«Was!«Ben spürte, wie er weiche Knie bekam.»Noch vier weitere! O Gott!«
«Hast du Rolle vier schon erhalten? Ich habe sie letzten Sonntag abgeschickt. Ich habe dir ja schon gesagt, daß Nummer drei hoffnungslos zerstört ist. Ein einziger Teerklumpen. Nummer vier ist schlecht, aber immer noch leserlich. Ben, bist du noch dran?«Vier weitere Tonkrüge, dachte er verstört. So hatte David Ben Jona Zeit gehabt, noch mehr zu schreiben!
«John, das kann doch nicht wahr sein! Es ist zu aufregend, um es in Worte zu fassen!«
«Wem sagst du das! Wir haben erfahren, daß das ganze Ausgrabungsfeld von Menschen wimmelt. Einige der einflußreichsten Männer Israels sind gekommen, um die Stelle zu besichtigen. Ben, das könnte die Entdeckung unseres Lebens werden!«
«Sie ist es bereits, John!«Ben merkte, daß er in den Hörer brüllte. Er war quicklebendig, sein Körper energiegeladen. Es war ein neues >Hochgefühl<, das er nie zuvor erlebt hatte.»Schick mir diese Rollen auch zu, John!«
«Und Ben, du kannst dir nicht vorstellen, welche Aufregung im Camp herrschte! Wir hatten Ärger mit den hiesigen
Arbeitern. Als sie von dem Fluch Mose hörten, nahmen sie alle mitten in der Nacht Reißaus. Wir mußten eine neue Mannschaft aus Jerusalem anheuern.«
«Der Fluch Mose.«, begann Ben, doch die Stimme versagte ihm. In der Leitung knackte und rauschte es.»Ich muß zur Grabungsstelle zurück, Ben. Ich bin nur nach Jerusalem gekommen, um dich anzurufen und die neuen Fotos abzuschicken. Diesmal gute. «Als er aufgelegt hatte, merkte Ben, daß er vor Erregung zitterte. Sein Herz pochte zum Zerspringen. In seinem Kopf herrschte ein einziges Durcheinander.
Der Fluch Mose, wiederholte er still ein übers andere Mal. Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los und hinterließ einen sonderbaren Geschmack in seinem Mund. Irgendwie erschien Davids Fluch jetzt nicht mehr seltsam und belustigend, obgleich Ben ihn einmal belächelt hatte. Aus irgendeinem Grund kam ihm der Fluch Mose plötzlich alles andere als komisch vor.»Ben? War das Dr. Weatherby?«
Warum ein Fluch, David, und warum ein so furchtbarer? Was hast du nur in deinen Rollen geschrieben, das so kostbar und bedeutungsvoll ist, daß es dich bewog, sie mit dem mächtigsten Zauber zu belegen, damit sie sicher bewahrt würden?» Ben?«
Der Herr wird dich mit einer schlimmen Feuersbrunst heimsuchen, dich mit Wahnsinn und Blindheit schlagen und dich mit Grind und Krätze verfolgen.»Ben!«
Er blickte Angie geistesabwesend an. Sie war nun wieder vollständig angezogen und hielt ihre Tasche in der Hand.
«Ich kann jetzt jede Minute eine neue Rolle bekommen«, sagte er.»Es wird die Titelseiten mit Schlagzeilen füllen. Ich weiß nicht, wie lange Weatherby noch alles unter Kontrolle haben wird, besonders wenn sich erst einmal die Nachricht von dem Fluch verbreitet.«»Nun, ich bin im Weg, und ich habe dir ja versprochen, dich nicht zu stören. Deshalb mache ich mich jetzt einfach davon. Ben?«
«Vielleicht komme ich heute abend vorbei.«
«Natürlich. «Sie küßte ihn auf die Wange und ging.
Ben verschwendete keine Zeit damit, das Durcheinander auf seinem Schreibtisch zu beseitigen und alles für die nächste Rolle vorzubereiten. Er fühlte sich so energiegeladen, daß er es in seiner Wohnung nicht mehr aushielt und sofort zur Universität fuhr. Dort erklärte er Professor Cox die Umstände seiner Krankheit, die zum zweimaligen Ausfall des Unterrichts in Manuskriptdeutung geführt hatten. Er versicherte ihm, daß es nicht noch einmal vorkommen würde.
Schließlich ging Ben in sein Büro, erledigte ein paar dringende Schreibarbeiten und eilte dann über den Campus zu dem Platz, wo er sein Auto geparkt hatte. Vor dem Gebäude der Studentenvereinigung stieß er mit Judy Golden zusammen.»Hallo, Dr. Messer«, begrüßte sie ihn mit einem Lächeln.»Hallo. «Nur aus Höflichkeit blieb er stehen, obwohl er eigentlich schnell nach Hause wollte.»Unterricht heute?«
«Nein. Ich bin gekommen, um in der Bibliothek ein paar Nachforschungen anzustellen. «Sie hielt ein Buch hoch, damit er den Titel lesen konnte.
«Koptische Auslegung«, las er,»klingt aufregend.«
«Nicht wirklich. An kalten Abenden ziehe ich es eigentlich vor, mich mit einem Krimi in mein Zimmer zu verkriechen. «Sie zuckte die Achseln.
«Na, hoffentlich hilft es Ihnen bei dem, was Sie wissen wollen. «Er versuchte, unauffällig seinen Weg fortzusetzen.»Ich habe heute morgen in Ihrer Manuskriptstunde vorbeigeschaut, aber sie war ausgefallen.«
«Ja.«
«Ich dachte, Sie hätten vielleicht diesen Kodex mitgebracht. «Judy zögerte erwartungsvoll.»Aber ich vermute, es ist doch nicht so.«
«Nein, das habe ich völlig vergessen. «Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben.»Ich versuche, morgen daran zu denken. Ich habe in letzter Zeit viel um die Ohren.«
«Oh, natürlich. «Sie schien plötzlich verlegen zu sein. Sie preßte ihre Bücher noch fester an ihre Brust und meinte mit einem kurzen Lachen:»Ich will ja nicht aufdringlich sein. «Das bist du aber, verdammt noch mal, dachte er bei sich.»Es besteht für mich keine dringende Notwendigkeit, ihn sofort zu sehen. Es ist einfach nur. na ja, für mich ist es eben wahnsinnig aufregend. der bloße Gedanke, ein koptisches Manuskript zu sehen, das noch nicht übersetzt worden ist. ich meine, das noch nicht in irgendeinem Buch erschienen ist. Es kommt mir vor, als ob ich in ein besonderes Geheimnis eingeweiht würde. Das muß sich für Sie total überdreht anhören.«
Er versuchte, ihr Lächeln zu erwidern. Einen Augenblick lang fühlte er sich ein wenig an seine eigenen College-Tage erinnert und daran, wie sehr ihn damals die Fragmente alter Schriftrollen in Aufregung versetzt hatten. Seine Freunde — Biologie- und Mathestudenten — hatten ihn als total vergeistigten Intellektuellen bezeichnet.»Ich werde nie daran denken, es mitzubringen«, gestand er ihr schließlich,»wenn ich mich schon nicht einmal daran erinnern kann, daß ich morgens Unterricht habe.«
«Was?«
«Sollte nur ein Scherz gewesen sein. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. «Er zog einen kleinen Spiralblock aus der Tasche, notierte seine Adresse und gab Judy den Zettel.»Würde es Ihnen etwas ausmachen, irgendwann einmal bei mir vorbeizuschauen, um ihn abzuholen? Dann würde ich Ihnen den Kodex und meine bisherige Übersetzung mitgeben, und Sie könnten beides eine Woche lang behalten. Hätten Sie etwas dagegen?«
«Ob ich etwas dagegen hätte?«
Ben konnte sich in ihre Lage einfühlen. Hätte er etwas dagegen, noch eine Schriftrolle aus Magdala zu bekommen?» Ich meine, in meiner Wohnung vorbeizuschauen. Wenn es Ihnen etwas ausmacht, muß ich eben versuchen, mich daran zu erinnern, den Kodex mit an die Uni zu bringen.«
«Nein, das ist schon in Ordnung. Wann wäre es Ihnen recht?«
«Ich bin abends meistens zu Hause.«
«Also dann, vielen Dank.«
«Keine Ursache. Auf Wiedersehen.«
Ben war froh, daß er sie endlich losgeworden war und seinen Heimweg fortsetzen konnte. Judy Golden war eine Schwärmerin, die er zur Zeit nur schwer ertragen konnte. Vielleicht lag es daran, daß da zwei überschwengliche Menschen zusammenprallten, die voller Energie waren. Um für so etwas empfänglich zu sein, mußte man neutral sein, und das war er im Augenblick wirklich nicht.
Der Briefkasten war leer.
Ben meinte, er müsse auf der Stelle sterben. Der Kasten war leer, und der Briefträger war schon dagewesen.
Angie würde sagen:»Das Leben ist gemein«, aber alles, was Ben tun konnte, war, auf dem ganzen Weg die Treppe hinauf» Verdammt, verdammt, verdammt «zu murmeln. In seiner Wohnung wußte er nichts mit sich anzufangen. Schallplatten halfen nicht. Der Wein schmeckte schal. Und Appetit hatte er auch nicht. So lief er mit großen Schritten auf und ab.
Eine Stunde später, um Punkt sieben Uhr, klopfte Judy Golden an seine Tür, und Ben, der damit rechnete, Angie vor sich zu sehen, riß sie schwungvoll auf.
«Hallo«, sagte das Mädchen. Sie hatte noch immer Blue Jeans und Sandalen an, trug jetzt aber einen groben Pullover über ihrem T-Shirt.»Sie werden sicher sagen, daß ich keine Zeit verliere.«
«Sie verlieren keine Zeit.«
«Störe ich Sie?«
«Nein, gar nicht. Kommen Sie einen Moment herein, und ich werde den Kodex holen. Falls ich mich daran erinnern kann, wo ich ihn hingelegt habe.«
Er verschwand im Arbeitszimmer, während Judy zunächst stehenblieb und sich mit großen Augen in der Wohnung umschaute. Das einzige Licht kam von der Straßenbeleuchtung, die durch die Vorhänge schien. Sie folgte Ben ins Arbeitszimmer. Er wühlte zwischen seinen Bücherstapeln.»Irgendwo muß doch das verdammte Ding sein!«
Judy lächelte und schlenderte zum Schreibtisch.»Ich bin genauso. Ich springe auch von einem Vorhaben zum nächsten. Dabei liegt es bestimmt nicht daran, daß ich mich nicht lange auf eine Sache konzentrieren könnte.«
Während er weiter herumsuchte, fiel Judys Blick zufällig auf die Fotos, die auf dem Tisch verstreut lagen, und ohne auch nur nachzudenken, las sie die gesamte zweite und dritte. Aufnahme der ersten Schriftrolle. Sie trat näher heran und murmelte die Überschrift: »Baruch Attah Adonai Elohenu Melech ha-Olam.« Als sie merkte, daß keines der anderen Fotos in Hebräisch war, sondern in Aramäisch, einer Sprache, die sie erkannte, aber selbst nicht beherrschte, runzelte sie heftig die Stirn.»Das sind interessante Fotografien, Dr. Messer.«
«Aha!«Unter einem schweren Buch zog er einen Umschlag hervor.»Ich wußte doch, daß er hier irgendwo herumliegen mußte. Hier sind der Kodex und meine Aufzeichnungen. Was?
Oh, die Fotos. «Er schaute auf sie hinunter.»Ja. die sind etwas ganz Besonderes.«
«Darf ich fragen, was das ist? Sie sehen faszinierend aus.«
«Faszinierend ist der richtige Ausdruck, ja. «Er lachte kurz auf und reichte ihr den Kodex.»Sie sind alte Schriftrollen, die ich gerade übersetze.«
«Oh. Sie sehen aber gar nicht aus wie herkömmliche Schriftrollen. Aber ich könnte mich natürlich täuschen.«
«Warum? Wissen Sie etwas über alte Schriftrollen?«
«Nur das, was ich darüber in meinem Hauptfach mitkriege. Das zweite und dritte Foto kann ich lesen, weil sie in Hebräisch sind. Wovon handeln die anderen Fotos? Sind sie alle Gebete wie dieses hier?«
«Nein.«, erwiderte er langsam,»nein, das sind sie nicht. Sie sind mehr wie. hm, ich kann gar nicht richtig erklären, was sie eigentlich sind.«
«Nein, ich bin sicher, ich habe sie nie zuvor gesehen.«
«Tja«, meinte er, und sein Mund verzog sich zu einem Lächeln,»das liegt daran, weil sie vorher noch niemand gesehen hat. Zumindest nicht in den letzten tausendneunhundert Jahren. «Judy schaute ihn verwundert an, während ihr die Bedeutung seiner Worte langsam bewußt wurde, und als sie wieder zu sich kam, flüsterte sie:»Meinen Sie etwa, sie sind gerade gefunden worden?«
«Allerdings.«
Ihre Augen weiteten sich.»In Israel?«
«In. Israel.«
Judy schöpfte tief Atem, und stieß dann hervor:»Dr. Messer!«
«Nun ja, es ist ein ziemlich interessanter Fund. «Ben versuchte, ruhig zu bleiben. Judy wurde aufgeregt, er konnte es sehen, konnte es fühlen. Ihre Augen wurden immer größer, und ihre Stimme klang belegt. Ihre Reaktion stachelte Ben nur noch mehr an.»Aber ich habe nichts darüber gehört!«
«Es ist noch nicht in den Nachrichten. Die Rollen wurden erst vor einigen Wochen gefunden, und die Entdeckung wird noch streng geheimgehalten.«
Judy wandte sich den Fotografien zu. Der alexandrinische Kodex, den sie noch immer in der Hand hielt, war plötzlich bedeutungslos geworden. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht rührte Ben, denn er offenbarte die Gedanken der jungen Frau, ihre Ergriffenheit über das, was er gerade gesagt hatte, und ihre Empfindungen stimmten auf bemerkenswerte Weise mit seinen überein.
«Sagen Sie«, meinte er, einem plötzlichen Antrieb folgend,»möchten Sie sie lesen? Das heißt meine Übersetzung?«Sie schaute ungläubig zu ihm auf.»Darf ich?«
«Gewiß. Es ist noch immer so etwas wie ein Geheimnis, wenn Sie verstehen, was ich meine, aber ich denke, es wird schon in Ordnung sein, wenn Sie. «Ben war sich nicht sicher, ob aus seinem Mund Worte kamen, die er wirklich sagen wollte. Und während er Judy mit dem Schmierheft, in das er seine Rohübersetzung schrieb, ins Wohnzimmer führte, bedauerte er gleichzeitig seine Unbesonnenheit. Da gab es einige unter seinen Kollegen, andere Professoren und Spezialisten auf diesem Gebiet, die vielleicht Judys Dozenten waren. Sie konnte ihnen gegenüber etwas erwähnen.
Ihr Gesicht verriet nichts, als sie mit übergeschlagenen Beinen auf der Couch saß und seine Übersetzung las. Sie las die Seiten ohne aufzublicken, wobei sich ihr Gesichtsausdruck nicht einmal änderte. Ihr Atem ging langsam und flach. Sie hatte den Kopf über das Heft geneigt, wodurch ihr das lange, schwarze Haar nach vorne über die Schultern fiel.
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