»Aber, liebes Kind!« sprach Klaudine verwundert.
»Ach, gnädiges Fräulein, lassen Sie mich das tun!« bat das Mädchen zutraulich. »Den ganzen Tag kann ich nicht bei Tante Doris in der Stube sitzen und sticken. Ich käme um dabei, wenn ich nicht ein bißchen Wirtschaft hätte. Bitte recht sehr, lassen Sie mich!«
»Aber das darf ich nicht annehmen, liebe Ida, gewiß nicht, ich verwöhne mich nur dadurch.«
»Ida möchte so gern etwas lernen«, sagte das Mädchen und schlug die schelmischen Augen nieder.
Klaudine lächelte. »Bei mir? 0, da sind Sie schlimm angekommen, ich bin selbst noch eine Lernende.«
»Gnädiges Fräulein, dann will ich nur die Wahrheit sagen, ich kann schon etwas in der Wirtschaft, aber in so manchen anderen Dingen fehlt es mir. Ich möchte nämlich gern eine Stelle als Kammerjungfer in S. annehmen, und da dachte ich, ich könnte, hier so ein wenig wegbekommen, wie man seine Dame zu behandeln hat beim Ankleiden, und so weiter. Lassen Sie mich das bißchen Wirtschaft hier tun und sich dafür meine ungeschickte Hilfe gefallen beim Nähen, Ankleiden und Schneidern.«
Die Blicke des Mädchens hingen so freudig erwartungsvoll an Klaudines Augen und sie selbst fühlte sich so müde und traurig, aber sie antwortete nicht und ging zu Fräulein Lindenmeyer.
»Gestehe es nur, Lindenmeyerchen«, sagte sie, sich zum Scherz zwingend und das alte Fräulein duzend, wie in ihrer Kinderzeit, »du hast dir Besuch eingeladen, um die Last der Wirtschaft von meinen Schultern zu nehmen?«
»Ach, Herzenskindchen«, jammerte das gutmütige Geschöpf, »so hat es die Ida doch dumm angefangen und wir hatten es uns so fein ausgedacht! Seien Sie nicht böse! Ich kann es nicht mit ansehen, wenn Sie des Morgens mit verwachten Augen herunterkommen und so blaß sind, so blaß! Es ist so ein altes Sprichwort: ›Rosenbeet und Ackerland gedeihen nie in einer Hand.‹ Wenn Sie frisch sein wollen bei Hofe, dann müssen Sie auch Ihr Recht haben, sonst ist es bald vorbei mit Ihrem weißen klaren Teint. Heinemann sagt es auch, er hat sich mit mir um die Wette geängstigt Ihretwegen. Und, Fräulein Klaudine, die Ida hat ihren regelrechten Profit dabei. Sie könnte durch ihre Tante die Stelle bei der Gräfin Keller als Kammerfrau bekommen, aber so weg von der Waldwiese geht es doch nicht. Wahrhaftig, es ist so!« beteuerte die alte Seele.
So hatte Klaudine plötzlich eine Hilfe bekommen. Es war eine ordentliche Behaglichkeit in das Haus eingekehrt und eifriger ist wohl nie eine Herrin bedient, herzlicher nie ein Kind verwöhnt worden wie Klaudine und die kleine Elisabeth. Heinemann strahlte ordentlich, wenn er der flinken Dirne auf dem Treppchen begegnete oder sie in der Küche die alten Volkslieder mit halblauter Stimme singen hörte. Jetzt weinte auch die kleine Elisabeth nicht mehr, wenn Tante Klaudine in dem schönen Wagen der Frau Herzogin fortfuhr, und Klaudine saß nicht mehr so abgespannt bei Tische, wie bisher, ohne einen Bissen zu genießen.
»Es ist ganz vornehm bei uns!« lächelte Joachim, als Heinemann zum erstenmal die einfachen Gerichte auftrug und Klaudine ruhig an ihrem Platz verblieb, »ich bin glücklich deinetwegen, Schwester.«
Klaudine hatte ihre Reise aufgegeben. Als sie der Herzogin von ihrer Absicht sprach, war diese in leidenschaftliches Schluchzen ausgebrochen: »Ich kann Sie nicht halten, Klaudine, gehen Sie!« Und da hatte sie, erschreckt und gerührt zugleich, versprochen zu bleiben. Nun kam der Hofwagen, der sie nach Altenstein holte, täglich früher. Die Neigung der fürstlichen Frau zu dem stillen schönen Mädchen wuchs eben täglich, und sie war jetzt ruhig, ganz ruhig. Sie fuhr in der Herzogin Wagen spazieren und saß in dem Boudoir derselben, vorlesend oder plaudernd. Zuweilen freilich trat der Herzog unangemeldet und rasch ein, von einem Freudenruf der fürstlichen Frau begrüßt, aber Klaudine fürchtete seine Begegnung nicht mehr. Keiner jener heißen Blicke war ihr mehr gefolgt, keine Silbe hatte er zu flüstern versucht, sie wußte, er hielt sein fürstliches Wort. Sie kannte ihn genau durch seine Mutter. Wie manchen tollen Streich hatte die alte Herzogin gelegentlich von ihm erzählt, von den Sorgen, die er ihr bereitet, von den Gebeten, die sie im heißen Flehen um diesen Sohn gesprochen, daß er nicht untergehen möge in dem wilden Treiben seiner Jugend! »Und«, hatte die alte Dame dann hinzugefügt, »es war doch nur überschäumende Jugendlust, sein Herz blieb edel. Er war zu lenken, wenn man das richtige Wort fand.« Und Klaudine meinte, sie habe das richtige Wort gefunden. Sie gehörte zu den edlen Naturen, die nicht ruhen, bis sie das Gute in einer Menschenseele entdeckt haben, die suchen und suchen und, wenn sie das Gold gefunden haben, keine Grenzen kennen im Verzeihen.
Sie verzieh dem Herzog stillschweigend die Beleidigung, die er ihr zugefügt hatte, als sie sah, wie ritterlich er seine Leidenschaft bekämpfte, wie er sich bemühte, gegen seine Gemahlin geduldiger zu sein als vordem, wie er in ihr die Freundin dieser Gemahlin ehrte. An die Herzoginmutter schrieb Klaudine, es waren dankbare, gerührte Worte, mit denen das schöne Mädchen ihr Glück pries, sich die bevorzugte Gefährtin der Herzogin nennen zu dürfen. »0, wenn Eure Hoheit wüßten«, hieß es darin, »wie glücklich ich bin in der Liebe und dem Vertrauen des edelsten Herzens, ich sinne nur darauf, wie ich dafür danken kann, daß ich die Freundin dieser liebenswürdigen Fürstin geworden. Ihre Hoheit trägt nicht nur äußerlich die Liebe für ihren hohen Gemahl zur Schau, Ihrer Hoheit ganzes Sein und Wesen ist so in diese Liebe getaucht, daß Hoheit sich verstellen müßten, wollten sie dieselbe verbergen.«
Klaudine schien lebhafter als seit langer Zeit. Sie konnte mit Ungeduld den Wagen erwarten, der sie nach Altenstein holte. Die Herzogin hatte eines Tages, schüchtern wie ein Schulmädchen, ein paar Hefte in Klaudines Hand gelegt. Es waren liebliche kleine Gedichte, von ihr verfaßt. Zuerst jubelnde Lieder der Brautzeit, dann die tiefinnerlichen Glücksworte der jungen Ehefrau, und zuletzt die Verse, die sie aufschrieb an der Wiege ihrer Söhne.
Auch einige kleine Novellen waren darunter, eigentümlich erdacht. Es gab da immer ein paar Menschen, die sich über alles lieben und getrennt werden durch den Tod, durch einen tückischen Zufall, durch ein unabweisbares Verhängnis, niemals aber durch die Schuld des einen oder anderen. Klaudine hatte gestaunt über die traurigen Abschlüsse, aber nicht gewagt, darüber zu sprechen.
So waren acht stille schöne Tage vergangen. Die Neuhäuser hatten diesen Frieden nicht gestört, wie die Herzogin anfänglich befürchtet hatte. Prinzeß Helene war einigemale wie ein Wirbelwind in den Zimmern der Herzogin erschienen, hatte aber deutlich zu erkennen gegeben, daß sie die größtmögliche Eile habe, zu dem süßen Baby ihrer verstorbenen Schwester zurückzukehren. Die alte Prinzeß lag derweilen in Neuhaus mit verletztem Fuß auf einem Ruhebett. Klaudine sah Beate nur einmal flüchtig, als diese in aller Morgenfrühe nach dem Eulenhaus gewandert war, um sich nach einigen kleinen Prinzessinnenangewohnheiten zu erkundigen und eine Menge köstlicher Kuchenstückchen und sonstiger Süßigkeiten abzuladen. Sie sprach sich anerkennend aus über die neue Einrichtung im Eulenhaus, den Besuch des Fräulein Lindenmeyer betreffende Im übrigen war sie still und gedrückt und hatte auf Klaudines Frage nur gesagt, sie wünsche weiter nichts, als vier Wochen älter zu sein. Es sei fürchterlicher, als sie sich gedacht, kein Winkelchen sei im ganzen Hause, wo man seines Lebens sicher wäre vor der Prinzeß, diesem Irrwisch, und Lothar erwidere ihre Klagen mit Achselzucken.
Klaudine hatte das Haupt gesenkt, als käme jetzt ein Blitzstrahl, der die letzte Hoffnung vernichten müßte, aber Beate war still geworden und hatte dann von etwas anderem gesprochen.
Heute, an einem echten köstlichen Sommertage, hatte die Herzogin den Tee im Parke befohlen, dort, wo die Waldbäume an den Garten stoßen, an jenem Platze, wo Joachims Weib für immer eingeschlafen war. Unter den alten Eichen schaukelte die Hängematte der Herzogin, und Klaudine, im leichten weißen Kleide, saß neben ihr auf einem bequemen, mit Leinen überspannten Sessel aus Bambusstäben und las. Vor ihr auf dem Tischchen aus kunstvoller Flechtarbeit lag die unvermeidliche Wollstickerei der Frau von Katzenstein. Diese selbst stand etwas seitwärts und bereitete den Tee. Im Schatten einer mächtigen Kastaniengruppe, von den Damen um die Breite des Kiesplatzes getrennt, spielte der Herzog Luftkegel mit den zwei ältesten Prinzen, dem Rittmeister von Rinkleben und Herrn von Palmer. Das Jubeln der Kinder, das Lachen und das Klappen der umfallenden Kegel tönte herüber und die Augen der Herzogin sahen mit glückseligem Ausdruck dorthin.
»Halten Sie ein, Klaudine«, bat sie jetzt. »Der Tag ist so schön, die Sonne so golden und diese Erzählung so düster. Heute erscheint mir das so unnatürlich. Was glauben Sie, was noch geschehen wird? Mit jenen beiden in dem Buche, meine ich.«
»Hoheit, ich fürchte, es endet entsetzlich«, sagte die junge Dame und legte gehorsam das Buch auf den Tisch.
»Er hat sich ja bereits Gift verschafft«, gab die Herzogin zu.
»Ja«, erwiderte Klaudine, »sie wird sterben müssen.«
»Sie?« fuhr die Herzogin erstaunt auf, »aber, beste Klaudine, welch entsetzliche Phantasie! Er selbst will sich vergiften, weil er fühlt, er kann mit ihr nicht leben, und ebensowenig ohne die andere.«
»Ich weiß nicht, Hoheit«, stotterte das Mädchen, »dem Gange der Geschichte nach vermutete ich –«
»Bitte, geschwind das Buch!« rief die Herzogin. Sie schlug es auf und las das Ende. »Mein Gott, Klaudine, Sie haben recht«, sagte sie dann.
»Es ist psychologisch auch nicht anders möglich, wenn Hoheit der Charakterschilderung des Mannes, gefolgt sind –«
»Es ist mir nichts besonderes an ihm aufgefallen«, unterbrach die Herzogin. »Nein, Klaudine, das ist unwahr! Wir wollen das Buch nicht weiterlesen, die Welt ist so schön und ich bin so froh, so leicht heute.«
Sie warf die seidene Decke zurück, die über ihr mattrotes Foulardkleid gebreitet war, und winkte mit der Hand hinüber zu den Kastanien.
»Sehen Sie, Klaudine, da kommt eben der Herzog. Er scheint müde vom Spiel. Mein lieber Freund, ich bin etwas zu faul heute für unsere Dominopartie, aber vielleicht übernimmt Fräulein von Gerald meine Stelle? Bitte, das Tischchen hierher«, befahl sie und wandte sich in der Hängematte herum, stützte das Haupt auf die Hand und sah zu, wie der Herzog Klaudine gegenüber Platz nahm, die Steine verteilte und die seinigen aufbaute.
Klaudines schlanke Finger begannen plötzlich zu zittern, sie neigte das schöne Gesicht tiefer über die schwarzweißen Steinchen und eine rosige Glut stieg ihr bis unter das wundervolle üppige Blondhaar. Dort drüben, jenseits des Rasenplatzes, war etwas blaues aufgetaucht, flatterte näher wie ein zierlicher Schmetterling und blieb dann mit einemmal regungslos stehen. Und hinter diesem Blauen?
»Ah, mein Kind«, sagte die Herzogin halblaut, »Sie scheinen zerstreut, der Herzog wird das Spiel gewinnen.«
»O, das ist ja eine idyllische Gruppe, das ist, als habe Watteau sie gestellt! Ich fürchte, Baron, wir stören«, rief die in hellblaues Leinen gekleidete Prinzessin und wandte sich mit einem halb spöttischen, halb ärgerlichen Ausdruck nach rückwärts, wo ihre Mutter am Arme des Schwiegersohnes ging, gefolgt von dem Kammerherrn und der Hofdame. Und sie blickte in Lothars Gesicht, das, wie aus Erz gegossen, keinen Zug veränderte.
Die alte Prinzessin nahm die Lorgnette vor die Augen und sagte, ohne eine Miene zu verziehen: »Vorwärts, mein Kind, du wünschtest Elisabeth zu überraschen, übernimm also die Anmeldung, bitte!«
Prinzeß Helene bewegte sich vorwärts, aber sie flatterte nicht mehr und ihre schwarzen Augen sahen sehr unzufrieden drein. Sie klappte geräuschvoll ihr Sonnenschirmchen zu, als sie sich näherte, und blieb dann mit einer schmollenden Miene stehen. »Verzeihung, Hoheit, wenn ich störe –«
Die Herzogin blickte auf und lachte. »Wo kommst du her, Wildfang?« Und sie streckte ihr die Hand entgegen. »Bist du über die Mauer geflogen, oder –?«
»Mit dem Neuhäuser Wagen gekommen. Mama, Baron Gerold und die anderen sind dort hinten und bitten um den Vorzug, Hoheit begrüßen zu dürfen.«
Sie verneigte sich anmutig vor dem Herzog und küßte die Hand der Herzogin. Klaudine, die neben dieser stand, schien Ihre Durchlaucht nicht zu bemerken.
Der Herzog schritt der alten Prinzessin entgegen und führte sie seiner Gemahlin zu, Lothar kam bei der Begrüßungsszene neben Klaudine zu stehen, aber vergeblich wartete sie auf ein Wort, sie erhielt nur eine stumme Verbeugung. Man nahm Platz, ein lebhaftes Gespräch entspann sich zwischen den fürstlichen Damen. Prinzeß Thekla bat um Entschuldigung, daß sie sich so unverantwortlich spät nach dem Befinden Ihrer Hoheit erkundigt habe, aber sie habe einen Unfall auf der Neuhäuser Schloßtreppe erlitten und sechs Tage lang Arnikaumschläge auf dem Fuße gehabt, auch wären Prinzeß Helenes Besuche so flüchtig gewesen, sie sei aus der Kinderstube und aus dem Neuhäuser Schlosse gar nicht wegzubringen, sie habe sich sogar von Fräulein Beate eine leinene Schürze geborgt und sei mit ihr in allen Wirtschaftsräumen umhergelaufen, auf dem Boden und in Keller und Speisekammer. »Gestern ertappte ich sie in der Küche beim Himbeereinkochen! Ja, ja, verstecke nur deine Arbeitsfingerchen!«
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