»Ich hätte dich, ohne ein Wort zu verlieren, in den Tod schicken können, aber ich wollte dich wiedersehen … und sei es auch nur, um deine Fähigkeit zu lügen beurteilen zu können.«

»Lügen? Warum sollte ich mir die Mühe dazu nehmen? Frage, Herr: ich werde dir antworten. Eine Frau meines Standes lügt nicht.«

Es folgte Stille. An untertänige Sklaven, an untätige, verweichlichte Kreaturen gewöhnt, für die es kein größeres Fest bedeutete, als zu ihm gerufen zu werden, betrachtete Mohammed diese Frau mit einer Mischung aus Zorn und Erstaunen, die es wagte, in ihrer Lage ohne augenscheinliche Furcht, jedoch nicht arrogant, sondern nur stolz und würdevoll vor ihn hinzutreten. Daß ihre Unterhaltung sich so entwickelt hatte, fachte den Mut der jungen Frau an. Wenn sie so weitersprechen konnte, fast gleich zu gleich, bestünde vielleicht eine Chance … Abrupt ergriff Mohammed das Wort:

»Man sagt, daß der fränkische Ritter … der Mörder meiner vielgeliebten Schwester, dein Gemahl sei«, bemerkte er mit geheuchelter Nachlässigkeit.

»Das ist wahr.«

»Also hast du mich belogen! Du bist keine in Almeria gekaufte Berbergefangene.«

»Man hat dich belogen, Herr! Ich habe nichts dergleichen gesagt … denn du hast mich ja nicht gefragt. Jetzt werde ich es dir selbst sagen: ich heiße Cathérine de Montsalvy, Dame de la Chataigneraie, und bin hierhergekommen, um meinen Gatten zurückzuholen, den deine Schwester mir gestohlen hatte.«

»Gestohlen? Ich bin diesem Mann des öfteren begegnet. Er schien sich mit seinem Los abgefunden zu haben … und mit der wahnsinnigen Liebe, die Zobeida für ihn empfand.«

»Welcher Gefangene versucht nicht, sich mit seinem Los abzufinden? Und was die Liebe betrifft, Herr, so müßtest du, der du die Frauen nach Lust und Laune nimmst, ohne daß dein Herz daran beteiligt ist, wissen, daß ein Mann das ziemlich leicht fertigbringt.«

Brüsk warf der Kalif das Bambuszepter beiseite, das seine Majestät vielleicht erhöhte, ihn aber behinderte, und rückte unruhig auf seinem Paradediwan hin und her. Cathérine sah, wie ein Hauch von Traurigkeit in seinen klaren Blick trat.

»Siehst du es so an?« fragte er bitter. »Ich habe dir in wenigen Tagen so viel Liebe geschenkt, daß ich von dir zumindest Wärme erwarten könnte! Ich habe einen Augenblick geglaubt, in dir die zu entdecken, die zu suchen ich schon aufgegeben hatte. Du bist also in meinen Armen nur eine Sklavin wie die anderen gewesen?«

»Nein. Du hast mich glücklich gemacht«, gab Cathérine ehrlich zu. »Ich kannte dich nicht und war angenehm überrascht, dich als den zu finden, der du bist. Ich habe mich auf Schreckliches gefaßt gemacht, und du hast dich als liebenswürdig und gut erwiesen. Diese Erinnerung, die du in mir wachrufst … warum soll ich nicht gestehen, daß sie mir angenehm ist und daß unsere Nacht eine bezaubernde Nacht war? Habe ich dir nicht versprochen, dich nicht zu belügen?«

Mit einer schnellen, behenden Bewegung stand Mohammed auf und trat auf Cathérine zu. Das Blut war ihm in die braunen Wangen gestiegen, und seine Augen blitzten.

»Warum sollen wir die Romanze nicht wiederaufnehmen, wo wir sie abgebrochen haben?« murmelte er leise, drängend. »Alles kann bleiben, wie es war. Du gehörst mir immer, und ich kann die Bande, die dich an diesen Mann ketten, leicht vergessen.«

Die in den Worten des Kalifen fiebernde Leidenschaft ließ Cathérine erzittern. Die Liebe war das einzige Gebiet, auf das sie ihm nicht zu folgen vermochte, weil sie seine Leidenschaft nicht mehr erwidern konnte. Sie senkte den Kopf, antwortete mit müder Sanftmut:

»Ich nicht! Er ist mein Gatte, habe ich dir gesagt. Wir sind von einem Priester in unserem Land getraut worden. Ich bin seine Frau, bis der Tod uns scheidet.«

»Was nicht lange auf sich warten lassen wird! Bald wirst du frei sein, meine Rose, und wirst hier ein Leben beginnen, dem gegenüber das, welches du gekannt hast, nur ein schlechter Traum ist. Ich werde dich zur Sultanin machen, zur Königin über alles, was hier lebt und atmet. Du wirst alles haben, was dein Herz begehrt, und du wirst mehr herrschen als ich, weil du über mich herrschen wirst!«

Mohammed hatte mit einem Schlag das leidenschaftliche Gesicht wiedergewonnen, das er in dem Garten mit den plätschernden Wassern gehabt hatte. Cathérine, plötzlich traurig, verstand, daß er sie wirklich liebte, daß er jedes Opfer für sie zu bringen bereit war, außer dem einen, das sie von ihm forderte.

Es wäre natürlich leicht, ihn zu belügen, ihn an eine fiktive Liebe glauben zu lassen, aber sie wußte wohl, daß dies Arnaud nicht retten und daß er ihr diesen letzten Verrat nicht verzeihen würde. Sie hatte versprochen, offen zu sein, und sie würde es bis zum Schluß sein. Vielleicht würde dieser Mann, der ihr immer gut und gerecht erschienen war, letzten Endes so viel Edelmut aufbringen, sich großzügig zu erweisen …

»Du hast mich nicht verstanden, Herr«, sagte sie betrübt, »oder du hast mich nicht verstehen wollen. Um hierherzukommen und ihn hier zu suchen und so viele Gefahren zu bestehen, mußte ich meinen Gemahl lieben … mehr als alles in der Welt!«

»Ich sagte dir bereits, daß er nicht mehr lange dein Gemahl sein wird!«

»Weil du ihm den Tod geschworen hast? Aber, Herr, wenn du mich liebst, wie du behauptest, kannst du mich nicht zur Verzweiflung treiben wollen. Glaubst du, daß ich dich nach seinem Tod lieben, die Liebkosungen deiner von seinem Blut noch triefenden Hände ertragen könnte?«

Plötzlich kam ihr ein Gedanke, hochherzig und verrückt, aber die unmittelbare Gefahr, in der sich Arnaud befand, ließ ihr keine Wahl. Sie hatte immer das Recht, sich für ihn zu opfern, und dieser Mann empfand genug Liebe für sie, um anzunehmen, was sie ihm jetzt anbieten würde:

»Hör mich an!« sagte sie mit drängender Stimme. »Wenn du mich wirklich liebst, kannst du keine so entsetzliche Erinnerung zwischen uns stellen. Laß meinen Gemahl gehen! Laß ihn an die Grenze des Königreichs zurückbringen … und ich werde bei dir bleiben, als deine Gefangene, solange du willst.« Diesmal verdrehte sie bewußt die Wahrheit entgegen ihrem Versprechen, denn sie wußte genau, daß sie, wenn er ihren Vorschlag annähme, alles täte, um zu fliehen, und daß Arnaud seinerseits alles ins Werk setzen würde, sie zu entführen. Aber sie mußte Zeit gewinnen und vor allem Arnaud dem nahenden Tod entreißen. Ganz behutsam näherte sie sich Mohammed mit instinktiver Koketterie, betörte ihn mit ihrem Parfüm, wurde kühner und legte ihm die Hand auf den Arm. Zum Teufel mit den Bedenken! Das Leben Arnauds ging vor!

»Hör mich an, Herr, und tue, worum ich dich bitte!« flehte sie. »Begnadige meinen Gatten!«

Ohne sie anzusehen, den Blick auf den grünen Hof gerichtet, erwiderte er kalt: »Ich habe nicht das Recht zur Begnadigung! Du vergißt, daß es meine Schwester ist, die er getötet hat, und daß das gesamte Königreich den Kopf des Mörders verlangt.« Daß ganz Granada die allgemein verhaßte Zobeida rächen wollte, bezweifelte Cathérine, sie sagte aber nichts. Es war jetzt nicht der Augenblick, die Beliebtheit der Toten zu erörtern. Als ihre Hand ihn berührte, hatte sie gespürt, wie Mohammed zitterte, und das genügte ihr.

»Dann laß ihn fliehen! Niemand wird dir daraus einen Vorwurf machen.«

»Fliehen?« Diesmal sah er sie an, und Cathérine stellte enttäuscht fest, daß sein Blick wie Stahl war. »Weißt du, daß sich der Großwesir persönlich zu seinem Kerkermeister eingesetzt hat? Weißt du, daß außer den zwanzig maurischen Soldaten, die ihn nicht aus den Augen lassen, auch ein Trupp von Männern des Großen Kadi seinen Kerker bewacht? Denn Allah selbst verlangt das Blut des Mörders einer Prinzessin von Granada. Um ihn fliehen zu lassen, müßte ich diese ganze Welt beseitigen … und ich würde meinen Thron riskieren!«

Während er sprach, hatte Cathérine allmählich die Hoffnung aufgegeben.

Sie begriff plötzlich, daß der Kampf vergebens war, daß er jeden Vorwand suchte, um eine Begnadigung zu verweigern, die er eben nicht gewähren wollte. Er haßte Arnaud, mehr noch, weil er ihr Gemahl war, als Zobeidas wegen. Trotzdem machte sie noch einen letzten Versuch, ihn zu erweichen.

»Deine Schwester wollte mich den Sklaven ausliefern«, sagte sie kurz und bündig, »wollte mich nackt auf dem Festungswall ans Kreuz schlagen lassen und mich dann ihren mongolischen Henkersknechten ausliefern. Arnaud hat zum Dolch gegriffen, um mich zu retten, und du verweigerst mir sein Leben! … Und du behauptest, du liebtest mich?«

»Ich habe dir gesagt, daß ich es nicht kann!«

»So! Bist du hier der Herr oder nicht, ja oder nein! Und was war Zobeida anders als eine Frau … eine dieser so verachteten Frauen, von so geringer Bedeutung für die Angehörigen deines Volkes? Und du möchtest mich glauben machen, daß der Großkadi selbst, der heilige Mann von Granada, das Blut meines Gatten fordert?!«

»Zobeida war vom Blut des Propheten!« donnerte Mohammed. »Und wer das Blut des Propheten vergießt, muß sterben! Das Verbrechen ist noch größer, weil der Mörder ein Ungläubiger ist! Höre auf, mich um Unmögliches zu bitten, Licht des Morgens. Die Frauen verstehen nichts von den Angelegenheiten der Männer!«

Die Verachtung in seiner Stimme ließ Cathérine auffahren.

»Wenn du nur wolltest … du, der für so stark gilt!«

»Aber ich will nicht!«

Brutal hatte er sich ihr zugewandt, hatte sie an den Armen gepackt und preßte sie, während er sein vor Wut rotes Gesicht dem Catherines näherte.

»Begreifst du nicht, daß du mich mit deinen Bitten nur noch mehr reizt? Warum sagst du nicht offen, was du denkst? Warum sagst du mir nicht: Laß ihn frei, weil ich ihn liebe und weil ich ihn um jeden Preis am Leben wissen muß … selbst um den Preis deiner Küsse! Wahnsinnige! Gerade deine Liebe für ihn, viel mehr als der Wunsch, meine Schwester zu rächen, macht ihn mir so hassenswert. Denn ich hasse ihn jetzt, verstehst du … ich hasse ihn zutiefst, mit aller Kraft, weil es ihm gelungen ist zu erlangen, was ich um alles in der Welt wünschte: von dir geliebt zu werden.«

»Glaubst du, mehr zu erreichen, wenn du ihn tötest?« fragte Cathérine kalt. »Die Toten haben eine Macht, wie du es dir gar nicht vorstellen kannst. Du würdest die Gemahlin Arnaud de Montsalvys gefangenhalten können, aber seine Witwe würdest du nie besitzen! Erstens, weil ich ihn nicht überleben würde. Und dann, weil das Blut, mit dem du dich befleckt hättest, mich schaudern machen würde, wenn ich noch leben sollte …«

Mit einem jähen Ruck hatte sie sich von ihm gelöst, war einige Schritte zurückgetreten und sah ihn jetzt herausfordernd an. Es war seltsam zu sehen, wie die Männer im Zorn sich ähnelten. Unter der aufgeregten Maske dieses Mannes entdeckte sie den Reflex anderer Wutausbrüche, die aller Männer, die sie geliebt hatten oder mit denen sie gekämpft hatte. Und immer war sie als Siegerin hervorgegangen. In dem Augenblick, in dem nicht an ihr Herz oder an ihre Empfindsamkeit appelliert wurde, fühlte sie sich einem zornigen Mann gegenüber stark. Aber wenn sie glaubte, daß die Schwäche, die dem Zorn immer anhaftet, ihr Mohammed ausliefern würde, dann täuschte sie sich. Die anderen gehörten zu ihrem Volk. Dieser da war anders. Zwischen ihnen lag eine Welt, über die hinweg sich ihre Geister nicht finden konnten.

Mit äußerster Anstrengung beruhigte sich der Kalif. Cathérine den Rücken kehrend, ließ er sich wieder auf seinem Thron nieder, griff nach seinem Zepter, als suche er in dem Emblem seiner Macht eine Verteidigung gegen diese allzu reizvolle Frau. Cathérine straffte sich, unruhig plötzlich über den zweideutigen Blick, den er ihr zuwarf, während ein leises Lächeln seine Zähne unter dem blonden Bart blitzen ließ. Furcht erfaßte sie! Mohammeds Wut war weniger erschreckend als dieses Lächeln!

»Du wirst nicht sterben, Licht des Morgens!« begann er sanft.

»Höre auf, mich so zu nennen!« begehrte die junge Frau auf.

»Dieser Name ist greulich. Ich heiße Cathérine!«

»Die Barbarennamen sind mir nicht sehr geläufig, aber ich werde nach deinem Wunsch handeln. Also, du wirst nicht sterben … Cathérine, denn ich werde darauf achten, daß dir keine Möglichkeit dazu gelassen wird. Und ich werde dich gewinnen, wann immer ich will. Nein … keine Einwände! Ich werde das Blut deines Gatten nicht an meinen Händen haben … denn du wirst ihn töten!«

Catherines Herzschlag setzte aus. Sie glaubte, nicht recht gehört zu haben, fragte verstört: »Was sagst du? Ich habe nicht richtig verstanden …«

»Du selbst wirst ihn töten mit deiner hübschen, schmalen Hand. Höre weiter: Dein Gatte liegt in diesem Augenblick in einem tiefen Kerker. Dort wird er bis zum Tag der feierlichen Bestattung seines Opfers, die heute in einer Woche bei Sonnenuntergang stattfinden wird, bleiben. An diesem Tag wird er sterben, damit der Sklave seine Herrin ins Jenseits begleite und Zobeida in ihrem Grabmal die blutigen Überreste ihres Mörders betrachten kann. Bis dahin wird er nichts trinken, nichts essen, nicht schlafen, damit das Volk sehen kann, was mein Zorn aus einem fränkischen Ritter zu machen vermag. Aber was er an Qualen zu erdulden haben wird, ist nichts im Vergleich zu dem, was er vor seinem Tod auszustehen hat. Unter freiem Himmel, vor dem ganzen Volk, werden die Henkersknechte es ihn hundertmal bereuen lassen, daß er geboren wurde … es sei denn …«