Klaudine hatte sich lächelnd über die Maschine gebeugt und drehte das Rädchen. Sie bemerkte das Verstummen Beates nicht, nicht den verwunderten, fast erschreckten Blick, den diese auf die Landstraße hinaus richtete. Barmherziger Gott, das waren ja die roten, goldbordierten Livreen des Hofes, die dort unter den Bäumen auftauchten!
»Du, Klaudine, ich bitte dich!« rief sie, »die Herrschaften! Wahrhaftig, sie fahren hier heran!«
Klaudine stützte sich plötzlich wie ohnmächtig auf die Lehne der Bank. Mit erschreckten Augen sah sie hinüber auf die Wagen, die eben hielten. Durch den Mittelweg stürzte Heinemann in Hemdsärmeln, bemüht, die Arbeitsschürze abzustreifen, vermutlich, um in die alte Livree zu fahren. Fräulein Lindenmeyers Fenster klirrten so hastig zu, wie noch nie, und Beate wendete sich zur Flucht. Da fiel ihr Blick auf Klaudine.
»Was hast du?« flüsterte sie und faßte das Mädchen an der Hand. »Komm, wir müssen ihnen entgegengehen.«
Aber schon hatte sich das schöne Mädchen aufgerichtet, sie eilte hinunter und schritt so sicher der Gartenpforte zu, als gehe sie bei einem glänzenden Hofball über das spiegelnde Parkett, als trüge sie statt des einfachen Kleides aus roher Seide und dem schwarzen Taftschürzchen die stolze Schleppe aus mattblauem Samt, in der sie noch vor kurzem alle Anwesenden bezaubert hatte. Beate folgte ihr mit bewundernden Augen. Wie unendlich graziös sank eben die herrliche Gestalt in tiefer Verbeugung zusammen, wie demütig neigte sie die schöne Stirn unter dem Kuß der Herzogin!
Beate bog sich vor, um die Herren zu sehen. Mein Gott, da stand ja Lothar neben dem Herzog, und eben schickten sie sich an, dem Hause zuzugehen, die fürstliche Frau am Arme Klaudines. Rasch schlüpfte sie durch die Glastür in die Wohnstube und von dort in Fräulein Lindenmeyers Zimmer. Die alte Dame stand vor dem Spiegel und stülpte die rotbebänderte Haube auf, die einen ebenso verzweifelten Eindruck machte wie ihre Besitzerin, deren Hände keine Nadel in die Haube zu stecken vermochten vor Zittern. Das alte Fräulein bot einen drolligen Anblick, sie hatte zwar schon die schwarze Kleidertaille angelegt, aber der Rock hing noch vergessen im Spinde mit den weit aufgesperrten Türen.
»Lindenmeyerchen, regen Sie sich doch nicht auf!« rief Beate belustigt, »sagen Sie mir lieber, wo die Kristallteller aufbewahrt werden, die noch von der Großmama stammen, und wo Klaudine die silbernen Löffel hat? Und dann setzen Sie sich in Ihren Lehnstuhl ans Fenster. Dafür genügt Ihre Toilette just, und betrachten Sie später in aller Ruhe die Herrschaften, wenn sie im Garten spazieren.«
Aber die alte Dame hatte so völlig den Kopf verloren, daß sie beteuerte, sie wisse sich in diesem Augenblick auf nichts, rein gar nichts zu besinnen, und wenn sie sich das Leben damit retten könnte. Lachend machte Beate die Tür zu und stieg die Treppe hinauf zu dem Träumer. Der hatte natürlich noch keinen Schimmer von der Ehre, die seinem Hause widerfuhr, und sah und hörte nichts als seine eigenen Gedanken. Sie schüttelte den Kopf und stand doch zaghaft vor der altersbraunen Tür, die in die Glockenstube führte. Ein helles Rot lag über ihrem Gesicht, als sie auf sein »Herein!« den Drücker bog, und plötzlich sah ihr Antlitz, dieses strenge Antlitz mit den starken Linien, mädchenhaft lieblich aus.
»Joachim, Sie haben Besuch«, sprach sie, »nehmen Sie Ihr köstliches Gewand und kommen Sie. Das herzogliche Paar ist unten.«
Als er den Kopf hob und sie ärgerlich und verwundert ansah, lachte sie, und das war wieder das nämliche Lachen wie vorhin.
»Aber eilen Sie doch! Die Hoheiten werden den Hausherrn vermissen. Ich komme nach mit einer Erfrischung.«
Unwillkürlich fuhr er sich in das üppige braune Haar. Das fehlte noch im Eulenhause, Allerhöchster Besuch! Was wollen sie bei dem Verarmten? Ah, Klaudine, sie wollen Klaudine wieder holen!
Mit finsterer Miene eilte er hinaus. Sie stand noch ein Weilchen in dem Gemach und sah sich um, scheu wie ein Kind, das zum erstenmal die Kirche betritt. Dann schlich das große robuste Mädchen auf den Zehen an den Schreibtisch und spähte herzklopfend mit purpurroten Wangen nach dem offenen Hefte, auf dem die Feder lag. Die Buchstaben dieser feinen leichten Schrift waren noch nicht getrocknet. Dort stand der Titel: »Einige Gedanken über das Lachen«. Sie schüttelte wie verwundert den Kopf und sah von dem Manuskript zu dem geöffneten Bücherschrank und da zuckte wieder ein Lächeln um ihren Mund, aber diesmal nicht schalkhaft, es war das Lächeln innerer herzlicher Befriedigung, und so ging sie hinunter in die Speisekammer, stellte frische, duftende Waldbeeren und Streuzucker auf einen Präsentierteller und kam, von Heinemann gefolgt, der in der längst nicht mehr getragenen Geroldschen Livree etwas wunderlich aussah, zu dem Tisch auf der Plattform, als just die Herzogin sich erhoben hatte, um den Wachskeller zu besuchen, der freilich nur noch den kleinsten Rest des Fundes barg.
Beate von Gerold war den Herrschaften bereits vorgestellt worden. Als ihr Bruder sich mit einer Prinzeß des herzoglichen Hauses vermählte, hatte sie ihre drei qualvollsten Lebenstage in der Residenz verbracht, hatte Besuche machen müssen und wieder empfangen, hatte diniert bei der Prinzeß Thekla und einen Empfang im Schlosse »überstanden«, wie sie sagte. Sie hatte einmal himmelblaue Seide, einmal gelblichen Atlas getragen und war sich sterbensunglücklich darin vorgekommen, und als sie zurück nach ihrem Altenstein gekommen, war sie mit köstlichem Behagen wieder in die dehnbare Trikottaille gefahren und hatte geschworen, lieber Steine zu klopfen, als bei Hofe zu leben. In Erinnerung hieran fiel ihre Verbeugung sehr wenig devot aus, und ihr Gesicht zeigte ganz den Ausdruck, den Joachim als barbarisch zu bezeichnen pflegte.
»Also in den Wachskeller, meine Herrschaften«, mahnte der Herzog und legte seiner Gemahlin fürsorglich das rote, golddurchwirkte Mäntelchen um die Schultern. Klau- dine nahm einen großen Schlüssel aus dem Körbchen, das neben der Nähmaschine auf dem Tische stand, und hieß Heinemann vorangehen. Joachim führte die Herrschaften. Sie selbst eilte in das Haus, um die noch immer fehlenden Löffelchen und Teller und ein Tafeltuch auszugeben.
Sie tat es mit zitternden Händen und um ihren Mund lag ein gramvoller Zug. »Warum?« fragte sie halblaut, »warum auch hierher?« Sie lehnte den Kopf an die Pfosten des alten Eichenschrankes, der das Linnen der Großmutter barg, als suchte sie eine körperliche Stütze in dem Sturme, der durch ihre Seele ging. »Nur ruhig«, flüsterte sie und preßte die Hand gegen die Brust, als wollte sie das stürmisch klopfende Herz gewaltsam zum Gehorsam zwingen. Als sie ein paar Minuten später sich anschickte, den Herrschaften in den Keller nachzufolgen, da war ihr ernstes, schönes Gesicht unbewegt wie immer.
»Halt!« sagte eine tiefe Stimme am Kellergewölbe, »bis hierher und nicht weiter! Sie haben keine Umhüllung, und dort unten ist es kühl.« Baron Lothar stand in dem dämmerigen Gewölbe und streckte die Hand gegen sie aus. »Wenn Sie Ihre Ungeduld noch ein wenig bemeistern könnten, Cousine«, fuhr er fort, und es klang fast wie Hohn, »ich höre die Herrschaften die Treppe heraufsteigen. Das war doch die Stimme Seiner Hoheit soeben? Oder irre ich mich?«
Sie hielt seinem Blicke stand und zuckte nur leicht die Schultern. Er sah sie so eigentümlich an, fast drohend.
»Es ist besser, wir erwarten die Hoheiten dort oben«, sprach er weiter, »hier –« er brach ab, denn sie hatte sich umgewandt und schritt die Stufen empor, die in den Flur des Hauses führten, und von dort, ohne sich umzusehen, auf den anmutigen Platz. Er folgte ihr und lehnte sich gegen den Pfosten der Glastür, indem er den einfach gedeckten Tisch musterte. Da erinnerte nichts an ein altes begütertes Geschlecht, es fanden sich nur einfache Glastellerchen und dünne verbrauchte Löffel. Das Silberzeug des Hauses stand ja in seinen Schränken, allein der Damast des Tischtuches zeigte das Wappen der Gerolds in den Ecken, ein Meisterstück der Webekunst. Die alte Dame hatte es ehedem mit hierher genommen auf ihren Witwensitz als eine Erinnerung an jenen Tag, da es zum erstenmal aufgelegen, an dem Tauftage ihres Sohnes.
»Unser Wappen«, sagte er und zeigte auf den springenden Hirsch, der einen Stern zwischen dem Geweih trug. »Er ist rein geblieben, dieser Schild, im Laufe der Jahrhunderte, nicht ein einzigesmal ward der Glanz des Sternes verdunkelt! Wohl kamen Unglücksfälle über das Geschlecht, wohl unterlag es der Macht des Schicksals, aber die Ehre hielten sie makellos, die Männer und – die Frauen, soviel ihrer waren bis heute.«
Das schöne Mädchen zuckte empor, als habe eine Schlange sie gebissen, und ein herzzereißender Blick aus den blauen Augen flog zu ihm hinüber, aber die Worte erstarben auf ihren Lippen, denn eben kamen die Herrschaften zurück und Lothar eilte ihnen entgegen. Der Herzog, neben Joachim gehend, folgte seiner Gemahlin, die den Arm der alten Freiin genommen hatte. Hinter ihnen schritt ein sonderbares Paar, Beate mit Palmer, den sie um Kopflänge überragte. Sie hörte mit dem Ausdruck lächelnder Verachtung auf sein eifriges Sprechen und suchte, am Tische angekommen, einen Stuhl, so weit wie möglich von ihm entfernt.
»Und der ganze große Keller war voll?« fragte die Herzogin, Platz nehmend, und ohne die Antwort zu erwarten, sprach sie lebhaft weiter: »O, Walderdbeeren, wie liebe ich sie! Wie tausendmal aromatischer duften sie, als die, welche man in den Gärten oder Gewächshäusern zieht! Weißt du, mein Freund«, wendete sie sich an den Herzog, der noch immer im Gespräch mit Joachim stand, »wir werden mit den Kindern in den Wald gehen und selbst Beeren suchen. Dabei ließe sich ein entzückendes Picknick arrangieren. Herr von Palmer, sorgen Sie dafür, daß man einen Platz ausfindig macht, wo Erdbeeren stehen, aber bald, bald! Wir wollen die schöne Zeit hier genießen.«
Man saß jetzt um den Tisch und Klaudine reichte ihren Gästen die Fruchtschale. Eben stand sie vor dem Herzog, er dankte mit kurzer Handbewegung, ohne sie anzusehen, und horchte auf Joachims Rede. Nun trat sie zu dem Neuhäuser. Auch er dankte. Sie schritt still nach ihrem Stuhl zurück und sah auf das Kind hernieder, das sich herzugeschlichen hatte und an ihren Schoß lehnte, und fuhr erst aus ihrem Sinnen empor, als die Herzogin sie anredete.
»Mein liebes Fräulein von Gerold, Sie müssen oft nach Altenstein kommen. Wir, mein Gemahl und ich, haben uns fest vorgenommen, alle Etiketterücksichten hier fallen zu lassen, wir wollen wie gute getreue Nachbarn miteinander leben, Ausflüge machen und uns besuchen. Die Neuhäuser werden wir auch überfallen, ja, ja, Fräulein von Gerold!« wandte sie sich an Beate, »ich muß mir Ihre vielgerühmte Musterwirtschaft einmal in der Nähe beschauen und hoffe, Sie ebenfalls auf Altenstein zu sehen.«
»Es wird unserem Hause eine unendlich große Ehre sein, wenn Eure Hoheit es mit Ihrer Gegenwart beglücken, aber mich wollen Hoheit gnädigst entschuldigen«, klang Beates tiefe Stimme entsetzlich wenig verbindlich und trocken. »Meine Wirtschaft leidet nicht, daß ich mich oft und lange vom Hause entferne, es ist nur anvertrautes Gut, und ich stehe dort an Stelle der Hausfrau meines Bruders. In Vertretung einer anderen ist man doppelt gewissenhaft, Hoheit.«
Die junge fürstliche Frau sah einen Augenblick befremdet zu der Sprecherin hinüber, dann flog der liebenswürdige Ausdruck von vorhin wieder über ihre Züge.
»Die Gerolds waren alle pflichttreu«, sagte sie freundlich, »das ist gut und lobenswert und ich muß den Korb wohl hinnehmen. Aber Sie, Fräulein Klaudine von Gerold, Sie! Ganz gewiß, auf Sie rechnen wir bestimmt. Ist es nicht so, Adalbert?«
»Verzeihung! Wie befiehlst du? Ich habe nicht verstanden, Elise.«
»Du sollst mir bestätigen«, sprach sie freundlich, »daß wir sehr auf Mamas Liebling rechnen bei unserer Anwesenheit in Altenstein, daß wir wünschen, Fräulein Klaudine von Gerold oft bei uns zu haben. Nicht, Adalbert?« Einen Moment blieb es still unter der Eiche. Die Abendsonne vergoldete jedes Blättchen mit purpurnem Schein; durch die Lücken des Geästes zuckten schimmernde Lichter und die zitternden Funken machten es wohl auch, daß Klaudines Antlitz in jähem Wechsel bleich und purpurn erschien.
»In der Tat, Fräulein von Gerold«, tönte es jetzt in ihr Ohr mit einer Stimme, die den Sturm in ihrem Herzen plötzlich beschwichtigte, so ruhig und gleichgültig klang sie. »In der Tat, die Herzogin sprach davon, mit Ihnen im Altensteiner Saale zu musizieren.« Und sich wieder zu Joachim wendend, fragte er: »Ja, wie wurde es? Ist der Mann gestorben an der Wunde, oder?«
»Er lebt, Hoheit, und wildert nach wie vor.«
Wenn der Herzog von Jagd und verwandten Dingen sprach, war er einfach für anderes verloren, das wußten sie alle. Nur Palmer lächelte ungläubig und schaute Klaudine an, deren Brust sich wie befreit hob.
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