Schweigen breitete sich aus. Kate saß zusammengesunken da; schließlich hob sie den Blick zu mir. Ihre Augen schwammen in Tränen. »Vergib mir die Art und Weise, wie ich über ihren Tod gesprochen habe. Das war selbstsüchtig von mir. Ich … ich wollte dir nicht wehtun.«

Ich küsste sie. »Meine tapfere Kate, du hättest mir die Schmerzen nicht ersparen können. Die habe ich vor langer Zeit erlitten, als wir noch gar nichts voneinander wussten. Ich habe Alice an dem Tag verloren, als sie sie mir weggenommen haben. Die Frau, der ich im Gemach Seiner Majestät begegnet bin, war nicht die Frau, die ich damals kannte. Jetzt kenne ich die Wahrheit. Jetzt weiß ich, dass sie mich nicht verlassen hat. Lady Dudley muss ihre Verschleppung von der Straße angeordnet haben. Und Shelton war ihr Komplize.«

»Aber warum haben sie ihr etwas derart Schreckliches angetan? Das ist ja lange vor der Erkrankung des Königs geschehen, richtig? Warum wollten sie unbedingt, dass du sie für tot hältst?«

»Dasselbe habe ich mich auch gefragt«, stieß ich mit einem grimmigen Lächeln hervor. »Ich denke, sie wusste zu viel. Dessen bin ich mir ganz sicher. Mistress Alice wusste, wer ich bin.«

Kate starrte mich entsetzt an. »Hat das vielleicht mit diesem Schmuckstück zu tun?«

Statt einer Antwort tapste ich nackt vom Bett zu meinem Umhang und zog das Kleinod aus der Tasche. Der Rubin glitzerte im Licht des Mondes, als ich ihr das Schmuckstück reichte. »Ich glaube, es ist ein Teil meiner Vergangenheit«, erklärte ich und erschauerte jäh. »Ich glaube, Mistress Alice hat es mir in dem Moment gegeben, als sie mich erkannt hatte. Vorher hatte sie mich wohl gar nicht wirklich wahrgenommen. Sie hatte zu viel gelitten. Aber sie hat die goldene Blüte aus einem ganz bestimmten Grund aufbewahrt. Das hat etwas zu bedeuten. Das muss einfach so sein.«

Kate betrachtete sie nachdenklich. »Ja, aber was?«

Ich nahm ihr das Schmuckstück aus der Hand und strich mit den Fingerkuppen über das zarte, fein geäderte Gold. »Außer ihren Kräutern hatte Mistress Alice nie für materielle Güter Verwendung. So etwas begehrte sie nicht. Sie sagte immer, Dinge beanspruchten einfach zu viel Platz. Und doch hielt sie dieses Stück weiß Gott wie viele Jahre in ihrer Medizintruhe verborgen. Ich habe die Truhe oft durchsucht. Und jedes Mal hat sie mich getadelt und gesagt, eines Tages würde ich mich noch mit irgendeinem Kraut berauschen. Aber dieses Stück habe ich nie entdeckt. Sie muss es in einem geheimen Fach verborgen haben. Und ich habe so ein Gefühl, dass nicht einmal Lady Dudley davon wusste.«

Ich schaute an ihr vorbei zum Fenster. »Lady Dudley ist der Schlüssel zu alldem. Sie hat mich benutzt, um die Herzogin zur Einwilligung in die Verheiratung ihrer Tochter Jane Grey mit Guilford zu zwingen. Das hat die Herzogin auch bestätigt, als sie mich in dieser Zelle gefangen hielt. Was immer diese Blüte bedeutet, sie muss eine gewaltige Macht haben, wenn man mich deswegen umbringen will. Es könnte womöglich sogar die Waffe sein, die ich benötige, um mir die Dudleys vom Hals zu halten – und zwar für immer.«

Kate verschränkte die Arme vor der Brust, als fröstelte sie. »Du willst Rache für das, was sie dir angetan hat.«

Ich erwiderte ihren Blick. »Wie könnte ich das nicht? Mistress Alice war alles, was ich auf der Welt hatte, und sie hat sie zerstört. Ja, ich will Rache. Aber mehr noch als das suche ich die Wahrheit.« Ich beugte mich nahe zu ihr. »Kate, ich muss wissen, wer ich bin.«

»Das verstehe ich. Es ist nur so, dass ich mich um dich sorge. Um uns. Dieses Geheimnis muss schrecklich sein, wenn die Herzogin von Suffolk dich töten will, nur damit niemand davon erfährt. Und wenn die Dudleys es gegen sie verwendet haben, müssen sie es kennen.«

»Nicht einmal Dudley selbst weiß Bescheid. Nur Lady Dudley. Ich glaube nicht, dass sie den Herzog jemals aufgeklärt hat. Sie muss die Befürchtung gehegt haben, dass er sie verraten würde. Sie machte keinerlei Anstalten, ihm die einzige Waffe anzuvertrauen, die sie besaß – ihre Fähigkeit, der Herzogin von Suffolk ihren Willen aufzuzwingen. Ohne ihr Druckmittel, ohne dieses Geheimnis, hätte die Herzogin sich wohl nie bereit erklärt, ihre Tochter einem …«

»Emporkömmling wie Dudley zu geben«, vollendete Kate. Sie betrachtete mich nachdenklich. »Warum sprichst du nicht mit Master Cecil darüber? Er kennt bedeutende Persönlichkeiten. Vielleicht kann er dir helfen.«

»Nein.« Ich ergriff ihre Hände. »Versprich mir, dass du niemandem ein Wort davon verrätst, nicht einmal der Prinzessin – vor allem nicht ihr! Northumberland hat immer noch enorme Macht, vielleicht sogar mehr als je zuvor, und vielleicht ist sie noch einmal auf unsere Hilfe angewiesen. Da ist es besser, wenn ich diese Bürde fürs Erste allein trage.«

Insgeheim bat ich sie um Vergebung für meine Lüge. Aber ich konnte es einfach nicht riskieren, sie diesem kalten Hass auszusetzen, den ich in Lady Dudleys Augen gesehen hatte. Ebenso wenig wollte ich, dass ihr dieser mörderische Stokes im Auftrag der Herzogin nachstellte. Wenn erst einmal ans Licht kam, dass ich noch lebte, wäre die Jagd auf mich eröffnet. Was immer geschah, Kates Sicherheit hatte absoluten Vorrang. Gleichwohl würde ihr das, worum ich sie als Nächstes bitten musste, sehr wehtun.

»Kannst du etwas für mich tun? Es ist sehr wichtig. Du musst mir versprechen, nach Hatfield zurückzukehren.«

Sie biss sich auf die Lippe. »Und wenn ich mich weigere?«

»Dann erinnere ich dich daran, dass Elizabeth nach wie vor auf dich angewiesen ist. Keiner ihrer anderen Bediensteten hat deine Fähigkeiten. Es kann gut sein, dass sie bald darauf zurückgreifen muss. Und das weißt du so gut wie ich. So, wie du längst weißt, auch wenn du es mir noch nicht gesagt hast, dass Cecil einen neuen Auftrag für mich hat. Das ist doch der Grund, warum Walsingham in einem fort gekommen und gegangen ist und sich nach meiner Gesundheit erkundigt hat. Aus Sorge um mich hat er das gewiss nicht getan.«

»Das ist mir gleichgültig«, flüsterte Kate und schlug mit der Faust auf die Matratze. »Sollen sie doch jemand anders finden. Du hast genug aufs Spiel gesetzt. Nicht einmal Ihre Hoheit würde mehr von dir verlangen.«

»Trotzdem würde ich mehr tun. Und du auch. Wie könntest du nicht? Du liebst sie.«

»Und du?«, fragte sie stockend. »Liebst … du sie?«

Ich drückte Kate an mich. »Nur als meine Prinzessin. So viel verdient sie, glaube ich.«

In meinen Armen liegend, murmelte Kate: »Es heißt, ihre Mutter hätte unter einem Fluch gestanden. Manchmal frage ich mich, ob Elizabeth denselben Fluch in sich trägt. Robert Dudley hat sich ihr zu Füßen geworfen. Sein Vater ebenfalls. Doch als sie ihnen einen Korb gab, stürzten sie sich auf sie wie die Wölfe. Ist es möglich, dass der Zauber, den sie ausübt, Männer genauso schnell in Hass verfallen lässt, wie er sie zur Liebe treibt?«

»Ich bete um ihretwillen zu Gott, dass das nicht der Fall ist. Du auch?«

Sie seufzte. »Jetzt gerade nicht.«

22

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag ich allein im Bett. Erst war ich beunruhigt, aber dann lachte ich leise vor mich hin. Vergnügt fuhr ich mir mit der Hand durch das zerzauste Haar. Der Klapptisch war weggeräumt worden, die Hocker standen in einer Reihe vor der Wand. Säuberlich gefaltet lagen meine Kleider auf einem Stoß vor dem Bett. Kate musste sie mir gebracht haben, als ich noch schlief. Ansonsten wies der Raum keinerlei Spuren ihrer Anwesenheit auf.

Ich wollte gerade aus dem Bett schlüpfen, als die Tür aufging. Mit Handtuch, einem Waschzuber und einer kleinen Kiste beladen, erschien Kate. Wieder trug sie ihr goldbraunes Cape. Das Haar hatte sie sich zu Zöpfen geflochten, sodass man meinen konnte, sie hätte eine ereignislose Nacht hinter sich. Als sie ihre Last abstellte, umarmte ich sie und erstickte ihren matten Protest mit meinen Lippen. Einen Moment lang drückte sie sich an mich, doch dann schob sie mich weg.

»Das genügt.« Sie trat ein paar Schritte zurück und nahm das Tablett an sich. »Unten wartet Walsingham. Er will dich gleich nach dem Frühstück sehen.«

»Frühstück? Ich brauche andere Nahrung viel dringender.« Wieder griff ich nach ihr.

Leicht und flüchtig wie Löwenzahnsamen schwebte sie davon. »Du wirst dich mit dem begnügen müssen, was du gestern Nacht bekommen hast. Mehr gibt es nicht von mir, solange du mir nicht ein Haus baust.« Sie warf mir das Handtuch zu.

»Und das sagt mir die übermütige Frau, die mir erst gestern geschworen hat, dass sie restlos glücklich ist?«

»Eine Frau kann es sich immer anders überlegen. Und jetzt benimm dich, wenn ich dich wasche.«

Folgsam nahm ich eine scherzhafte Büßerhaltung ein, auch wenn es mich enorme Anstrengung kostete, sie nicht zu umarmen, während sie mich von oben bis unten einseifte, ohne darauf zu achten, was sie alles abschrubbte. Erst als sie den Verband öffnete, um ihn zu wechseln, stieß ich einen Aufschrei aus. »Tut es weh?«, fragte sie.

»Ein bisschen.« Ich riskierte einen Blick auf die Wunde. Sie war so hässlich, wie ich erwartet hatte. »Faulig?«

»Am Anfang war sie das. Aber du hattest Glück. Die Kugel hat dich nur gestreift und nichts als ein paar Hautschichten abgerissen.« Sie nahm einen Glastiegel mit einer grünen Salbe darin aus der Truhe und trug die Tinktur auf meiner Schulter auf. Regungslos stand ich da und ließ es geschehen. Wie Mistress Alice verstand sich offenbar auch Kate auf heilende Kräuter.

»Das ist ein französisches Hausmittel«, erklärte sie. »Rosmarin, zerstoßene Pistazien und Rosenöl. Es beschleunigt die Heilung.« Mit flinken Fingern legte sie mir einen frischen Verband an und verknotete ihn in der Achselhöhle. »So, das muss genügen. Das mag zwar unbequem sein, aber ich denke, an ein paar Tagen mehr im Bett wirst du nicht vorbeikommen.«

Ich zwickte sie sanft in die Nasenspitze. »Du kennst mich zu gut.«

Sie half mir in meine Kleider: Hemd, neues Lederwams, Hose und ein Gürtel mitsamt Tasche. Und zu meiner Verwunderung stellte sie ein nagelneues Paar Stiefel in meiner Größe vor mich hin.

»Peregrine hat sie am Markt gekauft. Sich selbst hat er eine Kappe und einen Umhang besorgt. Er sagt, er wird dein Page sein, wenn du erst einmal reich bist.«

»Da wird er aber lange warten müssen.« Ich drehte mich zu ihr um. »Vorzeigbar?«

»Ein Prinz!« Sie trug Brot, Käse und ein dunkles Ale auf. Gemeinsam aßen und tranken wir, doch ich spürte, dass sie besorgt war.

»Hast du schlechte Nachrichten?«, fragte ich schließlich.

»Bei Walsingham sind sie das fast immer. Aber ich habe keine Ahnung, was er diesmal will. Er hat bloß gesagt, dass ich dich holen soll.« Sie schnitt eine Grimasse. »Jetzt, da ich nicht länger benötigt werde, bin ich in seinen Augen nur noch eine unwissende Frau. Da hat es auch nichts zu besagen, dass ich mindestens ebenso fähig bin wie die Radaubrüder, die er in seine Dienste nimmt, Schlösser öffnen und, was Intrigen betrifft, es mit jedem Höfling aufnehmen kann.«

»Ganz zu schweigen von deinem Temperament. Wenn ich er wäre, würde ich mich vor dir in Acht nehmen.«

»Wenn sich jemand in Acht nehmen muss, dann du.« Kate stellte sich dicht vor mich, wie an jenem Nachmittag in der Galerie des Greenwich Palace. »Was immer er von dir will, du kannst sicher sein, dass es gefährlich wird.«

»Ich dachte, er hätte geholfen, mir das Leben zu retten«, hielt ich ihr vor.

»Das hat er auch. Aber das bedeutet nicht, dass ich es ihm anvertrauen würde. Er ist eine Schlange und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Wie ich das sehe, kann nicht einmal Cecil ihn kontrollieren.« Ihre Stimme begann zu beben. »Versprich mir, dass du dich auf nichts Gefährliches einlässt. Ich habe gesagt, dass ich zu Ihrer Hoheit nach Hatfield gehe, und das werde ich auch, aber ich will mich nicht vor Sorge um dich verzehren.«

»Das verspreche ich dir«, gelobte ich mit einem feierlichen Nicken. »So, und jetzt zeig mir den Weg.«

Sie deutete auf die Tür. »Die Treppe hinunter und dann nach rechts. Er ist im Herrenzimmer. Am anderen Ende der Vorhalle.« Sie wandte sich ab. »Ich bin im Garten und hänge Wäsche auf.«

Bei der Vorstellung von Kate als Wäscherin musste ich unwillkürlich grinsen, während ich die Treppe hinuntereilte und mir den Weg durch das Landhaus suchte. Es war eher spärlich eingerichtet, was nach dem Überfluss am Hof eine wohltuende Abwechslung darstellte. Ich durchquerte die Vorhalle und blieb vor einer Tür stehen. Das musste das Herrenzimmer sein. Ich holte tief Luft.

Dann stieß ich entschlossen die Tür auf. Wie Kate drängte sich auch mir bei Walsinghams Anblick der Vergleich mit einer Schlange auf. Daran vermochte auch sein angeblicher Beitrag zu meiner Rettung nichts zu ändern. Viel eher zermürbte es mir die Nerven, dass der Mann mir seit meiner Ankunft in Whitehall wie ein Schatten gefolgt war. Bis zu jener Nacht auf der Mauer des Greenwich Palace hatte er immer nur beobachtet, ohne jemals einzugreifen. Seine Motive waren mir alles andere als geheuer, doch ich verbarg mein Unbehagen, als ich seine hagere Gestalt am Pult sitzen sah, vor ihm Urian, den Kopf auf seine Oberschenkel gelegt.