Weder Saul noch Rebekka bemerkten, was zwischen uns vorging. Ich wusch meinem Freund Hände und Füße und teilte mit ihm gewässerten Wein, während Sara und Rebekka sich in der Küche zu schaffen machten. Und während Saul munter darauflosschwatzte und mir allerlei Neuigkeiten aus der Stadt berichtete, war ich die ganze Zeit taub und blind. Ich konnte nur an Sara denken, den Inbegriff geheimnisvoller Schönheit, der den Männern sonst nur im Traum erscheint.

Ich war den ganzen Abend verlegen, aber Saul und Rebekka nahmen keine Notiz davon. Beim Essen unterhielten wir uns und lachten und genossen die Gesellschaft guter Freunde. Ich fürchtete mich davor, Sara anzusehen. Ich wußte, wenn ich es täte, würde ich wie eine Feuersäule auflodern. Ein- oder zweimal trafen sich unsere Blicke, und wir waren sogleich wie erstarrt. Sie blickte mich keck an mit leicht geöffneten feuchten Lippen, als ob sie mir etwas mitteilen wollte.

Als Saul und Sara sich schließlich verabschiedeten, war ich völlig betäubt. In dieser Nacht rührte ich Rebekka nicht an, sondern gab vor zu schlafen. Und in den Stunden der Finsternis sah ich das Bild die ganze Zeit vor meinen Augen: Saras weit aufgerissene, forschende Augen, ihr voller Mund, ihr glänzendes schwarzes Haar und ihr anmutiger Körper. Sie war mehr als eine Schönheit, sie war eine Märchenfee, die gekommen war, mich zu peinigen. Noch Tage danach konnte ich den Gedanken an Sara nicht loswerden. Ich schenkte meiner Arbeit nur wenig Aufmerksamkeit und mußte oft zweimal angesprochen werden, bevor ich Antwort gab. Ich weiß nicht, ob Rebekka es bemerkte, jedenfalls machte sie diesbezüglich keine Andeutung. Doch Rebekka war ohnehin eine stille und gehorsame Ehefrau, die mein Handeln niemals in Frage gestellt hätte.

Eines Tages konnte ich es nicht länger aushalten. Statt meinen Verwalter zu den Geldhändlern zu schicken, wie ich es üblicherweise tat, ging ich selbst und ließ ihn zurück, um im Olivenhain nach dem Rechten zu sehen. Ich zog meine feinste Tunika und meinen besten Umhang an, rieb wohlriechendes Öl in meinen Bart und machte mich mit klopfendem Herzen auf den Weg nach Jerusalem.

Saul stand kurz vor dem Ende seines Studiums und wohnte daher nicht länger bei Eleasar. Er war wieder zu seinem Vater zurückgekehrt und würde dort nach der Hochzeit mit seiner jungen Ehefrau so lange wohnen, bis er sich ein eigenes Heim leisten konnte.

Saul war noch nicht zu Hause, aber ich wurde von seiner Familie herzlich empfangen. Als Saul dann kurze Zeit später aus dem Tempel zurückkam, freute er sich über meinen Besuch und bemerkte in seiner Begeisterung gar nicht den Anflug von Enttäuschung, der sich auf meinem Gesicht zeigte. Sara war nicht bei ihm.

Und was hatte ich auch erwartet? Bis zur Hochzeit würde sie natürlich nicht allzu häufig in seiner Gesellschaft sein. Ich mußte einen anderen Weg ersinnen.

Was ich mir ausdachte, war folgendes: Ich lud die beiden für den Vorabend des Sabbat erneut zum Abendessen ein und bat sie, bis zum nächsten Tag zu bleiben.

Ich sagte:»Rebekka fühlt sich einsam in diesem Haus am Olivenhain, denn sie kommt selten mit gleichaltrigen jungen Frauen zusammen. Saras Gesellschaft würde ihr sicherlich guttun. «Und Saul nahm die Einladung bereitwillig an. Mein Sohn, ich betrog meinen besten Freund und benutzte ihn, um meine eigenen Ziele zu erreichen. Doch in meinem glühenden Verlangen, Sara wiederzusehen, kam mir nichts von alledem in den Sinn. Ein Mann, der von der Liebe getrieben wird, von einer verzehrenden Leidenschaft, ist kein vernunftbegabter Mensch mehr.

Als Saul und Sara kurz vor Sonnenuntergang eintrafen, war ich ganz außer mir. Ich stand auf, um zu beobachten, wie sie den Pfad heraufkamen. Ich hörte Saras Lachen zwischen den Bäumen schallen, ich sah, wie sich das Sonnenlicht in ihrem herrlichen, im Abendwind wehenden Haar verfing. Als sie indes an unserer Schwelle anlangte, zeigte sie sich schüchtern und ließ den Schleier wieder herunter. Und doch spürte ich, wie ihre dunklen Augen mich durch den Schleier hindurch anblitzten, und die Knie wurden mir weich. Niemand vermag das Gefühl der Liebe zu erklären, woher es kommt, warum es überhaupt existiert, wodurch es zu bestimmten Zeiten hervorgerufen wird. Man weiß nur, daß es die erhabenste aller Empfindungen ist.

Von deinen Lippen, o Braut, träuft Honigseim; Milch und Honig birgt deine Zunge, und der Duft deiner Kleider gleicht dem Duft des Libanon!

Ich kann mir vorstellen, wie König Salomo zumute war, als er dieses Lied schrieb, denn in Saras Gegenwart war ich schwach, von glühender Leidenschaft verzehrt und erfüllt von dem Verlangen, sie in meinen Armen zu halten.

Tags darauf kehrte Saul in die Stadt zurück, um in den Tempel zu gehen. Ich begleitete ihn nicht, denn wir von den Armen hielten unseren Gottesdienst nicht am Sabbat, sondern einen Tag später ab. Und so erbot ich mich, Sara in meinem Olivenhain herumzuführen, damit sie all meine Besitztümer sehen und die frische Morgenluft genießen könnte. Rebekka zog es vor, im Haus zu bleiben, und so wanderten Sara und ich allein zwischen den Olivenbäumen einher.

Zuerst sprachen wir nicht. Es herrschte ein seltsames Stillschweigen zwischen uns. Doch als wir unter den Zweigen dahinschlenderten und uns an der Wärme des Tages ergötzten, wußte ich, daß Sara dasselbe empfand wie ich.

Schließlich erreichten wir den letzten der Bäume und standen am Rand eines wunderbaren Aussichtspunktes. Die blutrote Anemone war in voller Blüte und belebte die Landschaft mit ihrem strahlenden Glanz. Die Luft war erfüllt von dem Duft der Aleppokiefern, und weiße Lilien sprossen da und dort im Gras wie schlafende Tauben.

Endlich konnte ich es nicht mehr aushalten und erzählte Sara, was ich im Grunde meines Herzens empfand. Ich gestand ihr, daß ich mich nicht schuldig fühle, daß ich zwar ein jung vermählter Ehemann sei, aber dennoch nicht an meine Frau denken könne und daß sich das Feuer, von dem ich verzehrt wurde, meiner Kontrolle entziehe.

Zu meiner Überraschung und Freude äußerte sich Sara ganz ähnlich; daß sie seit dem Augenblick unserer ersten Begegnung rastlos sei und einen stechenden Schmerz im Herzen empfinde.»Wie kann das sein?«fragte sie.»Kann eine solche Liebe in einem so kurzen Augenblick erblühen? Ist es möglich, daß sich zwei Menschen nur ansehen und hilflos in einer Leidenschaft gefangen werden, die so groß ist, daß alles Wasser von Siloam sie nicht zu kühlen vermag?«

Ich sagte ihr, daß es wohl so sein müsse, da es uns widerfuhr. Ich wollte sie küssen, aber ein kleiner Rest Vernunft war mir noch verblieben. Im fünften Buch Mose heißt es, daß ein frisch vermählter Mann ein Jahr lang mit seinem Weib fröhlich sein soll. Ich befolgte dieses Gebot nicht vollständig. Und dabei war ich doch ein Mann des Gesetzes.

Wir unterhielten uns leise oben auf dem Hügel, und als eine leichte Brise Saras Schleier ein wenig lüftete und ihr Haar freigab, meinte ich zu hören, wie mein Herz laut aufschrie.

Ich empfand große Zuneigung für Saul. In meinen acht Jahren in Jerusalem war Saul mein Bruder und mein Freund gewesen. Es gab nichts, was ich im Angesicht Gottes nicht für ihn getan hätte. So war es aus keinem anderen als aus diesem Grund, daß ich es unterließ, mich Sara zu nähern. Meine Liebe zu Saul verlieh mir die Kraft, um meiner Liebe zu seiner Verlobten nicht nachzugeben. Ich bin ein Mann der Treue.

Ich bin auch ein Mann des Gesetzes, und doch war es seltsamerweise nicht das Gesetz, das mich an diesem Tag im Zaume hielt. Ich wußte, daß die Strafe für einen Mann, der bei der Verlobten eines anderen Mannes schläft, die Steinigung war — zu Tode steinigen. Weiterhin wußte ich, daß auch ein Mädchen zu Tode gesteinigt werden konnte, wenn es nicht als Jungfrau zu ihrem Manne ging und er dies in der Hochzeitsnacht entdeckte. Doch so streng und abschreckend die Gesetze des fünften Buches Mose auch sind, es war meine

Freundschaft mit Saul, die mir an diesem Tage Willenskraft gab.

In den darauffolgenden Tagen war ich ein anderer Mensch. Als Salmonides sich bei mir mit noch größeren Gewinnen meldete und verkündete, die Götter seien mir geneigt, trafen seine Worte auf die Ohren eines Tauben. In meiner Brust tobte ein Schmerz, der sich durch nichts lindern ließ. Meine Liebe zu Sara nahm mit jeder Stunde zu.

Rebekka und ich besuchten auch weiterhin unsere Freunde im Hause von Miriam in der Oberstadt, und weil sie fromme Juden waren, strengte ich mich sehr an, zuvorkommend zu sein. Ich habe bisher noch nicht von Jakobus gesprochen, den du ja auch kennst. Jetzt will ich von ihm berichten.

Jakobus war ein Nazaräer, ein Mann von felsenfesten Überzeugungen und eisernen Gelübden. Neben Simon war er einer der Führer der Armen. Es waren arbeitsreiche Tage für sie, da sie darauf bedacht waren, ihre Anhängerschaft zu vergrößern, bevor der Meister wiederkehrte. Jakobus pflegte zu sagen:»Wir wurden angewiesen, auszuziehen, um die verlorenen Schafe Israels zu suchen und ihnen zu verkünden, daß das Königreich nahe. «Deshalb zogen Simon und seine Anhänger durch das ganze Land, predigten den Neuen Bund und verkündeten die Rückkehr unseres Königs. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die vor langer Zeit gemachten Prophezeiungen erfüllten und Israel zum rechtmäßigen Herrscher der Welt erhoben würde. Für dieses Ereignis mußten alle Juden vorbereitet sein, und es war die Aufgabe von Simon und Jakobus, die Missionarstätigkeit zu organisieren und dafür Sorge zu tragen, daß die Botschaft jeden Bürger Israels erreichte. Einst fragte ich ihn:»Wohin geht ihr, Brüder?«Und Jakobus antwortete:»Wir sind verpflichtet, in jede Stadt Israels zu gehen und mit jedem Juden dort zu sprechen. Wir erhielten Anweisung, den Heiden aus dem Weg zu gehen und die Städte der Samariter nicht zu betreten. Denn das nahende Königreich ist allein für Juden.«

Um diesen Punkt entspann sich ein heftiger Meinungsstreit. Simon und Jakobus erhielten Briefe von ihren Brüdern in Antiochia, die zu Juden predigten, und diese erzählten von einem anderen Mann, einem gewissen Saul von Tarsus, der behauptete, mit dem Meister auf der Straße nach Damaskus gesprochen und die Anweisung erhalten zu haben, auch zu Heiden zu predigen. Doch Simon und Jakobus, welche über alle Angelegenheiten der Armen wachten, rieten ihnen strikt davon ab, sich unter die Unbeschnittenen zu begeben. Denn sofern sie nicht Juden würden wie wir — das heißt, wenn sie nicht das Ritual der Beschneidung über sich ergehen ließen — und versprächen, die Thora heiligzuhalten, könnten die Heiden dem Neuen Bund nicht beitreten. Eine zweite Unstimmigkeit erwuchs ebenfalls aus diesem Punkt, ein Streit, der zunächst recht harmlos begann, der aber in späteren Jahren immer größere Ausmaße annahm. Wie du weißt, war Simon der beste Freund des Meisters und sein erster Jünger gewesen. Du weißt auch, daß Jakobus des Meisters Bruder war. Daraus entwickelte sich eine kleine Zwietracht zwischen ihnen. Simon und Jakobus wetteiferten miteinander um die absolute Vorherrschaft bei den Armen. Wenn sie in einer Sache unterschiedlicher Meinung waren, entstand sofort eine hitzige Debatte, und jeder von beiden erhob Anspruch auf das letzte Wort. Dies war zunächst kein größeres Problem, doch später, als Simon und Jakobus sich in ihren Auffassungen immer weiter auseinanderlebten, wurde der Kampf um die oberste Führungsposition bei den Armen immer heftiger geführt.

So waren Simon und Jakobus zu dieser Zeit sehr beschäftigte Leute. Der Tag der Rückkunft schwebte fast schon über uns. Es konnte schon morgen sein, und sie befürchteten, nicht genug Juden für ihre Sache gewonnen zu haben, bevor unser

Meister als König in Jerusalem Einzug hielt. Simon und Jakobus bekämpften die Idee, auch Heiden in die Gruppe aufzunehmen, und sie wetteiferten miteinander um die absolute Kontrolle über die Gemeinschaft.

Es war auch eine Zeit, in der leider viele von uns begannen, zum Schwert zu greifen. Zeloten in ganz Galiläa und Judäa sorgten für wachsende politische Spannungen mit unseren römischen Oberherren, und wir befürchteten, daß ein offener Konflikt ausbrechen könnte, bevor unser Meister zurückkehrte.

Im Vergleich zu dem, was später passierte und was du miterlebtest, mein Sohn, waren diese noch keine gefährlichen Zeiten. Damals wurde erst die Saat der Unruhe ausgebracht, und ein paar widrige Winde verbreiteten sie übers ganze Land. Als das Wasser plötzlich aus dem siedenden Kessel hervorbrach, warst du Augenzeuge davon.

Meine Liebe zu Sara wurde immer stärker. Ich vermochte ihr keinen Einhalt mehr zu gebieten. Als man Saul, meinen Freund, endlich für fähig erachtete, das Gesetz seinerseits zu lehren, und Eleasar ihm den Titel Rabbi verlieh, legte Saul den Tag der Hochzeit fest. Diese Nachricht zerriß mir die Seele, als ob hungrige Löwen darin wüteten. Rebekka war so aufgeregt, als wäre sie selbst die Braut, und verbrachte viele Tage bei Sara, um ihr bei den Vorbereitungen zu helfen. Saul und Sara besuchten uns häufig, denn wir waren ihre besten Freunde, und ich fühlte mich jedesmal wie ein kranker Hund. Ich schmachtete nach Sara. Ich sehnte mich nach ihr, wie ich mich nie zuvor nach einer Frau gesehnt hatte. Meine Liebe wurde zur flammenden Leidenschaft und dann zur nackten Begierde, und ganz egal, wie sehr ich in meinem Olivenhain unter der Sonne schwitzte oder betete, bis ich Schwielen an den Knien bekam, das heftige Verlangen, Sara zu besitzen, wurde nur noch stärker. Daß sie ebenso litt wie ich, konnte man deutlich in ihren Augen erkennen. Und einmal, als sich unsere Hände zufällig berührten, sah ich eine tiefe Röte ihre Wangen bedecken. Nachts träumte ich lange von ihr. Ich warf mich hin und her, wie vom Fieber befallen. Und ich betete, daß ich am Tage ihrer Hochzeit imstande sein möge, meinen Leib und meine Seele von dieser Besessenheit zu befreien. Eines schönen Tages begab es sich, daß Rebekka nach Jerusalem ging, um ihre Mutter und ihre Schwestern zu besuchen, während ich allein bei der Ölpresse zurückblieb. Ich wußte, daß Saul schon im Tempel weilte und nach Schülern Ausschau hielt, damit er seine eigene Schule begründen könnte. Mein Verwalter war in Jerusalem mit dem Öl, das wir zuletzt gepreßt hatten, und meine wenigen Sklaven hielten im Schatten ihren Mittagsschlaf. Und so schien es ganz so, als ob das Schicksal Sara an diesem Tag den Pfad heraufführte. Als ob unsere Sterne schon vor langer Zeit, in der Stunde unserer Geburt, zwangsläufig miteinander verbunden worden wären. Ich trat aus dem Schatten heraus ins Sonnenlicht und glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Es war, als ob ein Traumbild sich mir näherte.