Die schöne Frau hielt sich plötzlich das Taschentuch vor die Augen und begann zu schluchzen.

»Weinen Sie nicht!« herrschte die Prinzessin sie an, »Sie wissen, daß es mich rasend macht! – Ich kenne Sie zu genau, Sie sind schadenfroh, Alice!«

»Bei Gott nicht, Durchlaucht!« beteuerte die Weinende. »Ich dachte an – man lächelt doch auch aus Mitleid.«

»Ich brauche Ihr Mitleid nicht!«

»Wer sagt denn, daß es Eurer Durchlaucht galt? Mich dauert die Herzogin! Ihre Hoheit kommt mir vor wie das Lamm, das sich den Wolf zu Gaste gebeten hat. Hoheit vergöttert ja diese Klaudine und – Durchlaucht, es ist doch traurig komisch, wenn man jemand sieht, der seinen ärgsten Feind mit Zuckerplätzchen füttert.«

Die Prinzeß antwortete nicht. Sie saß jetzt hinter dem Vorhang auf dem breiten Fensterbrett, und ihre Füße waren in hastiger Bewegung, während die Augen brennend auf die Straße starrten, die jenseits des Parkes sichtbar war.

»Was kann ich dafür, wenn die Leute blind sind«, sagte sie endlich.

»Ich glaubte, Durchlaucht liebten die Frau Herzogin?«

»Ja, sie ist gut, kindergut und hat mir immer viel Zuneigung bewiesen. Aber Mama sagt, sie ist überspannt, und das hat sie heute deutlich genug gezeigt. Ich kann ihr nicht helfen.«

Auf dem Rokokoschränkchen, dem echten alten mit blanken Messingschlössern und Henkeln, schlug die Uhr eben sieben. Die kleine Prinzessin bemerkte es ungeduldig.

»Schon so spät?« sagte sie, »der Baron vergißt, daß wir heute abend im Garten den Tanzplatz aussuchen wollten für das Fest.«

»Vielleicht befahl Ihre Hoheit ihn noch in ihren Salon«, bemerkte Frau von Berg. »Fräulein von Gerold singt jeden Abend und der Baron ist, wie Durchlaucht wissen, ein fanatischer Musikliebhaber.«

»Die Herzogin weiß aber, daß er Gäste hat!« rief die Prinzessin mit funkelnden Augen und sah ihre Peinigerin drohend an.

»Wenn aber Hoheit befehlen?« sagte diese sanft entschuldigend.

»Befehlen? Wir leben doch nicht im Mittelalter. Am Ende kann meine Cousine wohl gar noch befehlen, er soll ihren Liebling heiraten?«

Frau von Berg ging harmlos auf diesen etwas gewaltsamen Scherz ein. »Wer weiß, Durchlaucht? Wenn es der Herzenswunsch dieses Lieblings wäre?«

Das war zuviel für Prinzeß Helene. Sie lief zu Frau von Berg hinüber und faßte sie zornig an der Schulter, ihr schmales Gesicht war ganz bleich.

»Alice«, sagte sie, »Sie sind schlecht! Ich fühle es, daß Sie schlecht sind! Sie können mich bis aufs Blut peinigen, es ist entsetzlich, was Sie da sagen – aber – es ist nicht unmöglich. Alice, ich habe keine ruhige Stunde mehr, ich wollte, ich wäre tot wie meine Schwester! Die ist doch wenigstens einmal glücklich gewesen.«

»Aber, Durchlaucht, ein Scherz!«

»Nein, nein, kein Scherz – um Gottes willen, nehmen Sie es nicht als Scherz! Ich weiß nicht, was ich tun könnte vor Seligkeit, wenn sie fort wäre aus diesen Bergen! Warum ist sie nicht mit der Herzoginmutter nach der Schweiz gegangen? Warum muß sie hier sitzen?«

»Ja warum?« fragte Frau von Berg und küßte die Hand der kleinen Prinzessin.

»Armes Kind!« seufzte sie dann.

»Ach, Alice, wissen Sie keinen Weg? Nennen Sie mir einen! Ich ertrage die Zweifel nicht länger!« flüsterte das leidenschaftliche Mädchen.

»Ich, Durchlaucht? Was kann ich denn tun? Wenn da nicht ein Zufall hilft, Ihrer Hoheit die Augen zu öffnen –«

»Ein Zufall?« wiederholte die Prinzessin bitter.

»Wie denn sonst? Ihre Hoheit haben keine einzige Seele, die es gut genug mit ihr meint, um ihr einen solchen Freundschaftsdienst zu erweisen.«

»Ein schöner Freundschaftsdienst!« antwortete die Prinzeß spöttisch, »das ist schon mehr eine Henkersarbeit, denn das weiß ich, so wahr ich hier vor Ihnen stehe, Alice, daß die Kenntnis dieser Angelegenheit Elisabeths Herz brechen würde.«

»Durchlaucht würden lieber mit ansehen, wie das edelste, beste Geschöpf systematisch hintergangen wird? Ich muß gestehen, die Ansichten von Freundschaft sind sehr verschieden«, erwiderte Frau von Berg vorwurfsvoll.

»Sie haben wohl niemals einen so recht liebgehabt, Alice? So lieb, daß man eher sterben möchte, als ihn missen? Nein, das haben Sie nicht, sagen Sie es nur nicht etwa. Wo andere ein Herz haben, da haben Sie eine leere Stelle! Sehen Sie mich nicht so an, durch mich erfährt die Herzogin es nicht, Alice. Nebenbei behaupte ich nie etwas, das ich nicht zuverlässig weiß, und hier dürften vollgültige Beweise doch vorläufig fehlen.«

Frau von Berg lächelte und strich über das Haar der Prinzessin.

»Wie könnte ein so goldreines liebes Kinderherz auch an solche Schuld glauben?« sagte sie leise, »es würde selbst die Beweise nicht anerkennen.«

Die Prinzeß schüttelte die Hand ab. »Bitte, tun Sie nicht, als hätten Sie alle Taschen voll davon«, sagte sie, ärgerlich über die Berührung.

»Ich habe zwar nicht alle Taschen voll, es würde aber auch ein Beweis genügen, Durchlaucht.«

Das Gesicht des fürstlichen jungen Mädchens überzog eine flammende Röte.

»Es ist nicht wahr!« stammelte sie, »so ehrlos ist kein Weib, daß es Freundschaft heuchelt, wo es Verrat übt. Sie sind entsetzlich, Alice.«

»O Durchlaucht, Sie kennen das Leben nicht!«

Die Prinzessin faßte sich plötzlich an die Stirn und lief in ihr Schlafzimmer. Krachend flog die Tür hinter ihrer leichten Gestalt zu. Frau von Berg blieb allein in dem anmutigen einfachen Raum, sie schaute die Tür an und wieder glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. Dann zog sie ein Notizbuch aus der Tasche und nahm ein Briefchen heraus. »Da ist es«, flüsterte sie, es liebevoll betrachtend. Einmal hatte es bereits seine Zauberkraft bewährt – da drinnen in ihrem Zimmer saß jetzt Ihre Durchlaucht Prinzeß Thekla und schrieb an Ihre Hoheit die Herzoginmutter einen Brief voll tugendhafter Entrüstung!

Nebenan erklang jetzt ein leidenschaftliches Schluchzen. Frau von Berg verließ das Zimmer und kam gleich darauf mit frischem Wasser und Himbeersaft zurück. Ohne weiteres betrat sie das Schlafgemach der Prinzessin. »Durchlaucht sollten sich fassen«, bat sie weich und mischte den kühlenden Trank. Sie kniete vor dem weinenden jungen Geschöpf nieder, das auf dem Sofa zu Füßen des Bettes saß, und sah sie wie um Verzeihung bittend an.

»Die roten Augen müssen fort«, sprach sie, »wenn ich nicht irre, fuhr soeben der Baron in den Hof. Auf dem Tische drinnen liegen die Maskenbilder für das Kostümfest und eine große Auswahl entzückender Stoffproben.«

Die Prinzessin erhob sich, ließ sich von Frau von Berg das Haar ordnen und die Augen kühlen. »Sehe ich sehr verweint aus?« fragte sie.

»Nein, nein, reizend wie immer!« klang es zurück.

Unten läutete jetzt die Tischglocke in vollen, lauten Tönen. Ein paar Minuten später flog die Prinzessin hinunter, als wollte sie keine Minute einer köstlichen Stunde versäumen, ihr Auge strahlte, ihr Mund lächelte. An den weit geöffneten Türen des Speisesaales, in welchem über dem blitzenden Tisch die Kerzen flammten, stand Beate in dem raschelnden grau und schwarz gestreiften Taftkleide, das sie jetzt regelmäßig bei den Mahlzeiten trug.

»Mein Bruder läßt Eure Durchlaucht bitten, seine Abwesenheit zu verzeihen, Seine Hoheit haben ihn für sich in Anspruch genommen, soeben kam der Wagen leer zurück«, sagte sie, sich leicht verneigend, mit ihrer zuweilen so hart klingenden Stimme.

Das Strahlende aus dem Gesichte der Prinzessin war verschwunden, sie saß still neben Beate. Die alte Prinzessin hatte sich mit plötzlich aufgetretenem Kopfweh entschuldigt.

Komtesse Moorsleben unterdrückte mühsam ein Gähnen, der Kammerherr sprach gedämpft mit Frau von Berg, sonst hörte man nichts, als das leise Klappern der Teller oder Beates Stimme, die laut und deutlich wie immer erscholl. Einmal redete sie die Prinzessin an, diese wandte auch den Kopf zu ihr herum, ohne zu antworten, aber noch ehe der Nachtisch kam, erhob sie sich, winkte der Komtesse, sie solle zurückbleiben, und lief wie ein trotziges Kind in den Garten hinaus. Als sie nach ein paar Stunden in ihr Zimmer zurückkam, war ihr Haar feucht vom Nachttau und die Augen verschwollen. Aber diese Augen sahen nicht das, was sich vor ihnen befand – sie sahen ein lauschiges Gemach und an dem Flügel ein schönes Mädchen, um dessen Blondhaar der Lichtschein eine Glorie wob, und einer lauschte den süßen, weichen Tönen, die sein Herz bestricken mußten wider Willen.

»Frau von Berg soll kommen«, sagte sie zur Kammerjungfer, »ich will kein Licht.«

Nach ein paar Minuten rauschte die Schleppe der schönen Frau über die Schwelle des dunklen Gemaches, und die kleine zitternde Hand der Prinzeß faßte nach der ihren.

»Den Beweis, Alice, geben Sie ihn mir!« flüsterte die bebende Stimme.

»Hier!« erwiderte Frau von Berg gelassen und legte den verräterischen Brief in die Rechte der Prinzessin. »Ich glaube, es lohnt der Mühe nicht. Werfen Sie den Zettel fort, Durchlaucht, wenn Sie ihn gelesen haben.«

»Es ist gut, Alice, ich danke. Sie können mich verlassen.«

Die Prinzessin ging in ihr Schlafzimmer und las beim Schein der rosa Ampel, die von der Decke herabhing. »Arme Liesel!« flüsterte sie.

Dann machte sie eine Bewegung, als wollte sie das Blättchen zerreißen, und hielt wieder inne. Eine heiße Blutwelle stieg ihr zum Kopf, sie holte schwer Atem. In dem Räume lag noch die Schwüle des Tages und durch das offene Fenster strömte der süße berauschende Duft blühender Linden, berauschend wie die Sehnsucht, die das Herz des Mädchens erfüllte. Sie wollte glücklich werden um jeden Preis, auch um den größten! Mit bebenden Fingern faltete sie den Brief so klein wie möglich zusammen und schloß ihn in eine goldene Kapsel, die sie am Halse trug.

»Nur für den Notfall!« flüsterte sie noch einmal und verbarg die Kapsel.

17.

Fräulein Lindenmeyer schüttelte verwundert den Kopf unter der rotbebänderten Haube. Merkwürdig, was aus dem sonst so verlassenen Paulinental geworden war! In den Waldwegen leuchteten helle Damenkleider auf und schollen fröhliche Stimmen, es schien, als habe die ganze Stadt sich gerade diese Gegend zu ihren Sommerausflügen ausgewählt. Eine Menge eleganter Wagen fuhr seit kurzer Zeit vorüber, und in Xleben war kein Ei mehr zu haben. Alles ging nach Brötterode, dem kleinen Bade, eine halbe Stunde vom Eulenhause, wo, wie die Frau Försterin sagte, die fremden Herrschaften in diesem Jahre nur so wimmelten. Jede noch so kleine Wohnung sei vergeben und der Wirt in der »Forelle« zum Platzen hochmütig geworden, er habe zwei Grafenfamilien im ersten Stock, und im Hinterhause wohne eine Frau von Steinbrunn mit zwei Töchtern, alle hätten eigene Wagen mit und das sei ein ewiges Gefahre nach Altenstein und nach Neuhaus. –

Ja, der ganze Hofschwarm war den fürstlichen Herrschaften nachgezogen, man fand in diesem Sommer in den höchsten Kreisen der Residenz die heimischen Gebirge unvergleichlich schön, es war einmal etwas anderes als die Schweiz oder Tirol, als Ostende oder Norderney. In dem einfachen Speisesaal des Brötteroder Gasthofes, wo die Bilder des Herzogs und der Herzogin in wahrhaft empörendem Farbendruck die getünchten Wände zierten, wo man auf tannenen Stühlen an schmalen Tischen saß, trockenen Rinderbraten und Backpflaumen als Kompott aß und zweifelhaften Rotwein trank, herrschte trotz alledem eine angeregte Stimmung. Hatte man doch Aussicht auf Picknicks im Walde, auf Krocket und Lawn-Tennis im Altensteiner Park. Die Herzogin sollte sogar von einem Gartenfest gesprochen haben, einem Kostümball im Mondschein unter den Eichen des Schloßgartens.

Es versprach diese Sommerfrische nach allen Seiten hin eine ganz ungewöhnliche zu werden. Außer allem anderen war es auch schon höchst interessant, diese romantische Freundschaft Ihrer Hoheit zu der schönen Klaudine zu beobachten.

»Neulich hat man sie in ganz gleichen Kleidern gesehen«, berichtete Frau von Steinbrunn.

»Verzeihung! Das ist nicht der Fall. Die Herzogin trug rote Schleifen, Klaudine von Gerold blaue«, ereiferte sich ein junger Offizier in Zivil, der seinen Urlaub anstatt in Wiesbaden hier verlebte.

»Die Herzogin soll sie ja förmlich mit Schmuck und Kostbarkeiten überhäufen, sie sind den ganzen Tag beisammen, lesend, plaudernd und spazieren gehend, wahrscheinlich dichten sie auch miteinander. Prinzeß Helene hat vorgestern zu Isidore von Moorsleben gesagt, sie nennten sich >du

»Nicht möglich! Unglaublich!«

»Die Gerolds haben eigentümliches Glück!«

»Was sagt Seine Hoheit dazu?« fragte plötzlich die kecke Stimme eines jungen Diplomaten.

Die alte Exzellenz mit weißem Scheitel und würdevollem Gesicht am oberen Ende der Tafel räusperte sich vernehmlich und schüttelte mißbilligend das Haupt.