Er blies den Rauch seiner Zigarre zur Decke empor und betrachtete die Stuckgewinde dort oben.
»Sie kann mich nicht leiden«, sprach er weiter, »es geht ihr mit mir, wie es weiland dem unschuldigen Gretchen mit Mephisto erging, und es ist klar, daß sie eines Tages zu ihrem fürstlichen Faust sagen wird: ›Der Mensch, den du da bei dir hast, ist mir in tiefer innerer Seele verhaßt‹ – und so weiter. Das möchten wir am Ende doch verhindern! Ich will es nicht darauf ankommen lassen, ob der Herzog ihr glaubt oder nicht. Einstweilen freilich aufpassen! Die Berg wird helfen, sie hat eine hervorragende Begabung für Intrigen, mir selbst graut zuweilen vor diesem Weibe.«
»Das Abendessen ist bereit«, meldete der Diener. Herr von Palmer erhob sich ohne allzu große Eile, schloß sorgsam das Briefchen in einen riesigen alten Schreibtisch, dessen Täfelung das Geroldsche Wappen zeigte, ordnete vor einem großen Stehspiegel sein spärliches Haar, wusch sich mit einer wahren Flut von Kölnischem Wasser die mageren feinen Hände, gähnte herzhaft, nahm Hut und Handschuhe von dem ehrerbietig harrenden Diener, und nachdem er noch einen Blick auf die Uhr geworfen, welche die zehnte Stunde anzeigte, ging er nach dem kleinen Speisezimmer, wo die Herren, die der Herzog für seinen hiesigen Aufenthalt gewählt, bereits versammelt waren, der alte Kammerherr von Schlotbach, der Adjutant von Rinkleben, der den Rang eines Rittmeisters besaß, und der Jagdjunker von Meerfeld, ein Kerl wie ein junger Hund – wie Herr von Palmer ihn bezeichnete. Der letztere schien sich im allgemeinen der Freundschaft dieser drei Herren auch nicht besonders zu erfreuen. »Verzeihung«, sagte er zu den in einer Gruppe Versammelten, »ich ließ warten, war im Allerhöchsten Dienste beschäftigt, und ein reizender Dienst, meine Verehrtesten! Ich hatte auf Befehl Seiner Hoheit die schöne Klaudine von Gerold in den Wagen zu heben.«
»Donnerwetter, sie war schon wieder hier?« rief der Jagdjunker mit ungeheucheltem Erstaunen.
»Soeben verließ sie die herzoglichen Gemächer.«
»Sie wollen sagen: ›die Gemächer Ihrer Hoheit‹, mein Herr von Palmer«, berichtigte nicht ohne Schärfe der Rittmeister, und eine leise Röte stieg in sein Gesicht.
»Ich hatte das Glück, den schönsten Gast dieses Hauses auf dem oberen Korridor zu treffen«, erwiderte Palmer vielsagend lächelnd.
»Ah so! ›Man wußte nicht, woher sie kam, und schnell war ihre Spur verloren, sobald sie wieder Abschied nahm‹«, deklamierte der Jagdjunker lachend.
Der Rittmeister warf ihm einen unwilligen Blick zu. »Fräulein von Gerold war bei der Herzogin, hat in ihrem Salon gesungen und ist dann im Schlafzimmer ihrer Hoheit gewesen«, sagte er laut und bestimmt.
»Vorzüglich unterrichtet!« flüsterte Palmer und verbeugte sich tief. Der Herzog war soeben eingetreten. –
»Ich verstehe Klaudine von Gerold nicht«, sagte der Rittmeister ernst, als er nach dem Abendessen neben dem Jagdjunker den Gang entlang schritt, an dessen Ende sich ihre Zimmer befanden. »Es ist Mut am unrechten Platz, sie sollte die Höhle des Löwen meiden. Unglaublich, mit welcher Tollkühnheit ein Weib im Gefühl seiner Sicherheit und Tugend seinen guten Ruf aufs Spiel setzt.«
»Vielleicht macht es ihr Spaß, auf dem gefährlichen Seil zu tanzen«, erwiderte der Jagdjunker leichthin, »strauchelt sie, dann sind ja die Arme längst geöffnet, die sie auffangen, strauchelt sie nicht – um so besser. Ich denke aber, es kann ganz amüsant werden, es ist ohnehin verteufelt langweilig in diesem deutschen Aranjuez.«
»Von einer anderen würde ich vielleicht auch so denken, lieber Meerfeld, aber in anbetracht dieser Dame möchte ich doch bitten, Ihre Kritik etwas mäßigen zu wollen.«
»Na, nur nicht tragisch, Rittmeisterchen«, lachte der andere. »Lassen Sie sich den Schlaf nicht vergehen darüber, vorläufig sehen Seine Hoheit noch nicht aus wie ein Beglückter, Sie waren mehr denn schlechter Laune. Die Langeweile! Die Langeweile! Dieses Altenstein ist aber auch eine tolle Idee. Wenn man hier dumme Streiche macht, so beantrage ich mildernde Umstände.«
12.
Klaudine langte vor dem Eulenhause an, sie hatte noch immer ein zerknittertes Papier in der Hand. Der alte Heinemann, der schon lange neben seinem Laternchen vor der Gartentür auf sie gewartet hatte, erhielt kaum mehr als einen flüchtigen Gruß von seiner jungen Herrin. Sie flog förmlich vor ihm her in das Haus, und als er nachkam und die Tür verriegelte, hörte er nur noch das Rascheln ihres seidenen Kleides auf dem oberen Flur. Dann ging eine Tür und es ward still.
Auch in dem kleinen Mädchenstübchen blieb es still und dunkel, als sei niemand drinnen, und doch saß am Fenster eine Gestalt und starrte regungslos in das Waldesdunkel, das schwärzer noch als die lichtlose Nacht das einsame Haus umgab. »Was ist geschehen?« fragte Klaudine sich. »Der Herzog hat mir seine Liebe gestanden und ich wies ihn zurück, auf immer zurück. Aber um welchen Preis?« Um das Bekenntnis ihres tiefsten Geheimnisses, das sie sich selbst noch nicht zu gestehen wagte, ihr Stolz empörte sich gegen diese Tatsache, jetzt wußte es derjenige, der ihr heute mit einem beleidigenden Geständnis genaht! Ob der Herzog ahnte, wen sie liebte? Es wäre unerträglich!
Sie ballte unwillkürlich das Papier in ihrer Hand zusammen, und Tränen heißer Scham traten ihr in die Augen. Rasch erhob sie sich, zündete Licht an, faltete das Papier wieder auseinander und bemühte sich, es zu glätten. Dann stützte sie sich schwer auf den Tisch und starrte auf den zerknitterten weißen Umschlag, es war eben nur der Umschlag, – das Briefblatt fehlte! Unruhig begann sie in der nächsten Minute zu suchen auf dem Tisch, auf dem Boden an dem Fleck, wo sie gesessen, sie schüttelte den Mantel aus und die Falten ihres Kleides, sie nahm endlich den Wachsstock und leuchtete das Treppchen hinunter – auch dort nichts! Wie ein Dieb schlich sie zur Haustür, schob den Riegel zurück und leuchtete hinaus auf die Schwelle und den Sandsteintritt – auch hier nichts zu sehen. In ihrer Besorgnis ging sie, das flackernde Flämmchen mit der hohlen Hand schützend, den Gartenweg entlang bis zur Pforte, möglicherweise war ihr das Papier beim Aussteigen entfallen. Die Gittertür, die auf die Landstraße führte, knarrte, als sie von ihr geöffnet wurde, der Lichtschein flammte geisterhaft über den Weg – nichts helles glänzte ihr entgegen. Mit angstvollen Augen spähte sie unter die Weißdornsträucher zur Seite der Pforte – nichts! Und plötzlich flackerte das Licht auf und erlosch dann und sie befand sich im Dunkeln, und so tief erschien den an das Licht gewöhnten Augen die Finsternis, daß sie einen Augenblick ratlos stand und nicht zu unterscheiden vermochte, wohin sie sich wenden müsse, um wieder in den Garten zu gelangen.
Ah, richtig! Dort über ihrem Fenster leuchtete Joachims Studierlampe friedlich in die Nacht hinaus und sandte einen schmalen Streifen Helligkeit auf das Gärtchen und die Straße. Wenn er ahnen könnte, wie sie hier draußen stand, Angst und Zorn im Herzen! Sie beneidete ihn förmlich und den Frieden seiner engen Stube, in die kein Sturm von außen drang. Sein Schifflein lag im Hafen, und ihres trieb auf dem wilden Meer, und wo es einst einen Hafen finden würde, das mochte Gott allein wissen!
Plötzlich schrak sie zusammen und huschte in die geöffnete Pforte. Auf der Landstraße scholl Hufschlag, nahe schon und immer näher. Ein rascher Trab war es, und jetzt kam der Reiter dicht an ihr vorüber, und just in dem Lichtschein blieb er halten und sah zu dem Fenster des Turmes hinauf. Sie faßte auf einmal, wie nach einer Stütze suchend, in die Latten der Pforte und starrte hinüber – Lothar! Was wollte er hier? Ein fast betäubendes Glücksgefühl überkam sie. Sah sie recht? War er es wirklich? Was wollte er? Kam er wahrhaftig, um nach ihrem Fenster zu spähen? Barmherziger Gott, ein Zeichen, daß sie nicht träume!
Da wandte er das Pferd, und langsam ritt er zurück; die Dunkelheit verschlang aufs neue seine Gestalt, nur der Hufschlag klang noch lange in den Ohren des zitternden Mädchens nach, bis sie sich endlich in das Haus zurückschlich.
Sie dachte nicht mehr an den verlorenen Brief, sie konnte überhaupt nicht mehr denken, ihre Augen brannten, und ihre Lippen waren trocken, es bohrte ihr schmerzend in den Schläfen. »Ruhe! Ruhe!« flüsterte sie und barg die heiße Stirn in die Kissen. – »Ruhe! Schlaf!«
13.
Auf Neuhaus herrschte am anderen Tage ein ganz ungewöhnliches Leben. Zu ebener Erde, neben dem Wohnzimmer, links von dem großen Flur, stand in dem hohen geräumigen Speisesaal eine Tafel, die wesentlich abstach von derjenigen, an welcher gewöhnlich hier gegessen wurde. Während sie sonst mit einem blendend weißen, aber doch ziemlich derben Drelltischtuch nebst Servietten von gleicher Qualität gedeckt war, breitete sich heute schimmernder Damast darüber aus und das einfache Geschirr von gewöhnlichem Steingut mit blauen Rändchen war durch köstliches altes Meißner Porzellan verdrängt, das schon seit langer Zeit den Stolz des Neuhäuser Geschirrschrankes ausmachte, reizend geformte Tafelaufsätze, deren Platten Früchte und Backwerk trugen, hatten die Blechkörbchen ersetzt, in denen Beate für gewöhnlich den Nachtisch herumreichen ließ, mochte derselbe in Frühbirnen oder Winteräpfeln oder in kleinem Gebäck bestehen, und die sehr handfesten Solinger Messer und Gabeln mit Griffen von Hirschhorn waren den Silberbestecken gewichen, die Wappen, Namenszug der Gerolds und eine Jahreszahl trugen, welche das hohe Alter verriet, wenn es ihre schöne Form nicht bereits getan hätte.
Die Arme des mächtigen Kronleuchters aus Bergkristall über der Tafel, die übrigens nur sieben Gedecke zählte, waren mit gelblichen Wachskerzen besteckt, ebenso die zahlreichen Wandleuchter. Auf dem riesigen eichenen Kredenztische aber funkelte und blitzte es von silbernem Gerät und prächtigem Kristall, und die Sonne, die täglich um diese Zeit hier herein einen Blick tat, ließ farbige Lichter aufsprühen und streifte das braune Haar über der weißen Stirn Beates, die beschäftigt war, auf einem Tischchen Blumen in ein paar Vasen zu setzen.
»Werdet ihr gleich stehen!« murmelte sie ärgerlich vor sich hin, als ein paar Levkojen immer wieder zur Seite fielen. »So, nun geht's.« Und sie steckte in die bunte Pracht eine rote Rose, und den zierlichen Aufbau betrachtend, reichte sie ihn dem Stubenmädchen, das daneben stand. »Trag es zur Frau von Berg, Sophie, sie soll es in das Zimmer der Prinzessin Thekla setzen, der Herr habe es befohlen. Dann bist du gleich wieder unten und wischest noch einmal Staub von allen Stühlen und schließest die Läden. Eben kommt die Sonne.«
Nun ging auch Beate noch einmal an der Tafel hinunter und blieb kopfschüttelnd vor dem Platz stehen, den sie, nach der Bestimmung Lothars, neben Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Thekla einnehmen sollte, heute abend zum erstenmal und dann täglich vier Wochen lang. Wie würde sie das nur aushaken? Da lag die Suppenkelle, das Symbol ihrer Hausfrauenwürde. Lothar hatte gewünscht, daß sie dieses Amt wie immer verwalten möge, »denn wir sind auf Rittergut Neuhaus, meine beste Beate, und nicht bei Hofe, und nichts in der Welt ist mir unangenehmer, als ein Umhertragen der gefüllten Suppenteller, sie haben so leicht überlaufende Ränder.«
Dies war aber auch so ziemlich das einzige, was in Hinsicht seines hohen Besuches von ihm angeordnet worden war, alles übrige hatte er vertrauensvoll ihrem klugen Kopf und ihren geschickten Händen überlassen und allen Fragen gegenüber nur geantwortet: »Aber du wirst es schon gut machen, tue ganz nach deinem Gefallen,«
Nun war sie auch dieser Riesenarbeit Herr geworden. Sie hatte ein weißes Tuch über ihre glänzend braunen Haare gebunden und war in Hauskleid und Wirtschaftsschürze, mit Schlüsselbund, Staubtuch und Besen im Hause umhergezogen, hatte dem Dienstpersonal »Beine gemacht«, wie sie sich ausdrückte, Möbel rücken, Vorhänge aufstecken, Teppiche auf Treppen und Gängen ausbreiten lassen und Truhen und Spinden das Feinste und Beste entnommen. Und eben war das letzte getan, sie konnte sich noch ein paar Stündchen ausruhen, ehe sie ihren Gästen als Hausfrau gegenübertreten mußte.
Das ganze obere Stockwerk hatte man für die durchlauchtigste Schwiegermutter und die Schwägerin Lothars hergerichtet, der Hofdarme war ein nettes Zimmer neben Frau von Berg eingeräumt, der Kammerherr nebst Diener im Gartenpavillon untergebracht worden und die Kammerfrau ihrer Durchlaucht in der Nähe ihrer Damen. Lothar behielt sein Zimmer rechts vom Hausflur, das liebe alte Wohnzimmer und die Schlafstube Beates sollten ganz und gar abgeschieden bleiben. Einen Zufluchtsort mußte man doch haben.
Beate war eben den Flur entlang geschritten und näherte sich der Tür ihrer Wohnstube, dann nahm sie ein Kreidestückchen aus dem Schlüsselkorb, schrieb auf die braune Täfelung »Verbotener Eingang!« und trat nun lächelnd in ihr Reich. Sie saß ein Weilchen ruhend im Lehnstuhl, dann sprang sie auf und eilte in die Schlafstube. Nach ein paar Augenblicken kam sie zurück, sie hatte einen großen braunen Strohhut aufgesetzt und einen leichten Umhang um die Schultern geworfen. Im Hinausgehen zog sie ein Paar Leinwandhandschuhe an und trat in die Küche, wo die Mamsell mit rotem Kopf vor dem Backofen stand und Mürbkuchen herauszog.
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