Die Herzogin wandte sich lächelnd an Prinzeß Thekla. »Wie befindet sich das Enkelkindchen?« fragte sie.

»Nun, es erholt sich ja«, antwortete die alte Dame widerwillig, »aber noch lange nicht genügend. Die gute Berg hat wohl die Vorschriften des Arztes etwas allzustreng befolgt – niemals Medizin, aber dafür kühle Abwaschungen und frische Luft von früh bis abends. Das Kind ist dafür viel zu zart.«

»Mein Töchterchen läuft bereits ein wenig, wenn auch noch schwankend«, fügte der Baron gelassen hinzu, »und da sie die normale Größe einer zweijährigen jungen Dame hat, klettert sie auf Sofas und Stühlen umher.«

»Noch lange nicht genug«, wiederholte Prinzeß Thekla.

»Ich bin mit diesem wenigen schon sehr zufrieden«, erwiderte er.

Klaudine hatte sich inzwischen freundlich zu Komtesse Moorsleben gewandt und fragte sie irgend etwas. Wenige Worte, wobei die lustigen braunen Augen der jungen Dame nach einer ganz anderen Richtung schauten, waren die Erwiderung.

Befremdet schwieg Klaudine. Die kleine Prinzessin ihr gegenüber im Schaukelstuhl sah sie schon eine ganze Weile mit herausfordernden Blicken an. Klaudine richtete ihre schönen blauen Augen ruhig und wie fragend auf diese dreisten schwarzen Sterne, da wandte sich der dunkle Lockenkopf und ein verächtlicher Zug flog um den fast zu vollen kleinen Mund.

»Die jungen Damen sollten eine Partie Krocket spielen «, schlug die Herzogin vor. »Die Herren dort drüben werden sich gern beteiligen. Meine liebe Klaudine, geleiten Sie die Prinzessin und Komtesse Moorsleben hinüber und geben Sie den Befehl die Reifen aufzustellen.«

Klaudine erhob sich.

»Verzeihung, Hoheit, – ich danke!« sagte Prinzeß Helene, »ich bin etwas ermüdet.« Sie legte den Kopf an die Lehne des Schaukelstuhles und wiegte sich langsam. Komtesse Moorsleben setzte sich auf die abschlägige Antwort ihrer Gebieterin sofort wieder hin. Auch Klaudine nahm ruhig Platz.

Es wurde Eis gereicht und Tee und Kaffee in kleinen Porzellantassen. Die Herren kamen jetzt vom Spielplatz herüber und gesellten sich zu den Herrschaften. Klaudine sah plötzlich zwei Herren hinter ihrem Stuhl, Herrn von Palmer und den Rittmeister von Rinkleben. Sie wandte sich zu letzterem und war bald mit ihm im Gespräch. Da sie seine jüngere Schwester aus der Pension kannte, fragte sie nach ihrem Ergehen. Er gab einen langen Bericht über ihre Heirat und das Glück, das sie gegen alle Erwartung darin gefunden. Enge Verhältnisse, schmales Auskommen, und doch sei sie heiter und zufrieden.

»O ja«, stimmte die junge Dame bei, »es läßt sich mit ein wenig Zufriedenheit das engste kleine Heim ganz köstlich ausschmücken.«

»Ein sprechendes Beispiel gibt gnädiges Fräulein selbst; Eulenhaus ist ein Idyll, ein Traum, wo Sie walten wie eine Fee des Behagens«, fiel Palmer ein. »Das Bewußtsein freilich, daß dies nur eine Episode ist, hilft wohl diesen Zauber vollenden. Es ist leicht, zufrieden zu sein, schaut man in der Ferne einen Tempel des Glückes.«

Klaudine sah ihn fragend an.

»Etwas dunkel, Herr von Palmer, ich verstehe Sie nicht«, sagte Klaudine.

»Wirklich nicht? Ah, meine Gnädige, bei Ihrer glänzenden Fassungsgabe. Es muß Ihnen doch sehr heimisch hier vorkommen«, fuhr er ablenkend fort, »hoffentlich ist die Zeit nicht mehr fern, wo Sie endgültig den Sitz Ihrer Väter wieder beziehen. Die ewigen Fahrten von und nach dem Eulenhause sind doch lästig, meine ich, und noch dazu in nächster Zeit, wo die Festlichkeiten in Altenstein und Neuhaus sich jagen werden.«

»Ich habe heute Unglück, Herr von Palmer, schon wieder will mir der Sinn Ihrer Rede nicht klar werden.«

»So betrachten Sie doch die Worte prophetisch, Fräulein von Gerold!« sagte eine helle Stimme, und der Erbprinz, ein bildschöner Junge von zwölf Jahren mit den großen schwärmerischen Augen seiner Mutter, rückte mit seinem Sessel zu Klaudine hinüber, »Propheten reden ja immer dunkel«, setzte er hinzu.

»Bravo, Hoheit!« rief Herr von Palmer lachend.

»Ich wollte, Herr von Palmer hätte wahr geweissagt«, fuhr der Erbprinz fort und sah mit der knabenhaft kecken Bewunderung seines Alters auf das schöne Mädchen. »Sie könnten wohl ganz zur Mama kommen, gnädiges Fräulein. Mama sagte erst gestern zu Papa, es würde nett sein, wenn Sie nicht immer wieder fortführen.«

Herr von Palmer lächelte noch immer.

»Das kann ich leider nicht, Hoheit, ich habe daheim meine Pflichten«, erwiderte Klaudine ruhig. »Wie gern käme ich sonst nach meinem lieben Altenstein!«

»Es ist eine köstliche Besitzung«, lenkte der Rittmeister ab, »welch wundervoller Garten!«

»Er war Großpapas Steckenpferd«, bemerkte Klaudine traurig.

»Sie haben hier immer mit Ihrem Bruder und anderen Kindern >Räuber und Prinzessin< gespielt, als Sie noch klein waren?« fragte der Erbprinz, ohne einen Blick von dem Gesicht der jungen Dame zu wenden.

»Dort unten«, nickte sie und wies nach links, »an der Mauer, wo die kleine Pfortentür ist, die wurde dann zu Ausfällen benutzt.«

»Herr Rittmeister«, rief Prinzeß Helene jetzt laut, »ich möchte nun doch eine Partie Krocket machen! Kommen Sie, Isidore!«

Die Komtesse und der Rittmeister erhoben sich und eilten nach dem Rasenplatz. Prinzeß Helene zögerte noch, »Baron«, sagte sie dann zu Lothar von Gerold, »sind Sie nicht auch dabei?«

Er erhob sich und schaute sie an, während er sich zustimmend verneigte. »Haben Durchlaucht schon alle Personen befohlen, die am Spiel teilnehmen sollen?« fragte er dann.

»Warum? Sie sehen ja, wir sind zwei zu zwei.«

»Nicht mehr als vier? Ah so! Hoheit!« wandte er sich an den Erbprinzen, »Prinzeß Helene wünscht Krocket zu spielen – ich weiß, wie Sie das Spiel lieben.«

Der Fuß der kleinen Durchlaucht trat ungeduldig den Rasen.

»Ich muß bedauern«, erwiderte der Prinz ernsthaft, »Fräulein von Gerold hat soeben versprochen, mir den Platz zu zeigen, wo ich mit meinem Bruder am besten eine Festung bauen kann. Das ist mir interessanter.«

Baron Lothar lächelte. Er blieb einen Augenblick stehen und sah, wie der junge Prinz Klaudine mit einer allerliebsten Wichtigtuerei den Arm bot.

Die Herzogin folgte dem schönen Mädchen am Arm des Knaben mit erstaunter Miene. »Warum spielt Fräulein von Gerold nicht mit?« fragte sie den Baron.

»Hoheit, Prinzeß Helene wählte soeben selbst ihre Mitspieler«, erwiderte er.

»Bitte, Baron«, sagte die Herzogin liebenswürdig, aber bestimmt, »gehen Sie Ihrer Cousine nach und sagen Sie ihr, wie sehr ich bedaure, daß man sie aufzufordern vergaß, und bringen Sie sie womöglich zurück. Der Hofmeister des Erbprinzen, der dort eben kommt, wird so lange Ihre Stelle übernehmen.«

Der Baron verbeugte sich und ging, sich bei der Prinzeß zu entschuldigen und dem Hofmeister den Hammer in die Hand zu drängen. Dann schlug er langsam und auf Umwegen die Richtung ein, die seine Cousine genommen hatte.

Die Nase der alten Prinzeß war während dieses Vorganges plötzlich spitz und weiß geworden.

»Verzeihung, Hoheit«, sagte sie und setzte die zierliche Tasse klirrend auf das Tischchen, »Helene hatte sicher nicht die Absicht, zu kränken, sie meint es nur gut und sie liebt Eure Hoheit schwärmerisch. Ihr ehrliches Herz geht eben immer mit ihr durch, und –«

»Ich sehe nicht ein, was die Ehrlichkeit damit zu tun hat, liebste Tante«, erwiderte die Herzogin und ihre Wangen färbten sich purpurn vor Erregung.

Herr von Palmer sah zu dem Herzog hinüber, der von diesem kleinen Wortwechsel nicht die geringste Notiz nahm. Hoheit spielte mit seinem Augenglas, indem er ernsthaft der weißen schwebenden Mädchengestalt nachschaute, an deren Arm zutraulich der Erbprinz hing und sie nach allem möglichen befragte. Sie war schon eine ganze Weile in dem dichten Gewirre eines Jasmingebüsches verschwunden. Da wandte der Herzog langsam den Kopf zurück und begegnete den Augen der Prinzeß Thekla, die noch funkelnder aussahen als sonst, es lag ein verbissener, schadenfroher Ausdruck über ihrem mageren Gesicht.

»Er macht zeitig den Hof«, sagte der Herzog unbefangen, »der Junge ist ja Feuer und Flamme!«

»Und guten Geschmack hat er auch«, ging die Herzogin fröhlich auf den Scherz ein.

»Das hat er von seinem Papa«, schrillte die Stimme der alten Prinzessin, und das liebenswürdigste, harmloseste Lächeln der Welt verdrängte für einen Augenblick die Verbissenheit. Sie sah aus, als hätte sie nie ein Wässerchen getrübt, und setzte sich noch einmal so aufrecht in ihren Stuhl zurück.

Der Herzog nahm verbindlich den Hut ab und verneigte sich vor ihr.

»Ja, meine allergnädigste Tante, ich sah stets lieber eine schöne Frau, als eine häßliche, und wenn Sie meinen, der Erbprinz habe diese Eigenschaft von mir, so machen Sie mich glücklich. Ich danke Ihnen.«

In Herrn von Palmers scharfgeschnittenem Gesicht wetterleuchtete es vor unterdrückter Heiterkeit. Es war ja unbezahlbar. Wenn die Berg das hören könnte! Prinzeß Thekla zupfte nervös an den Spitzen ihres Taschentuches, die Herzogin aber warf dem Gemahl einen bittenden Blick zu, sie kannte vollauf seine Abneigung gegen Tante Thekla. – Jetzt würdigte sie Seine Hoheit keines Wortes mehr, sie wandte sich zu der Herzogin und überschüttete sie mit wahrhaft unheimlichen Freundlichkeiten, die eine mitleidige Färbung hatten, wie man zu Leuten zu sprechen pflegt, die unverschuldet einen großen, großen Kummer tragen, eine Freundlichkeit, die nervöse stolze Naturen bis aufs Blut peinigen kann.

Die Herzogin verstand sie nicht, aber sie litt unter all den Fragen und Ratschlägen und Erkundigungen, und als endlich Prinzeß Thekla seufzte: »Wenn ich nur ganz gewiß wüßte, ob Eurer Hoheit dieses Altenstein gut tun kann?« ward sie ungeduldig und bat, man möge sie hinaufführen, sie fühle sich ermüdet.

Das galt als Zeichen zum Aufbruch. In kurzer Zeit war der Platz unter den Eichen leer, lagen die bunten Kugeln verlassen auf den Wegen, und auf der Straße rollten die beiden Prinzessinnen nebst ihrer Begleitung Neuhaus zu.

15.

Klaudine war mit dem jungen Erbprinzen dem letzten Teile des weiten Parkes zugeschritten. Sie war innerlich froh, fortzukommen aus dem Bereiche von Lothars Augen, die ihr weh taten. Die absichtliche Kränkung der kleinen Prinzeß hatte sie kaum verletzt, es erschien ihr so überaus kindisch, daß sie sich nicht die Mühe nahm, weiter darüber nachzudenken. Es hatten ja stets kleine Plänkeleien von jener Seite gegen ihre Person stattgefunden, warum die Prinzessin es aber heute, sogar unter den Augen des Herzogs und der Herzogin, wagte, ihre Abneigung in so herausfordernder Weise zu zeigen, begriff sie allerdings nicht. Die kleine Durchlaucht mußte sehr schlechter Laune gewesen sein, oder – sollte sie mit dem hellsehenden, ahnenden Geist der Liebe Klaudines Gefühle für den Mann, den sie begehrte, erkannt haben? Aber doch nicht! Die Prinzessin war ja ihrer Sache sicher, so sicher, daß sie sogar Beates Wirtschaftsschürze lieh und ein wenig Hausfrau spielte im künftigen Heim.

Und auch Lothar mußte dieses wetterwendischen koketten kleinen Herzens gewiß sein; sonst würde er sich kaum erlaubt haben, sie in so ironischer Weise auf ihre Unart aufmerksam zu machen.

Klaudine runzelte plötzlich die Stirn und biß sich auf die Lippen. Was ging ihn das an, wenn ihr weh geschah? Sie wußte doch wahrlich selbst, wie weit man ihr gegenüber gehen dürfte, sie wußte sich allein zu verteidigen, sie wollte keine Bevormundung, kein Mitleid, am allerwenigsten von ihm!

Sie war mit ihrem jugendlichen Begleiter in den einsamsten Teilen des Parkes angelangt, wo schon zu ihrer Kinderzeit die Büsche und Bäume wuchsen und wachsen durften, wie sie wollten. Es war eine feuchte, moosdurchduftete Wildnis, von einem kleinen Bach durchrieselt, an dem die Farnkräuter in üppigster Pracht ihre grünen Wedel enfalteten. Unter der kleinen Brücke, aus Birkenstämmchen gezimmert, gluckste und schluchzte das Wasser noch ebenso eigentümlich wie damals, als sie, ein Kind, hier umhergestreift. Dort war das halbzerfallene Mooshüttchen, das bei ihren Spielen bald als Gefängnis, bald als Ritterburg diente. Wie oft hatte sie darinnen gesessen als gefangenes Burgfräulein! Ein wehmütiges Gefühl beschlich sie, als sie dem Prinzen davon erzählte und ihm alles zeigte. Da war auch der Grabstein, unter dem Joachims Lieblingshund lag, die kleine gelbe Dachshündin, die Lola hieß und so klug war, daß sie ihn niemals verriet, wenn die Kinder Verstecken spielten.

»Wo geht es dort hinaus?« fragte der Prinz, auf eine schmale, niedere Pforte in der Mauer deutend.

»In das Dorf, Hoheit«, erwiderte Klaudine. »Die Pforte wird benutzt zum sonntäglichen Kirchgang.«

Der wißbegierige Prinz zog das schöne Mädchen immer weiter an der Mauer entlang, sie mit allerhand Fragen bestürmend. Plötzlich erblickte er einen Häher in einem der hohen Bäume und vergaß seine Dame und seine Ritterpflicht, in dem er dem Vogel nachlief, der durch die Äste streifte, als wollte er den Knaben necken, bald hier, bald dort auftauchte und verschwand, immer weiter und weiter.