Dicke Wollteppiche dämpften unsere Schritte. Die Luft roch stark nach Wachs und Moschus. Von den mit Kerzen gespickten Lüstern, die an den Deckenbalken hingen, tropfte stetig Wachs herunter. Die Klänge einer unsichtbaren Laute wehten an unsere Ohren, während Höflinge vorbeihuschten, und die Juwelen an ihrem Damast und Samt glitzerten wie schillernde Schmetterlingsflügel.

Niemand achtete auf mich, doch ich hätte mich nicht einmal dann unbehaglicher fühlen können, wenn jemand mich angehalten und nach meinem Namen gefragt hätte. Ich überlegte, ob ich mich jemals in diesem Labyrinth zurechtfinden, geschweige denn mir den Weg zu und von Lord Roberts Gemächern würde merken können.

»Am Anfang wird man von alldem regelrecht erschlagen«, meinte Cecil, als hätte er meine Gedanken gelesen, »aber Ihr gewöhnt Euch mit der Zeit daran. So ist es uns allen ergangen.«

Ich stieß ein unsicheres Lachen aus. Im Innenhof hatte sein Äußeres einnehmend gewirkt, doch hier, in der endlos langen Galerie, deren Erhabenheit uns alle wie Zwerge erscheinen ließ, ähnelte er auf einmal den Kaufleuten, die regelmäßig zu Dudleys Burg kamen, um dort ihre Waren feilzubieten – kleine Händler, die gelernt hatten, die Wechselfälle des Lebens frohgemut und wachsam zu überdauern, und sich so eine behagliche Nische geschaffen hatten.

»Ihr habt einen bestimmten Gesichtsausdruck«, erklärte Cecil. »Ich empfinde ihn als erfrischend.« Er lächelte. »Er wird nicht lange erhalten bleiben. Die neuen Eindrücke verblassen schnell. Bevor Ihr es Euch verseht, werdet Ihr darüber klagen, wie beengt hier alles ist und dass Ihr für eine Prise frischer Luft alles hergeben würdet.«

Eine Gruppe von lachenden Frauen mit eindrucksvollem Kopfputz und klirrenden Duftkugeln um die Taillen schwebte auf uns zu. Ich gaffte sie mit offenem Mund an. Noch nie hatte ich etwas derart Raffiniertes gesehen. Und als eine von ihnen mich verführerisch anblinzelte, vergaß ich alles, was ich gelernt hatte, und trat dicht heran, so verzaubert war ich von ihrer erlesenen Blässe. Sie lächelte mich an, nur um sich dann abzuwenden, als gäbe es mich gar nicht. Benommen starrte ich ihr nach. Neben mir hörte ich Cecil leise lachen, während wir um die nächste Ecke bogen und in einen menschenleeren Gang traten.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte: »Wie lange lebt Ihr schon hier?« Bereits während ich sprach, befielen mich Zweifel, und ich überlegte, ob er mich nicht vielleicht für zu forsch halten würde. Dann wiederum beschwichtigte ich mich damit, dass ich nie etwas lernen würde, wenn ich keine Fragen stellte. Außerdem war auch er nur ein Bediensteter. Unabhängig davon, dass er einen höheren Rang einnahm als Master Shelton, empfing er seine Befehle von Lady Dudley.

Einmal mehr wurde mir sein rätselhaftes Lächeln zuteil. »Ich lebe nicht hier. Ich habe mein eigenes Haus in der Nähe. Gemächer am Hof sind für diejenigen reserviert, die sie sich leisten können. Wenn Ihr wissen wollt, welche Funktion ich ausübe, dann sage ich Euch, dass ich erster Sekretär Seiner Lordschaft, des Herzogs, und der Ratsversammlung bin. Gewissermaßen speist uns dieselbe Hand.«

»Oh.« Ich bemühte mich um einen lässigen Ton. »Ich verstehe. Ich wollte Euch nicht zu nahe treten, edler Herr.«

»Wie gesagt, ›Master Cecil‹ genügt vollauf. Hier gibt es auch ohne unser Zutun schon genügend Gespreiztheit.« Ein schalkhaftes Glimmern hellte seine blassen Augen auf. »Und Ihr braucht Euch nicht kleiner zu machen, als Ihr seid. Es geschieht nicht oft, dass ein Höfling die Ehre hat, mit jemandem zu sprechen, der frei von jeder Verstellung ist.«

Ich schwieg, als wir die Treppenflucht hinaufstiegen. Der Korridor, den wir oben erreichten, war schmäler als die Prunkgänge. Statt Wandbehängen und Teppichen gab es hier nackte Mauern und Holzbohlen.

Vor einer von mehreren identisch aussehenden Türen blieb Cecil stehen. »Das sind die Gemächer der Söhne des Herzogs. Ich weiß nicht, welcher von ihnen oder ob überhaupt einer anwesend ist. Von ihnen hat jeder seine Aufgaben. Wie auch immer, ich muss Euch hier zurücklassen.« Er seufzte. »Die Arbeit eines Sekretärs hört leider nie auf.«

»Danke, Master Cecil.« Wegen der Satteltasche, die ich mir aufgeladen hatte, fiel meine Verbeugung weit weniger aufwändig aus, auch wenn ich ihm für seine freundliche Hilfe aufrichtig dankbar war. Ich spürte, dass er sich eigens Umstände gemacht hatte, damit ich mir am Hof weniger verloren vorkam.

»Gern geschehen.« Er zögerte, während er mich nachdenklich musterte. »Prescott …«, murmelte er. »Euer Nachname hat lateinische Wurzeln. Reicht er in Eurer Familie weit zurück?«

Seine Frage traf mich völlig unvorbereitet. Kurz geriet ich in Panik, weil ich nicht wusste, wie oder ob ich überhaupt antworten sollte. Wäre es besser, ihm unverfroren ins Gesicht zu lügen oder darauf zu setzen, dass ich vielleicht einen neuen Freund gefunden hatte?

Ich entschied mich für Letzteres. Irgendetwas an Cecil erweckte mein Vertrauen, aber den Ausschlag gab vor allem die Überlegung, dass er es bereits wusste. Er war darüber im Bilde, dass ich an den Hof gebracht worden war, um Lord Robert zu dienen. Da war die Annahme doch logisch, dass Lady Dudley, wenn nicht sogar der Herzog selbst, ihm auch andere, weniger schmeichelhafte Wahrheiten über mich erzählt hatte. Es war ja nicht so, als wäre ich ihrer Verschwiegenheit wert. Und wenn ich jemanden, der ihr Vertrauen genoss, mit einer groben Unwahrheit abspeiste, konnte das die wenigen Aussichten, die ich hatte, es am Hof zu etwas zu bringen, im Ansatz zunichtemachen.

Ich erwiderte seinen sanften Blick und sagte: »Prescott ist nicht mein wirklicher Name.«

»Oh?« Seine Augenbrauen wanderten nach oben.

Erneut befielen mich Zweifel. Noch hatte ich Zeit, es mir anders zu überlegen. Noch konnte ich ihm eine Erklärung geben, die nicht allzu weit von der Wahrheit abwich. Ich hatte keine Ahnung, warum ich das nicht tat, warum ich das überwältigende Bedürfnis verspürte, die Wahrheit zu sagen. Nie hatte ich einem Menschen wissentlich das Geheimnis meiner Geburt anvertraut. Von dem Tag an, da ich entdeckt hatte, dass mein persönlicher Mangel mich zur Zielscheibe von Sticheleien und grausamen Mutmaßungen machte, hatte ich mir vorgenommen, nur immer das Nötigste über mich preiszugeben. Es bestand kein Anlass, Einzelheiten zu verraten, die keiner hören wollte, oder Spekulationen herauszufordern.

Doch in seinen Augen spürte ich eine stille Nachdenklichkeit, die mir das Gefühl vermittelte, dass er mich verstehen, vielleicht sogar Anteil nehmen würde. Mistress Alice hatte mich oft so angeschaut und ein Verständnis gezeigt, das auch den kompliziertesten Wahrheiten keineswegs auswich. Ich hatte gelernt, diese Eigenschaft zu schätzen.

Ich holte tief Luft. »Ich bin ein Findelkind. Mistress Alice, die Frau, die mich aufgezogen hat, hat mir meinen Namen gegeben. In früheren Zeiten haben oft Kinder mit dem Namen Prescott im Pfarrhaus gelebt. Dort wurde ich auch gefunden – im ehemaligen Pfarrhaus in der Nähe von Dudley Castle.«

»Und Euer Vorname?«, erkundigte er sich. »Geht der auch auf Mistress Alice zurück?«

»Ja. Sie stammte aus Irland. Sie verehrte den heiligen Brendan aus tiefstem Herzen.«

Ein bedrückendes Schweigen trat ein. Die Iren waren in England wegen ihrer Aufsässigkeit verhasst, doch bisher hatte mein Name nie übermäßige Neugier geweckt. Während ich auf Cecils Antwort wartete, befiel mich wieder die Furcht, einen Fehler begangen zu haben. Zwar konnte man den Nachteil, ein uneheliches Kind zu sein, mit viel Fleiß durchaus ausgleichen, doch nur wenigen gelang der Aufstieg. In der Regel war man aufgrund des fehlenden Stammbaums im besten Fall zu einem Leben als namenloser Knecht verdammt, und im schlimmsten zu einem Bettlerdasein.

Schließlich sagte Cecil: »Wenn Ihr von ›Findelkind‹ sprecht, meint Ihr damit wohl, dass Ihr ausgesetzt wurdet?«

»Ja. Ich war höchstens eine Woche alt.« Obwohl ich mir alle Mühe gab, ungerührt zu wirken, hörte ich die nur zu vertraute Anspannung in meiner Stimme, die Last meiner Hilflosigkeit. »Mistress Alice musste in der Stadt eine Amme verpflichten, damit ich gestillt werden konnte. Wie es das Schicksal so wollte, hatte dort gerade eine Frau ihr Kind verloren, sonst hätte ich vielleicht gar nicht überlebt.«

Er nickte. Bevor sich erneut verlegene Stille über uns senken konnte, plapperte ich weiter. »Mistress Alice hat oft gesagt, die Mönche hätten Glück gehabt, dass ich nicht vor ihrer Tür ausgesetzt worden bin. Ich hätte ihnen gewiss die Speisekammer leer gegessen – und was hätten sie dann noch gehabt, um den Sturm zu überstehen, den der alte Henry für sie zusammengebraut hat?«

Ich war schon in Lachen ausgebrochen, als ich meinen Fehler bemerkte. Ich hatte mich zur Religion geäußert, die am Hof wohl nicht gerade ein sicheres Thema war. Fast hätte ich noch hinzugefügt, dass es laut Mistress Alice nur eines gab, was noch größer war als mein Appetit: mein Mundwerk.

Cecil blieb stumm. Schon hielt ich mir vor, dass ich mir jetzt mit meiner Indiskretion Scherereien eingebrockt hatte, als er murmelte: »Wie schrecklich für Euch.«

Die gefühlvollen Worte fanden keine Entsprechung in seinen forschenden Augen, die mich fixierten, als wollte er sich mein Gesicht für immer einprägen. »Diese Mistress Alice … könnte es sein, dass sie wusste, wer Eure Eltern waren? Solche Dinge geschehen normalerweise in der näheren Umgebung. Ein unverheiratetes Mädchen gerät in andere Umstände und schämt sich zu sehr, um sich jemandem anzuvertrauen – das kommt leider viel zu oft vor.«

»Mistress Alice ist tot«, sagte ich tonlos. Manche Wunden waren zu schmerzhaft, als dass ich sie verschweigen konnte. »Sie wurde auf der Straße nach Stratford von Räubern überfallen. Wenn sie irgendetwas über meine Eltern wusste, hat sie das mit ins Grab genommen.«

Cecil senkte die Augen. »Es tut mir leid, das zu hören. Jeder Mensch sollte wissen, woher er kommt.« Unvermittelt beugte er sich näher zu mir. »Ihr dürft Euch davon nicht entmutigen lassen. In unserem neuen England können es selbst Findelkinder weit bringen. Das Schicksal lächelt oft den am wenigsten Begünstigten.«

Er wich zurück. »Es war mir ein Vergnügen, Junker Prescott. Bitte zögert nicht, Euch an mich zu wenden, solltet Ihr irgendetwas benötigen. Ich bin leicht zu finden.«

Einmal mehr schenkte er mir dieses rätselhafte Lächeln, dann drehte er sich um und schritt davon.

3

Ich blickte Master Cecil nach, während er sich entlang der Galerie entfernte, dann holte ich tief Luft und wandte mich zur Tür. Ich klopfte. Keine Antwort. Ich pochte noch einmal und drückte versuchsweise die Klinke. Die Tür ging auf.

Ich trat ein und erkannte, dass die Gemächer – wie Cecil sie bezeichnet hatte – aus einer einfachen Schlafkammer bestanden, die zum größten Teil von einem Bett mit durchhängendem Baldachin ausgefüllt wurde. Zerkratzte Täfelungen schmückten die untere Hälfte der Wände, und das kleine Fenster war mit grünlichen Rauten verglast. Ein brennender Kerzenstumpf schwamm in Öl in einer Schale auf dem Tisch. Strohmatten lagen über den Boden verteilt, großzügig garniert mit ganzen Haufen besudelter Kleidung, dazwischen achtlos hingeworfenes Besteck und benutztes Geschirr. Der Geruch war ekelerregend, eine Mischung aus ranzigen Essensresten und Schmutzwäsche.

Ich ließ meine Satteltasche an der Türschwelle fallen. Manche Dinge änderten sich offenbar nie. Selbst am Hof hausten die jungen Dudleys noch wie im Schweinestall.

Aus dem Bett dröhnte ein Schnarchen. Vorsichtig trat ich näher. Unter meinen Sohlen knirschten Knochen, die sich in den Strohmatten festgetreten hatten. Einer Lache von Erbrochenem ausweichend, zog ich den Vorhang beiseite. Die Ringe klirrten an der Stange. Ich sprang zurück, halb darauf gefasst, die ganze Dudley-Sippe johlend und die Fäuste schwingend über mich herfallen zu sehen, genau wie in meiner Kindheit.

Stattdessen lag nur eine einzige Gestalt mit ausgebreiteten Gliedern auf dem Bett, Hose und Hemd zerknittert, das verfilzte Haar von der gleichen Farbe wie verschmutztes Getreide, dazu die unverkennbare Ausdünstung von billigem Bier. Guilford, das Nesthäkchen der Meute, ganze siebzehn Jahre alt und in trunkener Betäubung niedergestreckt.

Ich kniff in seine über den Bettrand baumelnde Hand. Als dies nur ein weiteres röchelndes Schnarchen hervorrief, rüttelte ich ihn an der Schulter.

Er ruderte mit den Armen und hob sein verquollenes Gesicht, in das sich die Kissenfalten geprägt hatten. »Hol dich der Teufel«, lallte er.

»Euch ebenfalls einen guten Abend, Mylord Guilford«, erwiderte ich. Zur Sicherheit trat ich noch einen Schritt zurück. Obwohl er der jüngste der fünf Dudley-Sprösslinge war, gegen den ich öfter gesiegt als verloren hatte, wollte ich in meiner ersten Stunde am Hof nicht gleich eine Tracht Prügel riskieren.