt und zeigten deutlich das Verlangen zu morden. Sie preßte die Zähne zusammen, zischte die Worte hervor. Cathérine den Rücken kehrend, wandte sie sich zornig an Arnaud:

»Du hast mich getäuscht … aber nicht so sehr, wie du glaubtest. Ich fühlte, daß zwischen dir und dieser Frau etwas war, etwas anderes als Blutsbande. Ich merkte es … an meinem Haß! Ich hätte deine Schwester lieben können, aber ich habe sie beim ersten Blick verabscheut! Deshalb habe ich sie überwachen lassen …«

Mit der Fußspitze schob Arnaud die Decke zurück, den schwarzen Leib der Schlange enthüllend.

»Nur überwachen lassen? Dann erkläre mir das hier! Ohne mich wäre sie jetzt tot!«

»Und ich wollte ihren Tod, weil ich ahnte, daß zwischen euch etwas war, verstehst du? Ich war ganz sicher! … Ich bin gekommen, um ihren Leichnam wegschaffen zu lassen … und ich habe euch gesehen … gesehen … verstehst du?«

»Hör auf zu schreien!« fuhr Arnaud sie geringschätzig an. »Man könnte meinen, ich gehörte dir. Du keifst und tobst wie irgendein Weib aus dem Basar, dessen Mann den jungen Mädchen nachläuft. Du bedeutest mir nichts … nichts! Du bist für mich nur eine Ungläubige, deren Gefangener ich bin!«

»Arnaud!« keuchte Cathérine besorgt, als sie sah, daß ihre Feindin leichenblaß wurde. »Sieh dich vor!«

Aber Zobeida würdigte sie noch immer keines Blicks.

»Und diese weiße Frau bedeutet dir viel, nehme ich an?«

»Sie ist meine Frau!« entgegnete der Ritter einfach. »Meine Frau vor Gott und den Menschen. Und wenn du wirklich alles wissen willst: Wir haben einen Sohn, in unserem Land! Jetzt begreife, wenn du kannst.«

Trotz der heiklen Situation empfand Cathérine unbändige Freude. Sie war glücklich, daß er ihrer Rivalin wie eine Beleidigung ins Gesicht geschleudert hatte, sie sei seine Ehefrau.

»Begreifen?«

Ein gehässiges Lächeln verzerrte das entstellte Gesicht der Prinzessin noch mehr, während ihre Stimme ihren scharfen Klang verlor und einen drohend-freundlichen Ton annahm.

»Du wirst begreifen, mein Gebieter. Du hast es gesagt: Du bist mein Gefangener, und mein Gefangener wirst du bleiben … zumindest, solange ich Verlangen nach dir haben werde! Was versprachst du dir davon, als du mir triumphierend erklärtest, daß diese Frau deine Gattin sei? Daß ich vor Rührung weinen, ihre Hand in die deine legen, vor euch die Pforten der Alhambra öffnen, euch eine Eskorte bis zur Grenze mitgeben und euch alles Glück der Welt wünschen würde?«

»Wenn du deines Blutes würdig wärest, Kriegertochter des Atlas, dann würdest du genau so handeln!«

»Meine Mutter war eine Sklavin, eine an den Großkhan verkaufte turkmenische Prinzessin, und meinem Vater zum Geschenk gemacht. Sie war ein wildes Steppentier, das man fesseln mußte, um es zu besitzen. Sie kannte nur die Gewalt und endete durch Selbstmord nach meiner Geburt. Ich ähnele ihr: Ich kenne nur das Blut. Diese Frau ist deine Gattin, um so schlimmer für sie!«

»Was willst du tun?«

»Ich werde es dir sagen.« Ein verdächtiges Licht flackerte im eisigen Blick Zobeidas auf. Sie gab ein kleines, böses, nervöses Lachen von sich: »Ich werde sie nackt auf dem Sklavenhof festbinden lassen, damit die Sklaven sich einen ganzen Tag und eine Nacht an ihr vergnügen. Dann wird man sie auf dem Festungswall ans Kreuz schlagen, damit die Sonne die Haut, die dir so gut gefällt, ein wenig verbrennt und rissig macht; dann werden Yuan und Kong sich mit ihr beschäftigen, aber beruhige dich, es wird dir nichts von dem Schauspiel entgehen. Das wird deine Züchtigung sein. Ich glaube, danach wirst du keine Lust mehr haben, Vergleiche zwischen ihr und mir anzustellen, denn meine Folterknechte verstehen ihr Handwerk gut! … Ihr da, bemächtigt euch dieser Frau!«

Catherines Herzschläge setzten aus, instinktiv streckte sie die Arme ihrem Gatten entgegen, wie um seinen Schutz zu suchen. Die Eunuchen hatten keine Zeit, auch nur eine Bewegung zu machen. Flink hatte Arnaud seinen neben dem Bett liegengebliebenen Dolch ergriffen und sich zwischen Cathérine und die Sklaven geworfen. Sein Gesicht war rot vor Zorn, doch seine Stimme war von eisiger Ruhe, als er erklärte:

»Ihr rührt sie nicht an! Der erste, der vortritt, kann sicher sein, daß er keinen Augenblick länger lebt.«

Die Eunuchen erstarrten, aber Zobeida brach in Lachen aus. »Du bist verrückt! Ich werde rufen … Die Wachen werden kommen. Es werden hundert, zweihundert, dreihundert sein … soviel ich will! Du wirst dich geschlagen geben müssen. Überlasse sie ihrem Schicksal. Ich werde dafür sorgen, daß du sie vergißt. Ich mache dich zum König …«

»Glaubst du wirklich, mich mit solchen Argumenten verführen zu können?« höhnte Arnaud. »Und du behauptest, ich sei verrückt? Du selbst bist verrückt!«

Ehe jemand eine Bewegung machen konnte, hatte er Zobeida ergriffen, ihre beiden Handgelenke mit der freien Hand gepackt und sie fest an sich gezogen. Mit der anderen setzte er die scharfe Spitze des Dolches der Prinzessin an die Kehle.

»Jetzt rufe deine Heere, Zobeida! Rufe, wenn du es wagst, und du wirst zum letztenmal gerufen haben … Steh auf, Cathérine, und zieh dich an … Wir werden fliehen!«

»Aber … wie?«

»Das wirst du sehen. Tu, was ich dir sage. Und was dich betrifft, Prinzessin, so wirst du uns ganz ruhig zu dem geheimen Palastausgang führen, den du so gut kennst. Wenn du eine verdächtige Bewegung machst oder einen Schrei ausstößt, bist du tot.«

»Du wirst nicht weit kommen«, murmelte Zobeida. »In der Stadt schon wird man dich ergreifen.«

»Das ist meine Sache. Vorwärts!«

Langsam – Cathérine folgte entsetzt – verließen sie das Gemach, zwei seltsame Gestalten, vor denen die Eunuchen zurückwichen und entflohen. Die Gruppe betrat den Garten.

Cathérine schien das Unternehmen Wahnsinn zu sein, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sie hatte vorhin, als Zobeida mit sadistischer Freude die ihr zugedachten Qualen geschildert hatte, eigentlich keine Angst gehabt. Hatte Morayma ihr nicht die bevorstehende Rückkehr des Kalifen angekündigt? In ihrem Zorn hatte Zobeida das ganz vergessen … Merkwürdigerweise ahnte Arnaud den Gedanken seiner Frau:

»Du hast unrecht, Cathérine, zu glauben, daß die Furcht vor der Rückkehr ihres Bruders diese Furie zurückhalten würde, dich töten zu lassen. Sie ist jeder vernünftigen Überlegung unzugänglich, jenseits jeder Furcht, wenn sie von ihren Dämonen besessen ist.«

Trotz der drohenden Waffe an ihrer Kehle zischte Zobeida in der Tat zwischen den Zähnen hervor:

»Ihr werdet nicht weit kommen … Ihr werdet sterben …«

Und plötzlich den Kopf verlierend, schrie sie: »Hierher! … Zu Hilfe!«, während sie sich wie eine Natter wand, um dem harten Griff Arnauds zu entwischen. Sie wollte noch einmal schreien, aber diesmal erstickte der Schrei, erstarb in einer Art entsetzlichen Gurgelns. Der Dolch war eingedrungen. Zobeida glitt ohne Klage aus Arnauds Armen in den weichen Sand des Gartens, die Augen wie in großem Erstaunen aufgerissen. Wie ein fahler Lichtfleck lag sie vor Catherines Füßen.

»Du hast sie getötet!« stammelte sie bestürzt.

»Sie hat sich selbst getötet … Ich wollte nicht zustoßen. Der Dolch hat sich von selbst in ihren Hals gebohrt.«

Einen Augenblick standen sie einander gegenüber, zwischen ihnen der Leichnam. Arnaud streckte seiner Frau die Hand entgegen.

»Komm! Wir müssen versuchen zu fliehen! Die Eunuchen haben bestimmt schon Alarm gegeben. Unsere einzige Chance wäre es, den geheimen Ausgang zu erreichen, bevor man uns einholt.«

Ohne zu zögern, gab sie ihm ihre Hand und ließ sich durch die Blumenbeete und Anlagen ziehen. Aber es war schon zu spät. Der Augenblick war verpaßt.

Der Tag brach an, und schon regte es sich im Garten. Aus vier Richtungen waren Schritte und Rufe zu hören.

Das eingekreiste Paar zögerte einen Augenblick, überlegte, welchen Weg es einschlagen sollte.

»Es ist zu spät«, murmelte Arnaud. »Wir haben keine Zeit mehr, die Mauer der Oberstadt zu erreichen. Sieh!«

Von allen Seiten tauchten Eunuchen mit ihren unheimlichen Krummsäbeln auf, auf denen die aufgehende Sonne funkelte. Hinter den Sträuchern, wo die beiden Montsalvy den Leichnam Zobeidas gelassen hatte, erklangen gellende Schreie, das »Ju! … Ju!«, die pflichtgemäßen Verzweiflungsschreie der Diener und Sklaven.

»Wir sind verloren!« stellte Arnaud ruhig fest. »Uns bleibt nur noch, anständig zu sterben.«

»Wenn ich bei dir bleibe, glaube ich, daß ich sterben könnte …«, sagte Cathérine, die Hand ihres Gatten fest drückend. »Es wäre nicht das erstemal, daß wir beide dem Tod ins Auge blickten. Erinnere dich an Rouen …«

»Ich habe es nicht vergessen!« erwiderte Arnaud mit flüchtigem Lächeln. »Aber hier gibt es keinen Jean Son, der uns zu Hilfe käme!«