»Liebste Klaudine«, sprach die fürstliche Frau, »Ihr Schicksal winkt«, und die Angeredete ergriff nun auch eines der Zettelchen.
»Noch nicht lesen!« sagte die Herzogin. Ihre großen, dunklen Augen glänzten freundlich, sie stützte sich leicht auf Klaudines Arm.
Das weiß gepuderte Köpfchen der hübschen Hofdame war hin und wieder aus der Menge aufgetaucht. Jetzt hielt sie das geleerte Silberkörbchen in die Höhe, und im nämlichen Augenblick begann die Kapelle den Hochzeitsmarsch aus dem »Sommernachtstraum«.
Die Damen sollten die ihnen durch das Los zugeteilten Herren zur Tafel führen. So war es von Prinzeß Helene bestimmt. Lachen, Ausrufe wurden laut.
Ihrer Hoheit Augen leuchteten. Sie hatte den Namen eines blutjungen, schüchternen Leutnants auf ihrem Zettel gefunden.
»Nun, Klaudine?« fragte sie, indem sie in das Papier der Freundin blickte. »Oh!« machte sie dann, »Seine Hoheit!«
Klaudine war bleich geworden, der Zettel in ihrer Hand bebte. »Eigentümlicher Zufall!« flüsterte eine leise Stimme hinter ihr.
Die Herzogin wandte sich langsam um und maß Prinzeß Helene mit einem kühlen Blick von oben bis unten. Aber aus ihren Augen war plötzlich die harmlose Freude gewichen. Stumm legte sie ihren Arm in den Klaudines und zog das Mädchen vorwärts durch die suchende, wogende Menge, die ehrerbietig zurückwich.
»Hier, mein Freund«, sagte sie zu dem Herzog, der noch immer neben Palmer stand, »deine Tischnachbarin, die dir ein gütiges Geschick bestimmte. Mein Herr von Palmer, bringen Sie mir den Leutnant von Waldhaus, er wurde mir durch das Los zugeteilt.«
Herr von Palmer flog davon. Die fürstliche Frau stand, das Antlitz lächelnd in dem Granatstrauß geborgen, neben Seiner Hoheit und Klaudine. Dann kam atemlos, dunkelglühend, ein schlanker, blonder Husarenoffizier und verneigte sich tief vor Ihrer Hoheit.
Der Herzog wandte sich mit Klaudine dem Garten zu und deutete auf das Dunkel der Linden. »Es ist schwül hier in der Halle«, erklärte er. Auf den Stufen der Treppe blieb er stehen und blickte in das von peinvoller Verwirrung unsagbar liebliche Mädchengesicht.
»Um Gottes willen, gnädiges Fräulein«, sagte er erschreckt und mitleidig, »was glauben Sie? Ich bin weder ein Räuber noch ein Bettler, und Sie haben mein Wort. Mißgönnen Sie mir doch diese harmlose Freude nicht!«
Sie ging mechanisch neben ihm die Treppe hinunter zu einem der kleinen Tische unter den Linden, der nur vier Gedecke trug. Ihre lange rosa Schleppe lag noch im silbernen Mondlicht auf dem Rasen, sie selbst stand im Dunkeln hinter ihrem Stuhle, hochaufgerichtet jetzt.
»Eh!« rief der Herzog plötzlich, »Gerold, hier ist noch Platz!«
Der Baron war mit seiner Dame, der jungen, harmlosen Frau des Landrats von N., die Stufen herabgeschritten, er kam nun im völligen Sturmschritt auf den Tisch des Herzogs zu; die niedliche Frau an seiner Seite vermochte kaum ihm zu folgen.
»Hoheit haben befohlen«, sprach er.
Es war, als hole er tief Atem, während er seiner Dame den Stuhl hielt, als sie Platz nahm. Und er winkte dem Diener, der die Platte mit Speisen trug.
Der kleinen Prinzeß war Herr von Palmer durch das Los zugefallen. Sie saß in der Halle an der Tafel Ihrer Hoheit, ebenso Prinzessin Thekla. Baron Lothar erhob sich einmal, trat auf die Treppe und brachte das Hoch auf die Hoheiten aus. Der Herzog ließ die Damen leben. Die Augen der Prinzeß Helene hingen mit wahrhaft dämonischem Ausdruck an jenem Tisch dort unten im Garten, man schien sehr heiter dort, das tiefe Lachen des Herzogs scholl deutlich in ihr Ohr. Zuweilen wandte sie das bleiche Gesicht mit den funkelnden Augen nach der Herzogin und sah mit stiller Befriedigung, wie auch sie ihre Blicke unablässig dorthin sandte, eine bange Frage schienen sie zu enthalten, obgleich ihr Mund lächelte, obgleich sie so heiter schien, wie seit langer Zeit nicht.
Zum Nachtisch, als die Knallbonbons mit den Raketen draußen wetteiferten, saß Prinzeß Helene plötzlich neben der Herzogin, sie hatte Herrn von Palmer gebeten, den Stuhl mit ihr zu tauschen, worauf er eifrigst einging. Ihre Hoheit hatte sowieso kein Wort für ihn gehabt, nur für ihren jungen Kavalier. Die kleine Prinzessin blieb anfänglich stumm. Trotz ihrer besinnungslosen Eifersucht klopfte ihr das Herz bei dem Gedanken an das, was sie tun wollte. Sie trank gegen alle Hofsitte ihren Sektkelch einigemal rasch aus, Herr von Palmer wußte ihn immer wieder unbemerkt füllen zu lassen.
In ihrem tollen, leidenschaftlichen Köpfchen sah es erbarmungswürdig aus an diesem Abend. Das rebellische, durch den Wein erhitzte Blut stieg ihr verwirrend zum Kopf.
»Hoheit«, flüsterte sie besinnungslos und beugte sich zu ihr, die eben nach Fächer und Strauß griff. »Hoheit! Elisabeth, um Gottes willen, Sie vertrauen zu viel!«
Hatte es die Herzogin nicht gehört? Sie erhob sich langsam und würdevoll. Das Zeichen zur Aufhebung der Tafel war gegeben, Stühle wurden geschoben, und draußen unter den dunklen Bäumen flammte ein verschlungenes A. E. auf mit der Herzogskrone. Alles flutete zurück in den Garten, zum Tanz.
»Prinzeß Helene!« befahl die Herzogin ihrem Kavalier. Sie setzte sich nicht mehr, der Befehl für die Wagen war bereits gegeben. Nur der Herzog stand noch unter den Linden, mit Klaudine plaudernd.
Prinzeß Helene flatterte eilfertig daher, auf ihrem heißen Gesichtchen lag eine Art verzweifelten Trotzes.
»Erklären Sie sich deutlicher, Cousine«, sprach die Herzogin laut zu ihr. Es war jetzt niemand weiter in dem kleinen, von rosiger Dämmerung erfüllten Zelte, vor dessen zurückgeschlagenen Vorhängen das Fest im Mondlicht wogte.
»Hoheit!« rief das leidenschaftliche Mädchen heftig, »ich ertrage es nicht, zu sehen, wie Sie hintergangen werden!«
»Wer hintergeht mich?«
Noch einmal gewann alles Vornehme, alles Gute in diesem Mädchenherzen die Oberhand. Sie sah diese so schwer nach Atem ringende Frau, sie wußte, was das nächste Wort bedeute für dieses Leben.
»Nichts! Nichts!« stieß sie hervor. »Lassen Sie mich gehen, Elisabeth, schicken Sie mich fort!«
»Wer hintergeht mich?« fragte die Herzogin noch einmal bestimmt, mit Aufbietung aller Kräfte.
Die kleinen Hände der Prinzessin falteten sich und ihr Blick wandte sich zu Klaudine, die dort noch immer von dem Herzog festgehalten wurde. Die Augen der Herzogin folgten ihr, eine erschreckende Blässe breitete sich über ihr Gesicht.
»Ich verstehe nicht«, sagte sie kühl.
Das Herz der Prinzessin pochte wie wahnsinnig gegen die Kapsel, in der sie den Brief des Herzogs verwahrte. »Hoheit wollen nicht verstehen«, flüsterte sie, »Hoheit wollen die Augen verschließen!« Sie hob die noch immer gefalteten Hände empor und preßte sie auf das blauseidene Jäckchen. »Klaudine von Gerold!« stieß sie hervor.
Sie vollendete nicht, die Gestalt der Herzogin wankte; mit einem leisen Schreckensruf hielt die Prinzessin sie umfangen, aber nur einen Augenblick, die Herzogin war schon wieder Herrin ihrer selbst.
»Es scheint, als ob die schwüle, betäubende Nacht Fieber erzeugte«, sagte sie mit einem Lächeln um den blassen Mund. »Gehen Sie zu Bette, Cousine, und trinken Sie kühle Limonade. Sie reden irre! Rufen Sie Fräulein von Gerold, liebe Katzenstein«, wandte sie sich dann an die alte Hofdame, die herbeigeeilt war und unter ihrem Spitzenhäubchen hervor besorgt in das blasse Gesicht der Herzogin schaute.
Und als das schöne Mädchen kam, sagte sie freundlich und so laut, daß auch die Außenstehenden es hören mußten, indem sie das trauliche »Du« gebrauchte: »Führe mich zum Wagen, Dina, und vergiß nicht, daß du morgen an einem Krankenbett sitzen wirst. Ich fürchte, für meine Kräfte ist dieses schöne Fest zuviel geworden.«
Sie stützte sich fest auf Klaudines Arm und schritt, begleitet von dem Herzog, von Baron Lothar und dem Gefolge, nach allen Seiten freundlich grüßend, der Freitreppe zu, wo die Wagen hielten. Sie übersah dabei die tiefe Verneigung der Prinzessin Helene. – Als Klaudine an der Seite Lothars zurückkehrte, trug sie den Granatstrauß der Herzogin in der Hand.
Sie weilte noch einige Augenblicke unter all den Menschen, die plötzlich kein Auge mehr für sie zu haben schienen, aber sie bemerkte es nicht, sie sehnte sich nach Ruhe. »Gute Nacht, Beate, ich möchte heim.«
»Wie sonderbar die Herzogin war beim Abschied!« sprach Beate, als sie neben Klaudine dem Wagen zuschritt. »Sie sah dich an, als wollte sie bis auf den Grund deiner Seele schauen, und doch, als hätte sie dir etwas abzubitten. Wie lieblich die Art und Weise war, als sie dir den Strauß noch zuletzt aus dem Wagen reichte und: ›Meine liebe Klaudine‹ sagte, als könnte sie dir nicht liebes genug tun.«
»Wir haben uns sehr lieb«, antwortete Klaudine einfach.
Prinzeß Helene tanzte weiter in dieser Nacht. Dann meinte sie plötzlich, die innere Unruhe, die Herzensangst nicht mehr aushaken zu können, warf sich im Dunkel eines Gebüsches auf eine Bank und preßte ihre glühende Wange an das kalte Eisen der Lehne. Frau von Berg stand mit finsterer Miene vor ihr.
»Mein Gott«, sagte sie, »wenn jemand Eure Durchlaucht so sähe!«
»Kommt der Baron?« fragte die Weinende, rasch die Augen trocknend.
Die Berg lächelte.
»O, doch nicht, er spricht mit dem Landrat von Besser über Feuerversicherungen.«
»Haben Sie gesehen, Alice? Die Gerold wurde von der Herzogin beim Abschied noch mit dem Strauß begnadet, das war« – hier lachte die Prinzessin – »das Ergebnis meiner gutgemeinten Warnung.«
Frau von Berg lächelte noch immer.
»Durchlaucht verzeihen, die Herzogin konnte nicht anders! Auf ein bloßes Gerücht hin läßt ein so vornehmer Charakter seine Freundin nicht fallen. Ich habe geglaubt, Sie kennen Ihre Hoheit besser. Sie bestanden ja selbst so dringend auf Beweisen!«
Die Prinzessin fuhr mit beiden Händen an die Ohren, als wollte sie nichts mehr hören.
»Beweise!« wiederholte Frau von Berg noch einmal, »Beweise, Durchlaucht!«
20.
Die Herzogin hatte sich gleich nach der Rückkehr in ihr Schlafgemach zurückgezogen und sich zur Ruhe begeben. Sie hatte ihr kühlendes Himbeerwasser getrunken und lag, die Arme unter dem Haupt, in ihrem stillen Zimmer. Zuweilen hustete sie und ihre Wangen begannen zu glühen.
Es war zuviel gewesen für sie, dieses rauschende Fest, sie hätte im Krankenzimmer bleiben sollen, wo sie hin gehörte – aber es ist doch so hart, so jung noch und schon so gebrechlich! Ob es je besser wird?
Sie griff an ihre linke Seite, sie fühlte da einen sonderbaren dumpfen Schmerz. »Merkwürdig, was kann es nur sein?« Wie lähmende eiskalte Angst kroch es durch ihre Adern und legte sich betäubend auf ihr Denken.
»Unmöglich!« flüsterte sie. Sie wußte plötzlich, woher der dumpfe Schmerz kam. »Unmöglich!« Sie richtete sich energisch im Bette auf und schaute um sich, als wolle sie sich vergewissern, daß sie wach sei, daß kein schwerer Traum sie quäle.
Die Herzogin ergriff einen elfenbeingefaßten Handspiegel und schaute hinein. Zwei tief eingesunkene Augen, ein mageres, gelbliches Gesicht sahen ihr in der mattrosigen Beleuchtung entgegen. Sie ließ den Spiegel auf die Bettdecke fallen und legte sich zurück, ein qualvolles Erschrecken auf ihren Zügen. »O du lieber Gott!« flüsterte sie. Und sie nahm das Bild des Herzogs vom Tischchen neben ihrem Bette, starrte das schöne, stolze Gesicht an und drückte es dann leidenschaftlich an ihre Lippen.
Oh, sie wußte am besten, wie sehr man diesen Mann lieben mußte!
Das Bild an die Brust gedrückt unter ihren gefalteten Händen, blieb sie liegen, die Blicke unverwandt ins Leere gerichtet. Klaudines hinreißende Erscheinung, wie sie dieselbe vor ein paar Stunden gesehen hatte, gaukelte vor ihren Augen, sie sah sie neben dem Herzog bei Tische, beim Tanz unter den Linden – das Mädchen hatte so oft die Farbe gewechselt. – Wie war sie nicht stets befangen, wenn Seine Hoheit ins Zimmer trat! Sie wollte immer so ungern singen, wenn er zugegen war!
»Arme Klaudine! Eine schöne Freundin, die hier an dich denkt, die dich erst mit aller Gewalt herangezogen hat, um dann an dir zu zweifeln!«
Nein, sie zweifelte gar nicht. Unerhörter Klatsch! Die kleine Prinzessin war bisweilen nahezu unbegreiflich!
Die Herzogin lächelte, und dennoch standen plötzlich perlende kalte Schweißtropfen auf ihrer Stirn, und durch das summende Geräusch des aufgeregten Blutes in ihren Ohren war ein heller unbarmherziger Glockenton, die Stimme der Prinzessin, gedrungen – »Hoheit wollen nicht sehen, Hoheit wollen nicht verstehen!« – so bestimmt, so entsetzlich unabweisbar. Die heißen Hände drückten das Bild fester gegen das unruhige, laut klopfende Herz. Ihre Lippen flüsterten: »Lieber tot, als das erleben – laß mich sterben, guter Gott, laß mich sterben!«
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