Ich wußte, daß Salmonides an meinen Worten zweifelte wie so viele Heiden, aber nur deshalb, weil sie noch nicht daran glauben, daß Gott uns zu den Erben der Welt erkoren hat. Im Laufe dieses Nachmittags gab ich Salmonides einhundert Zuzim und schloß einen weiteren Vertrag mit ihm. Diesmal ging es um den Ankauf einer Gerstenernte, die bald eingebracht werden sollte. Wäre die Ernte ertragreich, würde ich sie mit Gewinn verkaufen. Sollte sie sich dagegen als dürr erweisen, dann hätte ich mein Geld verloren. Aus diesem Grund gab ich ihm nur die Hälfte und sparte den anderen Teil für künftige Notlagen auf. An diesem Abend befragte ich Eleasar über die Sittlichkeit und Moral meines Gewinns.»Kann diese Art von Verdienst so ehrbar sein wie das Geld, das man mit seiner Hände Arbeit verdient?«fragte ich. Doch er erwiderte, daß ich ja auch arbeitete, wenn nicht mit meinen Händen, so doch mit meinem Geist. Das Geld hätte ich nicht auf unzulässige Weise verdient. Und ich hätte es auch nicht auf Kosten anderer Juden erworben. Aus diesen Gründen war mein Handeln in Eleasars Augen gerechtfertigt.

Am nächsten Morgen begab ich mich für eine Besorgung abermals in die Stadt. In den acht Monaten, die seit meiner Schmach vergangen waren, hatte ich nicht für einen Augenblick die Frau namens Miriam vergessen, die ich beim Brunnen getroffen hatte und die mich mit nach Hause genommen hatte, um mir Nahrung zu geben und Zuflucht zu gewähren. Vor acht Monaten hatte sie mich aus Frömmigkeit und Nächstenliebe mit einem vollen Bauch und einigen Münzen in der Tasche meiner Wege ziehen lassen. Sie hatte mich auch von dem Gedanken an einen Selbstmord abgebracht. Heute würde ich in ihr Haus zurückkehren und sie für ihre Güte belohnen. Sie erkannte mich sofort und forderte mich auf einzutreten. Eine der vielen Frauen, die in diesem Haus wohnten, wusch mir die Füße und gab mir Brot und Käse. Als ich meinem Erstaunen über diese Behandlung Ausdruck verlieh, meinte Miriam:»Wir heißen einen zurückkehrenden Bruder stets willkommen.«

«Bin ich Euer Bruder?«fragte ich sie. Und als Antwort küßte sie mich auf die Wange. Als ich ihr den Beutel mit fünfundzwanzig Zuzim überreichte, nahm sie ihn in aller Bescheidenheit entgegen und versicherte mir, das Geld werde der Speisung vieler zugute kommen.

«Habt Ihr eine so große Familie?«fragte ich. Sie erwiderte:»Alle, die auf die Rückkehr des Meisters warten, gehören zu meiner Familie.«

Als ich noch mehr wissen wollte, hielt sie mich zurück und bat mich, noch ein Weilchen zu bleiben. Denn in Kürze werde ein Mann kommen, der meine Fragen beantworten könne. Und so kam es, daß mein Leben zum vierten Mal eine Wende nahm. Ich wartete in Miriams Haus, bis ein Mann namens Simon heimkam.

Judy ließ die Blätter fallen und sah Ben an. Sie rührte sich nicht und gab keinen Laut von sich. Aber in ihren Augen drückte sich alles aus, was in ihr vorging.

«Wir können das wohl nicht vor der Presse bewahren, oder?«

«Wenn das erst mal durchgesickert ist.«

«O Gott!«rief Ben plötzlich aus.»Warum muß das sein? Warum mußte das herauskommen?«Ben sprang auf und ballte die Fäuste.»Ist dies Teil deines Plans, David? Siehst du nicht, wie sehr es mich quält?«

Ben verstummte und starrte auf die gegenüberliegende Wand. Er atmete schwer. In seinen Augen lag etwas, das an Wahnsinn grenzte, eine Mischung aus Verwirrung und Wut. Dann, nachdem er einen Augenblick die Wand angestiert hatte, ließ Ben plötzlich seinen Kopf auf die Brust fallen, so daß er in Gebetshaltung oder wie ein reuiger Sünder dastand.

Als er sich schließlich aufrichtete und sein Blick auf Judy fiel, sagte er mit dumpfer Stimme:»Ich kann ihn sehen. aber Sie können es nicht.«

Fassungslos starrte Judy ihn an.

«Ja, hier ist er wieder. David Ben Jona. Eigentlich war er schon eine ganze Weile hier, nur war ich mir dessen bis gestern nicht bewußt. Er zeigte sich nicht, bis er sicher sein konnte, daß ich verstünde, warum er hier ist.«

Judys Blicke glitten über die blanke Wand und versuchten, die Erscheinung ausfindig zu machen, die aber nur Ben Messer zu sehen vermochte.»Wie könnte es möglich sein, daß er.«

«Ich weiß nicht, Judy. Es ist mir noch immer nicht ganz klar. Alles, was ich weiß, ist, daß der Geist David Ben Jonas hier an meiner Seite ist und daß er aus irgendeinem Grund.«- seine Stimme klang plötzlich belegt —,»daß er aus irgendeinem Grund zurückgekommen ist, um mich heimzusuchen. «Judy sprang auf.»Aber warum sollte er?«

«Ich weiß nicht. «Bens Stimme wurde schwächer. Er sprach in einem matten, gleichbleibenden Ton.»Aus irgendeinem Grund will David, daß ich seine Geschichte kenne. Er will, daß ich erfahre, was ihm passiert ist. Vielleicht hat es etwas mit dem Fluch Mose zu tun. Vielleicht ist es, weil sein Sohn die Rollen niemals zu lesen bekam. Wie kann ich das wissen? Alles, was ich weiß, ist, daß seine Wahl auf mich fiel.«

O Ben, dachte Judy außer sich, es ist weder der Fluch noch Davids Sohn und auch nicht David selbst! Kannst du das nicht begreifen? Es ist deine eigene Vergangenheit, die dich verfolgt! Ben hielt Judys Blick eine schier endlose Weile stand. Er starrte durch die Stille wie hypnotisiert in ihre Augen. Verkehrslärm drang von der Straße herauf, eine Fahrradklingel läutete hell, kreischende Kinderstimmen ließen sich vernehmen. Aber weder Ben noch Judy nahmen diese Geräusche wahr, denn sie gehörten in eine andere Zeit und in eine andere Wirklichkeit.

Endlich meinte Ben mit weicher Stimme:»Sie glauben mir, nicht wahr?«

Sie hielt für eine Sekunde den Atem an, dann flüsterte sie:»Ja, ich glaube Ihnen.«

Er seufzte, als ob ihm eine schwere Last von den Schultern genommen worden wäre.

«Gott sei Dank, daß ich Sie hier bei mir habe«, seufzte er, als er auf die Couch sank. Jetzt ist mir klar, weshalb Sie hier sind, dachte er bei sich, als sie sich neben ihm niederließ. Sie sind hier, weil David wußte, daß ich Sie brauchen würde.

Während Judy versuchte, ruhig zu bleiben und sich ihre Bestürzung nicht anmerken zu lassen, hob sie die Blätter mit der Übersetzung auf und las ein paar Zeilen laut vor. Sie wollte Ben damit wieder zur Vernunft bringen und versuchen, den Zauberbann zu brechen.»Ich möchte wissen, was die Zeitungen schreiben werden, wenn sie das erfahren.«

«Nun«, erwiderte Ben mechanisch,»Miriam und Simon waren geläufige Namen im alten Israel. Nichts weist darauf hin, daß es sich bei ihnen um Maria und Petrus handeln könnte.«

«Aber der Kuß auf die Wange. Diese Art der Begrüßung war nur unter den frühen Christen üblich; andere Juden kannten sie nicht.«

«Ja. ich weiß. Die Paulusbriefe. Sie denken also, daß diese Miriam dieselbe Maria ist, deren Haus das Zentrum der Nazaräer Kirche in Jerusalem war? Die Mutter von Markus?«

«Warum nicht?«

«Weil es lächerlich ist. Um Gottes willen, die Schriftrollen eines Anhängers Jesu. «Ben fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.»Die Chancen, daß es nicht so ist, sind. nun. Ich will einfach nicht glauben, daß wir ein echtes christliches Dokument in Händen halten.«

Daß ich nicht lache, dachte Judy. Daran willst du nicht glauben, aber gleichzeitig bist du überzeugt, von einem Mann verfolgt zu werden, der seit zweitausend Jahren tot ist.

Forschend schaute sie in Bens Gesicht. Nein, der Zauber hatte von ihm Besitz ergriffen. Durch nichts ließe Ben sich da wieder herausreißen. Wo immer sich sein Geist auch festgesetzt hatte, dort wollte er auch bleiben, aus Gründen, die nur ihm selbst bekannt waren.»Wie wär’s, wenn ich jetzt die Suppe warm mache?«Ben antwortete nicht.

«Ben, warum sollte ich Professor Cox anlügen?«

«Weil ich nicht zum Unterricht gehen will, bis das hier vorbei ist. David läßt es nicht zu. Ich muß hier bleiben.«

«Ich verstehe.«

Es war ein beunruhigender Gedanke: Ben, der sich von der Welt abschottete, sich immer mehr zurückzog, bis er eines Tages nie mehr in die Gegenwart zurückgebracht werden konnte. Es schien beinahe so, als befürchtete er, daß die Berührung mit der Wirklichkeit den dünnen Faden zerreißen könnte, der ihn mit David verband.

Kapitel Zwölf

Die Zwangsvorstellung wurde immer mächtiger. Wohin Ben sich auch wandte, David Ben Jona war da. Der Jude stand am Rande seiner Träume und beobachtete das Geschehen wie ein unbeteiligter Zuschauer. Als Ben in bizarren Alpträumen von Majdanek und seiner Kindheit in Brooklyn wieder mit der Vergangenheit kämpfte, stand David Ben Jona untätig dabei, als wollte er die Grenzen von Bens Leidensfähigkeit ergründen.

«Warum diese Träume?«murmelte Ben, als er am nächsten Morgen wieder unausgeschlafen und verstört erwachte.»Warum muß ich das erdulden? Ist es nicht genug, daß mich nach all diesen Jahren meine Vergangenheit wieder eingeholt hat und ich nicht mehr imstande bin, sie aus meinem Gedächtnis zu verbannen? Ich verstehe nicht, warum ich diese heftigen Alpträume haben muß!«

Er schleppte sich auf bleischweren Füßen durch die Wohnung, während sich das nebelhafte Gespenst David Ben Jonas dicht an seiner Seite hielt. Ben war nicht nach Essen zumute. Auch hatte er keine Lust, irgend etwas anderes zu tun, außer die nächste Rolle zu lesen. Vor vier Uhr nachmittags würde sie nicht eintreffen, und Ben fürchtete sich vor den Stunden des Wartens.

In der Hoffnung, daß er davon einschliefe, schenkte Ben sich ein großes Glas Wasser ein, trank es in einem Zug aus und legte sich erschöpft auf die Couch.

Judy mußte diesmal nicht an die Tür klopfen, denn zu ihrer großen Überraschung stand sie halb offen. Es war acht Uhr abends. Sie war sich sicher, daß Ben zu Hause war und an seiner Übersetzung saß, doch in der Wohnung brannte kein Licht.

Vorsichtig streckte sie ihren Kopf hinein.»Ben? Schlafen Sie? Ich bin’s.«

Totenstille.

«Ben?«Sie trat ganz ein und schloß leise die Tür hinter sich.

Die Wohnung war dunkel und kühl. In der Luft hing unverkennbar der Geruch nach Alkohol. Judy bemühte sich, etwas zu sehen. Als plötzlich etwas Warmes ihr Bein berührte, stockte ihr der Atem.»Oh, Poppäa!«rief sie.»Hast du mich vielleicht erschreckt!«Judy nahm die Katze auf den Arm und ging weiter in die Wohnung. Ben lag auf dem Wohnzimmerboden, neben einer leeren Weinflasche und einer leeren Scotch-Flasche. In unmittelbarer Nähe lag ein umgestoßenes Glas, inmitten eines roten Flecks auf dem Vorleger. Judy kniete sich neben ihn und schüttelte ihn an der Schulter.»Ben? Ben, wachen Sie auf.«

«Hm? Was gibt’s?«Sein Kopf rollte von einer Seite auf die andere.»Ben, ich bin’s, Judy. Ist alles in Ordnung?«

«Ja.«, lallte er.»Is schon gut.«

«Ben, wachen Sie auf. Es ist spät. Kommen Sie schon. «Er hob zitternd eine Hand und faßte sich an die Stirn.»Fühl mich hundeelend.«, stammelte er.»Ich glaub’, ich sterbe.«

«Heda«, flüsterte sie,»so schnell stirbt man nicht. Aber Sie müssen aufstehen. Wie sieht es hier aus!«

Endlich schlug Ben die Augen auf und versuchte, sie anzusehen.»Es war Davids Schuld, wissen Sie?«brachte er undeutlich hervor.»Er hat mich dazu getrieben. Ich habe zwei Stunden lang am Briefkasten gewartet, aber die Rolle ist nicht gekommen! Das hat er absichtlich getan. Er beobachtet mich, Judy. Die ganze Zeit über. Egal, was ich tue, dieser gottverdammte Jude steht immer neben mir.«

«Stehen Sie bitte auf.«

«Oh, wozu soll das gut sein? Es gibt keine Rolle. Wie soll ich das heute nacht und morgen nur durchstehen?«

«Seien Sie unbesorgt. Ich werde Ihnen helfen. Los jetzt. «Sie schob einen Arm unter seine Schultern und half ihm, sich aufzusetzen. Dabei schaute Ben in ihr Gesicht, das so dicht an dem seinen war, und murmelte:»Wissen Sie, früher fand ich nicht, daß Sie hübsch seien, aber jetzt sehe ich es.«

«Danke. Meinen Sie, Sie können aufstehen?«

Er umklammerte seinen Kopf mit den Händen und schrie:»David Ben Jona, du bist ein niederträchtiger Halunke! Ja. ich denke, ich kann aufstehen.«

Judy stöhnte, als sie Ben auf die Beine half. Es gelang ihr, ihn ins Badezimmer zu führen, wo sie das große, helle Licht einschaltete und ihn mit fester Stimme anwies, sich unter die Dusche zu stellen. Er gehorchte ohne Widerspruch. Als er sich auszog, drehte Judy das Wasser auf und ließ ihn dann allein. Im Schlafzimmer fand sie Kleider und Wäsche zum Wechseln, reichte sie ihm durch die Badezimmertür hinein und rief:»Lassen Sie sich nur Zeit!«Dann ging sie zurück ins Wohnzimmer und brachte es, so gut sie konnte, in Ordnung. Als Ben eine halbe Stunde später wieder herauskam, sah er etwas besser aus. Er sagte kein Wort, als er zur Couch hinüberging, sich setzte und anfing, den starken Kaffee zu trinken, den sie für ihn bereitgestellt hatte. Fünf lange Minuten vergingen, bis er endlich zu ihr aufsah.»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich leise.»Ich weiß.«