Ich hatte die Prüfung also bestanden, auch wenn das meine Anspannung keineswegs minderte. Der Kronrat hatte Mary wegen ihres Glaubens verfolgt. Und meine Verbindung mit ihm, so unbedeutend sie auch war, versetzte mich nun in eine gefährliche Zwangslage.
Sie blieb beim Tisch stehen. »Allmählich wirft Euer Verhalten bei mir Fragen auf. Ihr kommt aus dem Nichts und versäumt es, mir einen Namen zu nennen. Dann riskiert Ihr Euer Leben, um uns das Entkommen zu ermöglichen. Ihr werdet für verlässlich genug erachtet, um vertrauliche Briefe durch das Land zu tragen, spielt jedoch bei Angelegenheiten, die umfassende Kenntnisse erfordern, den ahnungslosen Toren. Ich würde gern genau wissen, mit wem ich es zu tun habe.«
Ich schluckte, obwohl meine Kehle ausgetrocknet war. Meine Worte sorgfältig abwägend, erwiderte ich: »Eure Majestät, ich versichere Euch, dass ich ohne jede Bedeutung bin. Ich habe getan, wofür ich bezahlt wurde. Was die Tatsache betrifft, dass ich mein Leben aufs Spiel gesetzt habe, müsst Ihr wissen, dass Lord Roberts Männer da schon beschlossen hatten, ihn im Stich zu lassen. Ferner sollte Euch mittlerweile bekannt sein, dass mein Name Daniel Beecham ist.«
»Ich habe ihn in der Tat erfahren, wenn auch nicht von Euch.« Sie griff nach einer Feder. »Warum hat man Euch dafür ausgewählt, das Schreiben des Kronrats zu überbringen? Es gibt doch sicher andere, die man hätte losschicken können, Männer, die ich wahrscheinlich erkennen würde.«
Wieder kamen mir Elizabeths Worte in den Sinn: Ich liebe meine Schwester, aber sie ist keine vertrauensvolle Frau. Das Leben hat sie so werden lassen.
Ich brachte ein Lächeln zustande. »Eure Majestät müssen wissen, wie solche Dinge zustande kommen. Ich hatte bereits einige Gänge erledigt. Und dann widerstrebte es den hohen Herren, selbst eine Reise anzutreten, sodass man mir Geld für die Erledigung dieses Auftrags bot. Abgesehen davon – wäre mir unterwegs irgendetwas zugestoßen … nun ja, mich kann niemand so ohne Weiteres mit bestimmten Personen in Verbindung bringen.«
Sie schnaubte. »Mit anderen Worten: Ihr seid verzichtbar – ein Mietling.«
»Sind das denn nicht die meisten Männer, Eure Majestät?«, erwiderte ich, woraufhin sie mir unverwandt in die Augen starrte.
»Ich habe wenig Erfahrung mit Männern, Master Beecham. Und das Wenige, was ich über sie weiß, sagt mir, dass mehr an Euch ist, als Ihr verraten wollt. Das Leben hat mich das eine oder andere über verborgene Motive gelehrt.« Mit erhobener Hand gab sie mir zu verstehen, dass sie noch nicht fertig war. »Aber es ist nicht nötig, mehr dazu zu sagen. Ich werde nicht weiter in Euch dringen. Barnaby Fitzpatrick bekundet hohe Achtung vor Euch, und Ihr habt Eure Treue bewiesen. Ihr werdet selbstverständlich an meinem Hof willkommen sein, sobald ich zur Königin ausgerufen bin. Denn – und täuscht Euch da nicht – Königin werde ich sein. Nicht einmal der Herzog kann sich gegen diejenigen durchsetzen, die von Gott bestimmt worden sind.«
»Ich bete dafür, dass es so sein wird«, antwortete ich. Ich glaubte ihr tatsächlich. Was sie auch sonst alles sein mochte, feige war Mary Tudor nicht. Dudley hatte allem Anschein nach nicht nur eine Prinzessin unterschätzt.
Mit einem kühlen Lächeln zog sie sich zu einem Stuhl zurück, womit sie mehr als nur räumliche Distanz zwischen uns schuf. Ihre nächsten Worte verrieten die Unnahbarkeit einer Frau, die sich mit dringenderen Angelegenheiten zu beschäftigen hat. »Wie Ihr sicher verstehen werdet, bin ich gegenwärtig nicht in der Lage, Euch zu belohnen, doch Ihr habt mein feierliches Versprechen, dass Ihr die Euch gebührende Entschädigung erhaltet, sobald ich den Thron unangefochten bestiegen habe. Wenn Ihr bis dahin irgendetwas benötigt, lasst es bitte Rochester wissen.«
Ich verneigte mich, widerstand jedoch dem plötzlichen Drang, mich zurückzuziehen. Womöglich bekam ich nie wieder eine zweite Gelegenheit.
»Ich erwarte keine Belohnung dafür, dass ich meiner Königin gedient habe«, hörte ich mich sagen und wunderte mich über meinen ruhigen Ton, denn mein Herz pochte laut und schnell. »Aber etwas gibt es, worum ich Eure Majestät bitten möchte, wenn ich es wagen darf?«
»Ja?« Sie legte die Hände in den Schoß und neigte den Kopf neugierig zur Seite.
»Nur ein paar Fragen, das ist alles; zur Befriedigung meiner Neugier.« Ich zögerte. Auch wenn es nicht zu sehen war, spürte ich, dass ich begonnen hatte zu zittern. »Euer Vater, König Henry der Achte, hatte doch zwei Schwestern. Und Herzogin Mary von Suffolk – war sie die Jüngste?«
»Ja. Margaret Douglas, die verwitwete Königin von Schottland, war die Älteste.«
»Ich verstehe. Eure Majestät, ich möchte nicht unverschämt erscheinen, aber war Eure verstorbene Tante, Mary von Suffolk, nicht auch als die Tudor-Rose bekannt?«
Sie musterte mich mit jenem eindringlichen Blick, der, wie ich jetzt wusste, anders als bei Elizabeth weniger von angeborenem Scharfsinn herrührte, sondern vielmehr von Misstrauen, das nach langen Jahren in einem Klima des Verrats ihre Gutmütigkeit verdrängt hatte. Nach reiflichem Überlegen nickte sie. »Es ist nicht allgemein bekannt, aber ja, sie wurde im Kreis unserer Familie tatsächlich so genannt. Wie habt Ihr davon erfahren?«
Plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals. Nervös benetzte ich mir die Lippen. Sie fühlten sich an wie Pergament. »Ich habe es einmal am Hof gehört. Müßiges Gerede.«
»Gerede, sagt Ihr? Nun ja, meine Tante Mary plauderte in der Tat gern und viel.« Sie verstummte, und ihr Blick richtete sich in die Ferne. »Ich wurde nach ihr getauft. Sie war wie ein Engel, sowohl dem Aussehen nach als auch im Herzen. Ich betete sie an. Mein Vater ebenso. Er war es, der sie die Rose nannte.«
Plötzliche Trauer schnürte mir die Brust zu. Ein wunderschöner Engel, innerlich wie äußerlich …
»Dieses Interesse an unserer Geschichte«, fuhr Mary fort, »ist es für jemanden von Eurem Stand nicht ungewöhnlich?«
Obwohl ich mich immer noch am Rande eines Abgrunds sah, ging mir die Lüge flott über die Lippen, als hätte ich mich schon Tausende von Malen darin geübt. »Die Begeisterung eines Liebhabers, Eure Majestät. Der Stammbaum von Königshäusern ist ein Steckenpferd von mir.«
Sie schenkte mir ein warmes Lächeln. »Das kann ich nur begrüßen. Bitte fahrt fort.«
»Ich weiß natürlich von der überlebenden Tochter der verstorbenen Herzogin.« Auf einmal kam ich mir vor, als stünde ich neben mir und lauschte einem Fremden. »Bekam sie jemals auch einen Sohn?«
»Allerdings. Sie bekam sogar zwei. Beide erhielten den Namen Henry. Einer starb 1522, der andere 1534, ein Jahr nach ihr. Es war eine Tragödie für seinen Vater. Nur wenige Jahre später verlor Suffolk die Söhne aus seiner zweiten Ehe, ehe er selbst 1545 starb.«
»Woran sind diese anderen Söhne gestorben?«, fragte ich, während mir ein eisiger Schauer über den Rücken kroch.
Sie überlegte. »Am Schweißfieber, glaube ich. Aber Kinder sind ja für so vieles anfällig.« Sie seufzte. »Wenn ich mich richtig erinnere, hat meine Cousine ihr dabei geholfen, sie zu pflegen, als sie krank wurden. Sie selbst hatte das Schweißfieber gehabt und überstanden, konnte sich also nicht mehr anstecken. Der Tod der beiden muss sie schwer getroffen haben. Die eigenen Brüder zu verlieren ist eine schreckliche Bürde.«
Ich unterdrückte ein bitteres Auflachen. Sämtliche männlichen Erben der Suffolks waren im Kindesalter gestorben. Auf diese Weise also hatte die Herzogin Titel und Vermögen geerbt! Und alle glaubten, dass das Zufall war?
»Und Mary Suffolk?«, fragte ich. Ich musste einfach über ihr Schicksal Bescheid wissen, brauchte Gewissheit, gleichgültig, wie schmerzhaft diese für mich sein würde. »Wie ist sie gestorben?«
»An irgendeinem Fieber. Mir wurde gesagt, dass sie schon einige Zeit krank gewesen war … Schwellungen und noch andere Leiden. Sie wurde nicht alt. Bei ihrem Tod war sie etwa so alt wie ich heute. Wir hatten uns lange nicht mehr gesehen. Ihr gefielen die Umstände nicht, unter denen mein Vater am Ende hatte leben wollen, und sie zog sich vom Hof auf ihr Gut in East Anglia zurück.« Ihre Züge strafften sich. »Nur wenige haben sich die Zeit genommen, um sie zu trauern. Es war im Juni. Alle warteten darauf, was bei der Schwangerschaft dieser Boleyn herauskommen würde.«
Sie verstummte. Auch wenn sie nicht darüber sprach, war ihr anzumerken, dass sie mit sich kämpfte. Hier also lag die Wurzel der Zwietracht zwischen ihr und ihrer jüngeren Schwester.
Nach einer Weile fuhr sie fort: »Ich erinnere mich deswegen noch an die Einzelheiten, weil ein paar Wochen nach Charles von Suffolks Beerdigung sein Haushofmeister zu mir kam. Ein strammer Mann – sehr anständig. Er hatte eine schreckliche Narbe von der Schläfe bis hinunter zur Wange. Ich fragte ihn, was es damit auf sich hatte. Er sagte, er hätte in den schottischen Kriegen gedient. Armer Mann. Der Tod seines Herrn schien ihn schwer getroffen zu haben. Aber was ich am lebhaftesten in Erinnerung behalten habe, ist ein Schmuckstück, das er mir brachte. Mary hatte es mir offenbar in ihrem letzten Willen hinterlassen, aber es war mir nicht zugesandt worden. Ich habe es immer noch. Ein goldenes Artischockenblatt, das ihr dieser korrupte französische König François der Erste geschenkt hatte. Nach dem Tod ihres ersten Gemahls, Louis von Frankreich, hatte er Ränke geschmiedet, um sie mit Charles Brandon zu verheiraten.«
Meine Knie drohten, unter mir nachzugeben.
Mary indes lächelte versonnen. »Dieses Schmuckstück bedeutete ihr sehr viel; es war fast alles, was ihr noch geblieben war, als ihr endlich die Rückkehr nach England gestattet wurde. Am Ende ging alles gut aus, aber eine Zeit lang drohte mein Vater ihr, sie und Brandon wegen Eigenmächtigkeit im Tower einzukerkern. Er verhängte jedenfalls eine hohe Geldstrafe, die sie nie ganz abzahlen konnten, obwohl Mary ihren ganzen Schmuck verpfändete. Nur dieses eine Stück behielt sie. Einmal vertraute sie mir an, dass diese Artischocke das Gute und das Schlechte in ihrem Leben repräsentierte, das Leid und die Freude. Von ihm wollte sie sich unter keinen Umständen trennen.« Unvermittelt beugte sich Mary vor. »Master Beecham, ist Euch nicht wohl? Ihr seid so blass geworden.«
»Ich … bin müde, das ist alles«, brachte ich hervor. »Danke, dass Ihr mir Eure Zeit gewidmet habt. Ich kann Eurer Majestät gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet hat.«
»Ach, das habe ich mit Freuden getan. Es ist viel zu lange her, seit ich zuletzt an meine verstorbene Tante gedacht habe. Vielleicht zieht Ihr eines Tages in Erwägung, eine Familienchronik für mich zu erstellen. Ich würde Euch sehr gerne damit betrauen.« Sie drohte mir schelmisch mit dem Finger. »Ich wage zu behaupten, dass Euch das von weniger ehrenwerten Einkommensquellen fernhalten würde.«
»Es wäre mir eine Ehre.« Froh über das matte Licht, zwang ich mich zu einem Lächeln. »Aber jetzt würde ich mich mit der gnädigen Erlaubnis Eurer Majestät gerne zurückziehen.«
»Selbstverständlich.« Sie streckte mir die Hand entgegen. Als ich mich tief darüberbeugte, murmelte sie: »Ich glaube, ich schulde Euren gegenwärtigen Dienstherren eine Antwort. Kommt morgen wieder, dann werden wir sehen, ob ich eine bewerkstelligen kann.«
»Eure Majestät.« Ich küsste ihre trockenen, mit Juwelen geschmückten Finger.
Rochester führte mich zu einem Nebengebäude. In dem viereckigen Innenhof befand sich ein Trog, in dem ich mich waschen konnte, und im oberen Stockwerk wurde mir eine Kammer zugewiesen, wo ich alles Nötige vorfand. Ich zog mich bis auf die Kniehose aus und wusch mich in dem Wasser, wobei ich sorgsam darauf achtete, dass mir das Beinkleid nicht herunterrutschte. Dann ging ich nach oben und schloss die Tür hinter mir.
Auf dem Tisch wartete eine kalte Mahlzeit auf mich. Eigentlich hatte ich keinen Appetit und fragte mich, ob ich jemals wieder etwas essen würde. Doch dann band ich mein nasses Haar zu einem Pferdeschwanz und aß den Teller leer. Die Bedürfnisse des Körpers nehmen selten auf die Verzweiflung des Herzens Rücksicht.
Nachdem ich gegessen hatte, setzte ich mich auf die Kante der mit Stroh gefüllten Pritsche und zog erneut das Schmuckstück aus der Tasche. Es glänzte wie ein Stern. Ich strich mit den Fingerspitzen über eine der von Meisterhand geformten Adern, als gehörte sie zu einem lebenden Wesen. Inzwischen wusste ich, dass es weit gereist war, von Frankreich über den Ärmelkanal bis hierher. Es blickte auf ein ganzes Leben zurück, in dem es geliebt worden war. Ich blickte auf meine Lendengegend, wo unter den Kleidern das Geburtsmal meiner Mutter prangte.
Die Einzigen, die davon gewusst haben dürften, sind diejenigen, die mit der verstorbenen Herzogin eng vertraut waren …
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