«Nein, nein, nichts dergleichen. Er biegt nur die Vorschriften ein wenig zurecht, damit er ihr entgegenkommen kann. Aber wenn sich herumsprechen sollte, daß Gelder, die ausschließlich für Härtefälle bestimmt sind, dafür verwendet wurden, einem jungen Ding, das hier sowieso aus reiner Menschenfreundlichkeit geduldet wird, einen kleinen Ausflug zu finanzieren, so könnte das, denke ich, zu einer Menge Klatsch und Spekulationen Anlaß geben. Es wäre bestimmt besser, die Gelder für englische Studenten zurückzuhalten, die wirklich in Not sind.»
«Hm, ja, da hast du nicht ganz unrecht», meinte Sir Desmond. «Es wäre natürlich sehr peinlich, wenn es Gerede gäbe, zumal das Mädchen sowieso schon genug Aufmerksamkeit erregt hat.»
«Und nicht auf die vorteilhafteste Art», fügte Lady Plackett hinzu.
«Was gibt's?» fragte Quin, der gerade aus dem Museum zurückgekehrt war und noch an einem Artikel für eine Zeitschrift arbeiten wollte.
«Dieser Plackett, dieses Ekel!» Roger Felton sah aus, als würde er gleich explodieren. «Er hat den Härtefonds blockiert – wir können kein Geld daraus nehmen, um Ruth die Fahrt nach Bowmont zu ermöglichen. Er möchte auf keinen Fall einen Präzedenzfall schaffen, der den Studenten Anlaß gäbe zu glauben, sie könnten auf Kosten der Universität auf Reisen gehen!»
«Aha! Da steckt wahrscheinlich Lady Plackett dahinter. Sie kann Ruth nicht leiden.» Quin merkte zu seiner eigenen Überraschung, daß er sehr zornig war. Er selber hätte gesagt, daß er Ruth in Bowmont gar nicht haben wollte. Die «unsichtbare» Ruth war hier in Thameside schon schlimm genug– in Bowmont hätte er das nicht ausgehalten; aber die Kleinlichkeit des neuen Regimes war schwer zu akzeptieren.
«Möchte Ruth denn mit auf die Exkursion?» fragte er. «Ist nicht jeden Tag mit Heinis Ankunft zu rechnen?»
«Nein, sie erwartet ihn erst Anfang November. Bis dahin sind wir zurück», antwortete Roger. «Sie würde gern mitfahren, das weiß ich, auch wenn sie so tut, als läge ihr nichts daran.»
«Sie und Elke möchten sie unbedingt dabeihaben, nicht wahr? Weil Sie glauben, daß sie profitieren wird?»
«Ja, klar – verdammt noch mal, Sie leiten das Seminar, Sie wissen, daß es das beste seiner Art im ganzen Land ist. Aber ich wollte ihr die Küste zeigen. Ich schulde ihr ...» Roger zuckte die Achseln. «Ich weiß, Sie finden, wir verwöhnen sie, Elke, Humphrey und ich, aber sie gibt alles zurück und ...»
«Was gibt sie zurück?»
Roger schüttelte den Kopf. «Ach, das ist schwer zu erklären. Man bereitet eine praktische Übung vor – Himmel noch mal, Sie wissen doch selbst, wie das ist. Man treibt sich die halbe Nacht hier herum und versucht, anständiges Material zu finden, und dann kriegt der Techniker die Grippe, und es sind nicht genug Petrischalen da ... Aber am nächsten Morgen steht sie da und schaut durch das Mikroskop, als wäre das der allererste Wasserfloh überhaupt, und plötzlich erinnert man sich, worum es einem einmal ging – warum man sich mit diesen Dingen überhaupt beschäftigt hat. Wenn ihre Arbeit schlampig wäre, dann wäre es etwas anderes. Aber sie ist nicht schlampig. Sie hat eine bessere Bewertung verdient, als Sie ihr für ihre letzte Arbeit gegeben haben.»
«Ich habe ihr zweiundachtzig gegeben.»
«Ja. Und Verena Plackett vierundachtzig. Aber mich geht das ja nichts an. Leider ist es wohl nicht zu ändern, zumal Sie sich so krampfhaft bemühen, sie nur ja nicht zu bevorzugen. Nur weil sie mal auf Ihrem Schoß gesessen hat, als sie noch Windeln trug.»
«Ich tue nichts dergleichen, aber Sie müssen einsehen, daß ich mich da nicht einmischen kann – das würde Ruth nur schaden.» Und als sein Stellvertreter sich nicht von der Stelle rührte, sondern ihn weiterhin unglücklich ansah, fügte er hinzu: «Wie geht's zu Hause? Was macht Lilian?»
Roger seufzte. «Von einem Kind immer noch keine Spur. Und adoptieren will sie nicht. Hätte ich nur damals Humphrey nicht zum Abendessen eingeladen.» Dr. Fitzsimmons hatte es nur gut gemeint, als er Rogers Frau auf den Temperaturabfall hinwies, den jede Frau unmittelbar vor ihren fruchtbaren Tagen erwarten konnte, aber er brauchte nicht mitanzusehen, wie Lilian tagtäglich mit ihrem Thermometer bewehrt aus dem Bad kam und ihm bis zur kritischen Zeit seine ehelichen Rechte verweigerte. «Ich bin froh, wenn ich eine Zeitlang wegkomme, das kann ich Ihnen sagen.»
Ruth war über den Beschluß des Finanzausschusses nicht enttäuscht, weil sie von Roger Feltons Bemühungen für sie nichts wußte. Aber wenn sie auch an ihrem Entschluß festhielt, an der Exkursion nicht teilzunehmen, so beteiligte sie sich doch mit viel Spaß an den Mutmaßungen über das Nachtzeug, das Verena Plackett mit auf die Reise nehmen würde.
Denn Verena fuhr selbstverständlich mit nach Northumberland, und die Frage, was sie im Schlafsaal über dem Bootshaus zur Nacht anziehen würde, interessierte ihre Kommilitonen brennend. Janet meinte, sie würde in durchsichtiger schwarzer Spitze in ihr Etagenbett steigen.
«Für den Fall, daß der Professor um Mitternacht mit einem Schädelabguß die Leiter heraufklettern sollte.»
Pilly hielt einen gestreiften Schlafanzug für wahrscheinlicher, mit einer langen Schnur, die Kenneth Easton ihr abends, vor dem Zubettgehen, immer zur Doppelschleife würde binden müssen. Ruth hingegen, die Verena die blütenweißen Laborkittel zutiefst neidete, dachte eher an gesmokten weißen Batist.
«Mit soviel Stärke, daß man es nachts knistern hört», sagte sie.
Tatsächlich jedoch kam keiner von ihnen in den Genuß, Verenas Nachtgewand zu sehen. Die Tochter des Vizekanzlers hatte nämlich ganz andere Pläne.
Wenn Leonie jeden Abend begierig auf Ruths Bericht vom Tage wartete, und Mrs. Weiss mit ihrem gefürchteten «Also?» ihr Verhör im Willow begann, wartete Lady Plackett etwas beherrschter, aber nicht weniger begierig auf Verenas Rapport.
Über die Dozenten ließ sich Verena mit Zurückhaltung aus, über ihre Kommilitonen jedoch gestattete sie sich zu sprechen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. So erfuhr Lady Plackett von dem ungehörigen, um nicht zu sagen unzüchtigen Verhalten Janet Carters auf den Rücksitzen von Automobilen; von den gefährlich radikalen Ansichten Sam Marshs; und von den Böcken, die Priscilla Yarrowby schoß, die wieder einmal den Kieferknochen eines Mammuts mit dem eines Mastodons verwechselt hatte.
«Und Ruth Berger hilft ihr ständig. Das kann man nun wirklich nicht gutheißen», erklärte Verena. «Man tut Leuten, die nicht das Zeug zum Hochschulstudium haben, keinen Gefallen, wenn man sie dauernd anschiebt. Es ist in ihrem eigenen Interesse, wenn sie gleich ausgesiebt werden, damit sie das Niveau finden können, das ihnen angemessen ist.»
Lady Plackett war ganz ihrer Meinung, so wie jeder vernünftige Mensch ihrer Meinung sein mußte. «Sie scheint einen sehr störenden Einfluß zu haben, diese kleine Ausländerin», sagte sie.
Sie war gar nicht erfreut gewesen, als Professor Somerville sich entschieden hatte, das Mädchen doch zu behalten. Diese Ruth Berger hatte etwas ... Exzessives. Selbst die Art, wie sie im Hof an den Rosen roch, war übertrieben, dachte Lady Plackett. Nun, in einer Hinsicht wenigstens konnte Verena ihre Mutter beruhigen: Der Professor hatte für Ruth nichts übrig; er schien ihr bewußt aus dem Weg zu gehen; sie machte in seinen Seminaren nie den Mund auf.
«Und sie kommt nicht mit nach Bowmont, das steht fest», erklärte Verena, die vom Eingreifen ihrer Mutter in dieser Frage nichts wußte.
«Ach ja, Bowmont», meinte Lady Plackett nachdenklich. «Weißt du, Verena, irgendwie behagt es mir gar nicht, daß du in einem Schlafsaal mit jungen Mädchen übernachten sollst, die ... von Sitte und Anstand keine Ahnung zu haben scheinen.»
«Ja, ich muß zugeben, daß mir das auch zu schaffen macht», sagte Verena. «Aber man möchte natürlich demokratisch sein.»
«Das ist richtig», stimmte Lady Plackett zu. «Trotzdem ... alles hat seine Grenzen.» Sie hielt inne und legte ihrer Tochter beruhigend die Hand auf den Arm. «Weißt du, ich habe da eine Idee.»
Verena hob den Kopf. «Ich bin gespannt», erwiderte sie, «ob es die gleiche ist wie meine.»
16
«Schau ihn dir an», sagte Frances Somerville bitter und reichte ihrem Mädchen den Feldstecher. «Wie er sich schon die Hände reibt vor lauter Genugtuung.»
Martha nahm das Fernglas und richtete es auf den Herrn mittleren Alters mit der hohen Stirn des Intellektuellen, der auf dem felsigen Küstenweg dem Kap entgegenschritt.
«Er schreibt was in sein Buch», bemerkte sie, als sei das ein weiterer Beweis für Mr. Fergusons Verachtenswürdigkeit.
«Also, er braucht jedenfalls nicht zu erwarten, daß ich ihn zum Mittagessen einlade», sagte Frances. «Meinetwegen kann er im Black B1411 essen.»
Mr. Ferguson, auf Quins Ersuchen hin vom National Trust gesandt, um zu sehen, ob Bowmont den Trust interessieren konnte, war kurz nach dem Frühstück eingetroffen. Obwohl er ein Mann mit tadellosen Formen war, taktvoll und zurückhaltend, hatte Frances ihn behandelt, als sei er soeben aus einer stinkenden Kloake emporgekrochen.
«Vielleicht wird ja gar nichts draus», sagte Martha und reichte das Fernglas zurück. Nach vierzig Jahren in Frances Somervilles Diensten durfte sie es sich erlauben, wie eine Freundin zu sprechen. «Vielleicht gefällt's ihm hier überhaupt nicht.»
«Ha!» sagte Frances nur.
Ihre Skepsis war berechtigt. Obwohl Mr. Ferguson eine offizielle Meinung erst Quin in London mitteilen würde, hatte er bereits durchblicken lassen, daß drei Meilen herrlicher Küste, ganz zu schweigen von dem berühmten Garten, den Trust höchstwahrscheinlich sehr interessieren würden.
Nun ist es also soweit, dachte Frances unglücklich; nun kommen die Männer mit den Schirmmützen, die Toilettenhäuschen, die kreischenden Ausflügler. Quin hatte gesagt, wenn es zu Verhandlungen käme, werde er darauf bestehen, daß ihr ein lebenslanges Wohnrecht im Haus eingeräumt würde; aber wenn er glaubte, sie würde ins stille Kämmerlein eingesperrt mitansehen, wie dieses Haus und dieses Land, die sie zwanzig Jahre lang wie ihren Augapfel gehütet hatte, zerstört wurden, dann täuschte er sich. An dem Tag, an dem der Trust hier einzog, würde sie ausziehen.
Wäre Lady Placketts Brief nicht ausgerechnet gekommen, nachdem Mr. Ferguson sich gerade empfohlen hatte, dann hätte Frances Somerville vielleicht ganz anders darauf reagiert. So aber erreichte er sie in einem Moment, in dem sie sich so alt und verzagt fühlte wie nie zuvor in ihrem Leben und bereit war, nach jedem Strohhalm zu greifen.
Lady Plackett begann ihr Schreiben mit einem kurzen Rückblick auf ihre gemeinsame Zeit im Mädchenpensionat in Paris.
«Sie werden sich vielleicht nicht mehr an das schüchterne kleine Ding erinnern, das soviel jünger war als Sie», schrieb Lady Plakkett, die sich noch nie durch besonderes Taktgefühl ausgezeichnet hatte, «aber ich werde nie vergessen, wie lieb und freundlich Sie sich meiner in meiner Verwirrung und meinem Heimweh angenommen haben.»
Frances erinnerte sich weder des heimwehkranken kleinen Mädchens noch ihrer eigenen Güte, aber als Lady Plackett ihr offenbarte, daß sie eine geborene Croft-Ellis war und im selben Jahr wie Miss Somervilles Cousine, Lydia Barchester, bei Hof vorgestellt worden war, las sie mit jener Aufmerksamkeit weiter, die man den Briefen derer zollt, die sich in den eigenen Gesellschaftskreisen bewegen.
«Ich war überaus erfreut festzustellen, daß Ihr lieber Neffe unserem Lehrkörper angehört, und er hat Ihnen vielleicht erzählt, daß Verena, unsere einzige Tochter, bei ihm studiert. Sie ist begeistert von seinem Wissen und seiner Art, dieses Wissen zu vermitteln, und bei einem kleinen Abendessen neulich führten die beiden ein angesagtes Gespräch miteinander, das, wie ich leider gestehen muß, weit über meinen Bildungsgrad hinausging. Sie werden sich fragen, woher ich die Kühnheit nehme, Ihnen nach so vielen Jahren der Abwesenheit in Indien zu schreiben, und ich will ganz offen sein. Sie wissen ja, daß Quinton in Bowmont für unsere Studenten ein praktisches Übungsseminar eingerichtet hat, das er selbst leitet. Verena muß als eine seiner Studentinnen, die dem Hochbegabtenprogramm angehören, selbstverständlich an diesem Seminar teilnehmen, und sie freut sich schon sehr darauf. Ihre Position hier in Thameside ist jedoch äußerst heikel, wie Sie gewiß verstehen werden. Sie selbst besteht darauf, in allem, sei es Prüfungen oder sonst etwas, genauso behandelt zu werden wie alle anderen Studenten, und in dieser Hinsicht gibt es keinerlei Schwierigkeiten, denn sie ist ein intelligentes junges Mädchen.
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