beim Brotestreichen in ihrem Haus.>
Und am Schluß trägt man ihn <als Leiche hinaus>.»
Verena, die diesen Abstieg ins Frivole mit unmutig gekrauster Stirn verfolgte, machte einen letzten Versuch, das Gespräch wieder auf ein Thema zu bringen, das ihr am Herzen lag.
«Wann wird denn Miss Berger nun eigentlich gehen?» fragte sie. «Das ist noch nicht entschieden.»
Worauf er sich wieder Mrs. LeClerque zuwandte, die ihm nun von einer Freundin erzählte, die sich nicht weniger als dreimal mit Männern namens Henry verlobt hatte, deren jeder sich leider als zum Ehemann ungeeignet entpuppte. Verena beschloß resigniert, sich ihrem anderen Nachbarn zu widmen.
«Ach, sagen Sie, haben Sie vor, Ihre Forschungsarbeit über die Knochenfische hier in England weiterzuverfolgen?» fragte sie.
Doch für dieses eine Mal hatte ihre Mutter sie im Stich gelassen. Die unerwartete Ankunft des Musikologen hatte eine Änderung der Sitzordnung erforderlich gemacht. Verständnislos und einigermaßen verblüfft starrte der Ikonenexperte sie an.
Quin hatte die Gewohnheit, in einem großen Crossley Tourenwagen mit Messinglampen und einer dröhnenden Hupe nach Thameside zu fahren. Am Tag nach dem Abendessen bei den Placketts empfing ihn, als er den Wagen unter dem Torbogen parkte, nicht wie gewohnt ein ganzer Haufen junger Leute, die ihm guten Morgen wünschten, sondern ein Fähnlein von zwei durchgefroren aussehenden Aufrechten mit einem Transparent, auf dem die Worte standen: RUTH BERGERS AUSSCHLUSS IST UNGERECHT!
Sobald er in seinem Zimmer war, griff er zum Telefon. «Verbinden Sie mich mit O'Malley in Tonbridge, bitte, Hazel.»
«In Ordnung, Professor. Sir Lawrence Dempster hat übrigens eben angerufen. Er bittet Sie, sobald wie möglich zurückzurufen.»
«Gut. Erledigen wir das zuerst.»
Als Quin das Gespräch mit dem Direktor der Geophysikalischen Gesellschaft beendet hatte, war es zu spät, O'Malley noch anzurufen, der um diese Zeit bereits unterrichtete. Quin widmete sich also seiner Korrespondenz, bis es Zeit war, ins Dozentenzimmer zu gehen, wo Elke Sonderstrom, mit ihren prächtigen Zähnen ein Cremeschnittchen zermalmend, ein Thema zur Sprache brachte, das er für erledigt erklärt hatte.
«Sie hat mir nach nicht einmal einer Woche eine erstklassige Arbeit geschrieben. Und das in einer Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist.»
«Mir ist nicht bekannt, daß Miss Berger mit dem Englischen Schwierigkeiten hat», versetzte Quin. «Sie ist schließlich jahrelang von einer englischen Gouvernante unterrichtet worden.»
Sein nächster Versuch, in Tonbridge anzurufen, wurde von Hazel verhindert, die ihm meldete, daß eine Abordnung von Studenten ihn zu sehen wünschte.
«Aber ich habe allerhöchstens zehn Minuten Zeit», sagte er verdrossen. «Um elf fängt meine Vorlesung an.»
Die Studenten kamen im Gänsemarsch herein. Er erkannte Sam und die verschüchterte kleine Tochter des Pillendrehers und den massigen Waliser mit den Blumenkohlohren – lauter Studenten im dritten Jahr, die er wegen seines ausgedehnten Aufenthalts in Indien nicht so gut kannte, wie er sie eigentlich hätte kennen müssen. Aber es waren auch andere Studenten in der Gruppe; solche, die gar nicht seiner Abteilung angehörten.
Sam, wie immer in seinen Schal gewickelt, ergriff das Wort. «Wir sind wegen Miss Berger hier, Sir. Wir sind der Ansicht, daß sie nicht ausgeschlossen werden darf.» Es kostete ihn einiges, diese Rede zu halten; bis zu diesem Moment war Professor Somerville ja sein Idol gewesen. «Wir sind der Meinung, daß der Ausschluß eine Ungerechtigkeit ist. Miss Berger wird für irgend etwas bestraft, das sie gar nicht verbrochen hat. In Anbetracht dessen, was das jüdische Volk ...»
«Danke, Sie brauchen mich nicht an das Schicksal des jüdischen Volkes zu erinnern.»
«Nein.» Sam schluckte. «Aber wir sehen nicht ein, warum sie nur wegen irgendwelcher Formalitäten ausgeschlossen werden soll.»
«Miss Berger wird nicht ausgeschlossen. Sie wird lediglich an eine andere Universität überwiesen.»
«Richtig. Wie die Juden und die Zigeuner und die Freimaurer und die Sozialisten in Deutschland in Lager überwiesen werden», erwiderte Sam tapfer.
«Und dabei will sie gar nicht weg von hier», stammelte Pilly nervös. «Es gefällt ihr hier, und sie hilft mir. Sie kann einem Dinge begreiflich machen.»
«Das ist wahr, Sir.» Ein großer blonder Mann, den Quin nicht kannte, sprach aus der hinteren Reihe. «Ich bin Germanist und – nun, ich muß ehrlich sagen, ich hatte kaum noch Lust, mich mit der deutschen Sprache zu beschäftigen, nachdem ich im Radio nichts anderes mehr gehört hatte als Hitlers giftige Tiraden. Aber dann habe ich sie in der Bibliothek getroffen und – also, wenn sie die Nazis vergessen kann ...»
Schweigend betrachtete Quin die kleine Abordnung. Dann sagte er trocken: «Sie scheinen einen von Miss Bergers größten Bewunderern vergessen zu haben. Wieso haben Sie das Schaf nicht mitgebracht?»
Als Quin später vom Mittagessen zurückkam, fand er in seinem Zimmer Besuch vor.
«Verzeihen Sie mir, daß ich Sie störe», sagte Kurt Berger und stand aus seinem Sessel auf.
«Aber das ist doch keine Störung, Sir! Es ist mir eine Freude, Sie zu sehen.»
Die Veränderung allerdings, die mit Berger vorgegangen war, erschreckte Quin. Professor Berger war ein großer, aufrechter Mann mit einem stolzen und würdevollen Gesicht gewesen. Jetzt war er hager und verfallen, und in seiner Stimme lag eine tiefe Müdigkeit.
«Ist es Ihnen recht, wenn wir deutsch sprechen?»
«Selbstverständlich.» Quin schloß die Tür.
«Ich bin wegen meiner Tochter hier. Ruths wegen. Ich habe den Eindruck, es hat Ärger gegeben, und ich würde gern wissen, ob ich etwas tun kann, um ihn zu bereinigen.»
Quin nahm ein Lineal zur Hand und drehte es unablässig hin und her, während er sprach. «Sie wird Ihnen berichtet haben, daß ich mich bemühe, ihr einen Studienplatz an der Universität Tonbridge in Kent zu beschaffen.»
«Aha. So ist das. Nein, das wußte ich nicht. Mir hat sie nur erzählt, daß sie hier nicht bleiben kann.»
«Nun, hier an der Universität ist es ein offenes Geheimnis.»
«Darf ich fragen, warum sie hier nicht bleiben kann?»
Bergers Ton war trocken und distanziert, aber die tiefe Bekümmerung hinter seinen Worten war deutlich zu hören, und Quin, der sich stets als Schüler Bergers gesehen hatte, wurde immer unbehaglicher zumute.
«Ich hielt es für unangebracht, eine junge Dame zu unterrichten, mit deren Familie ich so gut bekannt bin. Das würde Ihre Tochter möglicherweise der Beschuldigung der Begünstigung aussetzen.»
Kurt Berger strich über seinen schwarzen Hut. «Wirklich? Ich muß sagen, wenn ich es abgelehnt hätte, die Kinder der Leute zu unterrichten, die mir in Wien gut bekannt waren, so hätte es bei meinen Vorlesungen viele leere Plätze gegeben.»
«Möglich. Aber an britischen Universitäten geht es anders zu. Da gibt es mehr Klatsch. Sie sind kleiner.»
«Professor Somerville, bitte sagen Sie mir die Wahrheit», bat Kurt Berger, und erst als Quin hörte, wie dieser Mann, der fast dreißig Jahre älter war als er, ihn mit seinem Titel ansprach, erkannte er, wie tief verletzt der Mann war. «Hat Ruth sich etwas zuschulden kommen lassen? Ist sie den Anforderungen hier nicht gewachsen? Wir haben uns bemüht, ihr eine gute Bildung mitzugeben, aber ...»
«Nein, aber nein! Ruth ist eine hervorragende Studentin.»
«Was ist es dann? Ihr Verhalten? Finden Sie sie vielleicht zu direkt? Zu keck? Sie ist das Universitätsmilieu gewohnt, da mag es scheinen, daß es ihr an Respekt fehlt.»
«Keineswegs. Sie hat sich hier bereits viele Freunde geschaffen, sowohl unter den Studenten als auch unter den Dozenten.»
«Dann – ist es möglich – hat es vielleicht einen Skandal gegeben? Sie ist ein hübsches Ding, ich weiß, aber ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, daß sie ...»
Quin beugte sich über seinen Schreibtisch, um mit dem gehörigen Nachdruck zu sprechen. «Bitte glauben Sie mir, Sir. wenn ich Ihnen versichere, daß ich sie einzig deswegen an eine andere Universität schicke, weil ich glaube, daß die Verbindung zu Ihrer Familie, meine Schuld Ihnen gegenüber ...»
«Schuld? Was für eine Schuld?» unterbrach Kurt Berger scharf.
«Das Symposion in Wien, Ihre Gastfreundschaft, der Ehrendoktor.»
«Ach ja, der Ehrendoktor. Wir hörten von Kollegen, daß Sie an der Zeremonie teilgenommen haben, aber zum Bankett nicht erschienen sind.»
«Das ist richtig. Als ich hörte, daß Sie nicht da waren ...», begann Quin und brach ab. «Ich hätte Ihnen danken sollen, daß Sie mich vorgeschlagen haben, aber ich bin direkt nach Bowmont hinaufgereist.»
Danach trat eine kleine Pause ein. Dann sagte Kurt Berger nachdenklich: «Meine Frau ist überzeugt, daß Sie es waren, der Ruth in Wien geholfen hat.»
Quin schwieg einen ganz kleinen Moment zu lange. «So? Wie kommt sie denn darauf?»
«Eine gute Frage», meinte Kurt Berger mit einer Spur Bitterkeit. «Normale Denkvorgänge sind Leonie völlig fremd. Soweit ich ihren Worten entnehmen konnte, glaubt sie es, weil Sie damals in den Grundlsee gesprungen sind, um die Monographie ihrer Schwägerin über die Mi-Mi zu retten. Und weil Sie auf dem Universitätsball zweimal mit ihrer Patentochter Franzi getanzt haben. Franzi hatte eine sehr schlimme Akne, und sie schielte auf einem Auge. Nur weil Sie sie zum Tanz aufgefordert haben und so nett zu ihr waren, war sie endlich damit einverstanden, sich am Auge operieren zu lassen. Die Akne verging von selbst, und heute ist sie verheiratet und hat zwei schrecklich schlecht erzogene Kinder. Zum Glück hat sie sich in New York niedergelassen.»
«Ich kann Ihnen leider nicht recht folgen», sagte Quin entschuldigend.
«Es gab noch andere Gründe, mit denen ich Sie jetzt nicht langweilen will. Anscheinend warfen Sie Ihren Hut über einen Steinpilz, auf den Onkel Mishak es abgesehen hatte, und verhinderten damit, daß Frau Pollack ihn ihm wegschnappte. Wir haben die Pilze rund ums Haus immer als unser Eigentum betrachtet, und ...» Er schüttelte den Kopf.»Ach, wie fern das alles zu sein scheint. Aber wie dem auch sei, die Argumente meiner Frau laufen darauf hinaus, daß Menschen sich treu bleiben. Mit anderen Worten, wenn Sie damals hilfsbereit waren, dann müssen Sie es auch heute noch sein. Wenn Sie mich an der Universität nicht angetroffen hätten, dann hätten Sie versucht, mich aufzusuchen, und hätten Ruth vorgefunden. Das glaubt meine Frau – ich nicht. Und Sie brauchen mir auch nichts zu sagen, was Sie gern für sich behalten möchten. Aber wenn Leonies Vermutung richtig ist, dann ist es möglich, daß Ihnen die Vorstellung, Ruth hierzuhaben, Unbehagen verursacht. Dann könnte es sein, daß Sie fürchten, sie könnte sich allzusehr an Sie anschließen.»
«Nein, das fürchte ich wahrhaftig nicht.»
«Aber es wäre nur natürlich. Sie ist sehr warmherzig, und sie hat damals, nach dem Sommer, den Sie bei uns verbrachten, ständig von Ihnen gesprochen. Ganz zu schweigen von dem blauen Kaninchen.» Als Quin verständnislos die Stirn runzelte, erklärte er: «Das Stofftier, das Sie ihr an der Schießbude im Prater geschossen haben. Sie hat es jeden Abend mit ins Bett genommen, und als es sein Ohr verlor, mußten wir Dr. Levy zur Behandlung rufen.»
«Das hatte ich ganz vergessen.»
«Sie waren jung. Sie hatten das Leben noch vor sich; wie Sie es auch heute noch vor sich haben. Möge Gott verhüten, daß Sie jemals so an der Vergangenheit hängen müssen, wie wir das heute tun. Aber was ich sagen wollte, war, daß Sie in dieser Hinsicht keine Befürchtungen zu hegen brauchen – wie groß Ruths Zu neigung zu Ihnen auch ist, wie sehr sie auch zu Ihnen als ihrem Retter aufsehen mag, ihre ganze Hingabe gilt ihrem Vetter, Heini Radek. Alles, was sie tut, tut sie letztlich für ihn. Sie sehen also, Sie hätten nichts zu befürchten. Sie wird Radek heiraten und ihm die Noten umblättern und die Kamelien für das Knopfloch seines Fracks auswählen. So war es, seit er das erstemal nach Wien kam.»
«Spielt es denn dann eine so große Rolle, wo sie studiert? Oder ob sie überhaupt studiert?»
«Vielleicht messe ich dem Wissen und der Bildung zuviel Bedeutung bei. Vielleicht bin ich auch einer jener Väter, die meinen, für ihre Tochter sei keiner gut genug. Heini ist ein begabter Junge, aber mir wäre es lieber gewesen, sie hätte eine Wahl gehabt.» Er wechselte abrupt das Thema. «Eines steht fest, nach Tonbridge wird Ruth nicht gehen. Sie war den ganzen Morgen auf dem Arbeitsamt, und jetzt sitzt sie zu Hause und schreibt Bewerbungen und versucht, nicht zu weinen.»
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