Unwillkürlich trat Klaudine in den Schatten der hohen Bücherschränke. Sie sah ihn nicht mehr, sie wollte und konnte ihm jetzt nicht begegnen. Mit furchtbarem Herzklopfen lehnte sie in dem schützenden Winkel. Sie wollte auch den Ring nicht, der ihr als eine Gabe des Mitleids erschien, wußte sie doch, daß er ihn zurückgab, weil er sein Wort nicht brechen wollte, und sie durfte, konnte ihn nicht behalten. Plötzlich blickte sie sich um, ob sie nicht entfliehen könne, denn sie vernahm die harte Stimme der Prinzeß Thekla.
»Nun, Baron, fragte diese, »also endlich sieht man Sie? Wissen Sie, daß ich Ihnen ganz böse bin? Sie sind seit gestern hier und haben sich im roten Schlößchen noch nicht blicken lassen!«
»Es ist unrecht, Durchlaucht, allerdings! Ich fand aber hier so vielerlei zu tun, und außerdem macht man doch nicht gerade Besuche an seinem Hochzeitstage.«
»Hochzeitstage?« schrillte lachend die alte Dame. »Ich finde, Sie wählen die Zeit zu Ihren Scherzen recht eigentümlich. Die Herzogin ist todkrank! Wirklich, Lothar, Sie sind jetzt zuweilen sehr sonderbar. Wissen Sie, daß Ihre Hoheit noch heute sterben kann?«
»Ach, Durchlaucht nehmen an, ich erlaubte mir einen unpassenden Scherz? Nichts würde mir ferner liegen. Ich selbst bin durch die Nachricht überrascht worden. Indes, die Herzogin wünscht, daß unser Bund noch heute geschlossen wird – wenn meine Braut einwilligt, natürlich.«
»Meinen Glückwunsch, Baron! Weshalb sollte Ihre Braut nicht einwilligen?« klang es spöttisch, »sie willigte doch so rasch in die Verlobung, und naturgemäß pflegt dieser doch die Hochzeit zu folgen. Sonderbare Laune übrigens von Ihrer Hoheit!«
»Sonderbar? Ist es so sonderbar, wenn die Herzogin, noch ehe sie stirbt, das Glück zweier Menschen, sozusagen, in den sicheren Hafen flüchten möchte, aus allen Ränken und Schlichen hinaus, denen es preisgegeben ist, solange sie nicht verbunden sind? Ich gestehe, ich finde es so eigentümlich nicht, ich nehme dankbar diese ›sonderbare Laune‹ an.«
»Sie waren doch sonst nicht so schutzbedürftig, Gerold. Seit wann fühlen Sie sich so schwach? Sie wußten doch meine Einwilligung zu ertrotzen, als ich Ihnen die Hand meiner Tochter verweigerte? Seit wann überhaupt fürchten Sie das Recht des Stärkeren – sagen wir das Recht des Mächtigeren, oder –«
»Ich fürchte keinen ehrlichen Feind,« erwiderte er langsam. »Durchlaucht wissen ohne Zweifel aus der Fabel schon, daß der Löwe immer großmütig ist, ihn fürchte ich nicht als Gegner, ich fürchte die Schlangen, die da unbemerkt heranschleichen und Unschuldige mit ihrem Gifte bespritzen. Ich kann die, welche meine Gattin werden soll, nicht vor boshafter Verleumdung schützen, bevor sie nicht wirklich mein Weib geworden ist, denn ich kämpfe hier mit ungleichen Waffen. Mir ist trotz meines jahrelangen Hoflebens die Intrige ein unbekannter Boden geblieben, und, Durchlaucht, ich fürchte, ich würde es nie lernen, auch nicht durch das hervorragendste Beispiel.«
Aber die Prinzessin schien nicht verstanden zu haben. »Oder«, wiederholte sie, unbeirrt in ihrer Rede fortfahrend, »ängstigen Sie sich, daß Sie der Treue Ihrer Braut erst dann sicher werden, wenn Sie dieselbe, sozusagen, hinter dem Riegel des Gelübdes wissen?«
»Durchlaucht haben zum Teil recht«, erwiderte er höflich. »Ich ängstige mich indes nicht um die Treue und Festigkeit meiner Braut, ich ängstige mich, weil ich noch nicht weiß, ob meine Braut mir verziehen hat, daß ich mich mit der Dreistigkeit der Angst an ihrem Wege aufstellte, um ihr das ›Ja!‹ gleichsam abzuzwingen.«
Die alte Prinzeß lachte kurz auf. »Man könnte auf den entsetzlichen Gedanken kommen, lieber Baron, daß, falls Ihr Fräulein Braut nicht verzeiht, Sie sich das Leben nehmen oder sonst etwas schreckliches tun werden.«
»Das Leben nehmen? Nein! Denn ich habe ein Kind, dem mein Leben gehört, aber ein unglücklicher, einsamer Mann würde ich sein, Durchlaucht, denn ich liebe meine Braut!«
Klaudine war hervorgetreten, sie tat ein paar Schritte nach jener Tür zu, dann blieb sie stehen. Sie sah die Prinzessin dort in dem schwarzen seidenen Pelzmantel, sie sah, wie die Fächerpalme über ihrem Samthute leise schwankte und wie das gelbliche, magere Antlitz von der Röte unliebsamer Überraschung sich färbte. Sie mußte sich an dem geschnitzten Löwenkopf des Bücherschrankes festhalten, denn die Stimme der alten Durchlaucht sagte in unbeschreiblich verächtlichem Tone: »Daß Sie diese Dame lieben, Baron, ist mir noch keine Gewähr für die Charaktereigenschaften derjenigen, welche die Stiefmutter meiner Enkelin werden soll.«
»Durchlaucht«, erwiderte er schneidend, »wollen vermutlich noch einmal von mir hören, daß ich für mich ganz allein das Recht beanspruche, Leonies Erziehung zu leiten. Auf welche Weise das geschieht? Nun, ich übernehme mit Freuden die Verantwortung! Diejenige, welche Mutter des Kindes sein wird, ist in meinen Augen das edelste, das beste, das selbstloseste Wesen der Erde! Niemals sind auch nur ihre Gedanken von dem Pfade abgewichen, den Sitten und Ehre dem Weibe vorzeichnen, nie, das weiß ich. Meine Braut mag in ihrer Liebe für die kranke Freundin vergessen haben, daß tausend hämische, neidische Zungen bemüht waren, an ihrem Tun und Lassen zu deuteln und zu drehen. In meinem Herzen steht sie darum nur höher. Vor den Augen der Welt die Ehrbare zu spielen, das ist sehr leicht, Durchlaucht, aber allein, gestützt auf den Mut eines guten Gewissens, der Welt zu trotzen, die uns vernichten möchte, fest zu bleiben in dem, was man für Recht erkannt, und doch zu wissen, man wird falsch beurteilt, fest zu bleiben, indem man unter allen Umständen die Pflicht erfüllt, die man aus ehrlicher Zuneigung übernahm, und wäre es auch nur die von vielen angezweifelte Pflicht der Freundschaft, dazu gehört Seelenreinheit und ein starker Charakter, Eigenschaften, die ich bis jetzt vergeblich in–«
»Lothar!« schrie Klaudine auf. Vor ihren Augen schwankten das Kuppelgewölbe von Glas, es war, als ob der Boden, auf dem sie stand, zu wogen beginne. Dann fühlte sie sich umfaßt, und »Klaudine!« scholl es in ihr Ohr.
»Sei nicht so hart,« flüsterte sie, »sei nicht so hart! Er ist so schwer, der Gedanke, andere grollend zu wissen, wenn das Glück so allmächtig auf uns hereinbricht!«
Sie waren allein. Sie sah ihn jetzt an mit ihren blauen, in Tränen schimmernden Augen. »Kein Wort«, sagte sie und legte ihm die kleine Hand auf den Mund, »kein Wort, Lothar – jetzt ist es nicht Zeit, glücklich zu sein. Ich weiß genug und – dort drüben sitzt der Tod.«
»Aber du wirst dem Wunsche der Sterbenden nicht widersprechen?« bat er demütig.
»Ich werde nicht widersprechen.«
»Und wir fahren heim in unser stilles Neuhaus, Klaudine?«
»Nein«, erwiderte sie bestimmt, »o nein! Ich gehe nicht von ihr, die so schwer um mich gelitten, hat, solange sie am Leben ist. Ich fürchte mich nicht mehr, denn ich weiß jetzt, daß du und ich zusammengehören für immer, daß du mir vertraust und an mich glaubst, immer, ohne Wanken. Und du, du reisest indes. Noch einmal gebe ich dir Urlaub, und dann, wenn du zurückkehrst, wenn mein Herz sich wieder freuen kann, wenn ich glaube, das Recht zu haben, glücklich zu sein, dann komme ich zu dir.«
28.
In den Gemächern der Herzogin hatte gegen Abend eine Trauung stattgefunden. Sie wußten es alle im Schloß, von der Leinenschließerin in der netten Mansardenwohnung bis zum Küchenjungen im Erdgeschoß, man wußte, daß der junge Ehemann gleich nach der Trauung abgereist war und daß Frau Klaudine von Gerold ihren Platz am Krankenbett der Herzogin eingenommen hatte.
Die hohe Frau befand sich sehr schwach heute abend. Bei der Feier war sie zugegen gewesen, sie selbst hatte mit zitternden Händen den Brautschleier über das schöne, blonde Haupt des Mädchens gelegt. Seine Hoheit, die Herzoginmutter und Frau von Katzenstein waren die anderen Trauzeugen gewesen. Noch im Beisein der Herrschaften hatte das junge Paar Abschied voneinander genommen.
Und nun saß neben Klaudine am Fußende des Himmelbettes eine kleine, zierliche Gestalt, und beide hatten verweinte Augen. Die Herzogin war nach der Trauungsfeierlichkeit ohnmächtig geworden, und der Medizinalrat hatte sich zum Herzog begeben und ihn flüsternd auf das Unabweisliche vorbereitet.
Da draußen waren die Schneewolken zerrissen, und die Sterne blitzten herab auf die winterliche Erde. In den Zimmern der Prinzen schien die Ampel auf schlummernde, blonde Köpfchen. Sie ahnten nichts. Sonst wachte alles in dieser Nacht. Die Lichter des Schlosses flimmerten hinaus in die Schneelandschaft, und dort unten in den Häusern der Stadt betete man für die allzeit hilfsbereite Herrin, die auf ihrem Sterbebette lag.
Im Vorzimmer ging der Herzog auf und ab. Zuweilen warf er einen Blick in das Schlafgemach seiner Gemahlin. Dann hörte er eine leise Stimme: »Adalbert, ist Klaudine fort?« – Und die junge Frau rückte geräuschlos an die Seite des Bettes. »Du bist noch da?« fragte die Kranke.
»Laß mich bei dir bleiben, Elisabeth,« bat Klaudine, »Gerold hat noch verschiedenes zu ordnen, bevor ich nach Neuhaus kommen kann.«
Die Herzogin lächelte schwach.
»Du verstehst ja nicht zu lügen, Klaudine, ich weiß, weshalb du bleibst! Armes Kind, welch traurige Hochzeit! – Ruf Adalbert!« stieß sie dann hervor. »Ist Helene da?«
Die Prinzeß kam. Dicht nebeneinander standen Klaudine und sie.
»Gebt euch die Hand«, bat die Herzogin.
Prinzeß Helene faßte die Hand der jungen Frau. »Vergeben Sie mir!« sagte sie leise weinend.
»Und nun ruft Adalbert!« forderte die Kranke.
Er kam, setzte sich auf den Rand ihres Bettes, und sie drückte ihm stumm die Hände.
»Wenn ich leben könnte, dich zu trösten, mein armer Freund!« flüsterte sie. »Es ist so schwer, entsagen zu müssen, ich weiß es. Aber – sie liebten sich nun einmal, und du, du gehst so leer aus, so leer! Ach, wenn es in meiner Macht gestanden hätte, wie glücklich solltest du werden!«
»Sprich nicht so«, sagte er. »Ich werde nur unglücklich, mein Liesel, wenn du mich verläßt!«
»Sag noch einmal ›mein Liesel‹«, bat sie und sah ihn an, und die fast erloschenen Augen flammten noch einmal in dem alten innigen Liebesschein.
»Mein Liesel!« flüsterte er mit versagender Stimme.
Sie drückte seine Hand.
»Nun geh, Adalbert, ich will schlafen, ich bin so müde – küsse die Kinder – geh!« drängte sie.
Und sie schlief.
Die junge Frau saß treu wachend an ihrem Lager. Nur einmal war es, als lege sich minutenlang eine zwingende Müdigkeit auf ihre Augen. Kaum eine Minute mochte es gewährt haben, da raffte sie sich auf, von einem Schauer erweckt. Die Herzogin lag so seltsam ruhig da, ein Lächeln auf den Lippen, die Hände gefaltet.
Klaudine faßte ihre Hand. »Elisabeth!« sagte sie angstvoll.
Sie hörte es nicht mehr.
Auch die Prinzessin trat näher und sank schluchzend vor dem Bette nieder. Der Herzog kam und der Arzt, die alte Hofdame –
Es war so still, so beängstigend still in dem hellen, prächtigen Raum.
Dann gingen sie alle, nur der Herzog und Kiaudine blieben zurück. Sie saßen am Bette der Toten, und durch die geöffneten Fenster des Nebenzimmers schollen die tiefen Klänge der Kirchenglocken herein, die an diesem kalten, dunklen Wintermorgen dem Lande verkündeten, daß seine Fürstin schlafe, den langen, ewigen Schlaf.
So hielten sie Totenwache, die beiden, die ihr die liebsten Menschen gewesen.
29.
Im Garten des Eulenhauses blühten Leberblümchen, und gelbe, blaue und weiße Krokusse lugten aus der schwarzen Frühlingserde hervor. Der alte Heinemann schaffte emsig an seinen Rosenstöcken, nahm ihnen die Winterhülle und band sie an die frisch gestrichenen Pfähle. Die Sonne hatte über Mittag schon heiß auf die alten Grabsteine geschienen, und die jungen Blättchen regten und dehnten sich, sie sehnten sich nach Luft und Licht.
Hinter den blitzblanken Fensterscheiben tauchte Fräulein Lindenmeyers freundliches Gesicht auf. Zuweilen wandte sie redend den Kopf in das Zimmer zurück, dort stand die kleine, runde Ida und legte Wäsche. Die Ida war wieder hier, auf Verlangen der jungen Frau von Gerold, weil diese doch über kurz oder lang nach Neuhaus übersiedeln wollte. Wann? Ja, das wußte niemand. Der Herr Baron war noch immer auf Reisen, und seine junge Gattin trug noch tiefe Trauer um die Herzogin.
Merkwürdig, was heute die schmalen Frauenfüße für eine Unrast entwickelten. Die gnädige Frau war im ganzen Hause umhergestiegen mit dem klappernden Schlüsselbund, hatte in alle Schränke und Spinde geschaut, des Herrn Wäscheschrank nachgesehen und die Kleider des Kindes, sie hatte das Wirtschaftsbuch nachgerechnet und die kleine Haushaltungskasse. Nun schüttelte sie über sich selbst und ihre Unruhe den Kopf, sie begriff sich heute nicht. Sie hatte weder die nötige Sammlung, zu schreiben, noch konnte sie sich heute entschließen, ihr Feierstündchen am Klavier zu halten, worauf sie sich sonst den ganzen Tag schon freute. Sie meinte endlich, es sei am besten, wenn sie einen Spaziergang mache. Da sie ohnehin seit mehreren Tagen Beate und die Kleine in Neuhaus nicht gesehen hatte, beschloß sie, dorthin zu wandern. Vielleicht wußte Beate auch näheres über Lothars Reisepläne. Seine letzten Nachrichten hatte sie aus Mailand empfangen.
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