»Paßt auf, Messire Bohat, es wird nicht lange dauern, und Ihr habt niemand mehr um Euch.«
»Das würde mich erstaunen! Die anständigen Leute haben keine Lust, ihren Weg mit einer suspekten Frau fortzusetzen, die uns nur Unglück bringen könnte. Geht! Da es nun einmal nicht möglich ist, die Schuldige ohne Blutvergießen der Gerechtigkeit zuzuführen, wollen wir euch nicht mehr sehen!«
Er stand aufrecht vor der dichten Front der Pilger, die sich gegenseitig wegzudrängen schienen, um aus der unmittelbaren Nähe der Verdächtigen zu kommen. Einige bekreuzigten sich … Cathérine hätte vor Wut weinen können. Und als sie Gerbert ansah, der, sehr korrekt in seiner dunklen Kleidung, den dicken Stab in der Hand, mit verachtungsvoller Geste auf sie wies, hätte sie am liebsten geheult. Sie brannte vor Scham. Und als Ermengarde sie mit einer Handbewegung einlud, das frei gebliebene Pferd zu besteigen, rief sie:
»Wie kann ich aufbrechen, ohne meine Schuldlosigkeit bewiesen zu haben, ohne …«
»Wenn Ihr die geringste Chance hättet, den Beweis anzutreten, würde ich Euch raten, nach Conques zurückzukehren«, entgegnete Ermengarde. »Aber diese Leute würden Euch keine Zeit dazu lassen. Es sind nur Fanatiker ohne eigenes Urteil. Was Euch betrifft, meine Liebe, wenn man den Namen trägt, den Ihr tragt, braucht man sich dem Urteil von Bauernlümmeln nicht zu unterwerfen! In den Sattel!«
Gebändigt und etwas beruhigt durch die Verachtung, die zumindest ebenso deutlich wie die Gerberts in der Stimme der alten Dame vibrierte, setzte sie die Fußspitze auf die ihr von Béraud gebotene Hand und schwang sich in den Sattel … Die Menge wich vor dem kleinen Trupp zurück, der durch Gillette vergrößert wurde, hinter der sich Margot, glücklich wie ein junges Mädchen, auf die Kruppe geschwungen hatte … Furcht und Mißbilligung zeichneten alle Gesichter, was bei der Dame Châteauvillain nur ein verächtliches Schulterzucken hervorrief. Doch als Cathérine an Gerbert Bohat vorbeiritt, hielt sie ihr Pferd an und sagte von oben herab:
»Ihr habt mich verdammt, ohne mich anzuhören, Messire Bohat. Für Euch, der Ihr schon immer gegen mich eingenommen wart, konnte ich nur schuldig sein. Ist das Eure Gerechtigkeit und Rechtlichkeit? Wenn ich bei meinem Seelenheil schwöre, daß ich diese Steine nie berührt habe, könnt Ihr mir dann glauben? Der erste beste könnte Euch sagen, daß ich vor der Prozession nach Hause gegangen bin und die Herberge nicht mehr verlassen habe …«
»Was verliert Ihr Eure Zeit, mit Leuten zu diskutieren, die dickschädeliger als rote Esel sind?« rief Ermengarde ungeduldig.
Inzwischen hatte Gerbert die Augen zu der jungen Frau gehoben und murmelte mit tonloser Stimme:
»Vielleicht hattet Ihr einen Komplicen! Wenn Ihr unschuldig seid, geht in Frieden, aber ich halte das nicht für möglich. Was mich betrifft …«
»Was Euch betrifft, seid Ihr nur zu glücklich, mich unter diesem Vorwand zu hindern, weiter mit Euch zu reisen, nicht wahr?«
»Ja«, gab er freimütig zu. »Ich bin glücklich! In Eurer Nähe kann kein Mann ernstlich an sein Seelenheil denken. Ihr seid eine gefährliche Frau. Es ist gut, daß Ihr uns verlaßt.«
Cathérine konnte ein bitteres Lachen nicht zurückhalten.
»Vielen Dank für das Kompliment. Setzt Euren frommen Weg also ruhig fort, Messire Bohat, aber wißt, daß die für einen Augenblick abgewendeten Gefahren wiederkommen können, wenn man nicht in sich selbst die Kraft findet, sie zu beseitigen, irgend etwas sagt mir, daß wir uns wiedersehen werden. Und sei es in Compostela!«
Diesmal antwortete Gerbert nicht. Aber er bekreuzigte sich so überstürzt und mit so echtem Schreck, daß Cathérine ihm trotz ihres Zorns ins Gesicht lachen mußte. Ermengarde, inzwischen ungeduldig geworden, hatte Catherines Zügel ergriffen und zog sie unwiderstehlich auf den Weg.
»Das genügt, meine Liebe. Kommt jetzt!«
Cathérine folgte gehorsam ihrer Freundin und setzte sich, ihr Pferd anspornend, in Trab, um über die kleine Ebene zu sprengen, die sich vor ihr dehnte, bevor sie von neuem ins Tal des Lot abfiel. Der Regen hatte wieder eingesetzt, aber sachte, langsam, wie schweren Herzens, zu unauffällig, um wirklich beschwerlich zu sein. Cathérine betrachtete mit einer Art von Begeisterung den freien, offenen Raum vor sich. Die Lust überkam sie, ihrem Pferd die Sporen zu geben, es in Galopp zu setzen, um den vertrauten Rausch des Wettlaufs mit dem Wind wieder zu erleben, aber das Gewicht und das noch kranke Bein Ermengardes gestatteten diese Gangart nicht. Sie mußte sich noch ziemlich lange damit begnügen, in gemäßigtem Trott dahinzureiten.
Hinter den Reitern erscholl ein Lied, dessen Echo ihnen vom Südwind zugetragen wurde:
»Maria, Stern des Meeres, klarer als die Sonne, auf diesem finsteren Weg führe uns: Ave Maria …«
Cathérine preßte die Zähne zusammen, drückte instinktiv ihrem Pferd die Knie in die Flanken. Sie hatte den absurden Eindruck, daß dieses Lied sie auf seine Weise noch mehr außerhalb des frommen Haufens stellte. War es, um sich vor der Behexung zu schützen, deren sie sie für fähig hielten, daß die Pilger so leidenschaftlich Unsere Liebe Frau anriefen?
Allmählich, je mehr sie sich entfernten, wurde auch der Gesang schwächer und verstummte schließlich ganz. Ermengarde hatte ihr Pferd angetrieben, um wieder neben Cathérine an der Spitze zu reiten. Die beiden Frauen ritten einen Augenblick schweigend dahin. Doch plötzlich bemerkte Cathérine, die ihre Demütigung wortlos verdaute, daß ein breites Lächeln die imposanten Gesichtszüge ihrer Gefährtin überzog. Sie fühlte, daß Ermengarde die Freude des Triumphs in vollen Zügen genoß, und rief wütend: »Ihr seid zufrieden, scheint mir? Jetzt habt Ihr mich da, wo Ihr mich haben wolltet! … Es fehlt nicht viel, und ich würde glauben, daß Ihr die Steine in meinen Almosenbeutel gesteckt habt.«
Die Edle ärgerte sich nicht über den scharfen Ton der jungen Frau. Sie begnügte sich damit zu erklären:
»Glaubt mir, ich bedaure, in dieser Hinsicht nicht genügend Phantasie und Geschicklichkeit zu haben, sonst hätte ich dieses Mittel sehr wohl anwenden können. Hört, Cathérine, regt Euch doch nicht so auf. Ihr werdet schneller nach Spanien kommen, ohne daß Gott Euch Vorwürfe machen kann, da Ihr nun einmal da seid. Und was die Gefahren betrifft, die uns erwarten, so glaube ich, daß wir durchaus imstande sind, mit ihnen fertig zu werden. Und da … seht, wie der Himmel sich vor uns aufgeklärt hat. Die Wolken scheinen von unserer Reiseroute fortzuziehen. Kommt Euch das nicht wie ein gutes Vorzeichen vor?«
Trotz ihrer schlechten Laune konnte Cathérine ein amüsiertes Lächeln nicht unterdrücken.
»Ich erinnere mich«, sagte sie, »daß Ihr es immer verstanden habt, meine liebe Ermengarde, den Himmel zu Eurem Bundesgenossen zu machen … oder es zumindest so einzurichten, daß alle Welt es glaubt. Trotzdem möchte ich gern wissen, wie diese verdammten Rubine in meinen Beutel gekommen sind und wer sie gestohlen haben kann!«
Die Antwort auf diese Frage sollte noch an diesem Abend erfolgen, nachdem Cathérine und ihre Gefährten erschöpft und außer Atem vom schnellen Ritt die Etappe Figeac erreicht hatten, wo sie in der größten Herberge der Stadt, gegenüber dem Amtsgericht und dem alten ›Ostal de la Moneda‹, der königlichen Münze, Wohnung nahmen. Mehr von dem Abenteuer am Morgen ermüdet als vom Ritt, der tatsächlich nur einen ziemlich kurzen Teil des Tages eingenommen hatte, ließen Cathérine und Ermengarde die vier Frauen in die Kirche zum Abendgottesdienst gehen, während sie selbst im Hof der Herberge unter den Ästen einer großen Platane, durch die die prächtig roten Strahlen eines völlig unerwarteten Sonnenuntergangs sickerten, frische Luft schnappten. Nicht weniger unerwartet war der Mann, der sich Cathérine näherte, sich ungestüm auf die Knie fallen ließ und ihre Verzeihung erflehte.
»Ich habe die Rubine gestohlen«, erklärte Josse Rallard mit deutlicher, aber wegen der im Hintergrund des Hofes mit vollen Wäschekörben vorübergehenden Dienstboten nicht zu lauter Stimme. »Und ich bin es auch gewesen, der vorgab zu stolpern und sie in Euren Almosenbeutel gleiten ließ, als wir zusammen hinfielen. Ich bin gekommen, Euch um Verzeihung zu bitten!«
Während Cathérine den todmüden, staubbedeckten Mann, der demütig vor ihr kniete, sprachlos ansah, machte Ermengarde eine heroische Anstrengung, sich von der Bank zu erheben, auf der sie saß, und ihre Krücken zu ergreifen. Als es ihr nicht gelang, brüllte sie:
»Und du kommst hierher, um uns das so ohne weiteres zu erzählen? … Ohne rot zu werden? Mein Junge, ich werde dich sofort dem Gericht übergeben, das sicher einen Strick für dich zur Verfügung haben wird. Holla, ihr da!«
Cathérine legte ihr die Hand auf den Arm und hieß sie schweigen. Ihre blauen Augen begegneten dem seltsam grünlichen Blick des Mannes, musterten sein Gesicht mit den wunderlich aus Brutalität und Zartheit gemischten Zügen.
»Einen Augenblick! Zuerst will ich, daß er mir zwei Fragen beantwortet.«
»Fragt!« sagte Josse. »Ich werde antworten.«
»Erstens: Warum habt Ihr das getan?«
»Was? Den Diebstahl? Dame«, sagte er mit einem Schulterzucken, »ich muß Euch alles gestehen. Ich bin nur auf die große Reise nach Galicia gegangen, um einige Entfernung zwischen mich und den Herrn Henker zu bringen, der mich in Paris mit einem langen und festen Strick erwartet. Der ›Hof der Wunder‹ ist mein Wohnsitz, aber ich wagte ihn nicht mehr zu verlassen, weil ich ein wenig zu bekannt war. Also beschloß ich, mich in der Welt umzusehen … Gewiß, ich hatte mir keine Sorgen über meine Lage gemacht. Ich wußte, daß mir ein paar günstige Gelegenheiten über den Weg laufen würden … Und als ich diese Statue aus Gold sah, über und über mit Edelsteinen bedeckt, hab' ich mir gedacht, wenn ich ein paar klaute, würde das gar nicht auffallen und ich wäre auf meine alten Tage gesichert. Versuchung, was wollt Ihr?«
»Das ist möglich, aber nachdem Ihr Eure Missetat begangen hattet, warum habt Ihr mich dann damit belastet?« rief Cathérine. »Warum habt Ihr zugelassen, daß man mich anklagte? Ihr wußtet doch, daß ich den Tod riskierte.«
Josse schüttelte heftig den Kopf und war gar nicht beunruhigt.
»Nein. Ihr riskiertet viel weniger als ich. Ich bin ein armer Teufel und Landstreicher … Ihr, Ihr seid eine große Dame. Man hängt nicht so ohne weiteres eine große Dame. Und dann war da noch Eure Freundin. Die edle Dame war zu Eurer Verteidigung da … und die Bewaffneten. Ich wußte, daß sie Haare auf den Zähnen hatte. Während niemand meine Partei ergriffen hätte. Man hätte mich kurzerhand am nächsten Baum aufgeknüpft. Ich habe Angst gehabt … schreckliche Angst, die mir den Magen umdrehte. Ich glaubte, man würde den Diebstahl nicht sofort bemerken, würde die frommen Pilger nicht verdächtigen, und daß wir zumindest genügend Zeit haben würden, ein gut Stück Weges hinter uns zu bringen. Als ich die Mönche ankommen sah, wußte ich, daß ich verloren war. Also …«
»Also habt Ihr mir Eure Beute anvertraut«, beendete Cathérine ruhig den Satz. »Und wenn man mir trotz allem übel mitgespielt hätte?«
»Ich schwöre bei Gott, an den zu glauben ich nie aufgehört habe, daß ich mich gestellt hätte. Und wenn man mir nicht geglaubt hätte, hätte ich mich bis zum Tod für Euch geschlagen!«
Cathérine schwieg einen Augenblick und dachte über die Worte nach, die er soeben mit unerwartetem Ernst gesprochen hatte. Schließlich fuhr sie fort: »Jetzt die zweite Frage. Warum seid Ihr zu uns gestoßen? Warum kommt Ihr hierher, um Eure Schuld einzugestehen? Ich bin frei und in Sicherheit, und Ihr wart es auch. Indem Ihr hierherkommt, stellt Ihr alles wieder in Frage. Ihr wißt nicht, wie ich darauf reagieren und ob ich Euch nicht ausliefern werde.«
»Es war ein Risiko, das ich eingehen mußte«, entgegnete Josse, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen. »Aber bei diesen blutdürstigen Psalmensängern wollte ich nicht mehr bleiben. Ich hatte genug von Gerbert Bohat und Messire Colin. In dem Augenblick, in dem Ihr nicht mehr da wart, hatte ich kein Interesse mehr an der Reise und …«
»Und du hast dir gesagt«, meinte Ermengarde höhnisch, »wenn das mit den Rubinen nicht geklappt hat, könntest du dir vielleicht den Smaragd der Königin schnappen. Denn du läßt dir bestimmt kein X für ein U vormachen, nicht wahr?«
Doch wieder hielt es Josse nicht für der Mühe wert, ihr zu antworten. Den Blick Catherines immer noch aushaltend, sagte er: »Wenn Ihr das denkt, Dame Cathérine, liefert mich ohne Zögern aus. Was ich Euch sagen wollte, ist dies: Ich habe Euch unrecht getan, um mein Leben zu retten, aber ich bedaure es sehr. Um es wiedergutzumachen, bin ich gekommen, Euch meine Dienste anzubieten. Wenn Ihr es gestattet, werde ich Euch folgen, Euch verteidigen … Ich bin zwar ein Landstreicher, aber ich bin tapfer und weiß mit dem Degen wie ein Standesherr umzugehen. Auf dem Weg, den Ihr verfolgt, braucht man immer einen tapferen Arm. Wollt Ihr mir also, zuerst, verzeihen und mich dann in Eure Dienste nehmen? Bei meinem Seelenheil schwöre ich, daß ich Euch treu dienen werde …«
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