Über allem lag eine Kirmesatmosphäre. Bis das Schauspiel begann, waren alle Possenreißer der Stadt aufs Manöverfeld gezogen, in der Gewißheit, dort ihr Publikum zu finden. Gaukler, Erzähler, die ihren Vortrag mit kurzen Trommelschlägen begleiteten, Schlangenbeschwörer, die ihre gefährlichen Pfleglinge sich in frenetischen Tänzen wiegen ließen, Akrobaten, noch gelenkiger als die Schlangen, Zauberinnen, die die Zukunft aus einem Weidenkorb mit schwarzen und weißen Muscheln lasen, näselnde Sänger, die Koranverse oder Liebesgedichte mit Muezzinstimme herunterleierten, alte graubärtige Hanswurste, deren Grimassen einen Sturm von Gelächter auslösten, Bettler und fleißige Taschendiebe – ein einziges Gebrodel in dem aufgewirbelten roten Staub, dazu der Geruch von Pferdemist und Stroh.

Über dem Eingangstor der Alhambra erschienen einige Männer zwischen den Zinnen. Einer, groß und in ein orangegestreiftes Gewand gekleidet, ging den anderen voran, die, nachdem sie respektvoll die Hände gekreuzt hatten, seine Befehle zu erwarten schienen. Kalif Mohammed kam, um sich mit einem letzten Blick zu vergewissern, daß alles in Ordnung war und das Schauspiel beginnen konnte. Die Schwadronen der Reiter mit ihren spitzen Helmen und weißen Turbanen bezogen um den riesigen Platz Stellung. Auf den Türmen der Alhambra träumten Störche, unbeweglich auf einem Bein stehend … Inzwischen bereiteten in den Gemächern der Sultaninnen die Frauen unter Leitung der aufgeregten Morayma die augenscheinlich teilnahmslose Cathérine vor. In der Mitte des Gemachs stehend, zwischen Bergen von Schleiern, Seidenstoffen, neben offenen Kasten voller kostbarer Fläschchen, ließ sie sich wortlos, bewegungslos gleich einer Statue mit lebenden Augen anziehen. Man hörte im Gemach nur das Geschimpfe Moraymas, die nie mit der Arbeit der gereizt seufzenden Dienerinnen zufrieden war. Die Herrin des Harems nahm die Haltung einer Priesterin ein, die einen Ritus zelebriert, dessenungeachtet aber die Frauen anpfiff, die Cathérine Stück um Stück, von Kopf bis Fuß in Gold hüllten. Aus feinem goldbesticktem Leder waren die Pantoffeln, goldverziert und mit Smaragden besetzt die weiten Hosen aus goldschimmerndem Musselin. Das kurze Leibchen, das ihre Brust umschloß, war aus Goldbrokat. Juwelen im Übermaß vervollständigten ihre Kleidung: Reifen bis zur Mitte ihrer Arme, dicke Armspangen, eine Halskette mit großen, tropfenförmigen Smaragden bis zu den halb entblößten Brüsten des tiefen Dekolletés, schließlich ein fabelhafter breiter Gürtel, ein wahres Meisterwerk persischer Kunst, mit Diamanten, Rubinen und Smaragden besetzt, den Morayma mit einer Art respektvoller Furcht der jungen Frau um die Hüfte gelegt hatte: »Der Herr zeigt dir mit dem Geschenk dieses Gürtels seinen festen Vorsatz, dich zu seiner Gemahlin zu machen. Dieses Kleinod, einst vom Kalifen von Bagdad, Harun al-Raschid, für seine Lieblingsfrau bestellt, ist die Perle seines Schatzes. Nach der Plünderung des Palastes von Bagdad kaufte der Emir von Cordoba das Kleinod für seine Geliebte, und dann wurde es gestohlen. Der Seigneur Rodriguez de Bivar, el Cid, schenkte es seiner Gemahlin, Donna Ximena, aber später, nach ihrem Tod, kam der Gürtel wieder zurück. Alle Sultaninnen haben ihn an ihrem Hochzeitstag getragen …«

Morayma verstummte. Cathérine hörte nicht hin. Seit einer Woche lebte sie wie eine Schlafwandlerin, in einer Art wachen Alptraums, der Morayma alsbald und dann den ganzen Harem mit abergläubischer Furcht erfüllt hatte. Der seltsame, tiefe Schlaf, in den sie seit der Festnahme ihres Gatten jeden Abend fiel, hatte Mohammed zuerst heftig erzürnt, dann aber in ein gewisses furchtsames Erstaunen versetzt. Nichts konnte diesen Schlaf bezwingen, der mehrere Nachtstunden währte, und es war, als hätten die Hände Allahs selbst die Augen der Gefangenen geschlossen. Anfänglich hatte man wohl an eine Droge gedacht, aber in dem Verhalten der jungen Frau, die scharf überwacht wurde, hatte sich nichts Anomales gezeigt. Mohammed war schließlich zu dem Schluß gekommen, daß es ein Zeichen des Himmels sei. Er durfte diese Frau, Gemahlin eines Mörders, nicht berühren, solange ihr legitimer Herr noch lebte, und nach dem dritten Abend hatte er es aufgegeben, sie zu sich zu beordern. Doch Morayma, abergläubisch bis zum Exzeß und als gute Tochter Judas Anhängerin der Geheimlehren, war nicht weit davon entfernt, in der neuen Favoritin ein außergewöhnliches Wesen zu sehen. Ihre Wortkargheit, ihr hartnäckiges Schweigen schienen ihr Anzeichen einer von unsichtbaren Geistern Gezeichneten zu sein.

Um die Wahrheit zu sagen, wirkte die Droge Abu al-Khayrs auf Catherines Bewußtsein immer nachhaltiger. Sie lebte durch den Tag in einer Art zweiter Existenz, ihr Geist war benebelt, was zumindest den Vorteil hatte, daß ihr Kummer und ihre Sorgen gedämpft und ihr Schmerz eingeschläfert waren. Ohne dies wäre sie wahnsinnig geworden, so unerträglich war ihr der Gedanke, daß Arnaud im Turm der Alhambra von Hunger, Durst und Schlaflosigkeit gequält wurde. Doch hatte Cathérine, beunruhigt über die Betäubung ihrer Sinne und Reflexe, an den beiden letzten Abenden der Woche die Rosenkonfitüre nicht angerührt und sich einfach schlafend gestellt. Am Hinrichtungstag wollte sie im Besitz aller ihrer Sinne sein.

Noch einen Tusch Kohle auf die Augenlider, und Morayma hüllte Cathérine in einen gewirkten bestickten Schleier, der das Bild eines fremden, barbarischen Idols vervollständigte.

»Es ist Zeit …«, flüsterte sie und bot ihr die Hand, um sie über die Schwelle zu führen. Aber Cathérine lehnte die dargebotene Hand ab. Sie war überzeugt, daß der Weg, den sie jetzt ging, zum Tode führte, daß ihr nicht mehr viel Zeit zu leben blieb und die fabelhaften Geschmeide, die man ihr angelegt hatte, nur der Ornat für das dem Tode bestimmte Opfer waren. Gleich würde sie Arnaud erdolchen, um ihm die fürchterlichsten Qualen zu ersparen, dann würde sie die Waffe flink gegen sich selbst richten, und alles wäre zu Ende. Ihre Seele würde mit der ihres Mannes in die blaue, warme Luft steigen, dieser Sonne entgegen, die bald hinter den schneebedeckten Bergen untergehen würde, und sie wären für immer vereint, von Schmerz, Zweifel und Eifersucht befreit, würden nur ein Stück fühllosen Fleisches in den Händen ihrer Henker zurücklassen. Alles in allem war dieser Tag ein schöner Tag, weil Cathérine und Arnaud nur noch nach der letzten Ruhe strebten …

Als die zukünftige Sultanin, von Frauen umgeben und einer starken Eunuchentruppe begleitet, im Rund erschien, hatten der Kalif und sein Gefolge bereits auf der erhöhten, grün-gold ausgeschlagenen Tribüne Platz genommen, die für ihn vorbereitet worden war. Die zahlreichen Spaßmacher der Menge hatten mit ihren Kunststücken aufgehört, aber es trat keine Stille ein. In der Menge ging es wie in einem aufgestörten Vogelhaus zu. Die Erscheinung der jungen Frau zügelte sie einen Augenblick. Inmitten der zarten blauen, rosenfarbenen, safrangelben oder mandelgrünen Schleier ihrer Frauen schimmerte sie geheimnisvoll, ihr funkelndes Geschmeide ließ sich unter der goldenen Wolke ihres Schleiers erraten. Still nahm Cathérine auf einer etwas niedrigeren Tribüne neben der des Kalifen Platz. Sie war mit blauer Seide verkleidet, und einige Stufen verbanden sie mit dem Sand der improvisierten Arena. Schweigend sah auch Mohammed die junge Frau sich nähern, strich mit nervöser, mechanischer Gebärde über seinen blonden Bart. Ihre Blicke kreuzten sich, aber unter dem Eindruck ihrer wild funkelnden Augen wandte er den Blick ab. Stirnrunzelnd schenkte er seine Aufmerksamkeit der Arena, wo eine Truppe junger berberischer Tänzer zum Klang einer näselnden, klagenden Musik aufgetreten war. In lange weiße Gewänder gekleidet, mit Juwelen bedeckt und wie Mädchen geschminkt, Stirn und Taille mit roten Seidenkordeln umbunden, lag auf den außergewöhnlich zarten Gesichtern dieser hübschen Jünglinge ein versteinertes Lächeln. Mit ihren behenden Füßen stampften sie auf den Boden, sie bogen sich wollüstig in den Hüften, ahmten in einem fremdartigen Tanz mit komplizierten Figuren die Bewegungen der Liebe nach. Einige sangen mit hohen Kopfstimmen, sich selbst auf dreisaitigen, schrill klingenden Geigen begleitend, andere schlugen mit ihren Fingern Kastagnetten aus Bronze zum Takt ihrer Schritte.

Diese zweideutigen Tänze mißfielen Cathérine, die den Kopf abwandte, eine Bewegung, die ihr haßerfüllte Blicke der jungen Tänzer eintrug, aber sie konnte ihre gezierten Bewegungen das Weichlich-Weibische ihrer Attitüden auf diesem Fest des Todes nur mit Mühe ertragen. Denn es war das Fest des Todes. Diese Menge war gekommen, um Blut zu sehen!

Oben, in der königlichen Moschee, dröhnten dumpf die Trommeln. Ihr Rollen ging über die Tänzer wie ein Gewittersturm hinweg, sie warfen sich keuchend zu Boden, blieben bewegungslos liegen, während ihre leidenschaftliche Musik erstarb. Langsam öffneten sich die schweren Flügel der Pforte der Sieben Stockwerke, einem feierlichen Zug den Weg freigebend. Vor einer Gruppe von Querpfeifern und Tamburinschlägern wurde die einbalsamierte Leiche Zobeidas, starr und rot unter dem langen Purpurschleier, der sie von Kopf bis Fuß bedeckte, von zwanzig Sklaven auf einer Silberbahre herausgetragen. Priester in weißen Gewändern umgaben sie, dann folgte ein großer Trupp schwarzer Eunuchen, angeführt von ihrem Befehlshaber, einem riesigen Sudanesen mit bronzefarbenem Gesicht, der sein Krummschwert zum Zeichen der Trauer umgekehrt trug.

Das Erscheinen ihrer Feindin weckte Cathérine aus ihrer verächtlichen Gleichgültigkeit. Zobeida war tot, aber ihr Haß lebte noch. Cathérine fühlte ihn, und eine kalte Wut bemächtigte sich ihrer beim Anblick dieses erstarrten Körpers, dem sie in Bälde ihren Gatten und sich selbst opfern müßte. Inzwischen stellten die Sklaven die Bahre auf einer Art niedrigen Podests vor der Tribüne des Kalifen ab, der sich erhob und mit Banu Saradj und mehreren Würdenträgern die sterblichen Überreste seiner Schwester grüßte. Wieder wollte Cathérine die Augen abwenden, aber etwas zwang sie, es nicht zu tun. Mit fast unerträglicher Beharrlichkeit hatte sie einen Blick auf sich gefühlt und wandte sich instinktiv nach der Seite, von derer kam. Und da entdeckte sie unter dem Gefolge des Kalifen Abu al-Khayr. Die hohe, breite Gestalt des Hauptmanns der maurischen Wache hatte bis dahin die schmächtige Gestalt ihres Freundes verdeckt. Unter seinem riesigen orangefarbenen Turban sah der kleine Arzt sie beharrlich an, und Cathérine bemerkte, als ihre Blicke sich schließlich kreuzten, daß er ihr ein flüchtiges, schnelles Lächeln zusandte, dann den Kopf wandte, als wollte er sie veranlassen, der Richtung seines Blickes zu folgen. Und sie erspähte in den ersten Reihen der Menge, die er mit seiner hohen Gestalt überragte, Gauthier, der mit verschränkten Armen sehr gut den Neugierigen spielte. Nach wie vor in seinem groben Gärtnerkittel, eine Art kegelförmigen Filzhut auf dem Kopf, machte er den völlig ruhigen, friedlichen Eindruck eines Mannes, der einem frohen Fest beiwohnt und nicht einer Hinrichtung.

Dann wanderten die Augen Abu al-Khayrs zu einer Gruppe maurischer Reiter weiter hinten, und Cathérine erkannte unter einem vergoldeten Spitzhelm Josse. Allerdings mit einiger Mühe. Sonnengebräunt wie seine Kameraden, das Gesicht von einem schwarzen Bärtchen umrahmt, steif in seinem verzierten Sattel sitzend, die Lanze in der Faust, bot der Pariser einen ebenso wilden und militärischen Anblick wie seine Kameraden. Nichts unterschied ihn von den anderen Reitern, und Cathérine bewunderte die Kunst, mit der der einstige Strolch seine Rolle spielte. Augenscheinlich interessierte er sich nicht für das, was vor ihm vorging, war ganz damit beschäftigt, sein Pferd in Reih und Glied zu halten. Tatsächlich schien das Tier außerordentlich nervös zu sein, tänzelte auf der Stelle und hätte ohne die Fertigkeit seines Reiters zweifellos einige Unordnung verursacht.

Der Anblick ihrer drei Freunde belebte Catherines Hoffnungen. Sie wußte, daß sie mutig, ergeben und zu allem bereit waren, sie zu retten, sie und Arnaud, und diese Entschlossenheit, die sie in ihnen fühlte, riß sie mit … Durfte man mit solchen Männern wirklich verzweifeln?

Eine lange Zeremonie folgte der Ankunft der Leiche der Prinzessin. Es gab Gesänge, feierliche Tänze, die unendlich lange Ansprache eines imposanten Greises mit schneeweißem Bart, groß und hager wie eine Pappel im Winter, dessen Augen unter buschigen weißen Brauen in einem fanatischen Feuer brannten. Cathérine wußte bereits, daß es der Großkadi war, und grub die Nägel in ihre Hände, als sie hörte, wie er den Zorn Allahs und des Kalifen auf den Ungläubigen herunterrief, der es gewagt hatte, seine frevelhafte Hand gegen einen Nachkommen des Propheten zu erheben. Als er endlich nach einer Verwünschung schwieg, dämmerte es Cathérine, daß die Sterbestunde für Arnaud und sie gekommen war, und der schwache Hoffnungsschimmer, den die Anwesenheit ihrer Freunde wieder entfacht hatte, schwand … Was konnten sie schon ausrichten, drei gegen so viele? Da waren die Menge, der Hof, die Soldaten … und soviel Haß gegen den Ungläubigen, soviel wilde Freude über seinen nahenden Tod! … Es blieb nur noch Gott! Still richtete Cathérine ein inständiges Gebet an den Herrn, die Jungfrau von Puy, deren Schutz sie erfleht hatte, an den heiligen Jakob von Compostela.