»Aber es gibt Abu al-Khayr … und Gauthier und Josse, meinen Knappen, der in die Truppe des Kalifen eingetreten ist, um Zugang zur Alhambra zu erlangen! … Wir sind nicht allein!« Arnaud sah seine Frau bewundernd an.

»Josse? Wer ist denn das?«

»Ein Pariser Strolch, der auf Pilgerfahrt ging, um Ablaß für seine Sünden zu erlangen … Er ist mir sehr ergeben.«

Trotz der drohenden Gefahr, trotz der nahenden Gestalten, die sie immer enger und unerbittlicher einkreisten, mußte Arnaud lachen.

»Du wirst mich immer erstaunen, Cathérine! Wenn du Satan träfest, ma mie, wärest du fähig, ihm eine Leine um den Hals zu legen und ihn zum gehorsamsten Hündchen zu machen! Ich stelle ebenso mit Vergnügen fest, daß du diesen Muskelberg und normannischen Dickkopf Gauthier bis hierher mitgeschleppt hast. Jetzt wende deine Künste bei denen da an!« fügte er in einem anderen Ton hinzu, auf die Herankommenden deutend. Zwei verschiedene Gruppen näherten sich jetzt dem Paar, das zwischen einem Wasserbecken und einem Rosenstrauch stehengeblieben war. An der Spitze der einen konnten Cathérine und Arnaud die vorhin geflüchteten fackeltragenden Eunuchen erkennen, die dem von sechs Frauen der Prinzessin aufgehobenen Leichnam voranschritten. Den Mann, der die andere anführte, erkannte Cathérine an seinem Turban aus rotem Brokat: Es war der Großwesir Haben-Ahmed Banu Saradj …

»Du hast recht«, murmelte sie. »Wir sind verloren! Der da haßt dich und hat keinen Grund, mich zu lieben …«

Die beiden Gruppen stießen zusammen, bevor sie das Paar erreichten. Banu Saradj blickte lange auf den in seine azurblauen Schleier gehüllten Leichnam hinunter, den die Frauen vor ihm niederlegten. Dann ging er ruhig auf die beiden jungen Leute zu. Cathérine hatte instinktiv bei Arnaud Zuflucht gesucht, der den Arm um ihre Schulter legte. Der Tod, der in Form dieses jungen und eleganten Mannes auf sie zukam, schien ihr schrecklicher zu sein als der, welcher ihr von der Kobra gedroht hatte, vielleicht, weil es furchtbar ist zu sterben, wenn man nach soviel Mühen und Leid endlich die Liebe und das Glück gefunden hat. Der Garten entfaltete seine Schönheit im goldenen Licht des anbrechenden Morgens. Die von der Nacht erfrischten Blumen schienen glanzvoller, und das Wasser warf blaue, glitzernde Reflexe.

Der schwere, seltsam leere Blick Banu Saradjs legte sich jetzt auf Arnaud.

»Du hast die Prinzessin getötet, nicht wahr?«

»Jawohl! Sie wollte meine Frau foltern lassen. Ich habe sie getötet.«

»Deine Frau?«

»Diese hier ist meine Frau, Cathérine de Montsalvy. Sie hat die größten Gefahren auf sich genommen, um zu mir zu gelangen …«

Die schwarzen Augen des Großwesirs ruhten einen Augenblick voller Ironie auf der errötenden Cathérine. Dieser Mann hatte sie in den Armen des Kalifen überrascht, und die Erwähnung der Gefahren, die sie zu bestehen gehabt hatte, mußte ihn zwangsläufig belustigen. Sie schämte sich und machte sich Vorwürfe, weil Arnaud den Spott tragen mußte.

»Es war zweifellos dein Recht«, bemerkte Banu Saradj, »aber du hast Blut aus dem Geschlecht des Herrn der Gläubigen vergossen, und für dieses Verbrechen mußt du sterben.«

»Sei es denn, nimm mein Leben, doch laß meine Gemahlin ziehen! Sie ist unschuldig.«

»Nein!« protestierte Cathérine leidenschaftlich, sich an Arnaud klammernd. »Trenne uns nicht, Wesir! Wenn er stirbt, will auch ich sterben …«

»Ich habe nicht über dein Los zu entscheiden«, wandte Banu Saradj ein. »Der Kalif ist auf dem Weg hierher. In einer Stunde wird er wieder in der Alhambra sein. Du vergißt zu schnell, Frau, daß du ihm gehörst. Und was diesen Mann betrifft …« Er machte eine befehlende Geste. Einige Wachen, die ihn begleiteten, traten vor. Trotz ihrer Schreie und ihrer verzweifelten Gegenwehr wurde sie von Arnaud weggerissen, dessen Hände man auf dem Rücken zusammenband, während die junge Frau den Haremsdienerinnen übergeben wurde.

»Führt sie zurück«, befahl der Wesir in gelangweiltem Ton, »und bewacht sie scharf. Besonders aber sorgt dafür, daß sie schweigt!«

»Ich werde schweigen«, schrie Cathérine außer sich, als sie sah, wie ihr Gatte in Fesseln und von Wachen umgeben abgeführt wurde, »wenn du mich bei ihm läßt, wenn du mich auch fesseln läßt.«

»Sei tapfer, Cathérine!« bat Montsalvy. »Ich brauche deine Tapferkeit.«

»Knebelt sie«, befahl Banu Saradj. »Ihre Schreie sind unerträglich!«

Die Frauen stürzten sich wie ein Wespenschwarm auf sie und knebelten sie. Eine Schärpe wurde ihr um den Mund gebunden, mit einer anderen wurden ihre Hände gefesselt, mit einer dritten die Füße, und dann wurde die junge Frau wie ein Paket auf die Schultern der Dienerinnen gehoben und in die Gemächer der Sultanin getragen, die sie zu Beginn dieser nun zu Ende gegangenen Nacht mit einer so großen Hoffnung im Herzen verlassen hatte. Sie war derart wütend, daß sie nicht einmal mehr Lust hatte zu weinen! Konnte Gott eine solche Ungerechtigkeit zulassen? Sollte Arnaud sterben, weil er diese wahnsinnige Mörderin erdolcht hatte, die sie den schlimmsten Qualen hatte ausliefern wollen? Nein … das war nicht möglich, das konnte nicht möglich sein!

Unter schmerzhafter Anstrengung gelang es ihr, den Kopf zu wenden, um noch einmal ihren Gatten zu sehen. Zwischen den blitzenden Krummschwertern schritt er aufrecht und mutig trotz seiner Fesseln, eine hohe, edle Gestalt im morgendlichen Licht, dem Kerker zu. Heiße, verzweifelte Tränen glitzerten in den Augen Catherines.

»ich werde dich retten …«, versprach sie sich ganz leise. »Und wenn ich mich dem Kalifen zu Füßen werfen und den Staub unter seinen Füßen küssen muß, werde ich deine Begnadigung von ihm erwirken …«

Sie war wieder einmal zu jeder Verrücktheit bereit. Indessen wußte sie, daß es für Arnauds Lebensrettung einen Preis gab, den er von nun an auf keinen Fall gutheißen würde … Er hatte ihr verziehen. Sie gehörte ihm.

Während man sie forttrug, hörte sie in der blauen Morgenluft den schrillen, rhythmischen Ton der Querpfeifen und Trommeln zwischen den Jubelrufen der Menge. Mohammed war in Granada eingezogen.

Als man Cathérine gegen Abend holte, um sie zum Kalifen zu führen, regte sich wieder Hoffnung in ihr. Doch war der Tag durchaus nicht ermutigend gewesen.

Die Wachen an den Ausgängen ihrer Gemächer waren verstärkt worden, dafür hatte sich die übliche Schar von Dienerinnen und Sklavinnen auf einen einzigen stummen Eunuchen verringert, der ihr gegen Mittag ihre Mahlzeit auf einem Tablett gebracht hatte. Keine Frau war zu ihr gelassen worden. Nicht einmal Morayma! Und Cathérine machte sich wegen dieser Isolierung Sorgen, nicht so sehr ihretwegen als um Arnauds willen. Die Härte kündigte nichts Gutes für ihren Gatten an. Sie würde vielleicht mehr Mühe haben, seine Begnadigung zu erreichen, als sie zuerst geglaubt hatte …

Es hatte den üblichen Lärm gegeben, als die Rückkehr des Kalifen verkündet wurde, dann war das ganze Palais wieder in seine Stille zurückgefallen. Von Zeit zu Zeit drang das Jammergeschrei der Klageweiber an Zobeidas Bahre an Catherines Ohr, schrill und aufreizend, weil es gekünstelt war. Wer konnte auch diese grausame, mordgierige Frau ehrlich beweinen? Und was würde Arnaud dafür geschehen, daß er die Welt von ihr befreit hatte?

Cathérine ärgerte sich, daß Morayma nicht erschien. Was konnte diese alte Närrin denn fürchten? Dabei brauchte sie sie dringend. Es mußte um jeden Preis ein Weg gefunden werden, Abu al-Khayr von der tödlichen Gefahr zu verständigen, in der Arnaud schwebte. Würde der Kalif in seinem Zorn nicht sofort seinen Tod befehlen? Lebte Arnaud in diesem Augenblick, in dem Cathérine sich um ihn Sorgen machte, vielleicht schon nicht mehr? … Doch die junge Frau wies diesen Gedanken leidenschaftlich von sich. Nein, er konnte nicht tot sein. Sie hätte es bestimmt gefühlt.

Durch ihren Kummer war Cathérine in einen Zustand fieberhafter Spannung geraten, als Morayma endlich auf der Schwelle ihres Gemachs erschien.

»Komm!« sagte sie nur. »Der Herr will dich sehen!«

»Endlich! Da bist du!« rief die junge Frau. Sie erhob sich schnell, um ihrer Wärterin zu folgen. »Ich habe dich den ganzen Tag erwartet und …«

»Schweig!« herrschte die alte Jüdin sie an. »Ich habe nicht das Recht, mit dir zu sprechen. Und hüte dich ja, einen Fluchtversuch zu machen. Du hättest nicht die geringste Chance.«

Tatsächlich warteten auf der Schwelle zehn Eunuchen, Krummschwerter in den Fäusten, um Cathérine zu eskortieren. Morayma begnügte sich, die junge Frau fest zu verschleiern, und bemerkte:

»Sei so demütig, wie du kannst, Licht des Morgens. Ich bringe dich nicht in den Djenan-el-Arif, sondern in den Mechouar, in den Palast, wo der Herr regiert. Er ist sehr verärgert. Du tust mir leid, denn du wirst seinen Zorn zu spüren bekommen.«

»Ich habe keine Angst!« entgegnete Cathérine stolz. »Geh voraus, ich folge dir!«

Dicht von den Eunuchen umgeben, ließ Cathérine sich durch den Harem zu den Pforten des dem Kalifen vorbehaltenen Palastes führen. Die Frauen, neugierig, oft haßerfüllt, drängten sich auf ihrem Weg. Sie konnte Lachen und Scherze hören. Sie sah die grünen Augen Zorahs blitzen, die vor ihr ausspuckte. Beim Verlassen des Löwenhofs gab es einen solchen Andrang von Frauen, daß die Eskorte Mühe hatte durchzukommen. Die Frauen weigerten sich, sich auseinandertreiben zu lassen. In diesem Durcheinander hörte Cathérine plötzlich eine Stimme, die ihr auf französisch ins Ohr flüsterte:

»Man hat ihn in den Chafar gebracht! Es geschieht also zunächst nichts!«

Sie lächelte dankbar, glaubte, die Gestalt Maries bemerkt zu haben, die sich zwischen den anderen verlor. Es konnte nur sie sein! Und sie fühlte sich getröstet. Arnaud war also in den Hauptturm der Alkazaba gebracht worden … aber er lief nicht Gefahr, sofort getötet zu werden.

Mit dem Schwertknauf oder der Nilpferdpeitsche bahnten die Eunuchen sich den Weg zu der Pforte, welche die beiden Teile des Palastes miteinander verband. Dort standen die maurischen Wachen, behelmt und Lanzen in der Faust, drohend und feierlich, Vorhut der Gerechtigkeit … Jenseits der Pforte tat sich die Herrlichkeit eines königlichen Kreuzgangs aus weißem Marmor auf, um eine meergrüne Wasserfläche herumgeführt und von einer Doppelhecke aus duftenden Myrten eingefaßt. Danach empfingen sie keine stimmungsvollen Gebüsche, keine freundlichen Schatten wie im Djenan-el-Arif. Statt dessen bewaffnete Posten, gestaffelt bis zu dem grandiosen, nach hinten offenen Versammlungssaal in einem massigen, viereckigen Turm und eine Menge Würdenträger und Diener in prächtigen Gewändern. Die Eskorte und Morayma ließen Cathérine am Eingang zum Saal der Gesandten allein. Aus schmalen, mit buntem Glas versehenen Fenstern fiel gedämpftes Licht senkrecht auf den großen goldenen, mit Edelsteinen eingelegten Thron, auf dem der Kalif saß und die junge Frau herankommen sah.

Ein grünseidener, mit einem riesigen Smaragd geschmückter Turban umschloß den Kopf des Herrschers. In der Hand hielt er das Zepter, ein langes, gekrümmtes, goldverziertes Bambusrohr. Und Cathérine stellte mit schwerem Herzen fest, daß keine Freundlichkeit den düsteren, eisigen Blick aufhellte, mit dem er sie betrachtete.

Zwei Diener in langen grünen Gewändern packten sie an den Schultern, als sie eintrat, und zwangen sie, vor dem Thron niederzuknien. Da verlor sie die letzte Hoffnung. Von diesem Mann, der sie von vornherein als Schuldige behandelte, hatte sie nichts zu erwarten. Sie blieb unbeweglich, wartete, daß er spräche, hob aber kühn die Augen zu ihm auf.

Mit einer Bewegung hatte er ihre Umgebung entlassen. Als der letzte Diener sich zurückgezogen hatte, befahl er: »Nimm deinen Schleier ab. Ich möchte dein Gesicht sehen. Ohnehin hast du nicht das Recht dazu. Du bist keine der Unsrigen.«

Sie gehorchte freudig und stand gleichzeitig auf, entschlossen, sich wieder stolz zu zeigen. Wenn sie Arnaud nicht retten konnte, wollte sie Mohammed wenigstens zwingen, sie sein Schicksal teilen zu lassen. Der helle Schleier, den sie trug, glitt an ihr hinunter, während sich ihr Blick mit dem des offenbar gereizten Herrschers kreuzte.

»Wer hat dir erlaubt aufzustehen?«

»Du. Du hast gesagt, ich sei keine der Eurigen! Ich bin eine freie Frau und von edler Herkunft. In meinem Land spricht der König achtungsvoll mit mir.«

Mohammed neigte sich zu ihr hinunter, eine spöttische, verächtliche Falte um die vollen Lippen.

»Hat dich dein König besessen? Ich habe dich besessen! Welche Achtung könnte ich für dich empfinden?«

»Hast du mich zu dir befohlen, o mächtiger Kalif, um mir das zu sagen? ich sehe den Nutzen nicht ein, es sei denn, es gefällt dir, eine Frau zu beleidigen.«