Cathérine unterdrückte ein Lächeln. Gewiß, Jacques war gekommen, um sie zu suchen, und hatte den Gesandtenwimpel gehißt, aber bei ihm verbannten die Gefühle keineswegs den Geschäftssinn. Diese aus Freundschaft unternommene Reise mußte sich lohnen …
Während das Boot mit dem Verwundeten vom Ufer ablegte und dem Schiff zuglitt, von wo es zurückkehren sollte, um sie aufzunehmen, und während Arnaud sich ernst von Mansour verabschiedete, fragte sie:
»Übrigens, mein Freund, wie habt Ihr erfahren, daß wir hier sein würden?«
»Das ist eine lange Geschichte. Aber in zwei Worten: Ihr verdankt unser Kommen Eurer alten Freundin, der Dame de Châteauvillain. Ihr habt Euch, scheint es, im Gebirge von ihr getrennt, habt aber einen Knappen Messire Arnauds bei ihr gelassen, den sie sehr gut auszuhorchen verstand. Worauf sie schnurstracks nach Angers zur Herzogin-Königin eilte und ihr die ganze Geschichte erzählte. Es war Madame Yolande, die mich benachrichtigt und mit mir diese Reise geplant hat.«
»Unglaublich!« rief Cathérine verdutzt. »Ermengarde, die mich an Händen und Füßen gefesselt zu ihrem Herzog zurückbringen wollte?«
»Vielleicht! Solange sie ehrlich glaubte, dies sei die beste Lösung für Euch. Aber von dem Augenblick an, in dem Ihr hartnäckig darauf bestandet, Messire Arnaud nachzureisen, hat sie sich bemüht, Euch zu helfen. Sie will vor allem Euer Glück, und Ihr habt keine Ahnung, was für einen Krach sie machte, bis ich aufbrach! Ich habe die größte Mühe gehabt, ihr klarzumachen, daß ich sie nicht mitnehmen könne.«
»Die gute Ermengarde!« seufzte Cathérine mit unwillkürlicher Zärtlichkeit. »Sie ist eine außergewöhnliche Frau. Auf jeden Fall war das Abenteuer riskant. Wie konnte sie wissen, daß ich Arnaud finden und ob ich gesund und sicher nach Granada gelangen würde?«
Jacques Coeur hob die Schultern und grinste spöttisch.
»Sie kennt Euch eben! Wenn Euer Gatte im Innern Afrikas gefangengehalten worden wäre, hättet Ihr bestimmt Mittel und Wege gefunden, zu ihm zu gelangen. Das natürlich«, schloß er, »wäre ein viel weiterer Weg für mich gewesen …«
In der dunkelsten Stunde der Nacht, unmittelbar vor dem Morgengrauen, starb Gauthier in der hohen Heckkabine, in der Jacques Cœur ihn untergebracht hatte, das Gesicht dem offenen Meer zugewandt, das er nicht mehr befahren konnte … Der Todeskampf war grauenvoll gewesen! Die Luft drang nur mit Mühe in die beschädigten Lungen, und die Konstitution des Riesen, seine außergewöhnlichen Lebenskräfte, verlängerten den erschöpfenden, von vornherein verlorenen Kampf gegen den Tod und machten ihn dadurch noch grausamer.
Cathérine, Arnaud, Abu al-Khayr, Josse, Marie und Jacques Coeur waren bei ihm, wohnten machtlos und mit großem Schmerz diesem erschöpfenden Todeskampf bei, den der bewußtlose Gauthier um ein Leben führte, das nichts mehr von ihm wollte. Dicht nebeneinander, die Gesichter von Müdigkeit und den flackernden Schatten der in der Kabine angezündeten qualmenden Öllampen gezeichnet, beteten sie, daß endlich die gequälte Stimme schweige, die in einer unbekannten Sprache Klagen, Verwünschungen, Anrufungen der geheimnisvollen nordischen Gottheiten ausstieß, die der Normanne sein Leben lang angebetet hatte. Draußen stand die Mannschaft in einem dichten Haufen, wartend, ohne eigentlich recht zu wissen, worauf, in der Erkenntnis nur, daß sich in der geschlossenen Kabine ein Drama abspielte.
Endlich ein letztes Zucken, ein Seufzer, der einem Röcheln ähnelte, und der riesige Körper bewegte sich nicht mehr. Drückende Stille, nicht mehr durch das schreckliche Atmen unterbrochen, senkte sich herab. Das vor Anker liegende Schiff, dessen sanftes Schaukeln den Todeskampf des Riesen begleitet hatte, knarrte unheilverkündend in einer Klage, auf die der heisere Schrei der Möwen antwortete.
Da verstand Cathérine, daß alles zu Ende war. Schluchzend legte sie zwei Finger auf die geöffneten Lider und schloß die Augen ihres Freundes für die Ewigkeit. Dann ging sie zu Arnaud zurück, flüchtete sich in seine Arme. Er zog sie an sich, damit sie ihr tränennasses Gesicht verbergen konnte. Jacques Coeur hustete, um der Bewegung, die ihm das Herz zusammenschnürte, Herr zu werden.
»Gleich, sobald die Sonne aufgegangen ist, werden wir ihn versenken!« sagte er. »Ich werde die Gebete sprechen.«
»Nein«, wandte Abu al-Khayr ein. »Ich mußte ihm versprechen, über sein Begräbnis zu wachen. Keine Gebete, aber ich werde dir sagen, was zu tun ist.«
»Gut, kommt mit. Wir werden die Anweisungen geben.«
Die beiden Männer gingen hinaus, und Cathérine konnte die Stimme Jacques' hören, der auf Deck Befehle gab, worauf die Mannschaft eiligst davonstürzte. Sie suchte den Blick ihres Gatten, dieser aber nahm sie schon an der Hand und führte sie ans Bett, auf dem der Tote lag. Nebeneinander knieten Cathérine und Arnaud nieder, um Gott von ganzem Herzen um Barmherzigkeit für einen guten Menschen zu bitten, der nie an ihn geglaubt hatte. Schweigend knieten Josse und Marie auf der anderen Seite nieder … und trotz ihres Schmerzes bemerkte Cathérine, daß Josse, obgleich seine Augen voll Tränen waren, die Hand der kleinen Marie nicht losließ, die er unter seinen Schutz genommen zu haben schien. Sie dachte, daß dies vielleicht der Beginn eines unerwarteten Glücks sei und daß diese beiden, aus ganz verschiedenen Kreisen kommend, zueinander finden würden. Aber die ernste Stimme Arnauds erhob sich jetzt und sprach die Sterbegebete, und Cathérine fiel ein.
Drei Stunden später schritt Arnaud vor der gesamten, auf Deck versammelten Mannschaft der ›Magdalene‹ und zum Klang der pausenlos läutenden Totenglocke nach den Angaben Abu al-Khayrs zu einer seltsamen Zeremonie. Das Schiff erreichte langsam den Hafeneingang, im Schlepptau ein mit Stroh ausgelegtes Segelboot, auf dem die in Linnen gehüllte Leiche des Normannen lag. Auf der Höhe des Turms des Außenhafens sprang Montsalvy in das Boot, hißte das Segel, das der Wind alsbald blähte, packte das Tau, das das zerbrechliche kleine Boot mit dem Schiff verband, stieg wieder auf die ›Magdalene‹ zurück und zerschnitt das Tau. Wie von unsichtbarer Hand getrieben, schoß das Boot vorwärts, fing den Wind ein und überholte den roten Rumpf der Galeone, deren Ruder untätig blieben. Einen Augenblick sahen die an Bord Versammelten ihm nach, wie es mit der großen weißen Gestalt davonglitt. Dann nahm Arnaud aus den Händen Abus einen großen Eschenbogen, legte einen feuergefiederten Pfeil auf, spannte die Muskeln … Der Pfeil zischte und landete mitten im Herzen des Boots, dessen Stroh sofort Feuer fing. Im Nu war das kleine Schiff in Flammen gehüllt. Die Leiche verschwand hinter einem Feuervorhang, während der Wind, die Brunst anfachend, sie langsam auf die offene See trug …
Arnaud ließ den Bogen fallen und sah Cathérine an, die, ohne zu verstehen, diesem sonderbaren Zeremoniell mit angehaltenem Atem gefolgt war. Sie sah Tränen in den dunklen Augen ihres Gemahls. Dann stieß er mit heiserer Stimme hervor:
»So gingen einst, auf dem Weg der Schwäne, die Befehlshaber der Schlangenschiffe in die Ewigkeit. Der letzte Wikinger hat das Begräbnis bekommen, das er sich wünschte …«
Und weil ihn die Bewegung übermannte, floh Arnaud de Montsalvy eilends.
Am anderen Tag, bei Sonnenaufgang, blähte sich das blau-rote Segel der ›Magdalene‹ im frischen Morgenwind, und die Galeone Jacques Coeurs verließ den Hafen. Einen Augenblick betrachtete Cathérine, unter demselben Mantel an Arnaud gedrückt, die zurückbleibende weiße Stadt in ihrem Schrein von frischem Grün und suchte noch einmal im Gewimmel des Hafens nach dem absurden orangefarbenen Turban Abu al-Khayrs.
So kurze Zeit nach Gauthiers Tod trennte sie sich nur schweren Herzens von diesem alten Freund, dem sie ihr wiedergefundenes Glück verdankte, aber der kleine Arzt hatte kurzen Prozeß gemacht.
»Der Weise sagt: ›Die Abwesenheit existiert nur für die, die nicht lieben können. Sie ist ein schlechter Traum, aus dem man eines Tages erwacht, um ihn alsbald zu vergessen.‹ Eines Tages werde ich vielleicht an eure Tür klopfen. Ich habe noch viele Gebräuche in eurem fremden Land zu studieren«, schloß er und drehte sich ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz um.
Als sich keine Einzelheiten mehr erkennen ließen und die Stadt ein undeutlicher weißer Fleck geworden war, über dem die vergoldeten Dächer der Moscheen verschwommen blitzten, wandte sich Cathérine zum Vorderschiff. Der schwere Vordersteven pflügte mit dem Geräusch reißender Seide das unergründliche Blau des Wassers, das sich am Horizont mit dem Blau des Himmels vereinte. Oben kreisten weiße Möwen. Dort hinten, jenseits dieser Unendlichkeit, waren Frankreich, das vertraute Land, das Lachen Michels, das gute Gesicht Saras, die knotigen Hände und treuen Augen der Menschen von Montsalvy. Cathérine hob den Kopf, um Arnauds Blick zu suchen, sah, daß auch er den Horizont betrachtete.
»Wir kehren heim«, murmelte er. »Glaubst du, daß es diesmal für immer sein wird?«
Er lächelte sie auf seine gleichermaßen zärtliche wie spöttische Art an.
»Ich glaube, ma mie, daß es jetzt Schluß ist mit den Landstraßen für die Dame de Montsalvy! Schau dir diese hier genau an, sie ist die letzte …«
Die ›Magdalene‹ erreichte das offene Meer. Der Wind wurde lebhafter, das Schiff setzte seine ganze Leinwand und entschwand wie ein befreiter großer Vogel auf den blauen Wogen.
16
Seit Sonnenaufgang lösten sich zwei Laienbrüder an der großen Glocke der Abtei von Montsalvy ab, die ununterbrochen und auf so freudige Weise läutete, wie es dieser schöne Tag gebot. Ihre Arme waren so ermüdet, daß Abt Bernard de Calmont ihnen nach Beendigung des Hochamts Verstärkung geschickt hatte. Sie konnten einfach nicht mehr, aber man muß auch sagen, daß sie noch nie so froh gewesen waren. Auf den Festungswällen indessen schmetterten die Trompeten fast ohne Unterlaß.
Seit drei Tagen strömten durch die Pförtnerei des großen neuen Schlosses, dessen weiße Türme die tiefen Täler beherrschten, Sänften und Reiter, Fuhrwerke und Bewaffnete, Pagen und Gefolge, und das ganze Dorf war hundemüde. Es hieß, daß Dame Sara, die im Schloß über Diener, Kammerfrauen und Köche gebot, trotz ihrer großen Erfahrung nicht mehr wisse, wo ihr der Kopf stehe, und daß man das Gästehaus der Abtei und selbst einige Häuser im Dorf habe requirieren müssen, um diese vielen Menschen unterzubringen. Jetzt aber war alles in Ordnung, und um den glänzenden Zug, der aus der Kirche trat und sich zum Schloß begab, gab es nur ungetrübte Freude. Das ganze Dorf war geschmückt, von den Rinnsteinen bis zu den Häusergiebeln. Man hatte die schönsten Stoffe, die schönsten Behänge aus den Aussteuertruhen hervorgeholt, hatte sie mit spät blühenden Blumen und farbenprächtigen Zweigen des Herbstes geziert. Die Sonntagskleider aus feiner Wolle und schönem Linnen, häufig bestickt, wurden stolz getragen, während die Wollmützen sich keck aufrichteten und die Linnenhauben davonzufliegen schienen. Die Mädchen hatten neue Bänder ins Haar geflochten, und die jungen Burschen hatten eine Art, ihre Mützen übers Auge zu stülpen und die jungen Mädchen zu mustern, die voraussehen ließ, daß nach dem Tanz, nach Einbruch der Nacht, manch ein Pärchen sich im nahen Walde verlieren würde.
Alles in allem war dies für Montsalvy das größte Fest, das man seit mehreren Jahrzehnten erlebt hatte. Man feierte zugleich den wiedererlangten Wohlstand, die Einweihung des neuen Schlosses, die endgültige Wiedereinsetzung Messire Arnauds und Dame Catherines in ihre Ländereien und endlich die Taufe der jungen Isabelle, des Töchterchens, dem die junge Frau das Leben geschenkt hatte.
Der ganze Adel im Umkreis von zwanzig Wegstunden war erschienen. Man zeigte sich voll Achtung die edlen Herren vom Hofe, die gekommen waren, dem Herrn der kleinen Stadt ihre Glückwünsche darzubringen; und man zeigte sich die Hauptleute des Königs, die mit lauter Freude ihren alten Waffengefährten, den sie längst tot geglaubt hatten, wiedersahen. Aber das große Wunder waren Pate und Patin … Sie gingen an der Spitze des prächtigen Zuges, gleich hinter dem Neugeborenen, das Dame Sara, ganz in roten Samt und Brugger Spitzen gekleidet, stolz auf den Armen trug, und als sie sich näherten, knieten die guten Leute von Montsalvy nieder, etwas verdutzt und leicht unbehaglich, aber vor allen Dingen ungeheuer stolz über die ihrer kleinen Stadt erwiesene Ehre. Man hat im Herzen der Auvergne nicht jeden Tag Gelegenheit, eine Königin und einen Konnetabel von Frankreich zu bewillkommnen! Denn die Patin war die Königin Yolande von Anjou, imposant und schön unter der funkelnden Krone, die ihre schwarzen, goldbestickten Schleier hielt; der Pate war Richemont, in Gold und blauen Samt gekleidet, eine Kappe mit riesigen Perlen über dem narbigen Gesicht. Er geleitete die Königin an der Hand über die Teppiche, die man auf der Straße ausgelegt hatte, unter einem Regen von Blüten und Blättern, die die Mädchen über sie ausschütteten.
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