»Der Meinung bin ich auch«, stimmte Beate mit einem energischen Kopfnicken zu. »Nun mag dein alter Heinemann beweisen, daß seine Abschätzung des Fundes richtig ist. Ein jährlicher Zuschuß zu deinem Wirtschaftsgeld wird dir nicht unwillkommen sein.«

»Praktisch wie immer, liebe Beate!« sagte Baron Lothar. »Aber ich möchte fast gegen dieses Los der Nonnenerbschaft protestieren. Wäre es nicht poetischer, wenn sich der Blütenstaub, den die Bienen vor uralten Zeiten zusammengetragen haben, in edle Steine verwandelte? Vielleicht in einen Brillantschmuck, den die Erbin bei ihrem ersten Wiedererscheinen am Hofe tragen würde?« warf er leicht hin, indem er halb abgewendet die ehemalige Hofdame über die Schulter ansah.

Sie hob die Wimpern, ihr verdunkelter Blick begegnete dem seinen. »Steine für Brot?« fragte sie. »Mir ist das Glücksgefühl, die Sorge aus meinem Heim verscheuchen zu können, mehr wert, und deshalb denke ich ›praktisch‹ wie Beate. Und was soll ich bei Hofe? Sie scheinen nicht zu wissen, daß ich meine Entlassung genommen habe.«

»Wohl, das pfeifen die Spatzen von den Dächern der Residenz. Aber geben Ihnen nicht Ihr Name und Ihre vielbeneidete Eigenschaft als Liebling der Herzoginmutter jederzeit das Recht, zu Hofe zu gehen?«

»Vom armen Eulenhaus aus?« unterbrach sie ihn mit zuckenden Lippen.

»Allerdings, die Entfernung ist groß –« gab er zu, aber seine Stimme klang dabei so hart, als habe er ein ihm verfallenes Opfer unter den Händen, das er um jeden Preis festhalten wolle. »Acht gutgemessene Fahrstunden! Nun, vielleicht findet der Hof selbst ein Auskunftsmittel – er braucht Ihnen ja nur näher zu rücken.«

»Wie wäre das möglich?« rief sie jäh emporschreckend. »Außer dem alten Birschhaus ›Waldlust‹ hat das herzogliche Haus kein bewohnbares Besitztum in unserer Nähe.«

»Und in dieser famosen ›Waldlust‹ mit ihren drei engen Stuben läuft das Wasser von den Wänden«, warf Beate lachend ein. »Der Sturm wird das verwahrloste Gerümpel nächstens über den Haufen blasen.«

Baron Lothar schwieg. Er begann, im Zimmer auf und ab zu schreiten. »Ich hielt mich vorgestern auf meiner Reise nach hier einige Stunden in der Residenz auf, um der Prinzessin Thekla die kleine Enkelin zu bringen«, hob er nach einem augenblicklichen Schweigen wieder an, indem er stehen blieb. »Und da hörte ich flüchtig von einem derartigen Projekt des Herzogs.«

Er richtete plötzlich bei Nennung dieses Namens seinen Blick fest, durchdringend, auf das schöne Gesicht der ehemaligen Hofdame, über welches eine flammende Röte hinschlug. »Man zischelte da so viel durcheinander«, fuhr er fort, wobei er mit einem bitterhöhnischen Lächeln den Blick von dem erröteten Gesicht wegwandte. »Sie kennen ja das Hofgeflüster. Es kommt gehuscht wie die Motte aus dem Winkel und läßt sich schwer einfangen und festhalten, aber seine Spur bleibt an irgendeinem angenagten Heiligenschein oder dergleichen.«

Bei diesen Worten hob Klaudine das gesenkte Antlitz. »Ich kenne das Hofgeflüster«, bestätigte sie, »aber ich habe mich nie so weit herabgelassen, ihm einen Einfluß auf mein Urteil zu gestatten.«

»Bravo, alter Pensionskamerad!« rief Beate. »Du bist ja wirklich mit heiler Haut davongekommen!« Ihre klaren Augen hatten scharf prüfend die erregten Gesichter der beiden Sprechenden gestreift. »Aber nun laßt diese Hoferinnerungen ruhen!« setzte sie mit gerunzelter Stirn hinzu. »Der Klatsch ist mir in tiefster Seele verhaßt, einerlei, ob der am Brunnen und Waschtrog oder am Hofe, er hat immer und überall seine gemeine Seite. Sage mir lieber, wie du dich in deine neue Aufgabe findest, Klaudine!«

»Nun, der Anfang war schwer«, antwortete die junge Dame mit ihrem schönen, sanften Lächeln. »Hände und Schürzen tragen die Spuren der Ungeschicklichkeit beim Kochfeuer. Aber dieses erste Stadium ist glücklich überwunden, und ich finde nun auch Zeit, mich an unserem Stilleben und Joachims heiterem, zufriedenem Gesichte zu erquicken.«

»In der Tat: Er sieht Sie mit heiterem Gesicht Magddienste verrichten?« Lothars Augen sahen sie spottblitzend an.

»Glauben Sie, ich wüßte nicht zu verhüten, daß er mich beim häuslichen Schaffen sieht?« gab sie heiter lächelnd zurück. »Und dazu bedarf es wahrlich keiner besonderen Schlauheit. Joachim schreibt von früh bis spät an seinem Reisewerke über Spanien, in welches er seine schönsten Gedichte einwebt. Und bei diesem beglückenden Schaffen steht er außerhalb des wirklichen Lebens mit seinen kleinlichen Sorgen und Bedrängnissen. Er ist ein Mensch, der auf harten Dielen so gut schläft wie im weichen Bette, der ausschließlich bei Milch und Schwarzbrot zufrieden leben kann. Aber Liebe braucht sein zärtliches Gemüt, liebevolles Verstehen, und das findet er stets, wenn er aus seiner stillen Glockenstube zu den Seinen herabkommt. O ja, ich darf mir sagen, daß ich meine neue Lebensaufgabe begriffen habe – Joachim ist eine echte Dichternatur, die mir keine geringere als Frau Poesie in Pflege und Obhut gegeben hat!« Sie erhob sich und griff nach Hut und Handschuhen. »Und nun will ich heimgehen und für den Abendtisch noch Eierkuchen backen. Lache nicht, Beate«, – sie stimmte aber selbst für einen Augenblick herzlich in das Lachen der Pensionsschwester ein – »meine gute Lindenmeyer ist ganz stolz auf 'die flinke Art und Weise, wie ihre Schülerin den Kuchen auf die andere Seite zu schwenken versteht.«

»Das müßte deine alte Hoheit sehen!«

»Es würde ihr gefallen, das weiß ich. Sie ist eine deutsche Frau, und das hausmütterliche Element steckt ihr im Blute, wenn sie auch fürstlich geboren ist.«

»Ob es ihr aber gefiele, wenn das bittere Muß sie plötzlich aus ihrem Audienzzimmer an den Küchenherd versetzen würde? Der Wechsel zwischen Licht und Schatten, wie du ihn auf dich genommen hast, ist zu grell.«

»Beruhige dich, Beate!« unterbrach sie ihr Bruder mit hörbarer Ironie. »Diese Prüfung währt nicht lange. Sie ist ja nur ein Übergangsstadium, so eine Art Märchenepisode wie König Drosselbart. Ehe du dich dessen versiehst, wird ein Sonnenglanz die vermeintliche Schattenblume bescheinen, ein Sonnenglanz, um welchen sie alle Rosen von Schiras beneiden müssen.«

Die beiden Geschwister hatten bereits unbemerkt einen Blick des Einverständnisses gewechselt, und jetzt bei seinen letzten Worten verbeugte sich Baron Lothar und verließ rasch das Zimmer.

»Er phantasiert, wie es scheint!« meinte Beate achselzuckend und sichtlich verständnislos, indem sie nach der Tür schritt, die in das Nebenzimmer führte. »Einen Augenblick Geduld, Klaudine, ich will mich nur ein wenig umkleiden, denn ich möchte dich begleiten!«

5.

Klaudine trat einstweilen wieder an das Fenster zurück. Ihre Wangen brannten und die feinen Brauen zogen sich in finsterem Brüten zusammen. Was alles mochten Bosheit und Leichtfertigkeit im Herzogsschloß ersinnen, um ihr, die mutig einen ihr besseres Selbst rettenden Schritt getan, Steine nachzuwerfen! Und womit hatte sie den Mann, der eben hinausging, je so beleidigt und gereizt, daß er ihr mit anscheinend scherzhaft hingeworfenen, aber in Wahrheit verletzenden Bemerkungen das kaum beschwichtigte Herz aufregen durfte?

Da draußen, dem Fenster ziemlich nahe, stand der Wagen mit seinem Kinde. War er verbittert und ließ es andere entgelten, weil sie von ihm gegangen war, die fürstliche Frau, die seinem Dasein einen unerhörten Glanz gegeben hatte? Er mochte freilich schwer tragen an seinem Geschick. Sie war ihm für immer entrissen, und was ihm von ihr geblieben, da lag es, gebrechlich und hilflos, und der glänzende Reichtum, den die Prinzessin hinterlassen, vermochte nicht, ihrem Kinde so viel Kraft zu geben, daß es auf seinen Füßen treten konnte! Wieviel war schon um dieses winzige Geschöpfchen gekämpft und gestritten worden! Die Großmutter, die Prinzessin Thekla, die sich über den Tod ihrer Lieblingstochter nicht beruhigen konnte, war selbst in Italien gewesen, um sich das Kind zu erbitten, aber Baron Lothar hatte sie entschieden zurückgewiesen. Nun flüsterte man bei Hofe, die alte Dame verfolge den Plan, dem verwitweten Schwiegersohn die ihr gebliebene Tochter, Prinzessin Helene, als zweite Frau zu geben, damit das geliebte Enkelkind nicht in die Hände einer fremden Stiefmutter falle, und einige Kluge, die das Gras wachsen hörten, wollten wissen, daß die junge Prinzessin nicht »nein« sagen würde, da sie ja schon zur Zeit der Brautschaft ihrer Schwester eine stille Neigung für den schönen Schwager gehegt habe. Prinzessin Helene war hübscher als die Verstorbene, aber sie hatte auch die großen, unheimlichen Funkelaugen, mit denen das Kind da draußen unverwandt hinauf in das Lindengeäst starrte, während eine alte Kinderfrau strickend neben dem Wagen saß.

Ein starkes Räderrollen erschütterte den Boden unter den Füßen der jungen Dame, und gleich darauf trat Beate, zum Ausgehen umgekleidet, wieder in das Zimmer. Sie nahm das Weidenkörbchen mit den Erdbeeren vom Tische und hing es an den Arm. »Für deine kleine Elisabeth«, sagte sie zu Klaudine, und ein roter Schimmer lief über ihr Gesicht.

Zuckerdose und Kuchenreste wurden noch eiligst im Wandschrank verschlossen, dann ging es fürbaß.

Draußen vor der offenen Haustür hielt ein Wagen mit zurückgeschlagenem Verdeck. Baron Lothar saß auf dem Bock und hielt die Zügel.

»Vorwärts, Schatz!« trieb Beate, als Klaudine wie erschreckt auf den Türstufen sichtlich zögerte eine solche Aufmerksamkeit in Neuhaus anzunehmen. »Die schmucken Kerlchen da vorn« – sie zeigte nach den Pferden, herrlichen, jungen Tieren, die sich ungestüm gebärdeten – »schnauben wie die Sonnenrosse, sie möchten uns am liebsten durchbrennen.«

Gleich darauf brauste der Wagen unter den Linden hin und die Fahrstraße hinab. Baron Lothar lenkte das feurige Gespann leicht, mit spielender Sicherheit. Und dabei musterte er von Zeit zu Zeit die Roggen- und Rübenfelder, die mit grünen Früchtebüscheln besetzten Zweige der Obstbäume zu beiden Seiten des Fahrweges. Aber nicht einmal wandte er sich nach den Insassen des Wagens zurück. Er hatte vorhin Klaudines Zögern gesehen und den Widerspruch in ihren Zügen gelesen, sie wußte es, denn ihr Blick war dem seinen begegnet, einem Spottblick, der ihr das Blut in die Wangen getrieben hatte, aber wohl oder übel mußten sie nun doch zusammen fahren, »Montecchi und Capuletti« in einem Wagen, der mit seiner hellen Atlaspolsterung, seiner ganzen blitzenden und schimmernden, vornehmen Ausrüstung wie ein verkörpertes Stück Hofglanz durch das Paulinental flog.

In würzigen Feld- und Walddüften und in dem tiefen Goldglanz der Spätnachmittagssonne förmlich schwimmend, breitete sich das schöne, weite Tal hin, das der kleine, weit droben aus dem Berg quellende Fluß in fröhlichem Lauf durchschnitt. Wellenglitzernd, bald verdunkelt unter Weidengebüsch hinkriechend, bald im freien Sonnenlicht übermütig an den Uferblumen reißend, kam er daher, der Schuldige, der im Verein mit Gewitterregengüssen wiederholt zum wilden Raubtier geworden war. Wer sah es ihm an, daß er einen Teil des Geroldschen Wohlstandes verschlungen hatte?

Ringsum, wohin der Blick fiel, wurde noch rüstig vor Feierabend gearbeitet. Die Sense des Mähers fuhr mit blendendem Blitz durch das niederrauschende Wiesengras, in den Furchen der Kartoffeläcker arbeiteten ganze Reihen gebückter Frauen mit der Hacke, und auf dem Anger am Flußufer und zwischen den wilden Schlehenbüschen der rasigen Raine trieben barfüßige, im Gehen strickende Mädchen ihre Gänse und Ziegen vor sich her. Hoch vom Walde herunter aber erscholl das taktmäßige Anschlagen der Holzaxt. Treuherzig grüßende Zurufe der fleißigen Menschen flogen den Vorüberfahrenden von allen Seiten zu und wurden freundlich erwidert, und Klaudine kam zum erstenmal der Gedanke, daß sich die Insassen des stolzen Wagens nicht vor dem schweißtriefenden Arbeiterfleiß zu schämen brauchten; sie arbeiteten und schafften auch, die eine im angeborenen Tätigkeitstrieb, und die andere um die Genugtuung willen, sich die Selbstachtung zu retten, sich nützlich zu machen und damit das Wohl geliebter Menschen zu fördern.

Für einen kurzen Augenblick wurde weit drüben hinter den Baumwipfeln der Gärten das mächtige Schieferdach des Altensteiner Gutshauses sichtbar. Die Fahnenstange ragte noch kahl in die Lüfte – das schmerzlich beweinte verlorene Vaterhaus beherbergte den neuen Besitzer mithin noch nicht. Aber auf der Straße kam langsam ein schwerbeladener Möbelwagen daher, dem ein niederes Gefährt mit der Holzkiste eines Konzertflügels folgte.

»Der neue Nachbar zieht ein, wie es scheint«, sagte Beate mehr wie für sich und musterte mit scharfem Blick die vorüberfahrenden Wagen.

In diesem Augenblick wandte sich Baron Lothar rasch nach Klaudine zurück.

»Sie wissen, wer das Gut gekauft hat?« unterbrach er sein bisheriges Schweigen so urplötzlich, wie ein Richter, der seinen Angeklagten in einem unbedachten Augenblick zu überrumpeln sucht.