«Kommt nicht in Frage!» fuhr Frances sie an. «Am ersten Dezember kannst du mir eine bringen, aber keinen Tag früher – das weißt du doch!» Doch sie ließ es zu, daß Martha die silberne Haarbürste zur Hand nahm und ihr das spärliche graue Haar ausbürstete. «Es war wohl Elsie, die das Hündchen hinausgelassen hat?» bemerkte sie nach einer kleinen Pause.

Martha nickte. «Sie hat so ein weiches Herz, die Kleine. Comely will ja mit dem Tierchen nichts zu tun haben. Und Elsie hört es immer winseln.»

«Sieh zu, daß es gleich morgen früh zu Barker gebracht wird. Seinetwegen hätte es beinahe einen bösen Unfall gegeben.»

«Das wird bis übermorgen warten müssen. Morgen ist Barker in Amble, um Holz abzuholen, das er dort bestellt hat.»

Als Frances später, die eiskalten Füße hochgezogen, in ihrem Bett lag, dachte sie noch einmal darüber nach, wie gut der Abend doch verlaufen war. Sie wollte jedenfalls ins Dorf ziehen, wenn Quin heiraten sollte. Quin hatte zwar kein auffallendes Interesse an Verena gezeigt, aber das würde schon noch kommen.


Von den Hoffnungen seiner Tante nichts ahnend und am Schicksal Verena Placketts nicht im geringsten interessiert, stand Quin am Fenster seines Turmzimmers und sah zum Meer hinaus und zum Mond, der ständig hinter wirbelnden schwarzen Wolken verschwand. Es regnete immer noch, aber das Barometer stieg. Es war ein Risiko gewesen, so spät im Jahr mit den Studenten hier heraufzukommen, aber wenn es in Northumberland einen Altweibersommer gab, dann war er um so schöner. Der Herbst konnte hier von einer herzzerreißenden Schönheit sein.

Quin bewohnte das Zimmer ganz oben im Turm, seit der Großvater den Achtjährigen das erstemal dort hinaufgeführt hatte, ein verwirrtes, elternloses Kind, fremdländisch gekleidet, mit einer großen Brille auf der Nase, die zur Kräftigung seiner Augen nach einer Masernerkrankung beitragen sollte. Durch drei Stockwerke von seiner Erzieherin getrennt, für die Nacht unter das Fell eines Eisbären gebettet, den der Basher in Alaska geschossen hatte, war Quin Abend für Abend zitternd vor Angst zu Bett gegangen – und doch hätte er selbst damals sein Krähennest um nichts in der Welt eingetauscht.

Die Studenten mußten jetzt jeden Moment eintreffen; der Bus, der gemietet worden war, sie in Newcastle abzuholen, würde direkt den holprigen Weg zur Bucht hinunterschaukeln. Quin war etwas früher am Abend unten gewesen, um sich zu vergewissern, daß alles bereit war: daß der Ofen in dem kleinen Aufenthaltsraum brannte, die Bunsenbrenner an die Gasleitung angeschlossen, die Schlafräume über dem Labor gelüftet und die Decken frisch und sauber waren. Er fand alles in Ordnung, und dennoch war er innerlich rastlos, und beinahe ohne recht wahrzunehmen, was er tat, griff er zu der Gitarre in der Ecke des Zimmers und begann sie zu stimmen.

Quins Gitarrestudien waren nie sehr weit gediehen, und seine Freunde in Cambridge hatten immer wenig schmeichelhaft reagiert, wenn er gespielt hatte; entweder hatten sie sich die Ohren zugehalten, oder sie waren aus dem Zimmer geflohen. Obwohl er nur wenige Stücke spielen konnte, hatte er doch für jede Gefühlslage das Richtige parat: Tiptoe Through the Tulips war heiter; die Evening Elegy war, wie der Titel sagte, elegisch; und Mississippi Moan war – nun, eine Klage eben.

Gerade bei diesem letzten Stück hatte sich, wenn er es im College spielte, das Zimmer stets besonders schnell geleert, aber Quin liebte es nun einmal. Als jetzt die Töne des schwermütigen Lieds aus dem amerikanischen Süden durch den Raum klangen, wurde er sich bewußt, daß er das Stück nicht ganz zufällig gewählt hatte. Er fühlte sich tatsächlich innerlich unruhig – bedrückt – und einige Akkorde später wurde ihm auch klar, warum.

Es war nicht zu leugnen, daß er sich Felton gegenüber, der so sehr bemüht gewesen war, Ruth die Exkursion nach Bowmont zu ermöglichen, nicht anständig benommen hatte. Roger arbeitete unermüdlich für die Studenten und sprang jederzeit bereitwillig für ihn ein, ertrug geduldig die endlose Langeweile der Ausschußsitzungen. Wenn er nun sein Herz daran gehängt hatte, Ruth den Aufenthalt in Northumberland zu ermöglichen, so hätte er – Quin – ihm bei seinen Bemühungen helfen sollen. Es wäre ein leichtes gewesen, eine Möglichkeit zu finden, und die Mißbilligung der Placketts hatte ihn ja nie im geringsten gekümmert. Tatsache war, daß er sich äußerst selbstsüchtig verhalten hatte, weil er die Emotionalität dieses Mädchens scheute.

Nun, jetzt war daran nichts mehr zu ändern, und der Mississippi Moan hatte, wie so oft, die Atmosphäre gereinigt. Alles Bedauern hinter sich lassend, ging Quin zu seinem Schreibtisch und nahm sich Hackenstreichers letzten Brief an die Zeitschrift Nature vor. Zeit, diesem Idioten ein für allemal den Marsch zu blasen. Er zog die Schreibmaschine zu sich heran und spannte ein leeres Blatt ein.

«Sehr geehrte Herren», schrieb er, «im Zusammenhang mit Professor Hackenstreichers Beitrag (Nature vom 6. August 1938) darf vielleicht darauf hingewiesen werden, daß seine Untersuchung eines einzigen Schädelabgusses des Styracosaurus Coratopsius doch wohl kaum eine Ablehnung von Brooms Rekonstruktion der Evolution aus einem gemeinsamen Stamm rechtfertigt. Nicht nur war der Abguß unvollständig, auch seine Herkunft ist in Zweifel zu ziehen, da ...»


Er saß noch immer an der Maschine, als der Bus das Tor hinter dem Haus passierte und schwankend zum Strand hinunterzuckelte.


Ruth erwachte früh. Alle anderen im Schlafsaal über dem Bootshaus schliefen noch. Pilly, die neben ihr lag, war so fest zusammengerollt, als wollte sie sich gegen die Katastrophen des kommenden Tages schützen; nur ein paar Haarbüschel lugten über den Rand der grauen Decke.

Vom vorhergehenden Abend hatte Ruth nur noch den peitschenden Regen in Erinnerung, die plötzliche Kälte, als sie aus dem stickigen Bus gestiegen und ins Haus gelaufen waren – und das monotone Klatschen der Wellen an den Strand. Doch jetzt hatte sich etwas verändert, und auf den ersten Blick schien ihr, daß diese Veränderung einfach durch die Beleuchtung hervorgerufen worden war.

Sie kleidete sich eilig an, huschte an ihren schlafenden Freundinnen und an Dr. Sonderstrom vorbei, kletterte die Leiter hinunter und öffnete die Tür.

«Oh!» sagte sie und trat hinaus – ungläubig, verwirrt, geblendet. Wie hatte dies über Nacht geschehen können, dieses Wunder? Woher kam plötzlich dieses viele Licht? Woher diese unendliche Bewegung?

Die Sonne erhob sich aus einem silbern glänzenden Meer, dessen flirrendes Wasser seine Farben beinahe von Augenblick zu Augenblick veränderte. Und auch der Himmel wechselte die Farben, während sie zu ihm hinaufsah; zuerst war er rosig und amethystfarben, dann türkis ... und schon wartete ungeduldig eine Handvoll frischer Schäfchenwolken ...

Auch die Luft bewegte sich. Man brauchte sie nicht zu atmen, sie atmete sich selbst. Es war kein Wind, nein, noch nicht, nur diese neu geschaffene, frisch gewaschene Luft, die nach Salz und Seetang roch und dem Beginn der Schöpfung.

Es war zuviel. Zuviel Schönheit, zuviel Luft, zuviel Himmel, zuviel Meer. Sie hatte sie sich so oft vorgestellt: die glatte, graue, ziemlich traurige Weite der Nordsee, aber dies ...

Ein blendender Lichtstrahl fiel aus dem Himmel herab und brach sich glitzernd an einem Leuchtturm auf einer fernen Insel ... Es gab Felder auf diesem Meer: Flecken leuchtender Helligkeit, andere wie mattes Blei und stille Oasen wie Lagunen. Und es befand sich in ständiger Bewegung und Veränderung. Darauf war sie nicht gefaßt gewesen.

Es war Ebbe. Sie zog Schuhe und Strümpfe aus und rannte wie trunken mit bloßen Füßen über den kühlen, welligen Sand zum Wasserrand. Allmählich beruhigte sie sich und nahm nun auch die Bewohner dieser lichtgesprenkelten Welt wahr: drei schwere Vögel, die im Flug von den Felsen wie drei schwarze Kreuze aussahen – Kormorane, dachte sie. Aber die Schar schmalgeschwingter Vögel, deren Weiß so intensiv war, daß sie wie von innen erleuchtet wirkten, konnte sie nicht benennen.

Dann kam sie zum ersten Felstümpel, und hier warteten einfachere, leichter zu fassende Freuden. Dr. Felton hatte sie gut unterrichtet; sie kannte die lateinischen Namen der Anemonen und Seesterne, der kleinen Garnelen, doch dies war eine Märchenwelt. Hier gab es Unterwasserwälder, winzige Sandbuchten, Kiesel wie Edelsteine ...

Am Meeresrand blieb sie stehen und streckte einen Fuß ins Wasser. Sie schnappte erschrocken nach Luft. Die Kälte traf sie wie ein elektrischer Schlag. Selbst der Gischt schien geladen ... aber dann, beinahe sofort, gewöhnte sie sich daran. Nein, das stimmte nicht; man konnte sich an diesen Schock eisiger Kälte und Reinheit nicht gewöhnen; man konnte nur immer mehr davon wollen.

Das habe ich nicht gewußt, dachte sie. Ich hätte nie geglaubt, daß etwas so sein könnte – daß es einem ein solches Gefühl der Reinheit geben könnte ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit und doch des Einsseins mit allem. Einen Moment lang wünschte sie all die Menschen, die sie liebte, herbei – ihre Eltern und Mishak und Mishaks geliebte Marianne, von den Toten auferstanden. Dann aber vollführte der Himmel eines seiner Zauberkunststücke, sandte eine Flotte purpurfarbener Wolken aus, die vor der neuen Sonne vorüberzogen, so daß einen Augenblick lang sich alles wieder veränderte – unruhig, dunkel und turbulent wurde. Und dann kam die Sonne wieder hervor, erstarkt, höher am Himmel, und sie dachte, nein, hier kann ich allein sein, weil es kein Allein oder Nichtallein gibt; es gibt nur Licht und Luft und Wasser, und ich bin ein Teil von allem, und alle, die ich liebe, sind Teil davon, doch es ist außerhalb der Zeit, jenseits von Wollen und Müssen.

An diesem Punkt ekstatischer Wonne bemerkte sie ein kleines weißes Segel und darunter ein Boot, das um das Kap herumkam und auf die Bucht zuhielt.


Auch Quin war schon bei Tagesanbruch erwacht und zu der geschützten Bucht von Bowmont Mill hinuntergegangen, wo er sein Boot liegen hatte. Er war froh gewesen, diesen Vorwand zu haben, um das Haus zu verlassen und das Boot für die Studenten um das Kap herumzusegeln; und er freute sich, daß das Wetter aufgeklart hatte; der goldene Tag war ein unerwartetes Geschenk. Sonst dachte er nichts, achtete nur auf den Wind, kümmerte sich um sein Segel ...

Er sah die einsame Gestalt, sobald er das Kap umrundete, und selbst aus der Ferne erkannte er, daß die Frau, wer immer sie sein mochte, sich in einem Zustand der Glückseligkeit befand. Der Wind peitschte ihr Haar, mit einer Hand hielt sie ihren Rock gerafft, während sie im Spiel mit den Wellen vorwärts und rückwärts sprang.

Die Bilder, die sich aufdrängten, wurden bald aufgegeben. Das war nicht Botticellis Venus, die Schaumgeborene; nicht Undine, die die Morgendämmerung willkommen hieß; es war etwas viel Einfacheres und unter den gegebenen Umständen Überraschenderes. Es war Ruth.

Sie stand still da und sah zu, wie er das Segel einholte und das Boot auf Sand laufen ließ. Erst als sie hinauswatete, um ihm beim Hinaufziehen des Boots zu helfen, sprach er.

«Ein unerwartetes Vergnügen», sagte er wie ein Idiot, doch Ruth sah die reine Erhabenheit dieser überwältigenden Welt einen Moment lang von dem vertrauten zerknitterten Lächeln bedroht. «Ich dachte, Sie kämen nicht mit.»

«Meine Mutter und Onkel Mishak haben mich praktisch gezwungen. Ach, aber stellen Sie sich vor, sie hätten es nicht getan! Denken Sie nur, dann hätte ich das alles hier nie erlebt.»

«Es gefällt Ihnen?» fragte Quin, der es für ratsam hielt, sich auf Banalitäten zu beschränken, da sie ihn so beunruhigend an den Traum aller heimkehrenden Seefahrer erinnert hatte: die Frau mit den langen Haaren, die am Gestade wartet.

Sie schüttelte voll staunender Verwunderung den Kopf. «Ich hätte nicht gedacht, daß es so etwas gibt. In der Musik kann man sich verlieren, aber letztendlich ist sie von Menschen gemacht. Das hier dagegen ... vielleicht kann man auch hier kleinliche Gedanken haben, aber ich kann es mir nicht vorstellen.»

Das Boot lag jetzt sicher auf dem Trockenen. Quin vertäute es an einem zackigen Felsbrocken, dann schlugen sie gemeinsam den Weg zum Bootshaus ein. Ruth, die zuvor in ihrer Verzückung nicht einen Blick landwärts geworfen hatte, blieb plötzlich wie angewurzelt stehen und rief: «Oh, was ist denn das dort? Was ist das für ein Haus?»

«Was meinen Sie?» Quin verstand ihre Frage nicht gleich.

«Da oben. Auf dem Felsen. Das Haus.»

«Das? Wie, das wissen Sie nicht? Das ist Bowmont.»

Ruth hätte es im strömenden Regen sehen können, oder im Winter, wenn es so heftig stürmte, daß niemand Zeit hatte, aufwärts zu blicken. Sie hätte es, wie viele vor ihr, zu einer Zeit sehen können, da ein Schiffsunglück weinende Frauen an den Strand zog, oder an einem Tag, wenn es nur wie ein bedrohlicher dunkler Schatten hinter grauen Nebelschleiern stand. Aber sie sah es an einem lichten, klaren Morgen, und sie sah es praktisch vom Wasser aus, halb Wohnhaus, halb Festung. Der blasse Kalkstein seiner Mauern war wie in Gold getaucht, und am Fuß der Felsen, die es bewachten, spielte sanft der weiße Gischt. Möwen segelten über den Turm hinweg, und in den hohen Fenstern spiegelte sich das blendende Licht der Sonne.